Mit #noPAG und #ausgehetzt ist in Bayern eine Bewegung entstanden, die geschafft hat, woran die bayerische Opposition schon seit Jahrzehnten scheitert: Die CSU ernsthaft unter Druck zu setzen. Johannes König über die Gründe des Erfolgs, die Lage im Freistaat vor der Wahl und die Aufgaben der LINKEN
Das neue Bayerische Polizeiaufgabengesetz, das seit dem 25. Mai in Kraft ist, hat am 10. Mai über 40.000 Menschen mobilisiert, die gegen den Abbau von Grundrechten und gegen eine geheimdienstliche Polizei demonstrierten. Doch nicht nur das: Die Großdemonstration war für viele auch ein Ventil, den allgemeinen Unmut über die CSU abzulassen. Die Süddeutsche Zeitung beschrieb am Folgetag treffend das neue bayerische »Wackersdorf-Gefühl« und prophezeite: »Es könnte der Auftakt zu einem neuen Kulturkampf in Bayern sein.« Sie sollte recht behalten.
Gut zwei Monate später, am 22. Juli, ist der Münchner Königsplatz überfüllt mit Menschen. Die Schätzungen reichen von 25.000 bis 50.000. Aufgerufen hatte ein bunt gemischtes Bündnis: Flüchtlingshelferkreise, kirchliche Organisationen, Parteien, Kulturinstitutionen, PRO ASYL und viele andere NGOs, alle vereint in der Ablehnung des gesellschaftlichen Rechtsrucks, der angeheizt wird vom Wettstreit zwischen CSU und AfD. Der Aufruf zur Kundgebung:
»#ausgehetzt – Gemeinsam gegen die Politik der Angst! Wir wehren uns gegen die verantwortungslose Politik der Spaltung von Seehofer, Söder, Dobrindt und Co. Wir setzen ein Zeichen gegen den massiven Rechtsruck in der Gesellschaft, den Überwachungsstaat, die Einschränkung unserer Freiheit und Angriffe auf die Menschenrechte.«
Nervöse Reaktionen der CSU
Wie sehr die CSU nun unter Druck geraten ist, macht sich bemerkbar an ihrer zunehmend nervösen Reaktion auf die beiden Großdemos: Bereits im Vorfeld der #noPAG-Demo startete sie mit »fake news«-Vorwürfen eine Kampagne gegen das Bündnis und stellte im Landtag einen Antrag, um SPD und Grüne dazu zu bewegen, aus dem Bündnis, in dem sich auch »Linksextremisten« befänden, auszutreten.
Im Nachgang twitterte der CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Kuffer: »0,3% der Wahlberechtigten in Bayern demonstrieren gegen das neue Polizeiaufgabengesetz. Das ist respektabel und deren gutes Recht. Aber es zeigt auch, dass die Bayern fast vollständig geschlossen hinter unserer konsequenten Sicherheitspolitik und dem neuen PAG stehen.« Mit seiner Rechnung machte er sich in den sozialen Medien zum Gespött.
Die Meldungen in den Tagen vor #ausgehetzt waren ebenso geprägt von einer verzweifelt wirkenden Gegenkampagne: Manuel Pretzl, Fraktionschef der CSU im Münchner Stadtrat, stellte einen Antrag an den Oberbürgermeister, den Kammerspielen – einem städtischen Münchner Theater – die Beteiligung an der Kundgebung zu untersagen. Die Empörung über das antidemokratische Ansinnen der CSU schlug hohe Wellen und sorgte für eine breite Solidarisierung mit dem Intendanten der Kammerspiele Matthias Lilienthal, etwa durch Erklärungen des Residenztheaters oder des Jüdischen Museums München.
Doch damit nicht genug, die CSU stolperte von einer Peinlichkeit zur nächsten: Stunden vor Beginn der Demo ließ sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entlang der Demoroute plakatieren: »JA zum politischen Anstand! Nein zu #ausgehetzt. Bayern lässt sich nicht verhetzen.«
In allen Fällen ist klar, dass die Reaktionen der CSU zu breiter medialer Berichterstattung beigetragen haben und es ist davon auszugehen, dass dadurch die Teilnehmerzahlen der Demonstrationen erheblich nach oben getrieben wurden. Das wenig souveräne Agieren der CSU zeigt vor allem eines: Eine Regierungspartei, die jahrzehntelang selbstgefällig alles in Bayern durchsetzen konnte, was sie wollte, muss sich plötzlich mit etwas auseinandersetzen, das sie überhaupt nicht gewohnt ist: Eine ernstzunehmende außerparlamentarische Opposition.
#noPAG und #ausgehetzt: eine Erfolgsgeschichte
Beide Protestbündnisse, sowohl #noPAG als auch #ausgehetzt, haben mehrere entscheidende Gemeinsamkeiten: Zum einen sind sie bemerkenswert breit aufgestellt. Dem Bündnis #noPAG sind um die 100 Organisationen beigetreten, #ausgehetzt versammelt über 130 Organisationen unter einem Dach. Das politische Spektrum reicht dabei jeweils von der radikalen Linken bis weit ins bürgerliche Lager hinein, im Fall von #ausgehetzt in Anbetracht seiner kirchlichen Unterstützerorganisationen sogar ins konservativ-bürgerliche Lager.
Beiden Bündnissen ist es gelungen, zum richtigen Zeitpunkt den Nerv der Bevölkerung zu treffen. Die Großdemonstration gegen das Polizeiaufgabengesetz fand kurz vor seiner Verabschiedung im Landtag statt, während des Höhepunkts der medialen Auseinandersetzung. Die letzten Monate vor der Kundgebung von #ausgehetzt waren ein Zeitraum, in dem die rhetorische Aufrüstung der CSU die öffentliche Debatte dominierte. Mit der Asyldebatte der letzten Wochen erreichte die Hetze der CSU ihren Höhepunkt.
Beide Bewegungen kommen von unten und haben ihren Ursprung in der Zivilgesellschaft. Zwar schalteten sich die politischen Parteien im Laufe der Vorbereitungen unterstützend ein, doch waren beide Bewegungen erfolgreich darin, den authentischen Protest der Bevölkerung zu artikulieren und zu keinem Zeitpunkt als reines Instrument im Landtagswahlkampf wahrgenommen zu werden. Auch die Besetzungen der Redelisten auf den Kundgebungen spiegelten die Bewegung von unten und setzten den Fokus ganz klar auf soziale Bewegungen und zivilgesellschaftliches Engagement. Die Parteien hingegen hatten jeweils nur ein sehr kleines Zeitfenster zur Verfügung.
Wie weiter im Kampf gegen die CSU?
Wie kann nun die Dynamik von #noPAG und #ausgehetzt genutzt werden, um die CSU bei der kommenden Landtagswahl wirklich zu schlagen? Es gilt auf jeden Fall, den Druck von unten zu verstetigen. Dabei wäre das Volksbegehren »Stoppt den Pflegenotstand an Bayerns Krankenhäusern« der richtige Anknüpfungspunkt.
Erstens bietet ein Volksbegehren den Menschen eine konkrete Umsetzungsperspektive, nachdem sowohl #noPAG als auch #ausgehetzt zwar eine große Dynamik entfalten, jedoch keine realen politischen Veränderungen erzwingen konnten. Zweitens steht beim Volksbegehren, für das zunächst einmal die Anzahl der Unterschriften entscheidend ist, die Motivation von Menschen im Vordergrund, selbst aktiv zu werden und nicht nur durch Stellvertreterpolitik auf eine Verbesserung der Verhältnisse zu hoffen. Drittens bietet das Volksbegehren gegen den Pflegenotstand eine klare klassenpolitische Perspektive, die bei #noPAG kaum und bei #ausgehetzt nur teilweise gegeben war.
Diese drei Eigenschaften machen den Unterschied zu bisherigen Wahlkämpfen in Bayern, bei denen der CSU vor allem eine parlamentarische Scheinlösung entgegengesetzt wurde und keine Politik der Selbstermächtigung. Aufgabe der LINKEN sollte sein, die Organisation dieser Selbstermächtigung zu leisten und nicht in den Chor der bayerischen Oppositionsparteien einzustimmen, der lediglich ein Ende der absoluten CSU-Mehrheit fordert.
Schlagwörter: AfD, ausgehetzt, Bayern, CSU, Demonstration, DIE LINKE, Inland, Landtagswahl, Linke, München, noPAG, Pflegenotstand, Protest, Seehofer, Volksbegehren