Am 12. Februar 1934 ergriff die österreichische Arbeiterschaft die Waffen gegen den Faschismus. Zu spät, zu zögerlich. Die Niederlage des Proletariats war vollständig und ebnete dem Nationalsozialismus endgültig den Weg in die Alpenrepublik. Fabian Max Wallner über den Weg zum Austrofaschismus
Jahrhundertelang hatte das Imperium der Habsburger Europa seinen Stempel aufgedrückt, doch etwa ein Jahrhundert lang befand sich Österreich-Ungarn im permanenten Niedergang. In der Hoffnung, die alte aristokratische Ordnung zu erhalten und einen Weg aus der innenpolitischen Dauerkrise zu finden, stürzte sich die Donaumonarchie in den Ersten Weltkrieg. Es sollte ihr letzter Krieg sein.
Am 12. November 1918 rief die provisorische Nationalversammlung die Republik Deutschösterreich aus. Der Zerfall des Vielvölkerstaates mit seinen einst 50 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern war damit vollständig. Nun lebten nur noch sechs Millionen Menschen in diesem Staat, der deshalb mehrheitlich für nicht lebensfähig gehalten wurde. Vor dem Parlament in Wien wurden rot-weiß-rote Fahnen gehisst, aus denen eine Gruppe Revolutionäre – zu der auch der »rasende Reporter« Egon Erwin Kisch gehörte – das Weiße herausrissen und die sozialistische Republik forderten.
Doch statt der Ausdehnung der Russischen Revolution, statt der nächsten Etappe der sozialistischen Weltrevolution, begann die sozialdemokratische Partei mit dem Wiederaufbau der bürgerlichen Ordnung, blieb bei ihrer Ideologie einer strikt reformistischen Politik und bildete nach den Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung eine Große Koalition mit der christlich-sozialen Partei.
Sozialdemokratie würgt die Revolution ab
In dieser Koalition gelang es der Sozialdemokratie anfangs tatsächlich, die Abgeordneten der Bourgeoisie an die Wand zu spielen. Es wurden maßgebliche Verbesserungen für die Arbeiterinnen und Arbeiter errungen, so wurden eine Krankenkasse, Urlaubsanspruch, Mindestlohn, die 38-Stunden Woche, das Verbot der Kinderarbeit, eine Arbeitslosenversicherung, Karenzzeit und sogar ein Betriebsrätegesetz eingeführt. Als Ausgleich dafür würgte die Sozialdemokratie die Revolution in den Betrieben, die massenhaften Streiks, sowie die Arbeiterinnen- und Arbeiter- aber auch Soldatenräte mit Verweis auf die Erfolge der Regierung ab. Der führende Parteitheoretiker und ideologische Vater des so genannten Austromarxismus, Otto Bauer, fasste die Situation Österreichs und die Rolle der Sozialdemokratie in jenen Wochen wie folgt zusammen:
»Die Regierung stand damals immer wieder den leidenschaftlichen Demonstrationen der Heimkehrer, der Arbeitslosen, der Kriegsinvaliden gegenüber. Sie stand der vom Geiste der proletarischen Revolution erfüllten Volkswehr gegenüber. Sie stand täglich schweren, Gefahr drohenden Konflikten in den Fabriken, auf den Eisenbahnen gegenüber. Und die Regierung hatte keine Mittel der Gewalt zur Verfügung: Die bewaffnete Macht war kein Instrument gegen die von revolutionären Leidenschaften erfüllten Proletariermassen. (…)
Keine bürgerliche Regierung hätte diese Aufgabe bewältigen können. Sie wäre wehrlos dem Misstrauen und dem Hass der Proletariermassen gegenübergestanden. Sie wäre binnen acht Tagen durch Straßenaufruhr gestürzt, von ihren eigenen Soldaten verhaftet worden. Nur Sozialdemokraten konnten diese Aufgabe von beispielloser Schwierigkeit bewältigen. Nur ihnen vertrauten die Proletariermassen. (…) Nur Sozialdemokraten konnten wild erregte Demonstrationen durch Verhandlungen und Ansprachen friedlich beenden, nur Sozialdemokraten konnten sich mit den Arbeitslosen verständigen, die Volkswehr führen, die Arbeitermassen von der Versuchung zu revolutionären Abenteuern (…) abhalten.«
Nachdem sich die Bourgeoisie vom ersten Schock des Zusammenbruchs ihrer Monarchie erholt hatte, beeilte sie sich, diesen, für sie unerträglich gewordenen Zustand zu beenden und dankte der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) ihren Verrat am Proletariat mit einem Ende der Regierungskoalition. In den folgenden Neuwahlen verlor die SDAP stark und die Christlich-Sozialen konnten sich an die Restauration machen, oder wie sie es selbst zu sagen pflegten: »Den revolutionären Schutt wegräumen.« Die österreichische Revolution war im Kindbett ermordet worden.
Das »Rote Wien« und die Reaktion
Die Sozialdemokratie Österreichs hatte von ihrem Anbeginn den Aufbau einer proletarischen Gegenkultur gefördert und getragen. Die SDAP und ihre Vorfeldorganisationen boten vom Arbeitersport-, -fischer oder -kegelverein über Kinderfreunde- und Naturfreundegruppen einen Verein für jede Lebenslage. Die Arbeiterinnen- und Arbeiterkultur blühte besonders in Wien. Der Wiener Finanzstadtrat Hugo Breitner entwickelte ein System progressiver Reichen- und Luxussteuern, das die bürgerliche Politik mit ihren Warnungen vor Kapitalflucht durch Reichenbesteuerung, vor Wirtschaftskrise und Wertevernichtung Lügen straft. Mit diesem Steuerprogramm konnte das umfassendste kommunale Wohnbau- und Fürsorgeprogramm der europäischen Vorkriegsgeschichte realisiert werden, die sozialen Wohnbauten, in Wien Gemeindebauten genannt, gelten bis heute als vorbildhaft.
Trotz den Erfahrungen der Jahre 1918-20 bleibt der SDAP und ihren Mitgliedern ein beinahe religiöser Glaube an die Möglichkeit, den Sozialismus in den Parlamenten aufzubauen, erhalten. Eine Vorstellung, die auch die Bürgerlichen in Angst und Schrecken versetzte. Doch die Erfolge der reformistischen Politik von 1920/21 waren eben nicht trotz, sondern wegen den Massen auf den Straßen und den Streikenden in den Betrieben errungen worden. Selbst bei den letzten Wahlen 1930 war die SDAP mit 41 Prozent die mit Abstand stärkste Partei, während die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei nur 3 Prozent erreichte. Österreich war bereits zu Beginn der 1920er Jahre in zwei politische Lager zerfallen, die einander in offener Feindschaft begegneten. Gewalttätige politische Auseinandersetzungen waren bis zum Ende der Ersten Republik an der Tagesordnung.
Die Stagnation in der Politik und die wachsende Stärke des bürgerlich-katholischen Blocks der Bundesländer wuchs an. Jetzt, wo diese Kraft der SDAP nicht mehr zur Verfügung stand, wurde von der neuen Regierung zurückgenommen, was nur möglich war. Zumindest in Restösterreich, denn Wien blieb rot und bewies damit scheinbar die ungebrochene Macht der Demokratie.
Wie in Deutschland hatten sich auch in Österreich nach dem Weltkrieg nicht nur revolutionäre Wehrverbände, sondern auch reaktionäre Truppen aus ehemaligen Offizieren der sich auflösenden Habsburger-Armee und Burschenschaftern gebildet. Diese so genannten Frontkämpfervereinigungen oder Heimwehren hatten von Anfang an faschistoide Züge und lehnten sich ab 1923 offen an Benito Mussolinis Faschismus an.
Der Republikanische Schutzbund
Als Antwort darauf und auf die Verdrängung ihrer Mitglieder aus dem Österreichischen Bundesheer bildete sich auch in der SDAP aus dem Ordnerdienst eine eigene Wehrformation, der Republikanische Schutzbund. Dessen Aufgabe lag, wie es sein Gründer und Obmann Julius Deutsch formulierte, darin, »den demokratischen Weg zum Sozialismus von faschistischen Wegelagerern freizuhalten«. Zu keinem Zeitpunkt war, das ist auch unter bürgerlichen Historikerinnen und Historikern unumstritten, der Republikanische Schutzbund eine Offensivarmee, sondern eine proletarische Wehrformation, die lediglich die Verteidigung der demokratischen Republik gegen ihre inneren Feinde zum Ziel hatte. Stärke, hohe Organisationsgrad und Größe des Schutzbundes waren herausragend. Dies unterschied die österreichische Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung von der deutschen, oder anderen europäischen Staaten zu dieser Zeit. Vor allem über Wien, aber auch einigen kleineren Städten wehten die roten Fahnen des Sozialismus.
In jedem Gemeindebau waren sowohl Parteistrukturen, aber auch Waffenverstecke des Republikanischen Schutzbundes zu finden. Doch die innerstaatlichen Feinde kontrollierten zu diesem Zeitpunkt bereits Polizei, Justiz und Militär. Die Christlich-Sozialen unter ihrem Parteivorsitzenden Prälat Ignaz Seipel wollten sich nicht mit der Republik abfinden. Die Voraussetzungen, diese Republik und was von ihren sozialen Errungenschaften geblieben war zu verteidigen, waren denkbar ungünstig.
Zunehmend betrieben nun die Faschisten provokante Aufmärsche in Hochburgen der SDAP und des Schutzbundes. Diese Entwicklung gipfelte in einem Aufmarsch des Republikanischen Schutzbundes im burgenländischen Schattendorf am 30. Januar 1927, der von der Heimwehr von einem Wirtshaus aus unter Beschuss genommen wurde, sodass ein Kriegsinvalide und ein Kind den Tod fanden. Da die Täter sofort gefunden wurden, musste die Justiz widerwillig aktiv werden. Der Prozess zog sich naturgemäß bis Juli hin und endete mit einem Freispruch der Todesschützen.
Kriegserklärung des Austrofaschismus
Das empörte die Wiener Arbeiterinnen- und Arbeiterschaft so sehr, dass dreitägige schwere Unruhen die Hauptstadt heimsuchten und sogar der Justizpalast als verhasstes Symbol der christlich-sozialen Klassenjustiz in Brand gesteckt wurde. Auch in anderen Städten kam es zu Protesten und Ausschreitungen. Die Polizei ergriff von Anfang an brutale Maßnahmen, was die Stimmung noch mehr aufheizte, weshalb Schutzbundmitglieder von ihrer Führung und Parteivorsitzenden die Herausgabe der Waffen und den Beginn des bewaffneten Aufstands forderten. Doch die Parteiführung hielt Kurs und verharrte in erfolglosen Verhandlungen.
Nicht einmal als sich die Heimwehren am 18. Mai 1930 im niederösterreichischen Korneuburg versammelten und dort gemeinsam mit Abgeordneten der christlich-sozialen Partei sowie den Deutschnationalen den »Korneuburger Eid« schworen. In diesem heißt es unter Anderem: »Wir wollen Österreich von Grund aus erneuern! (…) Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohl des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen. (…) Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat! (…) Jeder Kamerad fühle und bekenne sich als Träger der neuen deutschen Staatsgesinnung, er sei bereit Gut und Blut einzusetzen, er kenne drei Gewalten: den Gottglauben, seinen eigenen harten Willen und das Wort seiner Führer.« Dieser verbalen Kriegserklärung folgte keinerlei Reaktionen durch die sozialdemokratische Partei. Man glaubte weiterhin daran, dank der Gesetze der Republik vor einer faschistischen Umwälzung gefeit zu sein. Selbst ein Putschversuch 1931 mit dem erklärten Ziel, nach Mussolinis Vorbild eine faschistische Diktatur in Österreich zu schaffen, konnte die Führung der SDAP nicht von ihrem selbstzerstörerischen Kurs abbringen.
Der Weg in den autoritären Staat
1930 erfasste die Weltwirtschaftskrise auch Österreich mit aller Härte, eine der Folgen war der Zusammenbruch der Creditanstalt, der damals größten Bank Mitteleuropas. Das führte zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. 1933 betrug die Zahl der Arbeitslosen 557.000 Menschen. Fast die Hälfte aller Arbeitenden in der Industrie fanden keine Beschäftigung mehr, darunter besonders viele Jugendliche. Die Politik der wirtschaftlichen Krisenbekämpfung, eine radikale Kürzungspolitik des christlich-sozialen Kanzlers Engelbert Dollfuß, war außerordentlich unbeliebt und er verfügte ab 1932 nur noch über eine Mehrheit von einem Mandat. Es gab folglich für die Bürgerlichen nur zwei Möglichkeiten: Den Verzicht auf die Macht oder die Ausschaltung jener Institutionen und Bewegungen, die diese Macht gefährdeten: Parlament und Opposition.
Die Regierung begann durch Einschränkung des Parlamentarismus sowie durch einen verschärften Kampf gegen die Linke, ihre Machtposition abzusichern, denn eine geschwächte Linke war die Voraussetzung für eine Krisenlösungspolitik im prokapitalistischen Sinne. Gestützt auf »das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz« vom Juli 1917 erließ die Regierung am 1.Oktober 1932 eine Verordnung bezüglich der Haftung der für den Zusammenbruch der Creditanstalt verantwortlichen Personen. Damit begann unabänderlich der Weg in den autoritären Staat. Der Bundeskanzler verlautbarte am 4. Oktober 1932 in der Reichspost: »Die Tatsache, daß es der Regierung möglich ist, selbst ohne vorherige endlose parlamentarische Kämpfe sofort gewisse dringliche Maßnahmen in die Tat umzusetzen, wird zur Gesundung unserer Demokratie wesentlich beitragen.«
Dollfuß schaltet das Parlament aus
Dieser 1932 eingeleitete Prozess wurde schließlich durch eine parlamentarische Abtimmung vom 4. März 1933 beschleunigt. Als Arbeiterinnen und Arbeiter der Österreichischen Bundesbahn eine geheime Waffenlieferung von Italien nach Ungarn entdeckten und daraufhin in den Streik traten, ließ die Regierung diesen mit Polizeigewalt brechen. Die Empörung war enorm und die Opposition brachte im Parlament einen Misstrauensantrag gegen die Regierung ein, die im Parlament nur über eine Stimme Mehrheit verfügte. Da der Parlamentspräsident damals nicht stimmberechtigt war, legten alle Parlamentspräsidenten ihr Amt nieder, um abstimmen zu können, woraufhin eine Fortsetzung der Sitzung nicht mehr möglich war und diese vertagt wurde.
Bundeskanzler Dollfuß erklärte, diese Krise sei eine Parlaments- und keine Staatskrise und die Regierung sei von der »Selbstausschaltung« des Parlaments nicht betroffen. Er stützte sich dabei auf die Zustimmung des Bundespräsidenten, die christlich-soziale Partei, die Heimwehren, die Unternehmerverbände, die katholische Kirche und auf Italien, dem wichtigsten außenpolitischen Partner Österreichs. Als die Abgeordneten am 15. März 1933 wieder zusammentreten wollten, wurde dies mit Polizeigewalt verhindert. Der Parlamentarismus war am Ende. Obwohl für diesen Fall in den Parteistatuten der SDAP zwingend festgelegt, kam es nicht zum Generalstreik.
Von nun an beschleunigte sich die Entwicklung. Am 20. Mai 1933 wurde die neue Staatspartei, die Vaterländische Front (VF) aus der Taufe gehoben. Sie sollte dem Ständestaat die notwendige Massenbasis besorgen und war ideologisch fundamentalistisch-katholisch orientiert und radikal antimarxistisch. Am 30. Mai wurde der Republikanische Schutzbund verboten, kurz darauf die Kommunistische Partei. Es folgte die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes. Erste »Anhaltelager« wurden gegründet, in denen insgesamt etwa 16.000 politische Gefangene einsaßen, vornehmlich sozialistische und kommunistische Genossinnen und Genossen.
SDAP-Führung ergibt sich Austrofaschismus
Am 11. September 1933, dem Katholikentag wurde der erste Generalappell der Vaterländischen Front auf dem Wiener Trabrennplatz abgehalten. Hier hielt Dollfuß eine programmatische Rede: »Mühsam ist es den Vertretern der bodenständigen Bevölkerung gelungen, zu verhüten, dass der Materialismus und der gottlose Marxismus die Alleinherrschaft in unserer Heimat angetreten haben, aber nicht konnte damit verhindert werden, dass diese Geistesrichtung doch durch mehr als ein Jahrzehnt die Entwicklung, die wirtschaftliche und seelische Entwicklung unserer Heimat, faktisch bestimmt hat. (…) Die Zeit des kapitalistischen Systems, die Zeit kapitalistisch-liberalistischer Wirtschaftsordnung ist vorüber, die Zeit marxistischer, materialistischer Volksverführung ist gewesen! (…) Wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich. Wir sind so deutsch, so selbstverständlich deutsch, dass es uns überflüssig vorkommt, dies eigens zu betonen.«
Nachdem der Staat unter Kontrolle gebracht wurde, wurde nun der Druck auf die Opposition erhöht, Entlassungen aus politischen Gründen, Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Lagerhaft wurden nun für Linke eine ständige Bedrohung. Doch all diesen Maßnahmen setzte die Führung der SDAP nichts entgegen. Sie ergab sich ihrem Schicksal und hinderte ihre Mitglieder daran, sich endlich zur Wehr zu setzen. Trotz des Verbots des Republikanischen Schutzbundes, bestand er im Untergrund weiter. Im Januar 1934 wurde die sozialdemokratische »Arbeiterzeitung« verboten, wieder folgten keine Massenstreiks, keine Aufstände, kein Widerstand. Schließlich erging sogar der Befehl zur Durchsuchung von Parteigebäuden und Wohnungen nach Waffen des Schutzbundes. Noch immer kam es nicht zum Aufstand.
In den ersten Februartagen 1934 wurden die Wiener Bezirkskommandanten des Schutzbundes und der Zentralleitung, wie Major Eifler und Hauptmann Löw, verhaftet und am 11. Februar 1934 kündigte Vizekanzler Fey bei einer Gefechtsübung der Heimwehr an: »Ich kann Euch beruhigen: Die Aussprachen von vorgestern und gestern haben uns die Gewissheit gegeben, dass Kanzler Dr. Dollfuß der unsrige ist. Wir werden morgen an die Arbeit gehen, und wir werden ganze Arbeit leisten.«
Die Genossen versuchen, sich zu wehren
Als am 12. Februar 1934 in den frühen Morgenstunden das sozialdemokratische Parteiheim in Linz, das Hotel Schiff, von der Polizei durchsucht werden sollte, setzten sich die Genossinnen und Genossen (entgegen dem Einspruch der Parteileitung), zur Wehr. Es kam zu einem Feuergefecht mit Toten auf beiden Seiten. Der bewaffnete Aufstand breitete sich bald in allen Industriegebieten Österreichs aus, und spätestens am 13. Februar gab es Gefechte in weiten Teilen Oberösterreichs. In Wien waren ArbeiterInnenheime und Gemeindebauten Zentren des Widerstandes. Doch die Regierung hatte den Krieg geplant und vorsätzlich vom Zaun gebrochen, sie hatte alle Trümpfe in der Hand und handelte rasch und brutal.
Die Führung der SDAP und des Schutzbundes wurde größtenteils sofort festgesetzt, nur wenigen ihrer Mitglieder gelang die Flucht in die benachbarte Tschechoslowakei. Dem Bürgermeister des Roten Wien, Karl Seitz, wurden die Grenzen reformistischer Politik vor Augen geführt und ihm blieb gegen seine Absetzung nur noch, passiven Widerstand zu leisten und sich von der Polizei aus dem Rathaus tragen zu lassen. Das war der nennenswerteste Widerstand eines Mitgliedes einer Parteiführung, die ihrer Entmachtung jahrelang tatenlos zugesehen hatte. Die Strategie der Faschisten ging voll auf, die besten Köpfe von Partei und Schutzbund waren ausgeschaltet. Die traditionell straff organisierte sozialdemokratische Partei und der Schutzbund waren ohne Befehle »von oben« fast handlungsunfähig. Auch hatten die schweren politischen Niederlagen der letzten Jahre, sowie das ständige Zögern der SDAP-Spitze die Kampfbereitschaft der Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse untergraben, ein Generalstreik scheiterte schon im Anlauf. Der öffentliche Verkehr in Wien konnte nur wenige Stunden lahmgelegt werden.
Austrofaschismus kommt an die Macht
Überall erschienen Schutzbundkommandanten nicht zu den abgemachten Treffpunkten, kampfbereite Schutzbündler und Schutzbündlerinnen irrten teilweise ohne Anweisungen und ohne Zugang zu Waffenlagern herum. Und so konnte sie die Übermacht aus Polizei, Bundesheer und Heimwehrverbänden jeden Widerstand rasch niederringen. Schon am 14. Februar fiel Wien, am 16. Februar ruhten in ganz Österreich die Waffen. Die Regierung verbot nun sämtliche sozialdemokratischen Organisationen und die Gewerkschaften. Nach einem tapferen aber von Anfang an verratenen und deshalb aussichtslosem Kampf in den größeren Städten, blutigen Angriffen auf Wohnhäuser und gescheitertem Generalstreik übernimmt der klerikal-konservative Austrofaschismus die alleinige Macht in Österreich. Die Austrofaschisten verkündeten symbolträchtig am 1. Mai «(i)m Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, (…) für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung«.
Dollfuß wird von konservativen Kräften in Österreich bis heute verehrt, weil er Hitler angeblich noch vier Jahre aus Österreich herausgehalten habe und weil er 1934 von Nazis ermordet wurde. Seine eigene Machtergreifung, die Hinrichtung von Mitgliedern der Sozialdemokratischen und Kommunistischen Partei und die Zusammenarbeit mit dem faschistischen Italien werden dabei verschwiegen. Schulen nehmen sich für den Austrofaschismus oft keine einzige Stunde Zeit. Der Grund für diese Geschichtsvergessenheit ist einfach: Dollfuß‘ Nachfolgepartei ÖVP ist seit 1945 fast lückenlos an der Regierung beteiligt, ob in der »rot-schwarzen Koalition« mit der sozialdemokratischen Nachfolgepartei SPÖ oder mit der neofaschistischen FPÖ.
Schlagwörter: Antifaschismus, Faschismus, Nationalsozialismus, Österreich