Der neue »Avatar«-Film ist einer der schlechtesten Filme des Jahres 2022. In einem pseudo-antikolonialen Kampf gegen hoch technologisierte Außerirdische werden keine emanzipatorischen Ideen hervorgebracht, sondern rückständige Weltbilder reproduziert. Von Simo Dorn
Im zweiten »Avatar«-Film »Der Weg des Wassers« von James Cameron, kehrt die koloniale Armee der Menschen auf den Planeten Pandora zurück. Mit den Menschen kommen Tod und Zerstörung. So löst bereits die Landung ihrer Raumschiffe Waldbrände apokalyptischer Ausmaße aus. So schnell wie der Fortsetzungsfilm in Konsequenzen kolonialer Gewalt einführt, so schnell wird ein möglicher Diskurs über den amerikanischen und zentraleuropäischen Imperialismus auch wieder verlassen.
Der neue »Avatar«-Film ist exakt der gleiche Film, wie es der erste Teil »Avatar – Aufbruch nach Pandora« war. Nicht nur Spannungsbögen, Handlung oder Protagonist:innen wurden recycelt, teilweise wurden sogar Dialoge nahezu eins zu eins übernommen. Auch bei den Einnahmen schließt der Film nahtlos an den Erstling an: Mit einem weltweiten Einspielergebnis von rund 2,92 Milliarden US-Dollar belegt er erneut den ersten Platz im Ranking der erfolgreichsten Filme aller Zeiten.
Es ist bezeichnend, wie wenig Kreativität im derzeitigen Blockbuster-Kino zu finden ist. Was mit »Star Wars Episode VII bis IX« begann, setzt James Cameron mit »Avatar« nun noch farbloser fort. Die Unterschiede zum ersten Film von 2009 bestehen darin, dass dieser Film im Meer und nicht im Wald spielt.
Hinter dem Fest des technisch Möglichen, versteckt der Film seine gefährliche Ideologie
Obwohl im ersten »Avatar«-Film die den Menschen ähnelnden Na’vi in einem Kollektiv lebend gezeigt wurden und dies auch durch ihre spirituelle Autorität und ihre Riten, bestärkt wird, so offenbart der außerirdische Mensch Jake Sully sein Ideal einer bürgerlichen Kleinfamilie im Zusammenleben der Na’vi. Wo im ersten »Avatar«-Film bei den Na’vi nur vereinzelt familiäre Strukturen des Zusammenlebens zu finden waren und es mehr an kollektivistische Ideen angelehnt war, wird im aktuellen Film das klassische Rollenbild der Geschlechter in den Vordergrund gestellt. Der Mann hat sich für das vermeintliche Fehlverhalten seiner Frau Neytiri zu entschuldigen. Die Frau darf bei wichtigen Entscheidungen zwar mitreden, aber letztlich doch nicht mitbestimmen, sondern muss sich der Entscheidung des Mannes beugen. Jack Sully flieht letztlich mit seiner Familie aus den Kriegsgebieten des Waldes in friedlichere Gebiete des Planeten an den Küsten des Ozeans. Auch wenn der Wasserstamm, bei dem sie Zuflucht finden, in ähnlich hierarchischen Strukturen zu leben scheint, wie es Jack Sully den Zuschauer:innen vorlebt, so scheint die Frau des Anführers jenes Stammes dennoch gleichberechtigt neben ihrem Mann zu stehen.
»Avatar« vermittelt ein Männlichkeitsbild, dass jungen Männern keinen anderen Weg vorgibt und sie sogar dazu zwingt, als Soldaten in den Krieg zu ziehen. Stärke und Gehorsam sind die zentralen Botschaften, inklusive psychische als auch physische Strafe bei Ungehorsam gegenüber dem männlichen Familienoberhaupt. Es ist ein vergleichbares toxisches Männlichkeitsideal, das Hollywood in dutzenden anderen Filmen reproduziert
Gewalt ist eine natürliche Ordnung, in die sich Menschen einzufügen habe und die »Unschuld der Familie« muss vor jeglichen Bedrohungen beschützt werden, koste es, was es wolle.
Dass Widerstand gegen eine koloniale Macht – welche in dem Film ähnlich zu dem anfänglichen Waldbrand als eine Art naturgegebene Gewalt dargestellt wird – in all seinen Formen bis hin zum militanten Kampf legitim beziehungsweise notwendig ist, oder welche ethischen Konflikte oder Widersprüche dies für die Beteiligten beider Seiten bedeuten kann, darüber schweigt der Film.
Zudem ist der Film das, was Kritiker:innen eine White Savior Story nennen. Der Journalist David Sirota schreibt über solche Filme: »Die Handlungen implizieren immer, dass eine Person of Color sich nicht selbst retten kann. Dies führt dazu, dass sich das weiße Publikum gut fühlt, da es eine gutmütige Messias-Rolle einnimmt (besser als die des hegemonialen Eroberers), und es zeichnet Schwarze Menschen als hilflose Schwächlinge«.
Wer Avatar schaut, sieht nicht
Ein weißer, männlicher Held kommt in eine Gemeinschaft von Einheimischen und rettet diese aus ihrer Not. Im Fall von »Avatar« sind es die blauhäutigen Na’vi von Pandora, die von Jake Sully (Sam Worthington) in den Kampf gegen die böse irdische militärisch-industrielle Organisation die »Resources Development Administration«, kurz RDA, geführt werden. Der Film reproduziert so rassistische Vorurteile, dass sich Unterdrückte nicht selbst befreien können.
Das »White Savior«-Erzählmuster geht Hand in Hand mit dem Naturverständnis des Films. Es entspricht einer Vorstellungen ethnischer Reinheit. Diese wird nur im Angesicht einer existentiellen, externen Bedrohung unter den Na’vi teilweise überwunden oder ignoriert. Ausgrenzung auf Grund einer »unnormalen« Physis wird zwar mit Solidarität auf einer individuellen Ebene eine Absage erteilt, aber eben nur um den Zusammenhalt der Familie innerhalb der Gesellschaft zu bewahren. Ebenso wird so der Zusammenhalt der Gesellschaft gegenüber den außerirdischen Menschen gefestigt. Das alles hat allerdings nicht zur Folge, dass es innerhalb der Gesellschaft keine Ausgrenzung gäbe. Diese bleibt weiterhin bestehen.
Die Realität überholt die Bilder des Films
Im zweiten »Avatar«-Film verkommen Kinder und der Schutz des Kindeswohls zu einem Stilmittel, mit dem jedwede Handlung gerechtfertigt wird. Wo der Film tatsächlich hätte glänzen können, wäre, wenn er die gegenwärtige Realität des Imperialismus gezeigt hätte. Wenn Cameron auf die FSK 12-Freigabe und damit auf das kommerzielle breitere Hollywood-Publikum verzichtet hätte und wirklich gezeigt hätte, was passiert, wenn hochtechnologisiertes Kriegsgerät gegen einfache Steinschleudern ins Feld geführt wird. Verweise auf aktuelle imperialistische Gewalt drängen sich bei den alltäglichen Akten der Unterdrückung und Entmenschlichung auf diesem Planeten auf. Nahezu täglich sterben Palästinenser:innen unter israelischer Militärdiktatur. Mehr als 88 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Gaza haben traumatisierende Gewalt erlebt und mehr als 53 Prozent leiden an einer moderaten oder akuten posttraumatischen Belastungsstörung. Das ist die Realität des Siedlerkolonialismus und Imperialismus und das ist die Realität, die James Cameron ausblendet um eine pseudo-emanzipatorische Blockbustergeschichte zu erzählen, die darüber hinaus noch nicht mal besonders originell ist.
Avatar: Der Weg des Wassers
Regie: James Cameron
Drehbuch: James Cameron, Rick Jaffa, Amanda Silver
193 Minuten
FSK 12
0 von 5 Sterne
Schlagwörter: Avatar, film, Filmkritik