Hunderttausende Menschen demonstrierten am vergangenen Wochenende als Antwort auf den ISIS-Anschlag in Barcelona. Die Linke intervenierte und hatte Erfolg. Der Protest setzte ein klares Zeichen gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit, Krieg und die Scheinheiligkeit der Herrschenden. Maria Dantas aus Barcelona erklärt, wie die Linke den Protest prägen konnte.
Die Terroranschläge vom 17. August hätten zu einem unwidersprochenen Anstieg von Islamfeindlichkeit und dem Wiederaufflammen von Faschismus und Rassismus führen und der repressiven Antwort durch den Staat Rückhalt verleihen können, so wie das in Frankreich nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo der Fall war. In Spanien gibt eine lange Geschichte von anti-terroristischen Demonstrationen in den 1980er- und 1990er-Jahren nach den ETA-Anschlägen. Dabei unterstützten nicht nur die Konservativen und die Sozialistische Partei, sondern auch die kommunistisch geführte »Vereinigte Linke« die brutale Repression der baskisch-nationalistischen Bewegung durch den spanischen Staat.
Problematische Teilnahme der Königsfamilie
Der jetzige Protest wurde kurzfristig vom Stadtrat in Barcelona initiiert und dann von der katalanischen Regierung unterstützt. Er wurde ursprünglich als »Marsch für Frieden und Solidarität« geplant. Auf dieser Basis lud der Stadtrat soziale Bewegungen ein, die Demonstration mitzuorganisieren. Doch die Tatsache, dass die spanische Regierung ebenfalls an der Organisation beteiligt war, sowie der Umstand, dass die konservative Regierung (Partido Popular, PP) und die königliche Familie ebenfalls teilnehmen würden, ließ die Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Wie können die PP und die Königsfamilie eine Demonstration für ein friedliches Zusammenleben anführen?
Durch Druck von links, insbesondere vom antikapitalistischen Parteienbündnis »Kandidatur der Volkseinheit« (CUP), stimmten das Bündnis zu, dass PP und die Monarchen nicht den Protest anführen dürfen, obwohl ihnen dennoch eine wichtige Position vorne im Demozug zugestanden wurde. Für die sozialen Bewegungen und die Linke bedeutete dies eine Herausforderung.
Aufruf gegen Islamfeindlichkeit und Krieg
Einige Linke argumentierten, dass es nicht die Zeit sei, politische Debatten zu entfachen, und wir einfach auf die Demo gehen sollten, um der Opfer des Attentats am 17. August zu gedenken. Andere argumentierten, dass die Demo zwangsläufig die Regierung stärken würde und entschieden sich, nicht teilzunehmen. Die Mehrheitsposition in der Linken war, dass wir versuchen sollten, die Demonstration zu dem zu machen, was sie sein sollte – sie also effektiv zu übernehmen. Eine Woche hektischer Aktivitäten, Treffen von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener sozialen Bewegungen, Nachbarschaftszusammenschlüssen, Gewerkschaften, wichtiger Teile der Unabhängigkeitsbewegung, der (klein gewordenen) Antikriegsbewegung und der antirassistischen Bewegung wie UCFR), sowie der Netzwerke, die die riesige »Flüchtlinge Willkommen«-Demonstration am 18. Februar 2017 organisiert hatten.
An die 200 verschiedener Bewegungen stimmten dann einem Aufruf zu, die die Rolle der PP im Irakkrieg anprangerte – und die Besatzung, die zum Aufstieg von ISIS führte – sowie die Rolle der spanischen Königsfamilie, enge Freunde der Saudischen Monarchie, im Waffenhandel nach Saudi Arabien kritisierte. Außerdem wurden in dem Aufruf weitgehende Änderungen der Außen- und Innenpolitik gefordert, die repressive »Sicherheits«-Politik abgelehnt und zur Solidarität mit Flüchtlingen aufgerufen. Der Text enthielt auch einen Aufruf, die Demonstration blau zu färben: Als Symbol für das »Blau« des Mittelmeers und das Zeichen des Pro-Flüchtlings-Protests vom 18. Februar.
In Rekordzeit wurden 50.000 blaue Plakate produziert mit Slogans für Frieden und gegen Islamfeindlichkeit. Zwei 15 Meter lange blaue Banner wurden gemacht mit den Hauptslogans: »Ihre Politik, unsere Toten« (gegen die PP gerichtet) und »Friede, Solidarität, Zusammenleben in Vielfalt«. Während der 24 Stunden vor der Demonstration strahlte das Radio alle 30 Minuten einen Clip von einem der Repräsentanten der Bewegung aus. So auch von David Karvala, Sprecher von UCFR und Mitglied der antikapitalistischen Gruppe marx21. Er erklärte die Ansichten der Bewegung und verurteile die Scheinheiligkeit der PP und des Königs.
»Menschen, die Frieden wollen, verkaufen keine Waffen«
Die Reaktion war überwältigend: Die Demonstration war durch und durch blau – T-Shirts, Banner und so weiter – und die Sprechchöre richteten sich gegen Islamfeindlichkeit, Krieg und die Scheinheiligkeit der Herrschenden. Auf tausenden Plakaten wurden Ministerpräsident Mariano Rajoy und der König für ihre Rolle im Waffenhandel kritisiert – mit Slogans wie »Menschen, die Frieden wollen, verkaufen keine Waffen«. Das war auch Thema eines riesigen Banners – 16 mal 8 Meter – den ein Demoblock über ihren Köpfen hertrug. Sogar im ersten Block der Demonstration – übermäßig durch die Polizei überwacht – gelang es Aktivistinnen und Aktivisten derartige Banner hochzuhalten, während das Hauptbanner »Ihre Politik, unsere Toten« über den Köpfen ebendieser Politikerinnen und Politiker sichtbar war.
Rechte erfolgreich ausgebremst
Die Rechte und die Medien reagierte widersprüchlich: Einerseits taten sie so, als wäre nichts passiert. Dank ausgewählter Kameraeinstellungen (und Photoshop) wurden nur Fotos veröffentlicht, die weder die kritischen Banner zeigten, noch die Unabhängigkeitsfahnen, die ebenfalls den Demozug füllten. Andererseits beschuldigten sie Aktivistinnen und Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung die Demonstration vereinnahmt, boykottiert oder ruiniert zu haben. Sie kritisierten die »Politisierung« des Protest, wobei sie ignorieren, dass ihre »Antiterror«-Demonstrationen immer hoch politisch waren und voller nationalistischer Fahnen – spanischer, nationalistischen Fahnen.
Es könnte argumentiert werden, dass einige Teile der Unabhängigkeitsbewegung zu präsent gewesen wären, aber das ist eine Debatte die innerhalb der Bewegung in Katalonien geführt werden sollte. Allerdings muss auch gesagt werden: Die Absicht die konservativen PP, das Königshauses und die Regierung zur Demonstration mit einzuladen, war ein Versuch, die Unabhängigkeitsbewegung zu schwächen – und dieser Versuch scheiterte fundamental. Die Demonstration war ein voller Erfolg für die sozialen Bewegungen und eine herbe Niederlage für die Rechte.
Radikale Linke kann Massenunterstützung bekommen
Der Protest wirft aber auch Fragen bezüglich der Linken, die den Stadtrat kontrolliert, und der katalanische Regierung auf, die heute in fünf Wochen das Referendum (über die Unabhängigkeit, Anm.) abhalten möchte. Beide taten nichts gegen die Teilnahme der Konservativen und des König an der Demonstration, wie sollen dann in viel größeren Kämpfen, ihr Versprechen halten, echte Opposition gegen die Konservative und das Königshaus zu organisieren?
Auch wenn die Demonstration sehr antirassistisch geprägt war, wissen wir, dass uns noch viele Kämpfe bevorstehen. Der Kampf gegen Islamfeindlichkeit und Faschismus muss weitergehen und ausgeweitet werden. Die Lektion der Demonstration ist, dass diese Kämpfe nicht nur an einer Minderheit von linken Aktiven hängen. Die radikale Linke kann Massenunterstützung bekommen, wenn wir sie suchen und aufbauen.
Schlagwörter: Antiterrorgesetz, Barcelona, Frieden, Isis, Islam, Islamfeindlichkeit, Islamischer Staat, Katalonien, Krieg, Linke, Spanien, Terror, Waffenexporte