Am 18.12 hat Bauernpräsident Joachim Rukwied zu Protesten aufgerufen, »wie sie die Bundesrepublik bisher nicht erlebt« habe. Sein Vorbild sind die Niederlande, wo ein Bauernaufstand zum Sturz einer konservativen Regierung geführt hat und der Rassist Geert Wilders kurz vor einer Regierungsübernahme steht. Volkhard Mosler analysiert den reaktionären Charakter der Bewegung
Das Ziel des niederländischen Bauernaufstands ab 2019 war es, mit allen Auflagen des Tierwohls, zur Verminderung der Gülleproduktion und der Klimaauflagen Schluss zu machen und die Regierungspläne zur Senkung der Nitrat-Verseuchung von Böden und Grundwasser zu stoppen. Die Niederlande haben mit einer Fläche so groß wie Niedersachsen nach den USA die zweithöchsten Agrarexporte der Welt. Schweineställe mit 6000 Schweinen sind die Norm. Ganze Landstriche sind mit Nitrat verseucht. Mit wochenlangen Blockaden von Verkehrsknotenpunkten und Logistikzentren mit Hilfe ihrer Traktoren hat eine kleine Gruppe von 50.000 Bauern die Regierung gestürzt und die Nitratverordnung von EU und Regierung vom Tisch gefegt.
Auch in Deutschland droht ein Aufstand unter Führung und im Interesse reicher Großbauern und Agrarindustrieller mit hohen Exporterwartungen, die ungehindert von staatlichen Auflagen über Tierwohl und Umweltschutz und mit Milliarden-Staatshilfe es den niederländischen Bauern nachmachen wollen. Existenzsorgen kleiner und mittlerer Bauern sind nur das Schutzschild, ihr Sterben ist von der kleinen, reichen Elite, die den Bauernverband beherrscht, »eingepreist«.
Die staatlichen Subventionen steigen mit der bearbeiteten Fläche, je größer der Betrieb, desto höher die Subventionen. Diese Art der flächengebundenen Staatshilfe ermöglicht es den großen Betrieben, Weltmarktanteile zu verteidigen und zu vergrößern und verlangsamt zugleich das Höfesterben auf ein bis zwei Prozent jährlich.
Anlass der Bauernproteste
Worum geht es aber bei den Kürzungen der Bundesregierung und was treibt die Wut der Bauern an? Ausgelöst wurden die Bauernproteste durch die Kürzungspläne der Bundesregierung für Agrarsubventionen in Höhe von einer Milliarde Euro im Rahmen der durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil ausgelösten Haushaltkrise. Nach der Rücknahme der Kürzung bei der KfZ-Steuer besteht die Bundesregierung weiter auf der Kürzung der Subventionierung von »Agrardiesel« in Höhe von knapp einer halben Milliarde Euro. Der Präsident des Bayrischen Bauernverbandes Günther Felßner sei hier stellvertretend zitiert für die Tonlage des Bauernverbandes: »Mit dem angekündigten Aus für den Agrardiesel liefert die Ampelkoalition die Landwirtschaft in Deutschland ans Messer.« Der drohende Wegfall der Dieselsubvention (21 Cent pro Liter) »bedrohe die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion hierzulande.«
Mit solchen Aussagen wollen die Vertreter:innen des Bauernverbandes die Sympathien der Bevölkerung gewinnen, die sie in der Vergangenheit mit ihrem Widerstand gegen Klima- und Umweltschutz strapaziert hatten. Tatsache ist, dass 2022 pro Betrieb durchschnittlich 2780 Euro für landwirtschaftlich verbrauchten Diesel zurückerstattet wurden. Die Agrardieselsubvention macht etwa 6 Prozent der an die Landwirtschaft ausbezahlten Gesamtsubventionen aus. 2022 flossen 48.000 Euro an Direktsubventionen an einen durchschnittlichen Landwirtschaftsbetrieb. Der durchschnittliche Gewinn eines Haupterwerbshofes betrug 2022 aber 115.000 Euro, davon 48.000 Euro aus Subventionen. Die Kürzung der Dieselsubvention würde das Durchschnittseinkommen aller Bauern um 3,4 Prozent verringern. Für Klein- und Mittelbetriebe ist dabei die Belastung höher als für die Großbetriebe.
Heute verfügen in Deutschland nur 14 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe über 62 Prozent der genutzten Agrarfläche. Diese Betriebe hatten 2022 einen durchschnittlichen Nettogewinn von 130.000 Euro. 36 Prozent (mehr als ein Drittel) der landwirtschaftlichen Betriebe waren in der »Rechtsform der juristischen Person oder Personenhandelsgesellschaft Teil einer Unternehmensgruppe«. 94 Prozent der von Unternehmensgruppen kontrollierten landwirtschaftlichen Fläche lag dabei in den ostdeutschen Bundesländern. Im Agrarbericht der Bundesregierung 2023 heißt es dazu: »die hohe Anzahl von Betrieben in der Rechtsform juristisch Person, die nicht selbständig, sondern Teil einer Unternehmensgruppe sind, macht deutlich, wie stark sich der landwirtschaftliche Bodenmarkt in den letzten Jahren verändert hat.«¹
Zwar fällt in den größeren Betrieben auch ein höherer Dieselverbrauch an, aber sie würden die Mehrbelastung doch vergleichsweise einfacher wegstecken können als die kleineren Betriebe. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die sich in Opposition zum Deutschen-Bauernverband 1980 gegründet hat und in der viele am ökologischen Landbau orientierte kleinere Bauern organisiert sind, hat deshalb vorgeschlagen, die Subvention für den Agrardiesel erst ab einem Jahresverbrauch von 10.000 Litern zu streichen. Eine solche Mengenbegrenzung wäre nicht nur sozial, sondern auch ökologisch sinnvoller als »jede Menge« Dieselverbrauch zu unterstützen. Außerdem läuft das Angebot der Ampel darauf hinaus, die Kürzung beim Agrardiesel auf drei Jahre zu strecken, sodass sie erst 2026/27 wirksam wird. Der Bauernverband bleibt aber dabei: Er will die Regierung stürzen. Um die vergleichsweise geringe Belastung durch die Kürzung beim Agrardiesel geht es ihm nur vordergründig.
Landvolkbewegung und völkische Rechte heute
Am 28. Januar 1928 demonstrierten in Schleswig-Holstein 140.000 Bauern. Aufgrund des Verfalls der Weltmarktpreise für Agrarprodukte konnten viele Bauern ihre Kredite nicht mehr bezahlen, es kam zu einem Steuerstreik und zu militanten Formen des Widerstands, die nach ein paar Monaten in eine politische Bewegung gegen das »System« der Weimarer Republik und das angeblich für die Krise verantwortlichen Weltjudentum mündeten. Es war die Geburtsstunde der »Landvolkbewegung«. Schon vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise konnte die NSDAP in den ländlichen Zentren der Bewegung Achtungserfolge erringen.
Das Symbol der völkischen und antisemitischen Landvolkbewegung aus den letzten Jahren der Weimarer Republik (Schwarze Fahne mit weißem Pflug und rotem Schwert) fand sich auch bei den jüngsten Bauernprotesten an Traktoren und Lastwagen der Bauern.
Und es gibt weitere Parallelen zur Landvolkbewegung: Wie vor knapp 100 Jahren beteiligen sich auch andere von der Krise bedrohte bürgerliche und kleinbürgerliche Schichten am Protest: Handwerker:innen, Spediteur:innen, Gastronomieunternehmen u.a. Und wie damals versucht auch heute der ganze konservative und rechtsreaktionäre Flügel des politischen Spektrums, damals der gesamten völkischen Rechten, heute von CSU bis AfD und III. Weg, den Protest der Bauern und Agrarindustriellen zu beeinflussen und zu vereinnahmen.
Aber es gibt auch wichtige Unterschiede. Der bedeutendste ist: Damals waren die Bauernproteste eine wirkliche Massenbewegung. 140.000 Bauern demonstrierten am 28, Januar 1928 allein in Schleswig-Holstein. Auf der zentralen Bauernkundgebung am 15. Januar in Berlin zählte die Polizei etwa 5000 Trecker und 7500 Bäuerinnen und Bauern. In den vielen regionalen Vordemonstrationen waren es oft nur wenige hundert Demonstrierende. Die Mechanisierung des Protests (»Treckerdemos«) erweckt den Eindruck von Größe und Macht. In der Gesellschaft bilden die Landwirte freilich heute eine verhältnismäßig kleine soziale Schicht. In etwa 250.000 ländlichen Betrieben leben heute noch ein knappe halbe Million Bauern mit ihren Familienangehörigen. 1967 waren es noch dreieinhalb Millionen. Damals drohte Bauernpräsident Rehwinkel der regierenden CDU/CSU mit einem Wahlaufruf zugunsten der NPD, falls die Regierung die von der ersten »Großen Koalition« beschlossenen Kürzungen von Subventionen für die Landwirtschaft nicht zurücknähme. Ein solche Drohung durch den heutigen Bauernpräsidenten Rukwied liefe mangels Masse ins Leere.
Die Interessen des Bauernverbands
Umso erstaunlicher ist die politische Wirkung der Bauernproteste heute. Ähnliche Bauernproteste im Jahr 2019 (damals gegen Umweltschutzauflagen) hatten keinen solchen Widerhall, obwohl es den Bauern wesentlich schlechter ging als in den beiden letzten Jahren, in denen sie Rekordgewinne einfuhren. Damals zählte die Berliner Polizei auf einer zentralen Bauernkundgebung sogar 8600 Trecker, die Veranstalter:innen sprachen von 40.000 Teilnehmer:innen.
2019 richteten sich die Proteste gegen Umwelt- und Tierschutzauflagen aus Brüssel und nicht in erster Linie gegen die Bundesregierung, die von der CDU-Kanzlerin Merkel geführt wurde. Aus den eigenen Reihen gab es Kritik von Seiten der oppositionellen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die sich seit ihrem Bestehen für eine umweltfreundliche und ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft einsetzt. Der Naturschutzbund (NABU) veröffentlichte zeitgleich (2019) eine Studie, in der die enge Verflechtung zwischen dem Deutschen Bauernverband mit »den vor- und nachgelagerten wirtschaftlichen Bereichen und Verbänden, etwa der Agrar- und Ernährungs- sowie Finanzwirtschaft« analysiert und kritisiert wurde. 150 Führungskräfte aus Landes- und Bundesverband des DBV saßen der Studie zufolge in 550 Aufsichts- und Verwaltungsräten und anderen Macht- und Knotenpunkten von »Agrobusiness« und Politik. Der Vorsitzende des DBV, Joachim Rukwied, besetzt 18 wichtige Positionen vor allem in der Agrar- und Finanzwirtschaft, allein aus den 3 Aufsichtsratsposten bei Südzucker, BayWa und R & V Versicherung verdiente er 2018 ca.160.000 Euro.
In einem Leserbrief an den NABU hieß es: »Der Bauernverband vertritt die Interessen der Industrie. Er hat mit »Bauer« nichts zu tun, die kleinen Betriebe sind uninteressant für die großen Player.« (NABU »Naturschätze retten« 6.2.2017). Das stimmt nur bedingt. Der Erfolg der Mobilisierung 2024 liegt auch darin begründet, dass der Bauernverband sich dieses Mal erfolgreich als Anwalt aller Bäuerinnen und Bauern darstellen konnte. Die Streichung von Subventionen (»Agrardiesel«, KfZ-Steuer auf Landmaschinen) hätte alle Betriebe getroffen.
Bauernproteste für den Sturz der Ampel
Die große Mehrheit der kleinen und mittleren Bauernhöfe mit weniger als 60 Hektar Anbaufläche ist aus der Sicht des Bauernverbandes ökonomisch »uninteressant« Sie sollen und werden bis 2040 aussortiert sein nach dem Motto »Wachsen oder Weichen«. Seit der Jahrtausendwende ist die Anzahl der Betriebe von 300.000 auf 255.000 geschrumpft, das war fast jeder fünfte Betrieb. Der Bauernverband als Vertretung der reichen Großbauern unterstützt diese Entwicklung ausdrücklich: »Ein Strukturwandel in dieser Größenordnung ist für mich ein akzeptabler Prozess«, so Bauernpräsident Lukwied (FAZ, 24.6.2017).
Die Zahl der noch existierenden bäuerlichen Betriebe mit 2024 unter 250.000 ist noch groß genug, um mit Hilfe der Technik (Traktoren) Macht auf den Straßen auszuüben. Insofern ist das Bündnis der kleinen Schicht von kapitalistischen Großbauern und der Masse der noch werktätigen Schicht von Klein- und Mittelbauern entscheidend für den Erfolg der Mobilisierung.
Aus den anfänglichen ökonomischen Protesten für die Rücknahme der Kürzungen wurde rasch eine politische Bewegung für den Sturz der Ampel-Regierung mit ihrer »verfehlten Agrarpolitik«. Auf einer Großkundgebung am 18.12. vor dem Brandenburger Tor drohte Rukwied mit Protesten »wie es das Land noch nicht erlebt hat.« Und er machte auch klar, dass es ihm um mehr als eine Milliarde Subventionskürzungen geht: es gehe »schlichtweg um die Zukunft unseres Deutschlands … wir brauchen unternehmerischen Freiraum statt weiterer Eingrenzung durch Auflagen.«
Rukwied forderte »andere Berufsgruppen, das Transportgewerbe, die Gastronomie…« auf, sich dem Kampf der Bauern »für eine anders ausgerichtete Regierungspolitik« anzuschließen und fügte hinzu: »Wenn wir die nicht bekommen, dann brauchen wir einen Regierungswechsel.«
Vorbild Niederlande
Aufmerksam verfolgte der DBV die Entwicklung in den Niederlanden seit 2019. Dort haben Bauernproteste zu einem Sturz der konservativ-liberalen Regierung unter Mark Rutte, zur Bildung einer rechtspopulistischen Bauernpartei und schließlich zu einem Wahlsieg des rechtsradikalen Rassisten Geert Wilders geführt.
Mahnungen vor einer Unterwanderung der Bauernproteste durch Rechtsradikale hat der Sprecher des Deutschen Bauernverbandes als Versuch kritisiert, den bäuerlichen Protest zu »delegitimieren« und »in die rechte Ecke zu stellen«. Dabei gibt es unter den Bauernverbänden längst einen, der mit der AfD zusammenarbeitet und in dessen Reihen neofaschistischen Kräfte wohlwollend toleriert werden. Im Block der »Freien Bauern« hatten sich Mitglieder der Naziorganisation III. Weg eingereiht und andere bekannten sich hier zur antisemitischen, völkischen »Landvolk«-Bewegung. Und nirgends haben die Sprecher:innen des Bauernverbandes auf den Kundgebungen öffentlich dazu aufgerufen, faschistische Gruppen auszuschließen.
Die »Tagesschau« vom 11.1. fasste die Dynamik der Proteste so zusammen: »Die Bauernproteste haben »Die Ampel muss weg« als zentrales Motto adaptiert. Seit dieser Woche ist es bei ihren Aktionen überall zu lesen, wo Traktoren rollen oder Straßen blockieren.« Insofern ist die zeitgleiche Mobilisierung der radikalen Rechten, die die Bauernproteste mit zahlreichen eigenen Aktionen bundesweit begleiten, eine Art von Kollateralschaden, die der Bauernverband, deren Spitzenvertreter:innen traditionell der CDU/CSU angehören oder ihr nahestehen, bereit ist, in Kauf zu nehmen. Oder wie die Tageschau es formuliert: »Es sind die extremen Nebenwirkungen der Bauernwut, die durch die Wut zahlreicher Handwerker, Spediteure und Dienstleister angereichert wird.«
Eine reaktionärere Revolte
Der Kampf der Landwirte gegen die Ampel ist ein politischer Kampf. Er richtet sich gegen die bescheidenen Schutzmaßnahmen und Auflagen, die von der Umwelt- und Klimabewegung erkämpft wurden. Er hat nicht das Ziel, wie die Sprecher:innen vom Bauernverband behaupten, die Eigenversorgung der Bevölkerung in Deutschland sicherzustellen, sondern hohe Gewinne durch steigende Weltmarkanteile für deutsche Agrarprodukte zu erzielen. Ihr Kampf schützt nicht die kleinen Höfe Umgekehrt: Er zielt darauf ab, die Zahl der bäuerlichen Betriebe mit Hilfe eines am Gesetz des »Wachsens oder Weichens« orientierten Akkumulationsmodells mit anhaltenden hohen Subventionen auf 100.000 Betriebe bis 2040 zu senken. Die Gruppe der auf Lohnarbeit und Ausbeutung von Saisonarbeiter:innen und prekär Beschäftigten basierenden Agrarunternehmen steht nicht nur für Ausbeutung, sie steht auch gegen jede staatliche Kontrolle von Tierschutz- und Bodenschutz und sonstige ökologische Auflagen. Und sie steht für eine Allianz mit der radikalen Rechten, deren Unterstützung sie zwar offiziell noch zurückweist, sie aber billigend in Kauf nimmt.
Die Bauernproteste drohen sich zu einer rechten, politisch motivierten Revolte eines wohlhabenden Mittelstandes auszuweiten, deren Ziel nicht nur der Sturz der Ampel-Regierung ist, sondern die zugleich ein idealer Nährboden des Neofaschismus wäre.
Es ist Zeit, dass die Linke, die Arbeiter:innenbewegung und die Gewerkschaften diese Gefahr erkennen und diese Revolte nicht weiter als Bewegung der von berechtigter Sorge um ihre Existenz getriebenen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern verkennen.
¹Die Zahlen und Fakten über Einkommen und Betriebsgrößen stammen aus dem »Agrarbericht der Bundesregierung 2023«. Leider gibt es keine nach Betriebsgrößen aufgeteilten Nettogewinne der landwirtschaftlichen Unternehmen. Die angegeben Durchschnittsgrößen spiegeln nicht die tatsächliche sozialen Schichtung in der heutigen Landwirtschaft wider.
Foto: Anna Baum / CC0 1.0 DEED
Schlagwörter: Bauern, Kampf gegen Rechts