Heinrich Breloer gilt als der Erfinder des Doku-Dramas bundesrepublikanischer Art. Nach mehreren preisgekrönten Filmbiografien von Personen der deutschen Geschichte hat er sich nun an einem Blick auf den Menschen hinter der Berühmtheit Bertolt Brecht versucht. Von Phil Butland
Bertolt Brecht war vielleicht der bedeutendste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, er war Kommunist und Antifaschist. Heinrich Breloers neuer Fernsehzweiteiler »Brecht« ist ein ambitionierter Versuch, zwei Phasen aus Brechts Leben darzustellen – die Zeit als junger Schriftsteller in Bayern und Berlin sowie seine letzten Jahre in der DDR. Archivaufnahmen und Zeitzeugeninterviews sollen dem Spielfilm dokumentarischen Charakter geben. Das Ergebnis ist nur zum Teil gelungen.
Liebesleben statt Politik
Besonders der erste Teil leidet unter einer lüsternen Obsession mit Brechts Liebesleben, das den Machern wohl interessanter erschien als seine Ideen und die Frage, woher diese kamen. Es gibt eine kurze Szene, wo der junge Brecht wegen seiner gegnerischen Haltung zum Ersten Weltkrieg fast von der Schule fliegt, aber danach erfährt man so gut wie nichts mehr über sein politisches Engagement.
Brecht erklärt sich zum Kommunisten, weil er Marx und Lenin gelesen hat. Aber welche Erfahrungen den Augsburger Medizinstudenten zu dieser Lektüre verleiteten, erfahren wir nicht. Die größten Ereignisse der Zeit – die Revolutionen in Russland und Deutschland – kommen im Film nicht vor. Während die Bevölkerung verarmt, beobachtet Brecht den wachsenden Einfluss der Nazis von seinem Dachfenster aus.
Verhältnis zur DDR
Interessanter ist der zweite Teil, in dem es um Brechts komplizierte Beziehung zur DDR geht. Der Film zeigt, dass der Autor die DDR als »das am wenigsten schlechte System« unterstützte (leicht zu sagen in einer Villa in Weißensee). Aber diese Überzeugung hatte Grenzen – so behielt er zum Beispiel immer seinen österreichischen Pass, um notfalls ausreisen zu können.
Im Film sehen wir, wie unterschiedlich die Schauspielerinnen, Schauspieler und andere Beschäftigte an Brechts Berliner Ensemble auf den Aufstand 1953 reagieren. Brecht argumentiert, dass das Regime verteidigt werden muss gegen die Deutschen, die sich noch nicht vom Faschismus verabschiedet haben. Aber ein Mitarbeiter des Ensembles landet im Stasi-Gefängnis in Hohenschönhausen wegen Ideen, die für die SED-Führung nicht akzeptabel sind.
Derweil schreibt Brecht sein berühmtes Gedicht, in dem er der Regierung rät, das Volk aufzulösen und ein anderes zu wählen. Dieses Gedicht verschließt er in seiner Schreibtischschublade, wo es niemand lesen kann.
Fressen und Moral bei Brecht
Im Berliner Ensemble wurde Brechts 1939 fertiggestelltes Stück »Leben des Galilei« im Jahr 1955 mit einem neuen Ende inszeniert. Diesmal wird Galileis Schreiben aus dem repressiven Staat heraus geschmuggelt. Ein Satz über Galileis Widerruf wird mehrfach wiederholt: »Ihre Hände sind befleckt, sagten wir. – Sie sagen: besser befleckt als leer.« Dieses Zitat ist bezeichnend für Brechts Vorgehensweise. Viele Figuren in seinen Stücken, wie Mutter Courage oder Jaroslaw Haseks Schweyk, den Brecht in »Schweyk im Zweiten Weltkrieg« auferstehen ließ, sind Opportunisten. Das Überleben ist ihnen wichtiger als politische Prinzipien – »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral«, wird es in der Dreigroschenoper ausbuchstabiert.
Diese Einstellung könnte man auch Brecht vorwerfen. Seine Prinzipien blieben immer flexibel. Er war ein Kommunist der 1920er Jahre, der später dem Komitee für unamerikanische Umtriebe wahrheitsgemäß sagen konnte, dass er nie Mitglied einer kommunistischen Partei war. Genauso war er ein DDR-Kritiker, dessen Kritik immer geheim blieb. So zeigt der zweite Teil des Films, wie Brechts gesellschaftliches Sein sein (öffentliches) Bewusstsein bestimmte.
Also sehen wir einen fehlerhaften Bertolt Brecht, aber einen, dessen Stücke wir mit Gewinn ansehen können.
Der Film:
»Brecht«
Regie: Heinrich Breloer
Deutschland 2019
Zwei Teile, jeweils 90 Minuten
Hier geht es zum 1. Teil »Die Liebe dauert oder dauert nicht« und hier zum 2. Teil »Das Einfache, das schwer zu machen ist«.
Schlagwörter: Filmkritik