Der Bielefelder Parteitag der LINKEN ist vorbei. Wir ziehen Bilanz: Über Alleinstellungsmerkmale, falsche Orientierungen und die nächsten Aufgaben der Linkspartei. Von Lucia Schnell und Michael Ferschke
Im Vorfeld war die Debatte zum Parteitag stark geprägt durch Gregor Gysis Vorstöße für mehr »Kompromissfähigkeit« für künftige Koalitionen mit der SPD. Im linken Flügel gab es große Befürchtungen, dass die Partei einen Anbiederungskurs fährt und im Hinblick auf Landtags- und Bundestagswahlen ihre Haltelinien opfert. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie die als zukünftige Fraktionsvorsitzende gehandelte Sahra Wagenknecht sind diesem Kurs nicht gefolgt.
Alleinstellungsmerkmale und Mindestbedingungen der LINKEN
Sie haben alle in ihren Reden die inhaltlichen Alleinstellungsmerkmale und Mindestbedingungen der Linken betont und die SPD scharf angegriffen. Nicht wir müssen uns ändern, sondern die SPD muss sich von der »neoliberalen Umklammerung lösen« (Bernd Riexinger). Sahra Wagenknecht hat die SPD, insbesondere Sigmar Gabriel, für ihren Kurs für die Banken und Konzerne, für TTIP und gegen die Demokratie angeprangert. Mit Gabriel sei kein Politikwechsel zu machen und DIE LINKE dürfe nicht in der »trüben Brühe« von rot-grün mit schwimmen. Alle haben auch noch mal in der Kriegsfrage klare Kante gegen die Aufweichung der Haltelinien gezeigt, indem sie das kategorische Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr unterstrichen. Der Parteitag hat dies durch sehr starken, stehenden Applaus nach den Reden von Bernd Riexinger und Sahra Wagenknecht gewürdigt, während Dietmar Bartsch für seine schwache Rede keinen starken Applaus bekam.
»Streikrepublik Deutschland«
Bernd Riexinger sagte, da die SPD in allen wesentlichen Fragen auf neoliberalen Kurs dampfe, müsse die Alternative auf der Seite von Gewerkschaften und Bewegungen aufgebaut werden – dort, wo die wirkliche Gegenmacht deutlich wird. Er sprach von der »Streikrepublik Deutschland« und wandte sich gegen das Tarifeinheitsgesetz. Untermauert wurde die Orientierung mit einem Grußwort eines Amazon-Betriebsrats aus Wesel und durch Anträge zur Solidarität mit den Erzieherinnen und den Postbeschäftigten, sowie die Orientierung auf die dezentralen DGB-Demos zur Unterstützung der Erzieherinnen am 13. Juni, sowie die Demonstration am 20. Juni in Solidarität mit Griechenland und den Flüchtlingen. Bedeutend war auch, dass mit dem Grußwort von Reiner Hoffmann erstmals ein Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes beim Parteitag der LINKEN sprach. Er brachte die gute Nachricht mit, dass der DGB die bundesweite Demonstration gegen TTIP am 10. Oktober in Berlin unterstützt.
Konferenz mit der Friedensbewegung geplant
Die Debatte um den Leitantrag verlief relativ unkontrovers. Der Parteivorstand hat im Vorfeld etliche Anträge von links übernommen, unter anderem zu Mindestbedingungen bei Landtagswahlen, Schuldenschnitt für Griechenland und Kritik an der NATO-Osterweiterung. Bernd Riexinger kündigte an, dass das Anliegen nach einer Friedenskonferenz aufgenommen werde und im Winter eine Konferenz mit Akteuren aus der Friedensbewegung geplant sei, um dem Kurs der Bundesregierung auf Militarisierung etwas entgegenzusetzen. Dies ist eine Verbesserung gegenüber dem Antrag der Kommunistischen Plattform u.a., die mit ihrem offenen Brief an Michail Gorbatschow auf eine »Weltfriedenskonferenz« als Versammlung von Staatsrepräsentanten abzielten, und die zudem für eine größere Nähe der LINKEN zur russischen Regierung eintreten. Insgesamt zeigte sich die Schwäche, dass sich Teile des linken Flügel hauptsächlich über internationale Fragen profilieren (und dann auch noch falsch) und sich wenig in die sozialen Auseinandersetzungen und den Parteiaufbau einbringen.
Falsche Orientierung auf Regierungsbeteiligung
Problematisch ist die weitere Orientierung auf Regierungsbeteiligung, die in den Ostlandesverbänden nicht auf Grundlage von inhaltlichen Mindestbedingungen diskutiert und umgesetzt wird. Insbesondere Bodo Ramelow als Ministerpräsident in Thüringen ließ sich feiern und auch Wulf Gallert als Ministerpräsidentenkandidat für Sachsen-Anhalt stand prominent für diese Orientierung. Bodo Ramelow hielt eine scharfe antirassistische, antisexistische und antifaschistische Rede. Er konnte auf etliche linke Maßnahmen der neuen Landesregierung verweisen, wie teilweise dezentrale Unterbringung und Winterabschiebestopp für Flüchtlinge, gegen Thügida und Nazis, für den 8. Mai als gesetzlichen Feiertag, für den NSU-Untersuchungsausschuss, das Abschalten der V-Leute und Hilfe für Kämpfende in Kobane. Dafür gab es flügelübergreifend großen Applaus. Leider hat Bodo Ramelow nichts gesagt über die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Thüringen. Es ist zu vermuten, dass er da nicht viel an Erfolgen nachweisen könnte. Denn an diesem Punkt wurde bereits in den Koalitionsvertrag die »solide Haushaltspolitik« und Akzeptanz der Schuldenbremse hineingeschrieben, wie sie der Koalitionspartner SPD generell vertritt. Entsprechend gibt es keine großen Erfolge auf dem Gebiet von Bildung oder Soziales, sondern eher auf dem Feld der politischen und symbolischen Maßnahmen, die den Haushalt nicht oder kaum belasten.
Bielefelder Parteitag: Gysis Abschiedsrede
Auch Gregor Gysi warb in seiner Abschiedsrede noch mal vehement für Rot-Rot-Grün ohne Haltelinien und mehr Kompromissbereitschaft der LINKEN. Er kritisierte die Verfechter von roten Haltelinien, weil sie in Wirklichkeit eine Regierungsbeteiligung unmöglich machen wollten. Gysi machte zudem einen grundlegenden Unterschied in der Strategie für Gesellschaftsveränderung deutlich: Werben um den Mittelstand, Akzeptanz der gesellschaftlichen Führungsfunktion von Eliten und Kapital statt Aufbau von praktischer und diskursiver Gegenmacht. Ein Beispiel für dieses Herangehen: Die LINKE solle sich aktiv um die Unterstützung kleiner und mittelständiger Unternehmen kümmern, denn »wenn Mittelständler sich nicht ausdrücklich gegen DIE LINKE stellen, dann ermutigt das die Beschäftigten in diesen Betrieben, für DIE LINKE zu stimmen.« Unserer Meinung nach sollte die LINKE eher dafür wirken, dass die Beschäftigten den Interessengegensatz zu ihren Arbeitgebern erkennen und tendenziell eher das Gegenteil von dem tun, für das Mittelständler werben. Bei solchen Passagen der Rede war der Beifall eher schwach. Unbenommen davon erntete Gregor Gysi nach der Rede stehende Ovationen wegen seiner großen Verdienste für das Zustandekommen und den Erfolg der LINKEN. Der Parteitag hatte neben der Diskussion um den Leitantrag noch drei weitere Themen auf der Tagesordnung: eine Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE), einen Antrag auf Kommunalpolitische Leitlinien, sowie die Vorstellung der Kampagne »Das muss drin sein«.
Diskussion um das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE)
Das BGE wurde sachlich und solidarisch diskutiert. Etliche Delegierte aus dem gewerkschaftlichen Spektrum brachten sich mit guten Argumenten gegen das BGE ein, z.B. dass es darum gehen muss die Arbeitslosigkeit mittels Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung zu bekämpfen, sowie Kontrolle über die Produktionsmittel zu erreichen und die öffentliche Infrastruktur aus- und umzubauen, statt einem individuellen Ausstieg durch das BGE. Außerdem knüpft das Konzept nicht an bestehenden Auseinandersetzungen an und ist somit »Trägerlos«. Die Debatte wird weiter offen in der Partei geführt. Gliederungen sollen keine Richtungsbeschlüsse fällen, beiden Positionen soll auf allen Ebenen der Partei die Möglichkeit gegeben werden, nach innen und außen für oder gegen BGE zu werben
Kommunalpolitische Leitlinien politisch schwach
Kommunalpolitik ist derzeit nicht das Feld der Linken in der LINKEN. Entsprechend war der von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik vorgelegte Antrag für Kommunalpolitische Leitlinien politisch schwach, eher technisch und ohne klare Kriterien/Mindestbedingungen. Die AKL hatte einen Alternativantrag vorgelegt, der, zwar relativ abstrakt und mit etlichen Schwächen, deutlich bessere Anforderungen an linke Kommunalpolitik formuliert. Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt und auch in die Leitlinien konnten nur wenige Verbesserungen hineingestimmt werden.
Die Kampagne »Das muss drin sein«
Die Vorstellung der Kampagne wurde direkt durch die bereits oben erwähnte, sehr kämpferische Reden von Bernd Riexinger eingeleitet und die Orientierung auf Bewegung und Klassenkämpfe wurde durch mehrere Beiträge u.a. von Janine Wissler bestärkt.
Nach dem Bielefelder Parteitag: Aufbau von Partei und Bewegung
Im Ergebnis gingen vom Parteitag klare Signale aus für den Aufbau der Linken mit einem deutlichen Profil gegen die herrschenden Verhältnisse und die Politik der Großen Koalition. Daran anknüpfend sollten wir jetzt die Kampagne nutzen, um die Opposition auf der Straße aufzubauen: Solidaritätsarbeit mit Arbeitskämpfen, wie Kita, Post, Charité oder Bewegungen wie dem Mietenvolksentscheid in Berlin.
Unmittelbar sind die Solidaritätsdemonstrationen für die Erzieherinnen am 13. Juni in Köln, Hamburg, Nürnberg und Leipzig und die Demo für ein anderes Europa am 20. Juni in Berlin wichtige Termine. Im Herbst bahnt sich mit der bundesweiten TTIP Demonstration in Berlin bereits das nächste wichtige Projekt für die Partei an.
Die Diskussion über Regierungsbeteiligung wird im Zusammenhang mit der Wahlkampfstrategie in den betreffenden Landesverbänden stattfinden und wir sollten uns dort dafür stark machen, dass die Linke mit einem scharfen politischen Profil und Mindestbedingungen in die Wahlkämpfe geht.
Schlagwörter: Bernd Riexinger, Gregor Gysi, Katja Kipping, Linke, Parteitag, R2G, Regierungsbeteiligung, Sahra Wagenknecht, TTIP