Angesichts des Nazimordes an CDU-Regierungspräsident Walter Lübcke will Bild-Chef Julian Reichelt »Lehren aus der Geschichte« ziehen und den »rassistischen Mordwahn« bekämpfen. Ehrlich?! Wir haben zwei ultimative Tipps in Sachen Antirassismus für den so engagierten Macher der Zeitung mit den vier Buchstaben. Von Yaak Pabst
Nachdem bekannt wurde, dass der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Naziterroristen ermordert wurde, fordert die Bild-Zeitung: »Wir müssen wachsam sein«. Den Kommentar zum Thema schreibt Bild-Chef Julian Reichelt höchstpersönlich. Darin mahnt er nun, angesichts des Mordfalls Lübcke, zu »höchster Aufmerksamkeit bei der Bekämpfung von rassistischem Mordwahn« und fordert die Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz: »AfD-Politiker in Parlamenten machen Auslöschungs- und Säuberungsfantasien durch unverhohlene Äußerungen salonfähig. Wer eindeutig verfassungsfeindlich auftritt, gehört überwacht.« Bravo, Julian! Ich gratuliere zu dieser (ziemlich beschränkten) Einsicht und möchten Dir noch zwei Tipps auf den Weg geben.
Erster Tipp: »Best-of-Bild-hetzt«
Lieber Julian, einfach mal aufmerksam die Ausgaben Deines journalistischen Qualitätsproduktes durchblättern, Du wirst erstaunt sein. Es soll da eine Zeitung geben, die seit Jahrzehnten als Stichwortgeber für die rassistische Rechte dient. Falls Du es übersehen solltest: Wir haben für Dich ein »Best-of-Bild-hetzt« zusammengestellt. Schau mal!
– Die Bild druckte Vorab exklusiv die wichtigsten Thesen aus Thilo Sarrazins rassistischem Werk »Deutschland schafft sich ab«.
– Die Bild avancierte mit ihrer Kampagne »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« zum Geburtshelfer von rassistischen Bewegung wie PEGIDA.
– Die Bild verbreitet Lügen und Hetze gegen den Islam. Von Titelseiten wie »Der Islam gehört nicht zu Deutschland« bis hin zur täglichen »kleinen« Dosis Islamhass: So etwa die falsche Geschichte über das angebliche Weihnachtsmarktverbot in Kreuzberg oder die vermeintliche Politiker-Forderung, im Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder singen zu müssen. Die Liste der Bild-Erzählung vom scheinbaren »Einknicken Deutschlands vor dem Islam« ließe sich fortsetzen. Genau diese Artikel finden sich dann auf den Facebook-Seiten von Pegida, Hogesa und AfD wieder – mit den bekannten rassistischen und gewaltverherrlichenden Kommentaren.
– Die Bild verbreitete im NSU-Skandal die falsche Darstellung von den »Döner-Morden«. In der Berichterstattung über den Naziterror des NSU beteiligte sich die Zeitung an der Erzählung, die Morde würden in keinerlei Zusammenhang mit der radikalen Rechten stehen. Bis zum November 2011 vermutete die Bild-Zeitung fast durchweg »türkische Kriminelle« als Täter. Am 15. April 2006 orakelte sie, es gebe »vier heiße Spuren: […] Drogenmafia, organisierte Kriminalität, Schutzgelderpressung, Geldwäsche«.
– Diverse Bild-Artikel dienten der AfD als Steilvorlage. Die AfD konnte die Bild-Artikel immer wieder als journalistische Belege dafür anführen, wie schlimm das doch alles mit »den Flüchtlingen« und »dem Islam« sei und dass es doch Zeit sei, endlich mal etwas dagegen zu tun, zum Beispiel: AfD wählen.
– Die Bild schaukelte an vorderster Front den angeblichen BAMF-Skandal hoch. Schlagzeilen wie »So lief der unfassbare Asyl-Betrug von Bremen«, »Verdacht auf riesigen Korruptions-Skandal im BAMF« und »Wer kriegt den Denkzettel für den BAMF-Skandal« heizten die Stimmung im Land an. Die Bild hofierte SPD-Rechtsaußen Heinz Buschkowsky, den früheren Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, der in der Bild und bei Bild.de davon palavern konnte, dass es sich bei den BAMF-Missständen um »organisierte Kriminalität« handele. Die Bild-Chefreporter Peter Tiede und Hans-Jörg Vehlewald fragten in ihrem Leitartikel: »Leben wir eigentlich in einer BAMFNANEN-Republik?«. Dann stellte sich heraus: In nur 0,7 Prozent der untersuchten Fälle hatte das BAMF eine positive Entscheidung revidieren müssen. Bei den anderen 99,3 Prozent der positiven Asyl-Bescheide war alles korrekt.
– Die vermeintlich »unbequemen Wahrheiten« der Bild in der Berichterstattung über Migration und Geflüchtete waren vor allem irreführende Darstellungen, falsche Übertreibungen und vorsätzliche Lügen. So zum Beispiel über den angeblichen »Flüchtlings-Sex-Mob«, der durch die Frankfurter Freßgass getobt sei, um Frauen zu belästigen und Geschäfte auszurauben. Oder die falsche Geschichte über die Sanitäter in Bautzen, die aus Angst vor Attacken im Flüchtlingsheim kugelsichere Westen tragen müssten. Und die falsche Information darüber, dass Flüchtlinge in Hamburg schwarzfahren dürften. Jeder dieser Bild-Artikel goss Öl ins Feuer der Rechten und machte den Rassismus gegen Geflüchtete hoffähig.
Zweiter Tipp: Lehren aus der Geschichte?
Wenn Du, lieber Julian, wirklich ernsthaft »Lehren aus der Geschichte« ziehen willst, solltest Du Dich vielleicht auch mal mit der Geschichte befassen. Vielleicht hast Du es schon vergessen: Der Skandal um das Nazi-Terrortrio NSU war nicht zuletzt ein V-Mann-Skandal des Verfassungsschutzes. Nazis und Kriminelle wurden als Spitzel eingesetzt, lieferten aber keine relevanten Informationen, sondern kassierten viel Geld und investierten es in den Aufbau der rechten Szene. Während sich der Verfassungsschutz damit beschäftigte antirassistische und antifaschistische Aktivistinnen und Aktivisten abzuhören, zogen mit dem NSU Nazis mordend durchs Land. Als letztere aufflogen, war die erste Reaktion der Verfassungsschutzbehörden massenhaft Akten zu schreddern.
Die Bild und Hetzjagden in Chemnitz
Der Verfassungsschutz hat mit seinen Mitarbeitern und Informanten über Jahrzehnte am Aufbau der Rechten- und Neonaziszene mitgearbeitet. Aus diesem Sumpf rekrutieren sich auch AfD-Funktionäre. Ach ja! Wahrscheinlich kannst Du Dich daran nicht mehr erinnern: Es war niemand anderes als Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der in Gesprächen der AfD-Führungsspitze Ratschläge gegeben hat, wie die Partei einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen könne. Du kennst Maaßen vielleicht, er hat Deinem Qualitätsblatt mal ein Interview gegeben, in dem er uns die Videoaufnahmen von rassistischen Hetzjagden in Chemnitz als Fälschungen verkaufen wollte.
Die Bild und der Verfassungsschutz
Und, lieber Julian, was soll der Inlandsgeheimdienst bei einer Beobachtung der AfD denn bitte schön herausfinden? Etwa, dass die AfD sich seit ihrer Gründung vielerorts zum Kristallisationspunkt für die radikale Rechte entwickelt hat und sich in ihren Reihen überzeugte und gewalttätige Nazis sammeln? Dass die AfD den völkischen Nationalismus wieder hoffähig macht? Dass sie gezielt das Feindbild Islam schürt? Dass führende Vertreterinnen und Vertreter die Verbrechen des deutschen Faschismus relativieren? Überraschung: Das wissen wir schon! Dafür brauchen wir nicht die Zuarbeit des »Verfassungsschutzes«. Es reicht ein Blick in Deine Zeitung, zum Beispiel auf eines der zahlreichen Exklusiv-Interviews der Bild mit AfD-Chef Gauland.
Willkommen in der Welt des Julian Reichelt
Aber Hey! Was bedeutet schon »Lehren aus der Geschichte« ziehen, wir haben ja die Bild-Zeitung. Auf die ist doch Verlass. Jedes Mal, wenn der rechte Mob die Sache selbst in die Hand nimmt, wenn Nazis, gestärkt durch die Bild-Parolen, ihren Hass in die Tat umsetzen, wenn wieder Häuser, Moscheen und Synagogen brennen, wenn Nazi-Terroristen schwarze Listen anfertigen und Menschen ermordet werden, dann ist die Bild-Chefredaktion zur Stelle. Mit einem engagierten Bekenntnis für mehr Menschlichkeit und gegen den Hass. Geistige Brandstifter sind ja immer nur die anderen. Die Bild? Niemals! Willkommen in der Welt des Julian Reichelt. In diesem Sinne: Wir müssen wachsam sein.
Quellen: bildblog.de / Bild und BamS / SZ / FR / TAZ
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