Niemand sollte sich auf den Staat verlassen, um die radikale Rechte zu besiegen. Ein Kommentar zur Lage in Brasilien
Tausende von Anhänger:innen des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro stürmten am Sonntag den Kongress, den Obersten Gerichtshof und den Regierungssitz Palácio do Planalto. Um Mitternacht (Mitteleuropäische Zeit) teilte die brasilianische Polizei mit, dass sie den größten Teil des Mobs entfernt habe. Aber die Bedrohung durch Bolsonaros Kräfte ist noch nicht vorbei und wird nicht durch Wahlen und parlamentarische Manöver beseitigt werden.
Brasilien: Auf den Spuren von Donald Trump
Im Mittelpunkt des antidemokratischen Putschversuches standen organisierte Faschist:innen. Im Fernsehen war zu sehen, wie sie Straßensperren niederrissen und die wenigen Polizisten zurückdrängten. Zwar setzten die Polizei Pfefferspray und Blendgranaten ein, sie konnten die Angreifer:innen allerdings nicht stoppen.
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Nach dem Drehbuch der Anhänger:innen von Donald Trump logen auch sie, dass der kürzlich gewählte Präsident Luiz Inacio Lula da Silva nur durch Wahlbetrug gewonnen hätte und darauf aus sei, ein kommunistisches Regime zu installieren.
Ein geplanter Angriff
Bolsonaro, der sich derzeit in den USA aufhält, hat seine Wahlniederlage nie akzeptiert. Ebenso der Kern seiner Unterstützer:innen. Nach den Wahlen gab es von rechtsradikalen Netzwerken und Organisationen orchestrierte Proteste gegen den Wahlsieg von Luiz Inácio Lula da Silva. Zehnttausende Anhänger:innen forderten damals das Militär auf einzugreifen. In einigen Städten wie Belo Horizonte und Recife zogen die Demonstrant:innen vor Kasernen und blockierten mit brennenden Barrikaden Autobahnen. Bolsonaro rief seine Anhänger:innen damals zur Wachsamkeit auf und behauptete, immer noch »der oberste Chef der Streitkräfte«: »Ich bin mir sicher, dass eine meiner in der Verfassung garantierten Aufgaben darin besteht, der oberste Chef der Streitkräfte zu sein. Die Streitkräfte sind in jedem Land der Welt von grundlegender Bedeutung. Ich habe in diesen vier Jahren immer gesagt, dass die Streitkräfte das letzte Hindernis für den Sozialismus sind«, versicherte er.
Die Reaktion Lulas
Lula nannte die Hintermänner der Stürmung des Kongresses »fanatische Faschisten«, die »alles Abscheuliche« in der Politik repräsentierten. Er kündigte an: »Alle Vandalen werden gefunden und bestraft. Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat.« Er sagte: »Diese Fanatiker haben etwas getan, was es in diesem Land noch nie gegeben hat«. Lula verurteilte Teile der Polizisten. »Die Polizei hat überhaupt nichts getan. Sie haben die Demonstranten einfach reingelassen«, sagte er.
Gefährliche Kompromisse
Aber genau mit diesen staatlichen Kräften und den Eliten, die sie unterstützen, hat Lula Kompromisse geschlossen und versucht, sie zu beschwichtigen. Seinem ersten Kabinett gehörten neun Mitglieder der rechtsgerichteten Brasilianischen Demokratischen Bewegung (MDB), der Brasilianischen Union und der Sozialdemokratischen Partei (PSD) an. Die MDB war maßgeblich an der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff im Jahr 2016 beteiligt, die Lulas Arbeiterpartei (PT) als Putsch bezeichnet. Die Brasilianische Union ist aus einem Zusammenschluss der Partei, die Bolsonaro 2018 gewählt hat, und der Partei der ehemaligen Militärdiktatur hervorgegangen.
Im Gegensatz zu Lulas Rückzug haben sich seine Gegner:innen immer weiter organisiert und dann mobilisiert. Nach Lulas Wahlsieg errichteten Bolsonaro-Anhänger:innen in mehreren Städten Brasiliens Lager – viele von ihnen vor Militärkasernen. Sie plädierten für ein Eingreifen des Militärs. In Brasilien herrschte zwei Jahrzehnte lang, von 1964 bis 1985, eine von den USA unterstützte Militärdiktatur (Lies hier den marx21-Artikel: Wer stoppt Bolsonaro? – Brasilien und die faschistische Gefahr).
Kein Vertrauen in den Staat
Mehr als 60 Millionen Menschen haben für Lula gestimmt, darunter die überwältigende Mehrheiten der Lohnabhängigen und ihrer Familien. Doch Lula verlässt sich im Umgang mit der radikalen Rechten immer noch auf die staatlichen Kräfte statt auf seine eigene Wähler:innen. Die Linke und die Arbeiter:innen sollten kein Vertrauen in staatliche Kräfte haben, die jederzeit zu den Putschist:innen überlaufen können. Stattdessen müssen sich die Beschäftigten unabhängig organisieren, auf die Straße gehen und einen Generalstreik beginnen, um ernsthafte Maßnahmen gegen die Führer:innen der radikalen Rechten zu fordern. Es darf keine Amnestie für Bolsonaro und seine Gefolgsleute geben.
Reaktionen der USA
Die imperialistischen Regierungen und Teile der Kapitalist:innen haben die Absetzung Lulas nicht offen unterstützt. US-Außenminister Antony Blinken twitterte am Sonntagabend: »Wir verurteilen die heutigen Angriffe auf die brasilianische Präsidentschaft, den Kongress und das Oberste Gericht. Die Anwendung von Gewalt gegen demokratische Institutionen ist in jedem Fall inakzeptabel. Wir schließen uns Lula an und fordern ein sofortiges Ende dieser Aktionen.«
Sie kalkulieren, dass eine Lula-Regierung derzeit das beste Umfeld für ihre wirtschaftlichen Handelsbeziehungen sind. Aber die US-Regierung und die Bosse werden die Seiten wechseln, wenn sie glauben, dass Lula den Widerstand der Arbeiter:innen nicht aufhält.
Widerstand organisieren
Ein Sieg der Putschist:innen wäre eine Katastrophe für Brasiliens Arbeiter:innen und die Armen. Er würde auch der radikalen Rechten überall einen enormen Auftrieb geben.
Der sicherste Granat gegen die Mobilisierungen der radikalen Rechten, ist die Selbstorganisation der Vielen. In der Vergangenheit hat die Arbeiterbewegung in Brasilien diese Fähigkeit zum Widerstand bewiesen. Auf diese Kraft wird es in den nächsten Monaten ankommen.
Bild: Wikimedia
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