Der Rechtsentwicklung entgegenstellen – aber wie? Ein Beitrag zur Debatte von Nicole Gohlke, Christine Buchholz und Hubertus Zdebel
Im »neuen deutschland« findet derzeit unter der Überschrift »Strategien gegen die Rechtsentwicklung« eine wichtige Debatte für die LINKE statt. Was soll unsere Antwort auf den politischen Rechtstrend in Deutschland sein: Soll die LINKE die »Sorgen ernst nehmen«, die von AfD und Co. angesichts steigender Zuwanderung in hetzerischer Weise aufgeworfen werden? Gilt es, jetzt schnellstmöglich eine gemeinsame Regierung mit SPD und Grünen anzustreben? Wie kann eine Mobilisierung gesellschaftlicher Gegenkräfte gelingen?
Wir wollen in unserem Beitrag argumentieren, dass jetzt in der Tat die Bündnisfähigkeit der LINKEN gefordert ist: Unsere Kraftanstrengung muss dem Aufbau breiter Bündnisse gegen rechts gelten, denn es gilt die Gefahr sehr ernst zu nehmen: Mit der AfD ist ein Kristallisationspunkt der Neuformierung der rechten Szene entstanden, die weit ins bürgerliche Lager ausgreift, und gleichzeitig – wie nicht nur in Thüringen sichtbar – auch die organisatorischen Kerne neonazistischer Aufmärsche und Pegida-Proteste stellt.
Die bisher in einigen Debattenbeiträgen spürbare Verengung auf die Frage von Regierungskonstellationen halten wir allerdings für nicht zielführend und meinen: Linksregierungen, die als parlamentarisches Zweckbündnis die Rechtsentwicklung stoppen sollen, die aber nicht auf dem Fundament stehen, wirklich die politischen und ökonomischen Wurzeln für den gesellschaftlichen Rechtstrend anzugehen, könnten die gesellschaftliche Rechtsentwicklung sogar noch verschärfen.
Lehren ziehen aus den Fehlern von KPD und SPD
Die Debatte wurde im Dezember von Klaus Ernst eröffnet mit dem Beitrag in der Frankfurter Rundschau »Runter von der Zuschauertribüne«, in dem er sich für eine Linksregierung gegen den Rechtsruck aussprach.
In eine ähnliche Richtung hatte auch Gregor Gysi in einem Interview im »Spiegel« argumentiert: DIE LINKE müsse »begreifen, dass wir alle verlieren werden, wenn es uns nicht gelingt, ein funktionierendes, überzeugendes, linkes Projekt gegen die Rechts-Entwicklung in Europa und in Deutschland auf die Beine zu stellen.« Die Dramatik der Lage unterstrich Gregor Gysi mit einem historischen Vergleich: »Vor 1933 war es ein Versagen von KPD und SPD, dass sie nicht mal im Ansatz Gemeinsamkeiten gegen die Nazis gefunden haben.«
Letzterem ist zuzustimmen: Es war das wohl größte historische Versagen von SPD und KPD, dass sie sich gegenseitig bekämpften anstatt gemeinsam die immer stärker werdenden Nazis. Dem lagen bei beiden Parteien falsche politische Theorien und Strategien zu Grunde. Die SPD verfolgte eine Politik des »kleineren Übels« und tolerierte das autoritäre Präsidialkabinett des Kanzlers Heinrich Brüning sowie dessen Politik des Sozialabbaus – in der Hoffnung durch dieses Bündnis und durch die Verteidigung der bürgerlichen Ordnung den Nazis den Weg an die Macht zu versperren. Indem die SPD Brünings Sozialkürzungen allerdings mittrug, demoralisierte sie ihre eigenen Anhängerinnen und Anhänger anstatt sie zum Widerstand gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu mobilisieren. Die KPD hingegen stand zwar fest in Opposition zum Sozialabbau, bezeichnete aber – auch unter dem Einfluss des stalinistischen Moskaus – alle anderen Parteien als faschistisch: »Kampf gegen den Faschismus heißt Kampf gegen die SPD, genauso wie es Kampf gegen Hitler und die Brüningparteien heißt«, lautete die Parole der Parteiführung (Rote Fahne, 18.11.1931). Hinzu kam, dass die SPD auch keinerlei Bereitschaft zeigte, gemeinsame Bündnisse mit den Kommunisten zu machen. Dem Aufstieg der Nazis konnten auf diese Weise weder SPD noch KPD substanziell etwas entgegensetzen.
So richtig Gregor Gysis Kritik an dieser fatalen Bündnispolitik von KPD und SPD ist – sein anschließendes Plädoyer für eine rot-rot-grüne Regierung ist keine überzeugende Lehre aus dem historischen Versagen der linken Kräfte und eine Verkürzung der historischen Entwicklung vor 1933 auf den Akt der formalen Machtergreifung. Denn der Regierungsübernahme der Nazis 1933 war ein beispielloser Aufbau der faschistischen Bewegung auf der Straße in den Jahren zuvor vorausgegangen. Dies machte die gesellschaftliche Machtbasis der Nazis aus, die sie über ein Jahrzehnt lang auf dem Nährboden der massiven Verelendung infolge der Wirtschaftskrise aufbauen konnten.
Den Nazis die Straße konsequent und von Beginn an gemeinsam streitig zu machen und gleichzeitig entschlossen die soziale Verelendung zu bekämpfen – das wären die Voraussetzungen gewesen, um die Faschisten zu stoppen.
Der faschistischen Bewegung den Nährboden entziehen
Über die Bedeutung der sozialen Frage für die Zukunft Europas und den Kampf gegen rechts sind wir uns ohne Zweifel einig. Wenn Michael Brie und Axel Troost in ihren Beiträgen die Umrisse eines Programms für eine »wirklich linke Regierung« (Brie) skizzieren, dann ist ihnen in folgender Hinsicht zuzustimmen: ein Ende der Austeritätspolitik, die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, der Ausbau des Sozialstaats und ein umfassendes öffentliches Investitionsprogramm – das wären in der Tat diejenigen Stellschrauben, die zu drehen wären, um dem gesellschaftlichen Rechtstrend den Nährboden entziehen zu können und eine wirkliche Alternative zur herrschenden neoliberalen Politik in Deutschland und Europa.
Allerdings müssen wir doch reflektieren, dass es derzeit keinen Koalitionspartner für so ein linkes Regierungsprogramm gibt. SPD und Grüne stehen wirtschafts- und sozialpolitisch für einen größtenteils anderen, oft mit neoliberalen Argumentationsmustern versehenen Kurs: Der Austeritätspolitik in Europa und der fortgesetzten Erpressung Griechenlands hatten sie nichts entgegenzusetzen (und wollten es wohl auch nicht), die Verankerung der sogenannten Schuldenbremse wurde genauso wie die »Verschlankung« des Sozialstaats von Rot-Grün politisch vorangetrieben und sind nicht aus dem programmatischen Repertoire gestrichen. Und natürlich gibt es mit den größten Teilen ihrer außenpolitischen Orientierung (Waffenexporte und Auslandseinsätze) weitere gravierende Unvereinbarkeiten mit »wirklich linker Politik«. Aus unserer Sicht sind Wortmeldungen und Skizzen für ein linkes Regierungsprogramm derzeit eher als Appelle an SPD und Grüne zu verstehen denn als Grundlagen für eine realistische gemeinsame Handlungsoption.
Für eine ehrliche Auswertung linker Regierungsprojekte
Der Beitrag von Petra Sitte, Jan Korte u.a. beschreibt die Dynamik hinter dem Aufschwung der Rechten, und springt ebenfalls schnell zu der Schlussfolgerung: »Wer angesichts der Erfahrungen von Syriza, der portugiesischen Linken, von Podemos in Spanien oder r2g in Thüringen oder Brandenburg heute meint, dass es allemal besser sei, in Opposition zu verharren und auf gesellschaftliche Mehrheiten für was anderes zu warten, der ist heute nicht radikal links.« Eine starke Behauptung. Doch die Fakten stützen diese These aus unserer Sicht nicht: Leider ist es eben nicht automatisch so, dass Regierungen der Linken oder mit linker Beteiligung unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen der kriselnden Weltwirtschaft und des verschärften Konkurrenzkampfes ein sicheres Bollwerk gegen den Aufschwung der Rechten sind.
Gerade das Beispiel SYRIZA lesen wir ganz anders: Die griechische SYRIZA ist unter dem Diktat der Troika gezwungen worden, sich gegen die sozialen Interessen ihrer Anhängerinnen und Anhänger zu wenden – und muss nun Rentenkürzungen, Privatisierungen und unsoziale Steuererhöhungen umsetzen. Wenn wir uns aber einig sind in der Analyse, dass gerade so eine Kürzungspolitik mitverantwortlich für den Nährboden ist, auf dem rechte Hetze gedeihen und in weite Bevölkerungsteile vordringen kann, sollte man die schwierige Lage, vor der SYRIZA jetzt steht, nicht als erfolgreiche linke Strategie propagieren.
Auch andere Erfahrungen von (Mitte-)Linksregierungen müssen an dieser Stelle in die Debatte einfließen: für Italien muss zumindest diskutiert werden, ob es nicht auch auf das Konto einer falschen Strategie der Partito della Rifondazione Comunista ging, die in der Mitte-Links-Koalition unter Premierminister Prodi Rentenkürzungen und Stellenabbau bei gleichzeitiger Erhöhung der Militärausgaben und Zustimmung zu Auslandseinsätzen mittrug, dass nach dem Zerbrechen der Koalition der neoliberal-autoritäre Hardliner Silvio Berlusconi zurück an die Regierung kam und noch rechtere Formationen, wie die »Lega Nord« Aufwind bekamen.
Ebenso halten wir es für verkürzt, die Erfahrungen von Rot-Rot in Berlin auf das Beispiel »Rütli-Schule« zu reduzieren, wenn es etwa in dem Beitrag von Petra Sitte und Jan Korte heißt: »Im Übrigen hat die viel gescholtene rot-rote Regierung in Berlin (2001 bis 2011) gezeigt, was möglich ist, wenn es politisch gewollt wird. Die einst verrufene Rütli-Schule ist heute, als Gemeinschaftsschule, eine Art Vorzeigeschule«. Zu einer ehrlichen Bilanz von Rot-Rot in Berlin gehört allerdings auch zu benennen, dass leider auch etliche Weichenstellungen von viel größerer Tragweite in die falsche Richtung unter Mitwirkung der LINKEN unternommen wurden. Beispielsweise mit der Privatisierung der einst größten landeseigenen Wohnbaugesellschaft GSW oder mit der Tarifabsenkung im öffentlichen Dienst. Das heutige Staatsversagen in der Berliner Flüchtlingspolitik hat eine ihrer Ursachen auch im jahrzehntelangen Personalabbau im öffentlichen Dienst, der leider auch unter Rot-Rot forciert wurde.
Zugleich versucht sich die Rechte auch in neuen Themenfeldern als Opposition zu inszenieren, indem sie reale Unzulänglichkeiten aus der Regierungsbeteiligung ausnutzen. Ein Beispiel für diese Gefahr aus Brandenburg: Nach einem erfolgreichen Volksbegehren für ein Nachtflugverbot unterstützte die rot-rote-Regierung zwar dieses Anliegen, konnte sich damit aber gegenüber Berlin und dem Bund als Mitanteilseignern nicht durchsetzen. Die AfD hat das Thema dankbar aufgegriffen, warb massiv für ein Nachtflugverbot und versuchte so Kritik und Protest nach rechts zu wenden.
Einen Automatismus von Regierungen unter Mitwirkung der LINKEN und dem Eindämmen rechter Bewegungen gibt es nicht – auch in Thüringen und Brandenburg können Rot-Rot-Grün und Rot-Rot bisher den allgemeinen Trend nicht dämpfen: In beiden Ländern ist die AfD mobilisierungsstark und hat auch in den Umfragen seit dem Einzug in die Landtage nichts eingebüßt (Brandenburg 12 Prozent, Thüringen 13 Prozent) – ob in Thüringen, Bayern, Hamburg oder Sachsen – den rechten Vormarsch müssen wir vor allem auf der Straße stoppen!
Für ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen rechts
In seinem zweiten Beitrag vom 15. Januar »Wider eine düstere rechte Zukunft« plädiert Klaus Ernst vor dem Hintergrund der dramatischen Gefahren von rechts für ein breites gesellschaftliches Bündnis, auch jenseits der Frage von parlamentarischen Mehrheiten: »Wir brauchen ein Bündnis, das in seiner Breite in der Lage ist, diese Horrorvision von einer Zukunft zu verhindern. Auch wenn die Aussicht auf eine parlamentarische Mehrheit gegenwärtig gering ist. Vielleicht besteht sie aber für eine mächtige und echte Opposition, die auf Basis einer breiten zivilgesellschaftlichen Bewegung demokratische Grundwerte verteidigt. Oder wollen wir die Rolle der Kämpfer für die sozial Entrechteten und Deklassierten den verlogensten aller Akteure überlassen – wie es schon einmal eine Generation politischer Linker tat?«
Und auch Jan Korte umreißt in seinem zweiten Beitrag »Ein Wochenende im Winter« mögliche Konturen einer gesellschaftlichen Koalition gegen den Rechtsruck: Flüchtlingshelfer*innen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Antirassistinnen und Antirassisten über Parteigrenzen hinweg. Diesen Plädoyers möchten wir uns anschließen – ein breites gesellschaftliches Bündnis, von den Gewerkschaften über die Religionsgemeinschaften bis hin zu Gruppierungen der radikalen Linken kann dem Aufstieg der extremen Rechten etwas entgegensetzen.
In den strategischen Fokus sollten wir dabei die AfD nehmen. Denn spätestens seitdem die neue Führung um Frauke Petry den vermeintlich wirtschaftsliberalen Flügel aus der Partei gedrängt hat, versucht sich die Partei als Sammelbecken der gesamten rechtsextremen Szene zu etablieren. Angeführt von Alexander Gauland setzt sich ein Flügel in der AfD durch, der bewusst die Türen für rassistische und faschistische Kräfte öffnet – so gab es bereits massenhafte Übertritte aus der rechtsextremen Partei »Die Freiheit« in die AfD. Und dieser Transformationsprozess schreitet in der gegenwärtigen polarisierten Diskussion um die Flüchtlingspolitik schnell voran, was nicht zuletzt daran liegt, dass mit Pegida und ihren Ablegern und den rassistischen Massenmobilisierungen eine Bewegung entstanden ist, die den faschistischen Kräften in der AfD den Boden bereitete. Im Zuge dieser rassistischen Bewegung verschieben sich nicht nur die internen Kräfteverhältnisse der AfD – in der ganzen Bundesrepublik werden Rechtsextreme zu Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte und muslimische Einrichtungen, gegen Migrantinnen und Migranten und Demokratinnen und Demokraten ermutigt.
Die AfD wird bis zur Bundestagswahl 2017 alles daran setzen, mit rassistischen Wahlkämpfen in die verschiedenen Parlamente einzuziehen. Um dies bei den kommenden Landtagswahlen, aber auch im Bund zu verhindern, bedarf es eines langen Atems und einer gemeinsamen Kraftanstrengung.
Nötig wäre eine breit getragene Kampagne, die mit Materialien, kulturellen Events, Veranstaltungen und Aktionen AfD & Co. den öffentlichen Raum streitig macht. Eine neue gesellschaftliche Linie muss gezogen werden zwischen dem demokratischen Spektrum und dem ausgreifenden faschistischen Kern der AfD. Es gilt, die AfD zu demaskieren und ihren rassistischen und antidemokratischen Kern offenzulegen.
Wenn gefordert wird, man solle die »Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen«, darf unsere Schlussfolgerung nicht sein, irgendwelche inhaltlichen oder rhetorischen Zugeständnisse an die Rechten zu machen – auch wenn uns das im Zweifel Prozentpunkte kosten sollte.
Die Rechten stoppt man nicht, indem man ihre Argumentationsfiguren übernimmt. Aufgabe der Linken (groß- und kleingeschrieben) ist es, Solidarität zu organisieren und gleichzeitig die sozialen Missstände scharf anzugreifen. Wir brauchen uns nicht hinter unseren Positionen zu verstecken: angesichts des gesellschaftlichen Reichtums kann es keine Obergrenze geben, denn die Verknappung ist »hausgemacht«.
Die Fehler von SPD und KPD der Weimarer Zeit sollte die LINKE in der Bündnispolitik nicht wiederholen: Wir sollten alles daran setzen, das Bündnis auf einer antirassistischen Grundlage so breit als möglich aufzustellen. Wenn wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, Grüne, Sozialverbände, Gewerkschaften, Glaubensgemeinschaften und andere für ein Bündnis gegen rechts gewinnen wollen, dürfen wir keine zusätzlichen politischen Bedingungen stellen – wie etwa die Ablehnung von Auslandseinsätzen oder von Abschiebungen. Solche Vorbedingungen würden jede Breite im Keim ersticken und uns auf uns selbst zurückwerfen. Doch es gilt genauso, falsche politische Weichenstellungen, ob in der Sozial-, Wirtschafts-, Flüchtlings- oder Außenpolitik zu kritisieren, politisch zu bekämpfen und Alternativen zu präsentieren – Hoffnungen auf mögliche oder tatsächliche Regierungskoalitionen dürfen uns davon nicht abhalten.
Wir stehen vor der doppelten Herausforderung, dem Aufbau der Rechten durch breite Koalitionen entgegenzutreten und zugleich als sozialistische Kraft gegen die systembedingten Verheerungen des Kapitalismus wirksam zu werden. Anstelle der Orientierung auf künftige Regierungsbeteiligungen sollten wir alles daran setzen, heute gesellschaftliche Gegenmacht zu mobilisieren.
Zur Person:
Nicole Gohlke, Christine Buchholz und Hubertus Zdebel sind Bundestagsabgeordnete der Linkspartei.
Foto: Franz Ferdinand Photography
Schlagwörter: AfD, Bernd Riexinger, DIE LINKE, Frauke Petry, Klaus Ernst, KPD, R2G, Regierungsbeteiligung, Rot-Rot-Grün, SPD