Angesichts globaler Instabilität haben die britische Premierministerin Liz Truss und Schatzkanzler Kwasi Kwarteng bereits mehrere entscheidende Fehler gemacht. Das spiegelt Probleme der Weltwirtschaft wider, wie Alex Callinicos ausführt. Übersetzung Thomas Weiss
Seltsamerweise wurden gerade die konservativen Regierungen öfters Opfer brutaler Machtdemonstrationen der globalen Finanzmärkte. Am Schwarzen Mittwoch, dem 16. September 1992, wurde das Pfund Sterling aus dem Europäischen Wechselkursmechanismus herausgedrängt. Diese Demütigung brach der Regierung von John Major das Genick.
Fast genau 30 Jahre später, am Montag, dem 26. September 2022, brachten die Finanzmärkte das Pfund fast auf den Wert eines US-Dollar herunter. Eine Woche später verzichteten Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng auf die geplante Abschaffung des 45-prozentigen Einkommensteuersatzes auf hohe Einkommen. Sie wollten so verhindern, dass die Steuersenkung im Unterhaus von rebellischen konservativen Abgeordneten abgelehnt wird. Wir haben somit eine weitere kaputte Regierung.
Was sagt uns diese Krise, die noch lange nicht vorbei ist, über den britischen und weltweiten Kapitalismus? Truss‘ und Kwartengs Ungeschicklichkeit ist ein Teil der Geschichte. Nicholas Macpherson, ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium, bemerkte, dass »der Schatzkanzler die wichtigste Regel in Zeiten von Marktstress verletzt hat – nämlich nicht zuzulassen, dass das Vereinigte Königreich im Vergleich zu Ländern ähnlicher Größe aus der Reihe fällt … die Geschwindigkeit, der Stil und das Ausmaß des ›Mini‹-Haushalts haben die Märkte überrumpelt.«
Marktstress plagt die Weltwirtschaft
Aber in vielerlei Hinsicht liegt der Schlüssel in dem Wort »Marktstress«. Das globale Finanzsystem befindet sich in einer großen Umwälzung. Dies ist auf zwei Ebenen zu beobachten. Die US-Notenbank (»Fed«) hat auf die drastische Beschleunigung der Inflationsrate im letzten Jahr mit einer Erhöhung der Zinssätze reagiert. Darüber hinaus haben die Verantwortlichen der Fed erklärt, dass sie dies so lange tun werden, bis die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten – wie sie hoffen – so weit ansteigt, dass die Inflationsrate sinkt.
Der Effekt ist, dass der Anstieg des Dollars gegenüber anderen Währungen verstärkt wird. Dies geschieht in der Regel ohnehin bei großen geopolitischen und wirtschaftlichen Turbulenzen wie den jetzigen. Der Dollar ist nicht nur gegenüber dem Pfund, sondern auch gegenüber den Währungen fast aller führenden G20-Länder gestiegen. Dies hat auch andere Zentralbanken gezwungen, die Zinssätze zu erhöhen. Das Truss-Kwarteng-Glücksspiel, dass eine Steuersenkung für Reiche die Wachstumsrate Großbritanniens ankurbeln würde, machte das Pfund Sterling für die Hedgefonds, mit denen Kwarteng nach der Ankündigung der Steuersenkungen feierte, zu einem profitablen Ziel für Wetten.
Die zweite Ebene dieser globalen Instabilität besteht darin, dass die Finanzmärkte seit der Krise von 2007-9 immer weiter in die Höhe geschossen sind, begünstigt durch die riesigen Mengen billigen Geldes, die die Zentralbanken in die Märkte gepumpt haben, um die Weltwirtschaft über Wasser zu halten. Die Unternehmen wurden süchtig nach Schulden in einer Weltwirtschaft, deren Stabilität auf sehr niedrigen Zinsen beruhte, die nun – zumindest vorübergehend – weg sind.
»Liability-Driven Investment« als Krisenauslöser
Das führt zu unerwarteten Problemen. Ein Beispiel dafür ist das Liability-Driven Investment (LDI), von dem bis Mittwoch letzter Woche fast niemand etwas gehört hatte. Die LDIs spielten plötzlich verrückt, weshalb die Bank von England ihre Entscheidung, keine Gilts (britische Staatsanleihen) mehr zu kaufen, zurückzunahm. Pensionsfonds (Fonds für Altersrenten als Teil der betrieblichen Altersvorsorge) investieren in großem Umfang in britische Staatsanleihen, und LDI bedeutet, dass sie Derivate kaufen, um sich gegen Änderungen der Zinssätze und der Kurse von Staatsanleihen abzusichern. Einfach ausgedrückt: In der angespannten Situation, die sich in der vergangenen Woche entwickelte, als die Anleger Gilts abstießen, verschlimmerte LDI die Situation noch.
Die Bank musste eingreifen, um den Verfall der Gilt-Kurse zu verhindern. Es handelte sich jedoch um eine potenzielle globale Krise, die die beiden wichtigsten Märkte für Staatsanleihen – US-Staatsanleihen und deutsche Bundesanleihen – erschütterte. Ein hochrangiger Londoner Banker sagte, es sei »nahe dran« an einem Moment wie dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, der den Finanzcrash im September 2008 auslöste.
Die Kolumne Unhedged der Financial Times kommentierte: »Versteckte Verschuldung [etwa um Investitionen an den Finanzmärkten zu finanzieren] dieser Art wachsen wie schwarzer Schimmel in einem Keller, wenn die Märkte lange ruhige Zeiten erleben. Niedrige Zinssätze bieten auch ein feuchtes Umfeld für das Wachstum von Finanzpilzen. Es werden noch mehr Dielen aufgerissen und noch mehr Schimmelpilze gefunden werden, bevor dieser Zyklus einer strafferen Wirtschaftspolitik zu Ende ist.«
Aber schwarzer Schimmel ist ein zu harmloses Bild. Die profitablen Tricks und Betrügereien der Ära des billigen Geldes ähneln eher Minen, die im globalen Finanzsystem versteckt sind. Truss und Kwarteng sind gerade auf eine getapst.
Der Artikel erschien zuerst im Socialist Worker am 4. Oktober 2022
Bildquelle: wikipedia, User:Елена Пехчевска
Schlagwörter: Finanzkrise, Großbritannien, Weltwirtschaft, Wirtschaftspolitik, Zentralbanken