Warum Millionen Frauen weltweit aufstehen, wie wir den Kampf um Gleichheit gewinnen können und was dies für den Feminismus bedeutet. Von der marx21-Redaktion
Eine neue weltweite Frauenbewegung wächst heran. Millionen von Frauen wehren sich gegen die weiterhin bestehende Lohnungleichheit, Gewalt und sexuelle Belästigung sowie die ungleiche Verteilung von Kindererziehung und Hausarbeit. Sie fordern soziale Gleichheit und sexuelle Selbstbestimmung. Die neue Welle von Frauenprotesten begann in Argentinien und Polen. In Argentinien gründete sich 2015 die Bewegung #Ni una menos (Nicht eine Frau weniger) als Antwort auf die brutalen Frauenmorde (Femizide) und die sexualisierte Gewalt im Land. Sie wuchs innerhalb kürzester Zeit zu einer Massenbewegung heran und mobilisierte mehrmals Demonstrationen mit mehreren hunderttausend Teilnehmenden. Allein in der Hauptstadt Buenos Aires gingen 200.000 Menschen auf die Straße. In Polen aktivierte die Bewegung #czarnyprotest (schwarzer Protest) im Herbst 2016 zehntausende Frauen, um gegen das von der Regierung angestrebte totale Verbot von Abtreibungen vorzugehen.
Weltweite Proteste und Feminismus
Inspiriert von diesen Protesten übernahmen auch Frauen in anderen Ländern die Initiative. Der Protest breitete sich auf Irland, Italien, Spanien, Südkorea, Brasilien, Türkei, Peru, USA, Mexiko, Uruguay, Chile und weitere Länder aus. Überall thematisierten Frauen ihre Unterdrückung und gingen massenhaft gegen Diskriminierungen, Gewalt und soziale Ungleichheit auf die Barrikaden. Ausgehend vom Druck der Straße erreichte der Protest des neuen Feminismus schließlich die Welt des »Showbusiness« und der Medien, der Politik und des Sports. Unter dem Hashtag #MeToo brachen Millionen Frauen das Schweigen und enthüllten sexistische Übergriffe von Männern in Machtpositionen. Es wurde offensichtlich, welchen Diskriminierungen Frauen in der Arbeitswelt und im gesellschaftlichen Leben immer noch ausgesetzt sind (Lies hier den marx21-Artikel: »Zur aktuellen Situation von Frauen in Deutschland«).
Erfolge der Bewegungen
Die Protestierenden erreichten in einer Reihe von Ländern wichtige Erfolge oder Teilerfolge. In Polen verhinderte der schwarze Protest das von der Regierung angestrebte totale Verbot von Abtreibungen. In Irland, wo bislang eines der strengsten Abtreibungsgesetze der Europäischen Union wirkte, wurde 2018 in einem Referendum mit 66 Prozent Zustimmung das Abtreibungsverbot gekippt. Dem historischen Sieg vorausgegangen waren Jahre akribischer Kampagnenarbeit und eine monatelange Massenbewegung im Rahmen der »Ja«-Kampagne für das Referendum. In Chile erreichte die Bewegung 2017 ebenfalls eine Lockerung der rigiden Abtreibungsgesetze. In Argentinien scheiterte ein Gesetzesentwurf für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nur denkbar knapp. Der Senat lehnte mit 38 zu 31 Stimmen eine Gesetzesvorlage ab, die jedoch zuvor von der Abgeordnetenkammer angenommen worden war.
Neuer Feminismus: Streik als Protestform
In den Mobilisierungen der vergangenen Jahre hat eine neue Generation von Aktivistinnen den Streik als Protestform wiederentdeckt und damit auch den Frauentag neu politisiert. Erstmals riefen im Herbst 2016 in Polen und Argentinien Aktivistinnen Frauen zum Streik auf. In Polen hatte im Herbst 2016 ein Bündnis zu einem »Frauenstreik« am »Schwarzen Montag« aufgerufen, weil die Regierung die ohnehin repressiven Abtreibungsgesetze noch weiter verschärfen wollte. Der »Streikaufruf« bedeutete, dass Beschäftigte dazu aufgerufen wurden, sich Urlaub zu nehmen, um sich an Protesten beteiligen zu können.
Doch angesichts der sichtbaren Dynamik der Proteste rief der Gewerkschaftsbund OPZZ kurz vor den Protesten offen zur Unterstützung auf. Die Lehrergewerkschaft wies auf Möglichkeiten hin, die Aktion zu unterstützen. Aktivistinnen boten Blutspendemöglichkeiten an, weil die Spendenden per Gesetz dafür einen Tag frei bekommen. So blieb der Streik zwar symbolisch, aber konnte dennoch ein wichtiges politisches Zeichen setzen. In über 140 Städten und Ortschaften gab es Proteste. Zehntausende Frauen wie Männer nahmen sich den Tag frei, um auf die Straße zu gehen.
Feminismus in Argentinien
In Argentinien war der Anlass die Ermordung der 16-jährigen Lucía Pérez, die von einer Gruppe von Männern brutal vergewaltigt und aufgespießt in der argentinischen Küstenstadt Mar del Plata gefunden wurde. In der Öffentlichkeit wurde der Mord entpolitisierend als Drogengewalt oder als monströse Einzeltat verhandelt. Für den 19. Oktober 2016 rief #Ni una menos zum ersten »feministischen Massenstreik« in Argentinien auf. Die Bewegung verstand die Aktion auch als Solidaritätsaktion mit den Protesten in Polen. Auch hier bestand der Streik nicht in einer kollektiven Arbeitsniederlegung von Belegschaften, sondern Frauen wurden individuell aufgerufen, eine einstündige Pause zu nehmen – egal ob von der Arbeit, dem Studium, der Schule oder der Hausarbeit. Trotzdem beteiligten sich Zehntausende und die Streikenden waren an diesem »Schwarzen Mittwoch« (»Miércoles negro«) in Trauer gekleidet (Lies hier das marx21-Interview mit Violeta Luanda von Ni una menos aus Argentinien: »Beinahe hätten wir gesiegt«).
Eine weltweite Bewegung entsteht
In Folge dessen entstanden um den Internationalen Frauentag am 8. März verschiedene Initiativen zum »Frauenstreik« in unterschiedlichen Ländern. Was als eine Reihe von landesweiten Aktionen begann, verwandelte sich in den Jahren 2017 und 2018 in eine weltweite Bewegung. Am 8. März 2018 beteiligten sich mehrere Millionen Menschen in 150 Ländern. Unter dem Motto »A Day Without Women« gingen alleine in den USA zwei Millionen Menschen auf die Straße. In der Türkei fanden an diesem Tag mit zehntausenden Teilnehmenden die größten regierungskritischen Demonstrationen seit einigen Jahren statt. Ein Höhepunkt der Mobilisierungen war Spanien.
Dort nahmen im vergangenen Jahr mehr als 5 Millionen Menschen an den Protesten teil. Erstmals hatten dort auch die Gewerkschaften zu einem landesweiten »feministischen Streik« aufgerufen – unter dem Motto: »Wenn Frauen streiken, dann steht die Welt still« Frauen sollten zwei Stunden lang ihre Arbeit niederlegen – egal, ob im Berufsleben oder im eigenen Haushalt. Es gab 120 Protestmärsche und 300 Kundgebungen im ganzen Land – eine der größten Mobilisierungen von Frauen in der Geschichte Spaniens. Rückblickend erklärt die Gewerkschaftsaktivistin Ana Rincón: »Die feministische Bewegung ist zurzeit die einflussreichste soziale Bewegung im spanischen Staat. Das hat zu einem Sinneswandel in den Mehrheitsgewerkschaften bezüglich des Feminismus geführt. Er wird dadurch erleichtert, dass es zwischen der feministischen und der Gewerkschaftsbewegung fließende Übergänge gibt. Viele feministische Genossinnen sind gleichzeitig Gewerkschafterinnen. So werden Erfahrungen von einem Bereich in den anderen Bereich übertragen und umgekehrt.« (Lies hier das ganze marx21-Interview mit Ana Rincón: »Wir haben einen Generalstreik verdient«).
Der neue Feminismus und seine Wurzeln in der sozialistischen Frauenbewegung
Die Aufrufe und die Mobilisierungen zum »Frauenstreik« haben den Internationalen Frauentag wieder näher zu seinen fast vergessenen historischen Wurzeln der sozialistischen Frauenbewegung gebracht. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren am Internationalen Frauentag noch nie so viele Frauen aus der Arbeiterklasse gemeinsam auf der Straße. Die Aktionen wecken den Geist der Mobilisierung von Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Beispielsweise die Streiks und Massendemonstrationen in den USA, die hauptsächlich von Einwanderinnen angeführt wurden und Sozialistinnen dazu inspirierten, den ersten landesweiten Frauentag zu organisieren. Oder die Initiative von Käte Duncker, Luise Zietz und Clara Zetkin, die auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 27. August 1910 in Kopenhagen die Einführung eines internationalen Frauentages vorschlugen. Der Beschluss in Kopenhagen lautete: »Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. […] Der Frauentag muß einen internationalen Charakter tragen und ist sorgfältig vorzubereiten.«
Wir erleben eine dritten Welle der Frauenbewegung
Der erste internationale Frauentag fand daraufhin am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Die politische Forderung war das aktive und passive Wahlrecht für Frauen. Mehr als eine Million Frauen gingen auf die Straße, eine bis dahin beispiellose Massenbewegung. Heute knüpfen die Mobilisierungen wieder an diese Tradition an. Für den Frauentag 2019 sind »Frauenstreiks« mit Kundgebungen und Demonstrationen in vielen Ländern geplant – wir befinden uns mitten in einer »Dritten Welle« der Frauenbewegung.
Streiks und das Potential des weiblichen Proletariats
Die eintägigen »Frauenstreiks« am 8. März sind eine wichtige neue Form der Frauenbewegung. Sie können dazu beitragen, die gesellschaftliche Debatte über die prekären Lebensumstände von Frauen zu beleben und Forderungen wie das Recht auf legalen und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbruch oder ein Ende sexualisierter Gewalt in die Betriebe zu tragen. Im Unterschied zu Spanien oder Argentinien steckt die gewerkschaftliche Verankerung des »Frauenstreiks« am 8. März in Deutschland noch in den Anfängen. Der »Frauenstreik« ist in diesem Stadium ein symbolischer Protest. Er ist kein wirklicher Streik, der auf die Unterbrechung der Lohnarbeit zielt. Trotzdem kann diese Kampfform ein Auftakt dafür sein, die Beteiligung von Frauen aus der Arbeiterklasse zu erhöhen. Je mehr gewerkschaftlich organisierte Frauen sich an den Vorbereitungen beteiligen, desto größer die Chance, auch die Gewerkschaften als Ganzes für die Forderungen und Unterstützung des »Frauenstreiks« zu mobilisieren.
Erfahrungen in Argentinien und Spanien
Eine wichtige Lehre aus den Erfahrungen in Argentinien und auch in Spanien ist, dass der »Frauenstreik« sich mit realen gesellschaftlichen Konflikten, in denen Frauen eine wichtige Rolle spielen, verbinden muss. In Spanien und auch in Argentinien gingen der hohen Beteiligung am Frauenstreik gewerkschaftliche Streiks oder Proteste für sexuelle Selbstbestimmung von Frauen voraus. Der Frauenbewegung ist es in diesen Ländern gelungen, den »Frauenstreik« als Kulminationspunkt verschiedener realer gesellschaftlicher Bewegungen von Frauen zu positionieren. Damit besteht auch die Chance, dass aus einem symbolischen Protest irgendwann ein wirklicher Streik erwächst.
Streik als Waffe des Feminismus
Streiks sind eine wirksame Waffe im Kampf für Gleichheit. Das Frauenwahlrecht wurde in Deutschland im Jahr 1918 durch die Massenstreiks in der Revolution erkämpft. In den 1970er Jahren gab es große, erfolgreiche Frauenstreiks für die Abschaffung der Niedriglohngruppen (Pierburg 1973) und für Angleichung an die Männerlöhne (Heinze 1979-1981). Und auch in den letzten Jahren hat es immer wieder Streiks mit überwiegend weiblicher Beteiligung gegeben, die teilweise auch erfolgreich waren – von den Streiks der Reinigungsdienste 2009 über die Einzelhandelsstreiks 2013, vom Dauerkonflikt bei Amazon, den Streiks im Erziehungssektor (Kitas) 2015 oder den Pflegestreiks (2017-2019). Das ist ein Zeichen des großen Konfliktpotenzials gerade des weiblichen Proletariats. Streiks verfehlen jedoch dort ihren zwingenden Charakter, wo sie die unbezahlte »Hausarbeit« betreffen, insbesondere bei der großen Gruppe alleinerziehender Frauen. Ob die männlichen Partner die ausgefallene Arbeit ausgleichen oder nicht – ein Schaden für die Kapitalisten entsteht so nicht. Im schlechteren Fall bleibt die Arbeit liegen. Um zu gewinnen, muss die Frauenbewegung ihre Wurzeln in den Gewerkschaften stärken und den Streik letztlich dorthin tragen, wo er den Herrschenden weh tut – in die Betriebe. Die gewerkschaftliche Beteiligung am »Frauenstreik« ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig.
Frauen und Arbeitskämpfe
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Frauen sich schon immer aktiv an Arbeitskämpfen beteiligten oder sogar im Zentrum der Organisierung standen. Die proletarische Frauenbewegung von 1860 bis 1933 kannte eine Vielzahl von Betätigungsfeldern und Kampfformen: Von der Dienstmädchenfrage und den Dienstmädchenunruhen 1899 in Berlin, dem »Crimmitschauer Streik der Textilarbeiterinnen« in den Jahren 1903 und 1904, den Kämpfen um den Zugang zu Bildung und für das Frauenwahlrecht, über die Frage um Prostitution, bis hin zu Kampagnen für eine selbstbestimmte Sexualität und gegen den §218 sowie für die Thematisierung von häuslicher und sexualisierter Gewalt (Lies hier den marx21-Artikel: »Mein Bauch gehört mir« – Der Kampf um das Recht auf Abtreibung«). Die vergessene Geschichte der proletarischen Frauenbewegung lohnt sich, wiederentdeckt zu werden. Denn der Kampf gegen die Benachteiligung des weiblichen Teils der Arbeiterklasse und für ihre stärkere Einbeziehung in die Gewerkschaftsbewegung ist so alt wie die Arbeiterbewegung selbst. Sie war und ist unabdingbar verknüpft mit dem Kampf für eine kämpferische und lebendige Gewerkschaftspolitik, die mit dem Ziel verbunden ist, das Interesse der gesamten Klasse zu vertreten und all ihre Teile gemeinsam zu organisieren.
Woher kommt die Idee des »Frauenstreiks«?
Die Idee des eintägigen »Frauenstreiks« geht jedoch auch zurück auf den Aufstand der Frauen in Island 1975. Dort traten erstmals 90 Prozent der arbeitenden Frauen an einem Tag in den Streik für Lohngleichheit und eine bessere Kinderbetreuung. Organisiert hatte den Protesttag ein Komitee, das sich aus den fünf wichtigsten Frauenorganisationen des Landes zusammensetzte. Die aus der 68er-Bewegungen entstandene »Rotstrumpf« oder »Rote-Socken-Bewegung« forderte bereits seit einigen Jahren einen Streik, doch erst im Juni 1975 konkretisierte sich bei einem Frauenkongress in Reykjavík der Plan. Während die Isländerinnen auf die Straße gingen, musste ein Großteil der Fabriken und Geschäfte schließen, ebenso Banken, Schulen und Kindergärten. Im Jahr 1975 waren in Island bereits 60 Prozent der Frauen berufstätig. Heute ist der Anteil von Frauen in Lohnarbeit in zahlreichen Ländern sogar noch deutlich größer. Sie machen in vielen Ländern die Hälfte der lohnabhängig Beschäftigten aus. So auch in Deutschland: Lag die Frauenerwerbstätigenquote, das heißt der Anteil der erwerbstätigen an allen erwerbsfähigen Frauen zwischen 15 und 64 Jahren, in den 1960er Jahren in Westdeutschland noch unter 50 Prozent, ist sie zwischen 2007 und 2017 von 66,7 Prozent auf 75,2 Prozent deutlich gestiegen.
Feminismus und der Kampf um soziale Gleichheit
Diese Entwicklung ist ein wichtiger Fortschritt, da ein eigenes Einkommen Frauen wesentlich mehr Unabhängigkeit verschafft. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass damit die soziale Gleichheit noch lange nicht erreicht ist. Denn die Hauptformen der weiblichen Erwerbstätigkeit in Deutschland sind Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge. 2017 arbeiteten rund 11 Millionen Menschen zwischen 15 und 64 Jahren in Teilzeit (dritthöchste Teilzeitquote in der EU) – die meisten dieser prekären Jobs sind von Frauen besetzt. Arbeiteten 1991 nach der Wiedervereinigung nur 30,2 Prozent der berufstätigen Frauen in Teilzeit, so waren es im Jahr 2001 bereits 39,6 Prozent. Nach den Agenda-2010-Reformen weitete sich der Anteil nochmal signifikant aus: 2017 war fast jede zweite erwerbstätige Frau von 20 bis 64 Jahren (47 Prozent) in Teilzeit tätig. Während in Westdeutschland 48,7 Prozent der Frauen in Teilzeitjobs arbeiten, sind es im Osten »nur« 35,1 Prozent. Der besonders hohe Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen in Deutschland ist vorrangig auf diesen hohen Unterschied hinsichtlich der Arbeit in Voll- und Teilzeitmodellen zurückzuführen. Ein zusätzlicher Faktor sind die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen trotz gleichwertiger Arbeit.
Der große Graben: Erwerbstätigkeit und Kita- und Pflegeplätze
Die Zunahme weiblicher Erwerbstätigkeit steht jedoch in keinem Gleichgewicht zum Ausbau von öffentlichen Kita- und Pflegeplätzen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Einerseits wurden Frauen zunehmend in den Arbeitsmarkt integriert, gleichzeitig wurde die gestiegene Nachfrage nach staatlichen Einrichtungen für Fremdbetreuung nicht ausreichend befriedigt. Beispiel Kinderbetreuung: Obwohl es seit mehr als fünf Jahren, seit dem 1. August 2013, einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz oder auf die Betreuung durch eine Tagesmutter oder einen Tagesvater gibt, fehlen in Deutschland laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft immer noch rund 300.000 Betreuungsplätze. Die Kommunen sind zwar per Gesetz verpflichtet, jedem Kind zwischen einem und drei Jahren einen Platz zur Verfügung zu stellen, können dies aber nicht immer umsetzen.
Fehlendes Angebot von Kita- und Pflegeplätzen trifft vor allem Frauen
Während im Osten die Betreuungsquote bei 51,5 Prozent liegt, sind im Westen nur 29,4 Prozent der Kinder unter 3 Jahren in Kindertageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege. Obwohl der deutsche Staat im Jahr 2018 einen Rekordüberschuss von 58 Milliarden Euro erzielte, wird immer noch zu wenig Geld in den Neubau von Kitas, die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern sowie deren bessere Entlohnung und die Erhöhung des Personalschlüssels investiert. Laut nationalem Bildungsbericht werden bis 2025 rund 270.000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher für Kindergärten, -krippen und Tagespflege benötigt. Dass die Politik diese Lücke nicht füllt, geht vor allem zu Lasten der Frauen. Das zeigen die Gründe für die Teilzeitarbeit in Deutschland. Hierfür werden von Frauen in 49 Prozent der Fälle die Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen genannt sowie andere familiäre oder persönliche Verpflichtungen. Zum Vergleich: Nur 9 Prozent der erwerbstätigen Männer arbeiteten 2017 in Teilzeit und nur jeder elfte aus familiären Gründen. Frauen übernehmen nach wie vor den Löwinnenanteil an der unbezahlten Haus- und Familienarbeit, der sogenannten Reproduktionsarbeit im Privaten: Während sich laut statistischem Bundesamt 72 Prozent der Frauen an den täglich anfallenden Hausarbeiten betätigen, trifft das auf nur 29 Prozent der Männer zu. Erwerbstätige Frauen verwenden auf unbezahlte Arbeit im Schnitt 3:29 Stunden und damit etwa 1,6-mal so viel Zeit wie erwerbstätige Männer (2:08 Stunden).
Der bürgerliche Feminismus
Der bürgerliche Feminismus geht deswegen an den Interessen der meisten Frauen völlig vorbei. Mit seinen Vorstellungen, den Kampf der Frauenbewegung auf die Gleichberechtigung im Kapitalismus zu reduzieren, beispielsweise durch Quoten in Aufsichtsräten, bietet er keine Perspektive für die Mehrheit der Frauen (Lies hier den marx21-Artikel: »Brauchen wir mehr Frauenquoten?«). Natürlich ist die Einführung einer Quote für alle Führungsetagen längst überfällig. Doch auch durch eine solche Regelung bessert sich die Situation der Mehrheit der erwerbstätigen Frauen nicht. Eine Verkäuferin bei Aldi hat nichts davon, wenn sie nun von einer Chefin erklärt bekommt, warum der Mindestlohn dem Unternehmen schade. Die Welt wäre nicht gerechter, wenn die reichsten Menschen der Welt Frauen wären (Lies hier den marx21-Artikel: »Kämpft der Staat für Gleichberechtigung?«).
Feminismus der 99 Prozent
Wir brauchen einen »Feminismus der 99 Prozent«. Einen Feminismus, der die Bedürfnisse, Sorgen und Nöte der Mehrheit der arbeitenden Frauen formuliert. Wie schon in den 1960er Jahren besteht eine Kluft zwischen ökonomischer Basis und ideologisch-politischem Überbau, die explosiv ist. Damals entstand eine neue, weibliche Arbeiterklasse. Zugleich galten die alten Rollenbilder der Arbeitsteilung der Geschlechter weiter, die die Frauen als Mütter in den sogenannten privaten Sektor der Reproduktion verbannten. Heute ist Frauen- und Müttererwerbstätigkeit nicht mehr sanktioniert, im Gegenteil: Die Frau von »heute« soll nicht nur attraktiv sein, sie soll auch beruflich erfolgreich und zugleich eine »gute« Mutter sein. Insofern äußert sich die Kluft zwischen ökonomischer Basis und ideologisch-politischem Überbau spiegelverkehrt: Vor fünfzig Jahren durften Frauen nicht, was sie konnten, heute können sie nicht das sein, was sie sein sollen. Krise und Prekarisierung der Erwerbstätigkeit bestimmen negativ die beruflichen Chancen von Frauen. Sie sind heute im Durchschnitt besser gebildet als Männer, aber stellen zugleich das Heer eines prekär beschäftigten Dienstleistungsproletariats – »überqualifiziert« und unterbezahlt (Lies hier den marx21-Artikel: »Soziale Reproduktion im Kapitalismus«).
Feminismus, Lohnarbeit und Emanzipation
Die weibliche Lohnarbeit gewährt – wie Lohnarbeit überhaupt – noch keine Form der Emanzipation. Aber sie macht Frauen finanziell unabhängiger, schützt sie nach aktueller Studienlage vor dem Verbleib in Situationen häuslicher Gewalt und eröffnet die Möglichkeit kollektiver Kämpfe von Frauen und Männern für gleiche Rechte und Chancen im Hier und Jetzt, in Betrieben und auf der Straße, letztlich für den Sturz des Kapitalismus. Das ist umso wichtiger, weil erkämpfte Frauenrechte wieder unter Beschuss sind.
Unser Feminismus ist antirassistisch!
Weltweit sind Frauen Zielscheibe eines von Konservativen angestrebten Rollbacks. Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien oder Gauland in Deutschland (Lies hier den marx21-Artikel: »Die AfD und der Schutz »unserer« Frauen: Eine gefährliche Lügengeschichte«). Die radikale Rechte attackiert im Verbund mit Konservativen und der Kirche hart erkämpfte Frauenrechte, wie das Recht auf sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbruch. Auch deswegen befindet sich die Frauenbewegung in vielen Ländern an vorderster Front im Kampf gegen rechts, oft unter dem Motto: Unser Feminismus ist antirassistisch!
Feminismus und die Parole »Brot und Rosen«
Die neue Frauenbewegung kann gewinnen. Weltweit steigt die Zahl von Klassenauseinandersetzungen, die vorwiegend von der weiblichen Arbeiterklasse geprägt sind. Der Streik der Lehrerinnen und Lehrer in den USA zeigt das genauso wie die Streiks der Textilarbeiterinnen in Bangladesch. Die Mobilisierungen von Millionen von Frauen in den letzten Jahren machen Mut. Denn diese Bewegung hat das Potenzial, den spaltenden Gegensatz zwischen »Identitätspolitik« und »Klassenpolitik« zu überwinden. So wie bereits 1912, als zehntausende junge Arbeitsmigrantinnen in Lawrence im US-Bundesstaat Massachusetts nicht nur für höhere Löhne, sondern eben auch für ein menschenwürdiges Leben streikten. Ihre Streikparole »Brot und Rosen« formulierte den Wunsch nach Teilhabe für alle. Daran können wir heute anknüpfen, indem wir uns als Linke am Aufbau der neuen Frauenbewegung beteiligen und so den Kampf für soziale, politische und ökonomische Gleichheit neuen Schwung geben. Für einen Feminismus der 99 Prozent!
Schlagwörter: Feminismus, Frauen, Frauenbewegung, Inland