Ana Roke über Jean Zieglers Buch »Der Hass auf den Westen – Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren«
Der Hass auf den Westen, diese unausrottbare Leidenschaft, beherrscht heute eine große Mehrheit der Völker in der südlichen Hemisphäre. Er ist ein wirksamer Mobilisierungsfaktor.« Woher diese Abneigung kommt und wozu sie führen kann, analysiert der Schweizer Soziologe und ehemalige UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung Jean Ziegler sehr gründlich in seinem neuen Buch.
»Dieser Hass ist keineswegs pathologisch, sondern manifestiert sich in einem strukturierten und rationalen Diskurs«, erklärt Ziegler. Getragen werde er durch ein kollektives Bewusstsein, welches durch ein gemeinsames Gedächtnis der Gesellschaften des »globalen Süden« geprägt sei. Dieses kollektive Gedächtnis sei dem von Individuen insofern ähnlich, als dass es auch traumatisiert sein und schlimme Erlebnisse verdrängen könne, die dann erst nach Jahren aufgearbeitet werden könnten. Diesen Mechanismus führt Ziegler an, um zu erklären, warum der aus Zeiten des Kolonialismus resultierende Hass auf die westliche Hegemonie noch heute große Widerstandsbewegungen hervorbringen kann.
Es sei jedoch nicht die Geschichte des Kolonialismus alleine, die jene Feindschaft gegenüber dem Westen begründe. Sie werde vielmehr durch die gegenwärtige Politik des Westens weiter manifestiert. So verstärke zum einen die mangelnde Distanzierung von den eurozentrischen Denkweisen, die schon im 19. Jahrhundert den Kolonialismus rechtfertigen sollten und noch heute von Vertretern westlicher Staaten artikuliert werden, die Verachtung in den südlichen Ländern. Zum anderen befördere die gegenwärtige Politik kapitalistischer Ausbeutung und Aggression und die unverblümte Doppelmoral des Westens diesen Prozess. Hierfür führt Ziegler zahlreiche Beispiele an, wobei er auf die Situation Nigerias als größtem Erdöl-Förderer Afrikas ausführlicher eingeht. In dem westafrikanischen Staat zerstören transkontinentale Ölfirmen seit Jahren die Umwelt und unterstützen gegen den Widerstand der Bevölkerung eine diktatorische Militärjunta.
Im letzten Teil des Buches führt Ziegler Bolivien als Beispiel für ein Land an, das die Vorherrschaft des Westens brechen und seine indigene Identität neu aufwerten konnte. Diese »Rückgewinnung der Identität« sieht er als einen wichtigen Teil des Widerstandskampfes gegen westliche Ausbeutung und Bevormundung.
»Heute empfindet der Süden Hass. Doch die Gelegenheit ist günstig für ihn, aufzubrechen und seiner selbst und der Fülle seiner Möglichkeiten habhaft zu werden.« Daher plädiert Ziegler abschließend für einen »planetarischen Gesellschaftsvertrag«, nicht zuletzt als einzige Möglichkeit, das Überleben der Menschheit insgesamt zu sichern.
Allerdings geht Ziegler auf die Frage, wie der Weg zu einem solchen Vertrag aussehen soll, nicht genau ein. Zwar zieht er das Beispiel Bolivien heran, um zu zeigen, dass eine breite Bewegung eine Regierung an die Macht bringen kann, die die Hegemonie des Westens anficht. An anderer Stelle sieht er jedoch auch ein Einlenken des Westens als Vorraussetzung dafür, dass der Hass nicht zu Fanatismus wird. Hier bleibt Ziegler zu allgemein.
Dennoch ist das Buch eine sehr interessante Lektüre für alle, die die komplexen Nord-Süd-Beziehungen unserer Zeit verstehen wollen. Außerdem kann die Fülle von Beispielen der Linken gute Argumente liefern, mit denen die Rechtfertigungen deutscher Außenpolitik demontiert werden können.
Das Buch:
- Jean Ziegler: »Der Hass auf den Westen«, C. Bertelsmann Verlag, München 2009, 288 Seiten, 19,95 Euro
Schlagwörter: Bücher, Kultur