Keine Religion ist hierzulande in den vergangenen Jahren so häufig und scharf öffentlich kritisiert worden wie der Islam. Häufig stecken hinter der scheinbar objektiven und ausgewogenen Kritik pure Ressentiments. In dem vorliegenden Sammelband werfen nun 28 Wissenschaftler ihren Hut in den Ring, um die Diskussion zu versachlichen. Sie entkräften Vorurteile, entlarven die Lügen mancher »Islamkritiker« und entwickeln Ideen für einen Dialog mit Muslimen – statt über oder gegen sie. Von Irmgard Wurdack
Im ersten Abschnitt des Buches erforschen verschiedene Autoren die Ursachen der Islamfeindlichkeit. Sie verdeutlichen, dass bereits im Mittelalter Vorurteile geschürt wurden. Damals suchten die Machthaber einem sich rasch ausbreitenden, zivilisatorisch und technologisch überlegenen islamischen Großreich durch die Kreuzzüge und die Festigung des inneren Zusammenhalts beizukommen.
Der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez erklärt in seinem Beitrag die Rolle, die die Massenmedien heute bei der Verbreitung anti-muslimischer Vorurteile spielen. Sie setzten zwar Islam und Gewalt nicht gleich, würden aber indirekt doch diese Verbindung ziehen: »Deutsche Medien widmen sich intensiv der Frage der islamistischen Selbstmordattentate. Selten allerdings wird die tägliche gewaltfreie Widerstandsarbeit auch vieler islamistischer Organisationen in Demonstrationen, Sitz- und Hungerstreiks erwähnt.«
Wie das gegenwärtige Feindbild Islam zur Durchsetzung imperialistischer Ziele dienen kann, untersucht der Politikwissenschaftler Werner Ruf. Es sei wenig glaubwürdig, wenn der Westen Errungenschaften der Aufklärung preise, aber korrupte Diktaturen unterstütze, die demokratische Oppositionsbewegungen zerschlagen haben: »So erscheinen der nahöstlichen Bevölkerung die Schlagworte ›Befreiung‹ und ›Demokratisierung‹ nur als verlogene Feigenblätter zur Kaschierung des imperialen Griffs nach dem Öl. Und die Kriegsführung in Irak und Afghanistan liefert den Beleg für diese These.«
Anhand empirischer Daten wird im zweiten Abschnitt des Buches eine Vielzahl gängiger Behauptungen über Muslime als Vorurteile entlarvt. Die Sozialwissenschaftlerin Monika Schröttle etwa analysiert Studien über Gewalt gegen Frauen in Familien mit türkischem Migrationshintergrund. Sie weist nach, dass nicht das Glaubensbekenntnis die Ursache häuslicher Gewalt ist, sondern eine Vielzahl sozialer und ökonomischer Faktoren.
Die beiden letzten Abschnitte beschäftigen sich mit den Methoden, mit deren Hilfe der Islam in Deutschland als »Fremdkörper« und »Problem« stigmatisiert wird. Die Autoren befassen sich zudem mit Akteuren, die diese Stigmatisierung vorantreiben – wie beispielsweise islamfeindlichen Internetseiten, der CDU/CSU, den christlichen Kirchen sowie einzelnen Intellektuellen wie Henryk M. Broder oder Seyran Ates, die seit Jahren besonders eifrig gegen Muslime hetzen.
Das Buch ist absolut lesenswert und liefert eine Fülle von Argumenten. Trotz des akademischen Hintergrunds der Autoren sind die Artikel auch für Laien verständlich geschrieben. Der einzige Wermutstropfen: Einige Autoren verwenden relativ unreflektiert die Bezeichnung »Islamismus« – die eigentlich von Rechten als Kampfbegriff gebraucht wird, um bestimmte Gruppen oder Personen zu diffamieren. Ohne dass sie schlüssige Kriterien dafür nennen, was »islamistisch« ist, betonen manche Autoren, dass man sich vor »problematischen Allianzen« hüten und von »Islamisten« distanzieren müsse. Mit dieser vagen Herangehensweise liefern sie den Islamfeinden ungewollte Schützenhilfe. Abgesehen davon ist die Lektüre des Buches ein großer Gewinn, auch für Leser, die sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben.
Das Buch:
- Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.): »Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen«, VS Verlag für Sozialwissenschaft, Wiesbaden 2009, 498 Seiten, 49,95 Euro
Foto: Christian Lambert Photography
Schlagwörter: Antimuslimischer Rassismus, Bücher, Diskriminierung, Islam, Islamismus, Islamomophobie, Kultur, Rassismus, Religion