Das Aufblühen fundamentalistischer Kräfte wie der »Lebensschützer« ist Ausdruck eines Rechtsrucks. Was kann man diesem entgegensetzen? Darauf gibt der Sammelband »Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der »Lebensschutz«-Bewegung« nur eine schwache Antwort. Von Rosemarie Nünning
Über die sich als »Lebensschützer« bezeichnenden fundamentalistisch gesinnten Christen wurde schon einiges publiziert. Im Jahr 1991 brachte die »Bundesweite Koordination – Frauen gegen den § 218« das Buch »Vorsicht Lebensschützer« heraus. Hintergrund war das sichtbare Auftreten klerikaler Abtreibungsgegner, als nach dem Zusammenschluss von BRD und DDR das Tauziehen um eine einheitliche Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch begann.
»Lebensschützer«: Gefahr für Selbstbestimmung
Ein Sammelband des Berliner Familienplanungszentrums Balance über »Die neue Radikalität der Abtreibungsgegner_innen« erschien im Jahr 2012 und zwei Jahre später das Bändchen »Deutschland treibt sich ab« im Unrast Verlag als Reaktion auf die wachsenden Aufmärsche der klerikalen Rechten. Alle enthalten sie hilfreiches Material zu Szene und Argumentation der radikalen Abtreibungsgegner und der von ihnen ausgehenden Gefahr für die Selbstbestimmung über unser Leben.
Jetzt also noch ein Buch zu dem Thema, teils von denselben Autorinnen und Autoren. Die erste Hälfte präsentiert erneut Ideologien der »Lebensschützer« zu verschiedenen Themenfeldern wie Abtreibung, »Genderismus« und Sterbehilfe. Der zweite Teil bietet wieder einen nützlichen Überblick über Akteure, Netzwerke und Aktivitäten. Zusammengetragen ist die Entwicklung der letzten Monate und Jahre bezüglich der Paragrafen 218/219 Strafgesetzbuch und des schwindenden Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht nur in Deutschland.
Streitpunkt Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik
Wesentliche Bündnisse aber wie das für sexuelle Selbstbestimmung (BfsS), das sich mit Konferenzen und Demonstrationen den Klerikalen in den Weg stellt; das mit dafür gesorgt hat, dass die Teilnehmerzahl an deren Aufmärschen sinkt, und erhöhte Aufmerksamkeit bei den Medien bewirkt hat, finden nur in einer Fußnote Erwähnung. Stattdessen heißt es, »emanzipatorische Kräfte«, die sich nicht explizit gegen Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik (PND/PID) stellten, hätten der »Lebensschutz«-Bewegung »Raum gelassen«, die »Diskurshoheit« auf diesem Gebiet zu erlangen. Die Forderung nach Selbstbestimmung sei unterkomplex und tendenziell eine neoliberale.
Das ist ein alter Vorwurf auch an das BfsS. Die Frage von PND/PID wird in der Gesellschaft sehr kontrovers ausgetragen, weshalb sich das BfsS dazu nicht positioniert, um sein Kernanliegen der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und der Gleichstellung von Lebensentwürfen nicht zu gefährden.
Stark in der Anklage, schwach im Ausblick
Das Klima, in dem fundamentalistische Kräfte aufblühen, ist das eines zunehmenden Rechtsrucks in bürgerlicher Politik und Medien und einer zu schwachen Linken. Weil die Autorinnen und Autoren ausgerechnet einen Teil der aktiven Linken für diese Entwicklung mitverantwortlich machen, fällt ihre Antwort auch recht matt aus. Sie benennen als Terrain im »Kulturkampf« vor allem Ideologiekritik und Aushandlungsprozesse, statt des Aufbaus einer linken Bewegung. Das ist eine echte Schwäche des Buchs.
Das Buch:
Eike Sanders, Kirsten Achtelik, Ulli Jentsch
Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der »Lebensschutz«-Bewegung
Verbrecher Verlag
Berlin 2018
160 Seiten
15 Euro
Schlagwörter: Abtreibung, Bücher, Kultur, Lebensschützer