Gregor Kritidis: »Linkssozialistische Opposition in der Ära Adenauer. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland« Offizin-Verlag, Hannover 2008, 34,80 Euro
Von Philipp Kufferath
Außerparlamentarischer Protest wurde im Nachkriegsdeutschland nicht erst 1968 erfunden. Doch während es Berge an Literatur zu den 68ern und den Neuen Sozialen Bewegungen gibt, sind die Protestbewegungen der ersten Jahre nach 1945 weitgehend in Vergessenheit geraten.
Viele neuere Darstellungen zur Geschichte der Bundesrepublik bis 1989 sprechen vom »Erfolgsmodell« einer »geglückten Demokratie« – und meinen insbesondere den ökonomischen Aufschwung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch auch im »Wirtschaftswunder« gab es genügend Gründe für Protest: Die Karrieren ehemaliger Nazis im neuen Staat, die Kontinuität der wirtschaftliche Eliten und die Stigmatisierung alternativer Gesellschaftskonzepte als »kommunistisch« – dies alles prägte die Ära Adenauer ebenfalls. Gregor Kritidis erinnert nun endlich in einer Gesamtdarstellung an das vielfältige Wirken oppositioneller Strömungen in Westdeutschland in der Phase bis 1963.
Nach Auswertung von Nachlässen und Zeitschriften rekonstruiert er die Arbeit der linkssozialistischen Gruppen, die sich am Rande der SPD und innerhalb der Gewerkschaften organisierten und sich vor allem über kleinere Zeitschriftenprojekte vernetzten.
Periodika wie der »Funke«, die »Sozialistische Politik« oder die »Andere Zeitung« hatten zwar oft nur einen kleinen Leserkreis, spiegelten aber in ihren Auseinandersetzungen ein hohes Maß an theoretischer Reflexion wider. Intellektuelle wie Viktor Agartz, Wolfgang Abendroth, Fritz Lamm oder Jürgen Seifert schrieben teilweise in mehreren Zeitschriften und waren so wichtige Impulsgeber für den linken SPD-Flügel, kritische Gewerkschafter, den SDS und die Protestbewegungen gegen die Wiederbewaffnung und den »Atomtod«.
Kritidis Geschichte dieser Gruppen zeigt so die bisher nur wenig bekannte Bandbreite des linkssozialistischen Lagers und die Facetten der politischen Strategien und Theorien, deren Einfluss auf die Bewegung von 1968 meist unterschätzt wird. Deutlich wird durch die detaillierte Beschreibung aber auch die Zerrissenheit und oft auch das Scheitern von Projekten, Hoffnungen und Personen: Zeitschriften erleben sinkende Auflagen und werden eingestellt. Agartz, der Vordenker von Wirtschaftsdemokratie und »expansiver Lohnpolitik« im DGB, wird entmachtet. Die Linke in der SPD kann sich nicht auf eine Alternative zum Godesberger Programm einigen, der SDS wird aus der SPD gedrängt. All diese Ereignisse schwächten die Opposition in der Ära Adenauer.
Kritidis zeigt, dass sich die Auseinandersetzung mit diesen Strömungen lohnt. Leider kommt die Analyse der Schwächen des Linkssozialismus etwas zu kurz. Dennoch liefert das Buch einen hervorragenden Einstieg, um Debatten wie etwa zur Wirtschaftsdemokratie (wieder) zu entdecken und auf ihre Aktualität hin zu überprüfen.
Schlagwörter: Bücher, Kultur