marx21-Autorinnen und -Autoren stellen ihre Lieblingsbücher zum Thema Frauenbefreiung und Feminismus vor
AUTOBIOGRAPHIE
Toni Sender
AUTOBIOGRAPHIE EINER DEUTSCHEN REBELLIN
hg. von Gisela Brinker-Gabler
Fischer Taschenbuch
2015, Erstveröffentlichung auf Englisch 1939
334 Seiten
19,99 Euro
1888 geboren, verließ Toni Sender als Jugendliche ihr bürgerliches Elternhaus und wurde in der sozialistischen Bewegung aktiv, erst in Frankfurt, dann in Paris. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwang sie zur Rückkehr. Entsetzt darüber, dass ihre Partei, die SPD, den Kriegskrediten zugestimmt hatte, wurde die überzeugte Internationalistin aktive Kriegsgegnerin, nahm gemeinsam mit Clara Zetkin am internationalen Antikriegskongress der sozialistischen Frauen in Bern teil und schmuggelte das Berner Manifest nach Deutschland.
Während der Novemberrevolution arbeitete sie im Frankfurter Arbeiterrat mit und argumentierte als Anhängerin des Rätesystems für die Weiterführung und Vollendung der Revolution. Neben ihrer Tätigkeit als Frankfurter Stadtverordnete und Reichstagsabgeordnete war sie Chefredakteurin verschiedener sozialistischer Zeitungen, unter anderem der »Frauenwelt«.
Sender erkannte früh die Gefahr, die vom Aufstieg der Nazis, den »neuen Barbaren«, ausging. Sie kritisierte die Spaltung der Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Faschismus und kämpfte nach der Machtübernahme verzweifelt dafür, die Gewerkschaften zum Widerstand zu mobilisieren. Im März 1933 war sie als Sozialistin und Jüdin zur Flucht gezwungen.
Die Autobiographie erzählt von den Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeiterbewegung, schildert die Atmosphäre bei konspirativen Versammlungen in schmutzigen Gaststätten und Redaktionsräumen, die Revolution, die Streiks gegen den Kapp-Putsch und nimmt spannende Charakterisierungen vieler politischer Persönlichkeiten ihrer Zeit vor.
JANINE WISSLER
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ESSAYSAMMLUNG
Margarete Stokowski
UNTENRUM FREI
Rowohlt Taschenbuch
2016
256 Seiten
12 Euro
Wenn ich etwas von Pflichtlektüre hielte, dann wäre dieses Buch eines der ersten auf meiner Liste – für alle, ganz gleich, welchen Geschlechts. Es ist eine Kampfansage an Zuschreibungen, ein nachdenkliches Hinterfragen von Selbstverständlichkeiten, ein charmantes »Fuck you!« an Erwartungen, die nicht in uns selbst begründet werden. Es ist »ein Kampf um fundamentale Gerechtigkeit (…), der weh tun wird«, ein Kampf um Selbstbestimmung für jede und jeden. Zugleich ist es nah und bitter, berichtet von sexualisierter Gewalt, die oftmals unsagbar erscheint und doch gesagt werden muss.
Ein Buch, das aus einer »heftigen Wut auf die Ungerechtigkeit« geboren wurde und klarmacht, dass Freiheit immer nur für alle gelten kann und dass dieser Kampf untrennbar mit dem gegen Rassismus und Klassenunterdrückung verbunden ist.
»Untenrum frei« ermöglicht ein tiefes Verständnis, wie die kleinen Dinge, etwa die Schönheitsnormen, mit den Großen, der Unterdrückung und der Gewalt, zusammenhängen und wirbt dafür, zu hinterfragen – schließlich können wir »untenrum nicht frei sein, wenn wir obenrum nicht frei sind. Und andersrum.« Es ist ein Anfang einer Diskussion, die sich auch und vor allem um die Frage bewegt, was für ein Mensch jede und jeder von uns eigentlich sein möchte.
MONA MITTELSTEIN
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SACHBUCH
Cinzia Arruzza
FEMINISMUS UND MARXISMUS. EINE EINFÜHRUNG
Neuer ISP-Verlag
2017
142 Seiten
12,80 Euro
Ein toller Einstieg für alle, die einen Überblick zur Geschichte der Arbeiterinnenbewegung und ihrer Kontroversen rund um das Thema Frauenbefreiung suchen. Zum einen stellt Arruzza anschaulich dar, welche wichtige Rolle Frauen schon immer in der sozialistischen Bewegung spielten und dass der Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung von vielen schon immer zusammen angepackt wurde. Zum anderen zeigt sie aber auch, dass Linke ebenfalls durch die Gesellschaft geprägt sind, in der sie leben, und dementsprechend nicht frei von sexistischen Denk- und Handlungsmustern.
Zudem diskutiert Arruzza feministische und marxistische Theorien über Patriarchat und Klassen, ohne dabei an Kritik zu sparen. Auch hier bietet sie einen guten Überblick, wenngleich das kleine Buch nicht in die Details zu gehen vermag.
DANIEL URBACH
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AUTOBIOGRAFIE
Fereshta Ludin und Sandra Abed
DIE ENTHÜLLUNG DER FERESHTA LUDIN. DIE MIT DEM KOPFTUCH
Deutscher Levante Verlag
2015
376 Seiten
15,90 Euro
Fereshta Ludin ist eine Pionierin im Kampf muslimischer Frauen in Deutschland. Das Land Baden-Württemberg verweigerte ihr 1998 die Einstellung in den Schuldienst. Sie zog vor Gericht und erlitt mehrere Niederlagen. Erst 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht – mit Einschränkungen –, dass ein Kopftuchverbot an Schulen nicht verfassungsgemäß ist.
Die Autobiografie von Fereshta Ludin bietet einen spannenden Einblick in ihr Leben. Sie musste als Kind einer bürgerlichen Familie Afghanistan verlassen und lebte einige Jahre in Saudi-Arabien. Mit 14 Jahren kam sie nach Deutschland, wo sie nach Abitur, Studium und Referendariat Lehrerin werden wollte. Beeindruckend sind ihr Mut und ihre Entschlossenheit, ihr Recht durchzusetzen. Nur wenige unterstützten sie in ihrem Kampf.
Das Buch bietet einen erschütternden Einblick in die Wirkungsweise des alltäglichen Rassismus. Außerdem zeigt es, wie der Staat ausgrenzt und welch fatale Rolle die bürgerlichen Medien in dem sogenannten Kopftuchstreit spielten. Sie trugen mit ihrer Berichterstattung dazu bei, die Erzählung über die angebliche Rückständigkeit und Frauenverachtung des Islams zu verbreiten.
Gerade in Zeiten des grassierenden antimuslimischen Rassismus ein spannendes, gut lesbares Buch einer mutigen Frau, die vielen anderen Frauen Mut macht, für ihre Rechte einzustehen.
CHRISTINE BUCHHOLZ
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SACHBUCH
Eleanor Burke Leacock
MYTHS OF MALE DOMINANCE. COLLECTED ARTICLES ON WOMEN CROSS-CULTURALLY
Haymarket Books
2008, zuerst veröffentlicht 1981
360 Seiten
Sprache: Englisch
Antiquarisch erhältlich
Eleanor Burke Leacock gehört bis heute zu den wenigen radikalen marxistischen Anthropologinnen, die sich produktiv auf Friedrich Engelsʼ Werk »Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats« stützten. Sie forschte langjährig unter der Ursprungsbevölkerung in Nordamerika und gewann die Erkenntnis, dass es tatsächlich Gesellschaften frei von Ausbeutung und Unterdrückung gegeben hat.
Viele linksfeministische und andere Theorieschulen wie die des Philosophen Claude Lévi-Strauss waren und sind überzeugt davon, dass es vielleicht Gesellschaften gegeben habe, in denen alle materiell gleichgestellt waren, es aber dennoch eine Hierarchie von Männern über die Frauen gab. Gegen diesen »Mythos von der männlichen Vorherrschaft« setzt Leacock ihre vielfältigen und spannenden Forschungsbefunde und unterzieht viele Theorien scharfer Kritik. Die Entstehung von Frauenunterdrückung kann nur aus veränderten materiellen/ökonomischen Bedingungen mit der Entstehung von Klassengesellschaften erklärt werden, nicht aus Biologie, Kultur oder Psychologie – weshalb Frauenunterdrückung auch erst mit dem Sturz der Klassengesellschaft beendet sein wird.
Ihr Buch »Myths of Male Dominance« (leider nur auf Englisch erschienen) stellt eine herausragende Artikelsammlung zu dem Thema dar.
ROSEMARIE NÜNNING
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SACHBUCH
Florian Fandrich u.a.
REBELS GUIDE: WER WAR CLARA ZETKIN?
edition aurora
2018
91 Seiten
4,50 Euro
Dieses Büchlein fasst auf 90 Seiten das Wirken und die Ideen von Clara Zetkin (1857-1933) zusammen. Zetkin war über vier Jahrzehnte eine der führenden Sozialistinnen in Deutschland und im internationalen Kontext. Ihr Leben, ihre Arbeit und ihre Überzeugungen werden nachgezeichnet: als Revolutionärin und Kriegsgegnerin in der SPD an der Seite ihrer Freundin Rosa Luxemburg, als führende Vertreterin der proletarischen Frauenbewegung, als Reformpädagogin für eine gute Bildung für alle und als Antifaschistin in der KPD. Für die heutige Frauenbewegung und auch für die antifaschistische Bewegung sind die Erfahrungen und Beiträge von Zetkin unbedingt lesenswert.
Clara Zetkin war Leiterin des Frauenbüros der SPD und 25 Jahre lang Redakteurin der sozialistischen Zeitschrift für Frauen »Die Gleichheit«. Sie initiierte den internationalen Frauentag im Jahr 1911 für das Frauenwahlrecht und widmete ihr Leben dem Kampf für die gleichen sozialen und politische Rechte und die Selbstbestimmung der Frau. Für Zetkin war die Klassengesellschaft die Ursache der Frauenunterdrückung und diese galt es durch den Sturz des Kapitalismus und durch eine klassenlose Gesellschaft zu überwinden. Sie schrieb: »Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.«
Als Antifaschistin lieferte Zetkin eine scharfe Analyse des italienischen Faschismus und Schlussfolgerungen für die kommunistische Internationale, darin der eindringliche Appell für eine gemeinsame »Einheitsfront« gegen den Faschismus von KPD und SPD.
LUCIA SCHNELL
Schlagwörter: Feminismus, Frauenbefreiung