Statt auf ein mögliches Linksbündnis nach der Bundestagswahl 2017 zu hoffen, sollte DIE LINKE sich mehr dafür einsetzen gesellschaftliche Gegenmacht aufzubauen. Sechs Thesen, wie DIE LINKE sich zur Bundestagswahl 2017 aufstellen sollte und warum #R2G keine Alternative ist. Vom Netzwerk marx21
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1. Krisen, Kriege, Verarmung – die Welt gerät aus den Fugen. DIE LINKE muss als Opposition gegen die herrschenden Verhältnisse und den Politikbetrieb erkennbar werden und sich neben konkreten Reformvorschlägen deutlicher mit Antikapitalismus profilieren.
Ein wichtiger Grund für die abnehmende Bindekraft der großen Volksparteien und des parlamentarischen Systems ist die Erfahrung, dass unterschiedliche Regierungskonstellationen die Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse in einer »Abstiegsgesellschaft« vorangetrieben und dafür gesorgt haben, dass die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Verstärkt wird dies durch die zunehmende Instabilität: Ökonomisch durch eine Abfolge von Krisen seit 2008 – Bankenkrise, Schuldenkrise, Eurokrise. Politisch durch die Verschärfung der Staatenkonkurrenz um Rohstoffe und Märkte, die ihren Ausdruck findet im Säbelrasseln der Nato mit Russland und im Krieg in Syrien mit der damit einhergehenden humanitären Katastrophe. DIE LINKE muss diese Missstände mit einem antikapitalistischen Profil anklagen – als Auswirkungen eines Systems, in dem die Profitinteressen der Wenigen den Bedürfnissen der Vielen entgegengesetzt sind.
Das Profil der LINKEN muss schärfer und kämpferischer werden als in den Wahlkämpfen in Sachsen-Anhalt (»Wirtschaftskenner«, »Frauenversteher«) und Mecklenburg-Vorpommern (»Aus Liebe zu M-V«, »Heimat ist dort, wo Familie ist«), wo die Partei selbst aus der Opposition heraus Wählerstimmen verlor.
Hier können wir von den Linkspolitikern Bernie Sanders aus den USA und Jeremy Corbyn aus Großbritannien lernen. Deren Kampagnen haben gezeigt, wie man mit linkspopulistisch zugespitzter antikapitalistischer Ansprache ausgreifen und mobilisieren kann.
2. Wir können nur gewinnen, wenn wir in der Debatte um Maßnahmen gegen Geflüchtete und Muslimas und Muslime klar Position beziehen. Tun wir es nicht, wird die Bundesregierung das Thema weiter nutzen, um von den wirklichen Problemen abzulenken und die Bevölkerung zu spalten. Das müssen wir ansprechen, auch wenn wir uns damit nicht nur Freunde machen.
In der Flüchtlingspolitik ist die Zeit des »freundlichen Gesichts« (Merkel) offenbar vorbei. Nun prägen Law and Order und Ressentiments gegen Geflüchtete und Muslime das Auftreten der Regierung und geben den rechten Hetzern der AfD Aufwind. In diesen Fragen ist DIE LINKE noch nicht auf klarem Kurs.
Besonders problematisch war das Eintreten von Sahra Wagenknecht für Obergrenzen und gegen offene Grenzen. Auch wenn sie damit das Ziel verfolgte, an die Unzufriedenheit mit Merkels Flüchtlingspolitik anzuknüpfen und sich Gehör für linke Positionen in der sozialen Frage zu verschaffen, ist diese Position gefährlich, weil sie der AfD in Teilen vermeintlich Recht gibt.
Nicht Geflüchtete oder offene Grenzen sind das Problem, sondern dass Milliarden für Bankenrettungen ausgegeben wurden und der Reichtum ungleich verteilt ist. Geflüchtete zu Sündenböcken zu machen – wie es AfD, Pegida und Konservative tun –, ist ein Ablenkungsmanöver. Rassismus als »Geheimnis der Machterhaltung der Kapitalistenklasse« (Karl Marx) ist kein Nebenthema, sondern muss von der LINKEN als eine Ideologie der Spaltung angegriffen werden.
Diese Ideologie der Spaltung richtet sich insbesondere gegen Muslime. Die islamfeindliche Hetze ist nach wie vor der wichtigste Antrieb für den Aufstieg der AfD. DIE LINKE muss dem entgegenhalten: Ja zur Religionsfreiheit – ohne Wenn und Aber: Keine Diskriminierung des islamischen Glaubens. Selbst wenn alle Muslime in Deutschland heute zum Christentum konvertieren würden, gäbe es morgen noch niedrige Löhne, Armutsrenten, schlechte Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit und Hartz IV.
Der Kampf gegen Rassismus und der Kampf um soziale Gerechtigkeit gehören zusammen. Rassistische Vorstellungen behindern den gemeinsamen Kampf gegen prekäre Verhältnisse. Derzeit sehen wir aber, wie Rassismus aufgrund des niedrigen Niveaus der Klassenkämpfe bis in die organisierte Arbeiterschaft ausgreifen kann – in Mecklenburg-Vorpommern haben 21 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder AfD gewählt. Antirassistische Aufklärungskampagnen, wie die des Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus, sind auch für die weitere Entwicklung der betrieblichen und sozialen Kämpfe entscheidend.
3. DIE LINKE steht für eine radikale Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und ein Ende der imperialistischen Außenpolitik statt für einen stärkeren Staat und mehr Polizei.
Nach den jüngsten terroristischen Anschlägen in Europa ist der Ruf nach schärferen Sicherheitsgesetzen lauter geworden. Polizei und Geheimdienste sollen größere Befugnisse und mehr Mittel erhalten. Dabei sind die Geheimdienste unbeliebter denn je. Laut einer Umfrage haben zwei Drittel der Bevölkerung kaum oder gar kein Vertrauen in den Bundesnachrichtendienst. Die Linkspartei darf sich hier auf keinen Fall kompromissbereit zeigen. Stattdessen muss sie die Ursachen von Terrorismus benennen – ohne Rücksichtnahme auf rot-rot-grüne Regierungsoptionen: Interventionskriege, Waffenlieferungen und die Besatzung im Nahen Osten durch den Westen bieten immer neuen Nährboden für Terrorismus.
Zudem ist die Forderung nach mehr Polizei, der sich auch einige LINKEN-Politiker angeschlossen haben, die falsche Antwort: Mehr Polizei schützt nicht vor Anschlägen. Nach den Terroranschlägen in Brüssel schickte Frankreich weitere 1600 Polizistinnen und Polizisten auf die Straße. Den Anschlag von Nizza hat dies nicht verhindert. Aber als dann hunderttausende Französinnen und Franzosen gegen die neoliberalen Arbeitsmarktreformen auf die Straße gingen, war die Polizei zur Stelle und ging mit brutaler Härte gegen die Protestierenden vor.
4. DIE LINKE muss eine offene Strategiedebatte darüber führen, wie sie auf den Aufstieg der AfD reagiert.
Immer wieder wird die Idee eines Lagerwahlkampfs mit SPD und Grünen ins Feld geführt, welcher der rechten Hetze ein positives Projekt entgegenstellen soll. Dafür haben sich zuletzt Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Klaus Lederer stark gemacht. Gysi vertritt die These, dass die »Sozialdemokratisierung der CDU« unter Merkel für den Erfolg der AfD verantwortlich sei. Es sei deshalb Aufgabe der LINKEN, die Union durch ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis in die Opposition zu drängen, wo sie dann die AfD als zweite rechte Kraft überflüssig machen würde. Das ist doppelt falsch: Erstens bedeuten Asylrechtsverschärfung, Überwachungsmaßnahmen und Integrationsgesetze keinen Linkskurs der Union. Zweitens wird eine Regierungsbeteiligung der LINKEN nur zum Preis der Anpassung an den neoliberalen Kurs von SPD und Grünen zu haben sein. Wenn sie aber zentrale linke Positionen aufgibt, wird sie nur als weitere »Systempartei« angesehen werden. Und dies spielt der AfD in die Hände.
Vertreterinnen und Vertretern des linken Flügels halten dem Reformerflügel zu Recht entgegen, dass SPD und Grüne als Verantwortliche für Hartz IV und die Agenda 2010 den Nährboden für Rassismus und den Aufstieg der AfD selbst geschaffen haben. Diese Kritik ist richtig. Aber es greift zu kurz, den Aufstieg der AfD lediglich als Konsequenz einer neoliberalen Politik der etablierten Parteien zu erklären. Der Erfolg der AfD beruht darauf, dass sie die diffuse Unzufriedenheit auf Geflüchtete und Muslime lenkt. Darauf muss DIE LINKE mit einem klar antirassistischen Profil reagieren. Sie darf diesem Problem nicht ausweichen, indem sie lediglich soziale Forderungen in den Raum stellt.
Die AfD wird nur durch breite antirassistische und antifaschistische Initiativen und eine konfrontative Strategie zu stoppen sein, die den stärker werdenden Naziflügel in der Partei demaskiert und die AfD so in innere Widersprüche treibt. Die Demonstration vom Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« am 3. September mit 6000 Teilnehmern war ein Anfang.
5. DIE LINKE braucht ein eigenständiges Profil statt eines Lagerwahlkampfs. Für r2g fehlen die Grundlagen: Mit der SPD ist kein Politikwechsel absehbar.
Führende Vertreter der SPD fordern von der LINKEN immer wieder ein Bekenntnis zur Nato, zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr und zum Kürzungszwang, den die Europäische Union auf Krisenländer wie Griechenland ausübt.
Der Philosoph Michael Brie hat vor diesem Hintergrund jüngst in einem Beitrag zur Strategie der LINKEN im »Neuen Deutschland« darauf hingewiesen, dass auf Bundesebene derzeit weder SPD noch Grüne für einen grundlegenden Politikwechsel zu haben sind. Unter diesen Umständen würde DIE LINKE mit einer Regierungsbeteiligung »die Rechten weiter stärken und zugleich ihren eigenständigen politischen Gebrauchswert verlieren.«
Wie aber soll DIE LINKE damit umgehen, dass sich die Mehrheit ihrer Wählerinnen und Wähler und auch viele Anhänger der Grünen und der SPD eine rot-rot-grüne Regierung wünschen? Sie muss Mindestbedingungen für einen grundlegenden Politikwechsel gegenüber ihren potenziellen Koalitionspartnern formulieren. Die Orientierungspunkte stehen im Grundsatzprogramm von 2011: »An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des Öffentlichen Diensts verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.«
Dazu müssen aktuelle Forderungen kommen, wie beispielsweise die Reichensteuer, die Rücknahme von TTIP und CETA, der Kampf gegen Altersarmut, eine Ende der Erpressung der von der Krise besonders betroffenen EU-Länder und die Beendigung der Massensterbens im Mittelmeer durch die Öffnung der Fluchtrouten. Solche Mindestbedingungen sind unabdingbar, weil eine Beteiligung der LINKEN ohne Politikwechsel die Glaubwürdigkeit der Partei zunichtemacht.
Die Verantwortung für die enttäuschten Hoffnungen der Wählerinnen und Wähler trägt hingegen die SPD, wenn sie (wie absehbar) die Mindestbedingungen ablehnt und so eine andere Politik verhindert. Knackpunkt ist die Ablehnung der Militarisierung der Außenpolitik: Die Pläne des Bundesverteidigungsministeriums, die Bundeswehr milliardenschwer aufzurüsten, die Debatte über zukünftige Bundeswehreinsätze innerhalb Deutschlands oder die Auslandseinsätze, an denen die Bundeswehr sich heute schon beteiligt – und nicht zu vergessen die Waffenlieferungen. DIE LINKE steht als einzige Partei für eine Abkehr von dieser Politik.
6. Der Kampf um wirkliche Veränderung findet vor allem außerhalb der Parlamente statt. Statt auf eine Regierungsbeteiligung zu hoffen, sollte DIE LINKE sich mehr dafür einsetzen gesellschaftliche Gegenmacht aufzubauen.
Die Bundesregierung steht nicht nur von rechts unter Druck. Mitte September gingen erneut 320.000 Menschen in sieben Großstädten gegen CETA und TTIP auf die Straße. Kanzlerin Angela Merkel wollte ebenso wie der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel vermeiden, dass die Verhandlungen bei den Bundestagswahlen zum Thema werden. Doch das Thema »rauszuhalten« wird schwierig: Ist das weitere Verfahren bei TTIP noch ungewiss, so müssen die Koalitionsparteien bei CETA Farbe bekennen. Schon jetzt laufen Volksbegehren, um das Freihandelsabkommen mit Kanada im Bundesrat zu stoppen. Die Diskussion bietet für DIE LINKE im Wahlkampf eine gute Gelegenheit, die konkreten Alltagssorgen der Menschen aufzugreifen und die Zusammenhänge imperialer Staatenkonkurrenz aufzuzeigen.
Entscheidend wird auch sein, dass DIE LINKE sich stärker mit den gewerkschaftlichen Kämpfen verbindet. Eine der Auseinandersetzungen, die bundesweit anstehen, sind die Kämpfe an den Krankenhäusern. Ver.di wird im Jahr 2017 Druck für eine bessere Personalausstattung in der Pflege machen. Diese Auseinandersetzung ist hochpolitisch: Es geht um die Krankenhausfinanzierung, um die Aufwertung von Pflegeberufen und um eine Gesundheitsversorgung, die weniger vom Geldbeutel abhängt. DIE LINKE kann diesen Konflikt zusammen mit ver.di und den Beschäftigten in die Öffentlichkeit tragen. Damit macht sie die Auseinandersetzung zu einem Wahlkampfthema und unterstützt zugleich die Beschäftigten. Die Kampagne der Partei »Das muss drin sein« bietet die Möglichkeit, schon jetzt aktiv zu werden.
Genauso, wie die »Das muss drin sein«-Kampagne das soziale Profil der LINKEN schärft und mit echten Auseinandersetzungen verbindet, sollten die Aktivitäten im Rahmen von »Aufstehen gegen Rassismus« das zentrale Moment für unseren Kampf gegen die Demagogen und Brandstifter der AfD sein.
Es gilt, beide Elemente in einem bewegungsorientierten Wahlkampf zu bündeln und damit die Menschen zu ermutigen, selbst aktiv zu werden. So kann ein anderes »Lager« sich formieren: in einem Lagerwahlkampf »unten gegen oben«, der aus mehr besteht als alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen, nämlich selbst für eine bessere Welt zu kämpfen.
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