Nia DaCosta und Jordan Peele ist ein filmisches Meisterwerk gelungen: »Candyman« baut auf dem gleichnamigen Horror-Klassiker von 1992 auf, um einen kompromisslosen Angriff auf den rassistischen Kapitalismus zu starten. Von Sascha Alexander
Im Mittelpunkt des Films stehen Anthony McCoys und seine Partnerin Brianna Cartwright. Beide sind Schwarz und fühlen sich in der Chicagoer Kunstszene zu Hause. Zufällig auf die Spur gebracht, versucht Anthony, mehr über den mysteriösen Candyman zu erfahren. Der Besitzer eines Waschsalons kann weiterhelfen: Im Sozialwohnungskomplex Cabrini-Green prügelten Polizisten den psychisch kranken Sherman Fields – ebenfalls Schwarz – tot, nachdem sie vermuteten, dass er Kindern mit Rasierklingen versetzte Süßigkeiten angeboten hatte. Dies stellte sich später als falsch heraus. Seitdem, so der Mythos, erscheint Sherman in der Gestalt des Candyman, sobald eine Person fünfmal seinen Namen im Spiegel ruft, und tötet sie.
Das Politische geht in der Gewalt nie unter
Im Vergleich zu seinen früheren Filmen setzt Peele, dessen Handschrift deutlicher erkennbar ist als jene von DaCosta, in »Candyman« nicht nur auf psychischen Horror, sondern auch auf Szenen, die an Slasher-Filme der 1970er und 1980er Jahre erinnern. Allerdings steht das für das Subgenre typische Vergnügen am Blutrausch nie im Vordergrund, oft bleibt es für das Publikum nur erahnbar. Dadurch ist der Film zwar brutal, aber die politische Botschaft geht nicht unter. DaCosta und Peele machen Candyman nämlich zu einer unheimlichen Erscheinung, die sich an weißen Polizist:innen und Gentrifizierer:innen rächt – als Vorbild liegt das viel zitierte Gespenst aus dem Kommunistischen Manifest nahe.
Nichts verdeutlicht den Punkt so sehr wie das brillant umgesetzte Ende (Spoilerwarnung). Der Besitzer des Waschsalons, William Burke, versucht, aus Anthony einen neuen Candyman zu machen, der jene heimsuchen soll, die die Schwarze Community von Cabrini-Green verdrängten: »Sie haben unsere Häuser abgerissen, um selbst einziehen zu können. Wir brauchen Candyman.« Brianna durchkreuzt den Plan, indem sie Burke tötet. Polizisten, die für das Publikum nur als Schatten und in Spiegeln wahrnehmbar sind, wodurch sie wie die eigentlichen Horrorwesen wirken, stürmen herein – und halten Anthony, der geschwächt in den Armen von Brianna liegt, für den eigentlichen Täter. Sie erschießen ihn. Brianna wird in ein Auto gebracht und von einem Polizisten verhört. Im Auto drängt er sie, sich auf einen Tathergang einzulassen, wonach von Anthony Gefahr ausgegangen sei und er damit die Schüsse provoziert habe. Ihre Lösung? Sie schaut in einen Spiegel und beschwört Candyman. Er erscheint in Gestalt von Anthony und verübt ein Massaker an den Polizisten.
Candyman als Anti-White Supremacist?
Angesichts des brutalen Vorgehens der Polizei lässt sich Brianna also auf die Rachestrategie von William Burke ein. Das passt zu Peeles Vorgängern »Get Out« (2017) oder »Us« (2019). Was sich mit »Candyman« ändert, ist, dass die Schwarze Community trotz des offensichtlichen Gegensatzes zwischen Arm und Reich vereinheitlichter wirkt: Anders als William leben Anthony und Brianna in einem Luxusapartment, werden aber ebenfalls zu Opfern der Staatsgewalt. Das Vorgehen von Candyman bräuchte sicherlich mehr Beschreibung – diverse Szenen legen aber nahe, dass er schlicht weiße bekämpft. Peeles Vorgänger sind an dieser Stelle präziser und betonen, wie Rassismus und Klassengegensätze interagieren. Erteilen DaCosta und Peele dem verbindenden Klassenkampf à la Fred Hampton also eine Absage? Vertreibt Candyman das Gespenst des Kommunismus?
Der Film:
Candyman
Regie: Nia DaCosta
Drehbuch: Jordan Peele, Win Rosenfeld
1 Std. 31 Min. / Horror
auf DVD erhältlich
Schlagwörter: Filmrezension, Horrorfilm