CD: »Message Soul. Politics & Soul in Black America 1998-2008«, Trikont 2009
Von Jan Maas
Das Foto zeigt eine farbige Frau und ein Auto. Welche Musik? Richtig: Rhythm and Blues, kurz R’n’B – der erfolgreiche Versuch der US-Musikindustrie, vermeintlich schwarze Musik an das vorwiegend weiße Massenpublikum zu verkaufen. Aber diese Frau steuert das Auto. Und sie ist angezogen. Kann das R’n’B sein?
Die Münchener Plattenfirma Trikont hat ihrer Reihe interessanter Sampler ein neues Schmuckstück hinzugefügt: »Message Soul. Politics & Soul in Black America 1998-2008«. Die Zusammenstellung glänzt mit stilistischer Vielfalt und musikalischer Qualität. Sie bietet einen hervorragenden Einblick in zeitgenössische afroamerikanische Musik jenseits von Goldschmuck, operierten Brüsten und Luxusautos.
Erykah Badu, die eingangs erwähnte Frau am Steuer, lässt in ihrem vom Hip Hop beeinflussten Stück »Twinkle« Pistolenschüsse knallen. Dazu erzählt sie, wie Gewalt durch Verschleppung, Sklaverei und Rassentrennung die afroamerikanische Geschichte von Anfang an geprägt hat.
In »I am not my hair« begehrt India Arie im Duett mit R’n’B-Star Akon gegen Frauen erniedrigende Leitbilder in Musikindustrie und Gesellschaft auf. Jill Scott beschreibt in »Rasool« in realistischer Weise die Geschichte eines jugendlichen Dealers, ohne in Verherrlichung oder Anklage abzugleiten.
Solche Stücke fanden sich in den sechziger und siebziger Jahren oft neben partytauglichen Titeln auf den Alben von Soulmusikern wie Marvin Gaye und Curtis Mayfield, die dem wachsenden schwarzen Selbstbewusstsein Ausdruck verliehen. Doch große Plattenfirmen erkannten in der neuen Musik schnell eine neue Geldquelle. Sie förderten schwarze Musiker, die sie an Weiße verkaufen konnten, sprich: die nicht über Rassismus sangen oder schwarzes Selbstbewusstsein feierten. Da der Genrebegriff »Soul« aber genau diese Inhalte verkörperte, verwendeten sie lieber ein anderes Etikett: »Rhythm and Blues«.
Mit dem Niedergang der Bewegung ab Ende der siebziger Jahre verlor die Soulmusik an Resonanz. In den USA der achtziger Jahre lautete das Motto: »Greed is good« (Gier ist gut). Aus der Demonstration schwarzen Selbstbewusstseins wurde durch die Zurschaustellung grenzenlosen Reichtums im R’n’B immer öfter die symbolische Umarmung des Kapitalismus.
Manche schwarze Musikproduzenten verdienten damit viel Geld und möchten ungern daran erinnert werden, dass die Mehrheit der Afroamerikaner heute keinesfalls besser lebt als damals. Die legendäre Plattenfirma Motown beispielsweise kaufte 2002 die Rechte am gefeierten Debütalbum des Sängers Donnie, um es fünf Jahre lang in der Schublade liegen zu lassen.
Dabei besingt er in seinem Stück »Classifieds« nichts anderes als Motown-Star Marvin Gaye 1971 in »Inner City Blues«: die zermürbende Perspektivlosigkeit vieler junger Schwarzer. Parallel zur Wiedergeburt des radikalen Amerika seit der erfolgreichen Blockade des WTO-Gipfels in Seattle 1999 hauchen junge afroamerikanische Soulmusiker dem scheintoten R’n’B neues Leben ein. Hinhören!