1970 gewann der Marxist Salvador Allende die Präsidentschaftswahl in Chile. Was mit großen Hoffnungen verbunden war, endete drei Jahre später in einem Blutbad. Von Mike Gonzalez
Am 11. September 1973, um 8.45 Uhr, bombardierten Flugzeuge der Luftwaffe den Präsidentenpalast Moneda in Santiago de Chile. Der gewählte Präsident Salvador Allende sandte seine letzte Radiobotschaft aus einem Raum der Residenz. Kurze Zeit später starb er in den Trümmern des Gebäudes.
Militärputsche wie dieser waren in Lateinamerika nichts Ungewöhnliches. Sie lösten im Ausland in der Regel nur wenige Proteste aus. Der Putsch in Chile jedoch führte zu Demonstrationen auf der ganzen Welt. Er wurde zu einem zentralen Thema der politischen Debatte. Chile unter Allende hatte Anfang der 1970er Jahre vielen Linken als Zeichen der Hoffnung auf einen friedlichen Weg zum Sozialismus gegolten. Der Putsch begrub diese Hoffnung unter den Trümmern der Moneda.
Umschwung nach 1968
Die Präsidentschaftswahl von 1970 spiegelte den Umschwung wider, der nach 1968 überall in der Luft lag. Die Großgrundbesitzer fühlten sich ebenso wie das Finanz- und Industriekapital immer stärker bedroht. In ganz Lateinamerika versprachen Regierungen Reformen und Modernisierung, um einer Wiederholung der kubanischen Revolution von 1959 vorzubeugen.
In Chile, wie überall sonst, leisteten die mächtigen Großgrundbesitzer an jeder Front Widerstand gegen die Landreformen. Des Wartens müde, begannen Familien von Bauern und landlosen Arbeiterinnen, ungenutztes Land zu besetzen.
Landflucht und Streiks
Zudem trieb das Wirtschaftswachstum in den 1960er Jahren viele Menschen in die Städte. Sie suchten vor allem in der Hauptstadt Santiago Arbeit. Es gab keine Unterkünfte für sie. Sie nahmen Brachflächen in Beschlag, um behelfsmäßige Wohnungen zu errichten. Ganze Slumviertel, die Poblaciónes, entstanden auf diese Weise. Ein Marsch von Studierenden aus dem ganzen Land auf die Hauptstadt 1969 war ein deutlicher Ausdruck der sich verändernden Atmosphäre.
In diesem Rahmen wuchs auch die Aktivität in der Arbeiterklasse. Vor dem Hintergrund einer ökonomischen Krise und aus Enttäuschung über die christdemokratische Regierung stieg die Anzahl der Streiks zwischen 1969 und 1970 stark an. Chile hatte bereits eine lange Gewerkschaftstradition und eine Geschichte sozialistischer Organisationen.
Sozialismus in Chile
In dieser Lage fand die Präsidentschaftswahl 1970 statt. Salvador Allende trat als Kandidat einer Koalition namens Unidad Popular (UP, Volkseinheit) an. Die UP bestand aus Sozialistischer Partei, Kommunistischer Partei und anderen kleinen Parteien. Allende kandidierte bereits zum vierten Mal.
Robert Moss, ein späterer Ghostwriter der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, nannte Allendes Sieg »ein kleines Erdbeben«. Tatsächlich hatte er nur 36 Prozent der Stimmen gewonnen. Bedeutsamer war, dass Allende sich offen als Marxist bekannt hatte. Er bezeichnete sich als Verfechter des »chilenischen Weges zum Sozialismus«.
Dieser Weg folgte der Überzeugung, dass der Staat über der Gesellschaft stehe. Seine Institutionen – die Richter, die Armee, die Gerichte, das Parlament – ständen nicht unter Kontrolle der herrschenden Klasse. Allende glaubte fest daran, dass die anderen Parteien und Klassen die Wahlergebnisse respektieren würden. Sein Verständnis von Sozialismus war die Reform der Gesellschaft von oben, durch die Institutionen des kapitalistischen Staates und mit der Zustimmung aller Klassen.
Der Weg über das Parlament
Allende sagte in seiner ersten Rede vor dem Parlament nach seinem Amtsantritt 1971: »Chile sieht sich selbst der Notwendigkeit gegenüber, einen neuen Weg zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu initiieren – unseren eigenen revolutionären Weg, einen pluralistischen Weg… Chile ist heute die erste Nation auf Erden, die dazu berufen ist, dieses zweite Modell der Umwandlung zu einer sozialistischen Gesellschaft zu schaffen…
Skeptiker und Katastrophenbeschwörer werden sagen, dass ein Parlament, das der herrschenden Klasse so gut gedient hat, nicht imstande ist, sich selbst in ein Parlament des chilenischen Volkes zu verwandeln. Sie haben auch gesagt, dass die Streitkräfte und die nationale Polizei … nicht den Volkswillen in seiner Entscheidung unterstützen werden, den Sozialismus in unserem Land aufzubauen. Diese Menschen übersehen das patriotische Bewusstsein der Streitkräfte und der nationalen Polizei, ihre Professionalität und ihren Gehorsam gegenüber der zivilen Herrschaft.«
Dieses Konzept der Reform erklärt die Bedeutung, die der »chilenische Weg« damals hatte. Weltweit traten kommunistische und sozialistische Parteien für breite Wahlbündnisse und einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus ein. Sie behaupteten, die soziale Umwandlung könne ohne Konflikt zustande gebracht werden. Für sie war Chile der Beweis, dass ein Marxist über die Wahlurne an die Macht kommen könne.
Verstaatlichung und Landreform
»Macht« bedeutete für Allende und seine UP-Verbündeten, Schlüsselpositionen in einer Staatsmaschinerie einzunehmen, die sie als neutral definierten. Allendes erste Amtshandlung war es, die Kupferindustrie zu verstaatlichen. Diese brachte den Großteil der chilenischen Exporteinnahmen ein. Allendes ökonomisches Programm basierte auf einer landesweiten Lohnerhöhung. Sie sollte den Konsum anregen und so die ganze Wirtschaft in Bewegung bringen.
Eine Anzahl von Firmen, einschließlich Fabriken und Banken in ausländischem Besitz, wurde verstaatlicht, wenn auch bei weitem nicht in dem Ausmaß, das ursprünglich angekündigt worden war. Allende versprach, das lahmgelegte Landreform-Programm endlich durchzuführen. Zugleich billigte er den Landbesitzern großzügige Entschädigungen zu. Er bestand darauf, dass alles über die Gerichte laufen solle.
Initiativen von unten
Wenn wilde Landbesetzungen stattfanden, verurteilte Allende sie. Von unten kamen indessen immer mehr Initiativen, die auf eine ganz andere Interpretation der »Macht« schließen ließen. Wenn die Grundbesitzer versuchten, Arbeiter zu zwingen, das Land zu verlassen, stießen sie auf den Widerstand der Massen. Wenn Ladenbesitzer die Preise heraufsetzten oder schlossen, um die gehorteten Waren auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, öffneten örtliche Verteilungskomitees die Geschäfte wieder. Sie teilten die Waren den Bedürfnissen entsprechend zu.
Als einige Fabrikbesitzer versuchten, die Produktion zu verlangsamen oder Maschinerie insgeheim fortzuschaffen, hielten Arbeiterorganisationen sie auf. 1971 erreichte die Anzahl der Streiks ihren Höhepunkt. Belegschaften ergriffen die Initiative über Löhne und Arbeitsbedingungen. In einigen Fabriken nahmen sie sogar die Kontrolle der Produktion in die eigene Hand.
Aufruf zur Zurückhaltung
Mitte 1971 zeigten die Kommunalwahlen eine wachsende Unterstützung für das Projekt der UP. Doch Allende rief dazu auf, angesichts wachsender Attacken der herrschenden Klasse Zurückhaltung zu üben. Im November 1971 gingen Frauen der Ober- und Mittelschicht (und ihre Bediensteten) auf die Straße. Sie schwenkten leere Kochtöpfe, um die Lebensmittel-Engpässe anzuprangern.
Tatsächlich aber hatten die leeren Regale, über die sie sich beschwerten, ihre Ursache in der Hamsterei und dem Schwarzhandel ihrer eigenen Klasse. Der Protest zeigte, dass die herrschende Klasse ihr Selbstvertrauen langsam zurückgewann. Allendes Antwort bestand darin, gegenüber der schwankenden, ängstlichen Mittelklasse zu beteuern, dass ihre Interessen gesichert seien.
Angriffe auf die Linke
Der von Christdemokraten beherrschte Kongress enthob Innenminister José Toha im Januar 1972 seines Amtes. Im selben Monat attackierte die Sozialistische Partei öffentlich die Linke für ihre angebliche Ungeduld. Vier Monate später ließ der kommunistische Bürgermeisters von Concepción Schüsse auf eine Demonstration abfeuern.
Im Juni wurde der Wirtschaftsminister, der für die Ausweitung der Verstaatlichung stand, entlassen. Die Strategie der UP, die auf zwei Kongressen in diesem Jahr angenommen wurde, unterstützte eher die »Consolidación« (Festigung) als das Fortschreiten. Währenddessen nahmen die Angriffe auf die Linke, insbesondere die »Bewegung der revolutionären Linken« (MIR) stark zu.
Vorbereitungen zum Sturz
Es lag nun an der Arbeiterklasse, das Versprechen auf Veränderung zu erfüllen, von dem sie dachte, die UP stände dafür. Die Grenzen des »chilenischen Wegs zum Sozialismus« wurden – wie bei allen anderen parlamentarischen Strategien auch – von der herrschenden Klasse gezogen.
Diesen Preis zahlte Allende bereitwillig, obwohl öffentlich bekannt war, dass die Rechte den Sturz der Regierung vorbereitete. Auf eine Terrorwelle Ende 1970 war ein Jahr relativer Ruhe gefolgt. Doch 1972 war es damit endgültig vorbei. Trotzdem sah Allende in der Massenmobilisierung von unten eine Bedrohung für seine Regierung – und nicht ihre einzige Stütze.
Arbeiterdemokratie in Chile
In Concepción brachte unterdessen eine Volksversammlung im Juli Delegierte von linken Parteien und Massenorganisationen zusammen, um eine unabhängigere Strategie zu diskutieren. Noch wichtiger war, dass die Schaffung des ersten Cordón (Rat) zeigte, was Arbeiterdemokratie wirklich bedeutet. Der Cordón brachte Fabrikarbeiter, Landarbeiterinnen, lokale Organisationen der Poblaciónes und Verteilungskommitees zusammen. Er sollte die direkte Kontrolle über lokale Angelegenheiten, über Verteilung und in einigen Fällen über die Produktion selbst ausüben.
Wie die Sowjets, die 1917 die Grundlage der Arbeitermacht in Russland waren, wurden die Cordónes von unten aufgebaut – ungeachtet der Feindseligkeit der Regierung. Im August griff die Polizei mit Billigung der Regierung eine Población in Santiago an. Ihre Angst, die Unterstützung der Mittelklassen zu verlieren, wurde wieder und wieder in der Serie von darauf folgenden Konfrontationen deutlich. Der Kampf erreichte deutlich eine neue Phase.
Sabotage durch Unternehmer
Der Oktober zeigte das am deutlichsten. In diesem Monat traten die Eigentümer der Verkehrsgesellschaften und Speditionen in einen Unternehmerstreik. Chile war und ist zum Transport und zur Versorgung von Lkws und Bussen abhängig. Die Streikführer gehörten zu der vom Faschismus beeinflussten Organisation Patria y Libertad (Vaterland und Freiheit), die in den unteren Mittelklassen verwurzelt war. Doch das Gros des chilenischen Transportwesens war einfach im Besitz von Geschäftsleuten mit anderen Interessen.
Der Streik war eine Kriegserklärung der herrschenden Klasse, und die Arbeiterklasse antwortete sofort. Die Lkws wurden wieder zurück auf die Straße geschafft. Geschäfte, die geschlossen worden waren, wurden gewaltsam wieder geöffnet und die Waren demokratisch verteilt. Fabrikbesitzer, die versuchten, die Produktion zu stoppen, wurden aus den Werken geworfen und die Arbeit ging weiter. Zeitungen und Radiosender, die von ihren Besitzern geschlossen worden waren, wurden unter der Kontrolle der Belegschaften wieder eröffnet. Dieser Kampf wurde von der Arbeiterklasse gewonnen, da sie unabhängig handelte.
Zwei Mächte
Zwischen der mobilisierten Kraft der herrschenden Klasse auf der einen Seite und der Antwort der Arbeiterklasse auf der anderen war die Regierung wie gelähmt. Nun war es Allendes Hauptsorge, die Kontrolle zurückzugewinnen. Und es war der bürgerliche Staat, den er – gegen die Arbeiterklasse – zu seiner Unterstützung mobilisierte. Er wandte sich an die Armee, um wieder Ordnung zu schaffen, indem er sich Generäle ins Kabinett holte.
Zwischen Oktober 1972 und Juli 1973 standen sich in Chile zwei Mächte gegenüber. Auf der einen Seite begab sich die UP-Regierung, von der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei beherrscht, immer weiter in Abhängigkeit von ihren Verbündeten in der herrschenden Klasse, insbesondere vom Militär. Auf der anderen Seite suchten neue Organisationen, die durch den Kampf selbst geradezu aus dem Boden schossen, nach einer neuen Strategie, die einer klaren, sozialistischen Linie folgen sollte. Hier lag die Verantwortung der Revolutionäre –, aber das hätte einen entschiedenen Bruch mit den Reformisten und ihrem legalistischen Weg bedeutet.
Keine Bereitschaft zum Bruch
In diesem Schlüsselmoment war die politische Aufgabe klar. Die Rechte hatte Blut geleckt, und die Regierung ersetzte ihren Wankelmut immer mehr durch Angriffe auf die Massenbewegung. Im Verlauf des Oktobers war eine Anzahl von Fabriken besetzt worden, um die Bemühungen ihrer Eigentümer, die Produktion stillzulegen, aufzuhalten. Die Regierung forderte die Arbeiter auf, sie zurückzugeben. Es gab erheblichen Widerstand.
Von den Parteien der UP erhob nur die christliche linke Partei MAPU (Movimiento de Acción Popular Unitaria) Einspruch gegen die Anwesenheit des Militärs im Kabinett, und im Februar 1973 schlug der kommunistische Wirtschaftsminister die Reduzierung der verstaatlichten Sektoren der Wirtschaft und die Rückgabe aller besetzten Werke vor.
Streit in der Linken
Trotzdem zögerten die Parteien der Linken, debattierten und zankten sich untereinander. Es wurde ein koordinierendes Komitee für die Cordónes gebildet, welches hauptsächlich von Mitgliedern der Sozialistischen Partei geleitet wurde; das war zumindest der Keim für eine nationale Herrschaft. Aber die anderen Organisationen der Linken, so z. B. die MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria), bauten in sektiererischer Konkurrenz parallele Organisationen auf.
Die Führer des Koordinationskomitees der Cordónes blieben in der Sozialistischen Partei und erklärten, sie seien dabei, diese von unten zu verändern. Und tatsächlich unterstützte die MIR bei der Parlamentswahl im März sozialistische Kandidaten, die noch in der UP waren. Die UP gewann die Wahl und vergrößerte ihren Stimmanteil unter den Arbeitern – und benutzte das neue Vertrauen in sie, um im April den nächsten Angriff auf die Linke zu unternehmen.
Neue Formen der Organisation
Überall traten neue Formen der Organisation und der Herrschaft in Erscheinung. Eine spontane Volksversammlung trat tagelang in Villa Constitución zusammen; viele neue Cordónes wurden gegründet. All das geschah im Zusammenhang mit einer sich vertiefenden Wirtschaftskrise. Embargos gegen chilenische Exporte, das Ausbleiben ausländischer Investitionen und die Flucht des einheimischen Kapitals verschärften diese noch.
Patricio Aylwin, der neue Führer der Christdemokraten und spätere Präsident Chiles, trat öffentlich für eine »Politik der verbrannten Erde« ein, für die Unterminierung der Regierung mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln. Die Schlägerkommandos der Rechten waren auf der Straße aktiv. Am 29. Juni wurde ein Putschversuch einer Militäreinheit schnell niedergeschlagen –, aber er war ganz klar eine Probe für weitere militärische Aktionen.
Allende gegen Streikende
Immer noch sah die Regierung jedoch die Arbeiterklasse als Hauptbedrohung ihrer Existenz an. Die Kupferbergleute in El Teniente, die stärksten und kämpferischsten Gewerkschafter im Land, wurden von Allende angegriffen. Er verlangte von ihnen, einen geringeren Tariflohn zu akzeptieren, als in ihren Verträgen festgesetzt war. Sie lehnten das ab und traten in den Streik –, woraufhin sie von allen Organisationen der Linken als reaktionär verurteilt wurden.
Die Rechte nutzte die Gelegenheit, sich mit den Streikenden solidarisch zu erklären. Dabei hatten diese Bergleute nur ihren Lebensstandard und ihre Rechte gegen eine Regierung verteidigt, die sie nicht länger vertrat. Unter solchen Umständen hätten sie die aufrichtige Unterstützung der Linken verdient. Stattdessen wurden sie mit Straßensperren des Militärs konfrontiert, als sie nach Santiago marschierten, während die Linke stillhielt.
Militärs im Kabinett
Das Ende kam nicht überraschend. Im Juli riefen die Spediteure, die Unternehmer und andere einen »unbegrenzten Streik aus, um die Regierung zu stürzen«. Wieder antwortete die Arbeiterklasse – und wieder prangerte ihr Führung sie für die Schaffung »paralleler« Organisationen an. Die MIR rief im Juli zum bewaffneten Aufstand auf. Ein oder zwei Wochen darauf warnte sie dann davor, unabhängig von den »traditionellen« Organisationen zu handeln.
Anfang August berief Allende weitere Militärs ins Kabinett, während Sozialisten und Gewerkschafter bereits überall im Land verhaftet wurden. Als Sozialisten in der Marine und in der Luftwaffe öffentlich davor warnten, dass Vorbereitungen für einen Putsch im Gange sind, bedankte sich Allende bei ihnen für ihren Patriotismus und übergab sie den Militärgerichten. Einige in der Linken wandten sich an die Masse der einfachen Soldaten in der Armee. Die Armee spaltet sich jedoch nur, wenn eine starke und unabhängige Arbeiterorganisation existiert, die darauf vorbereitet ist, die Macht zu übernehmen und den Staat zu zerschlagen. Eine solche war aber nicht aufgebaut worden.
Atmosphäre der Niederlage
Als das Militär dann am 11. September zuschlug, war niemand überrascht. Ein oder zwei Tage zuvor hatte die Kommunistische Partei noch ein Plakat veröffentlicht: »Nein zur Gewalt von links und rechts«.
Als die Armee die Macht übernahm, wurde den Mitgliedern gesagt, sie sollten nach Hause gehen und »weitere Instruktionen abwarten«. Es kamen aber keine weiteren Instruktionen. Bereits die letzte Demonstration vor dem Putsch aus Anlass von Allendes Wahlsieg drei Jahre zuvor war durch eine Atmosphäre der Niederlage geprägt. Der Kampf war schon verloren.
Selbstvertrauen der Herrschenden
Revolutionäre Situationen warten nicht auf die Entscheidungen von Revolutionären. Die Waagschale wird sich zu der Klasse hin neigen, die am entschlossensten ist, die Macht zu übernehmen.
In Chile handelte die herrschende Klasse mit Selbstvertrauen, um ihre Interessen zu verteidigen. Sie nahm in Kauf, dass die chilenische Arbeiterklasse kämpfen würde. Doch sie wusste auch, dass deren politische Führung entwaffnet war.
Gezielter Terror
Es gab nichts besonders Brutales oder Außergewöhnliches an der herrschenden Klasse Chiles, im Gegenteil. Das Land galt als vergleichsweise stabil für lateinamerikanische Verhältnisse. Dennoch wurde der Putsch zum Inbegriff für Blutbäder. Das Militärregime ließ Tausende ermorden und Zehntausende foltern, einkerkern und verbannen.
Bezeichnenderweise traf die Unterdrückung vor allem die Aktivistinnen und Aktivisten an der Basis, die Anführerinnen in den Poblaciónes und die militanten Arbeiter. Sie waren die wirkliche Bedrohung für die Herrschenden, viel eher als die Bürokraten und politischen Führer, die am Ende bewiesen, dass sie lieber einen Kompromiss eingehen, als ihre Versprechen denjenigen gegenüber zu erfüllen, die sie an die Macht gebracht hatten.
Die herrschende Klasse Chiles reagierte wie jede andere herrschende Klasse, die das Schreckgespenst der Arbeitermacht kurz erblickt hat. Sie versuchte, planmäßig die ganze Erfahrung auszurotten und alle zu ermorden, die den aufstrebenden Kampf der chilenischen Arbeiterklasse geführt hatten.
Schlussakt in Chile
Der Putsch in Chile war der Schlussakt eines brutalen Klassenkampfs, der mit einer massiven Niederlage der Arbeiterklasse endete. Die vorherrschende Antwort der Linken weltweit war die, dass Allende die Errichtung des parlamentarischen Sozialismus viel zu schnell betrieben habe. Doch in Wahrheit führten sein Schwanken und seine Attacken auf die Arbeiterklasse zur Niederlage.
Es dauerte 17 Jahre, bis der Führer des Putsches, General Augusto Pinochet, sein Amt niederlegte –, aber der brutale Neoliberalismus, den er einführte, wurde erst von der Massenbewegung im letzten Herbst wirklich herausgefordert.
Die Lehren von Chile gehören zu unserer Bewegung – und sie ergeben sich aus dem Ende einer Illusion: Ein Machtkampf, der nicht auf die unabhängige Organisation der Arbeiterklasse baut und der keine Strategie für die Unterwerfung des Staates hat, ist nicht zu gewinnen.
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