Der wirtschaftliche Erfolg in China beruht auf der schlechten Bezahlung der Arbeitskräfte. Nun stößt das Modell auf seine Grenzen. Von einem Umbau der Produktion sollen auch die Arbeiterinnen und Arbeiter profitieren. Eine Rezension von Alexander Schröder
»Made in China« steht noch immer für billige Spielzeuge, T-Shirts oder Lampen, die den Weltmarkt überschwemmen. Drei Jahrzehnte lang konnte »die Werkbank der Welt« Kapitalisten weltweit mit enormen Wachstumsraten, gewaltigen Profiten und niedrigen Löhnen beeindrucken. Nun aber verlagert das internationale Kapital die Produktion in Länder, wo Arbeitskraft noch schlechter bezahlt wird.
China = niedrige Löhne?
Chinas Status als Billiglohnland kann nur auf Kosten des Binnenmarkts und der Stabilität aufrechterhalten werden. Denn während die Exportwirtschaft noch immer von niedrigen Löhnen abhängig ist, kann sich der Binnenmarkt nur entwickeln, wenn die Löhne steigen. Zudem destabilisieren Proteste der »Billiglohn-Sklaven« das Modell. Eine Besserstellung der Arbeiterinnen und Arbeiter erscheint alternativlos. Die Parteiführung in Peking hat darauf reagiert und setzt neben Wirtschaftsförderung in den ärmeren Provinzen auch auf High-Tech-Produktion. Doch wie erfolgreich ist dieser Umbau wirklich?
Die industrielle Modernisierung in China
In seinem Buch »The End of Cheap Labour?« widmet sich der Soziologe Florian Butollo dieser Frage, indem er den Zusammenhang von technischen Neuerungen und der Aufwertung von Arbeit in der Textil- und LED-Industrie im südchinesischen Perlflussdelta analysiert.
Anders als andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geht Butollo nicht davon aus, dass die industrielle Modernisierung notwendigerweise zu einer Verbesserung des Status der Arbeitskräfte führt, etwa durch eine bessere Ausbildung, Entlohnung oder anderweitige soziale Absicherung.
Im Rahmen seiner Forschungen stellte sich in der Tat heraus, dass auf technische Neuerungen nicht automatisch ein soziales »Upgrading« der Beschäftigten folgt. Im Gegenteil kann technische Aufwertung sogar zu schlechterer Bezahlung, höherem Arbeitsaufwand oder Arbeitsplatzverlust führen, wie die Untersuchung zeigt. Eine drastische Polarisierung der Arbeitsverhältnisse in Bezug auf Lohnzuwachs, Qualifizierung und Arbeitsbedingungen prägt alle untersuchten Unternehmen: Einerseits gibt es in eine erhöhte Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften, die bessere Arbeitsbedingungen haben. Andererseits erfuhr aber nur ein sehr geringer Teil der Arbeitskräfte eine spürbare Besserstellung. Die qualifizierte »Arbeiteraristokratie«, wie Lenin sie nannte, bleibt eine winzige Schicht mit tendenziell städtischer Herkunft. Schlecht bezahlte und gering qualifizierte Wanderarbeiterinnen und -arbeiter vom Land bilden in beiden Branchen immer noch die große Mehrheit.
Die sozialen Widersprüche in China
Butollo resümiert: »Die Resultate der empirischen Untersuchung zeigen daher im Detail das Scheitern des sozialen ›Upgrading‹ von Produktionsarbeiterinnen und -arbeitern im Perlflussdelta. Industrielles ›Upgrading‹ führt nicht zu qualitativen Verbesserungen in Bezug auf Fähigkeiten und Ausbildung, Entlohnungssystem oder Arbeitsbedingungen.« Auch wenn der Autor seine Ergebnisse keineswegs auf sämtliche Branchen oder Betriebe verallgemeinert, verstärken diese Beispiele Zweifel an einer reibungslosen Transformation des arbeitsintensiven und exportorientierten chinesischen Modells. Eine Lösung der sozialen Widersprüche ist nicht in Sicht. »Made in China« wird daher weiterhin mit Billiglohn-Sklaverei in Verbindung gebracht werden müssen.
Butollos Studie ist absolut lesenswert, aber aufgrund der speziellen Thematik eher etwas für ökonomisch interessierte Sinologen oder Arbeitssoziologinnen. Zudem ist das Buch bislang nur auf Englisch erhältlich. Um den chinesischen zu verstehen, eignet sich als Einstieg auch »Chinas Kapitalismus« von Tobias ten Brink.
Das Buch: Florian Butollo: The End of Cheap Labour? Industrial Transformation and »Social Upgrading« in China, Campus Verlag, Frankfurt und New York 2014, 400 Seiten, 39,90 Euro
Foto: blake.thornberry
Schlagwörter: Bücher, China, Kultur, marx21, Rezension, Staatskapitalismus