In den letzten Jahrzehnten sind Verbindungen zwischen Hongkong und dem enorm wichtigen Perlflussdelta in China gewachsen. Zugleich entwickelt sich dort eine zunehmend bewusste, organisierte und aktivistische Arbeiterklasse. Von John Smith
Die anhaltenden Proteste in Hongkong wurden durch die Drohung ausgelöst, dass der Hongkonger Legislativrat eine Verordnung über flüchtige Straftäter erlassen werde, die dem Nationalen Volkskongress Chinas mehr Rechte auf Auslieferung von Personen einräumt, und eine wichtigere Rolle bei der Strafverfolgung in Hongkong im Allgemeinen spielt. Der Legislativrat besteht aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Berufsverbände Hongkongs, unter anderem aus dem industriellen, kommerziellen und finanziellen Bereich. Diese Gruppe wählte 2017 die Regierungschefin, Chief Executive Carrie Lam, zur Präsidentin. Sie ist die erste Frau, die den Posten innehat, und für die meisten Kommentatoren in Hongkong eine zahnlose Tigerin, die nach ihren bisher missglückten Versuchen weiter versucht, Hongkong stärker an das Festland zu binden.
Der Legislativrat ist politisch gespalten zwischen Pro-Establishment-Gruppen, die eine engere Zusammenarbeit mit China weitgehend befürworten, und einer pandemokratischen Gruppierung, die eine schrittweise demokratische Reform fordert. Die Pandemokraten waren stark in die so genannte »Regenschirm-Bewegung« von 2014 eingebunden, eine erste Runde massiver öffentlicher Demonstrationen, die viele der heutigen Bewegungsanführerinnen und -anführer hervorbrachte.
Streik von studentischen Gruppen
Prominenter waren in letzter Zeit eine Fülle kleinerer, meist studentischer Gruppen, die manchmal von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern unterstützt wurden. So richtete beispielsweise der Gewerkschaftsbund HKCTU (der im Gegensatz zum Gewerkschaftsbund HKFTU nicht an Peking gebunden ist) folgenden Aufruf an alle seine Mitglieder:
»Streik für die Freiheit! Wir sahen, dass die Kinder von Hongkong mutig genug waren, auf die Straße zu gehen, aber von der Polizei brutal misshandelt wurden. Wir können die Augen nicht mehr vor der Situation verschließen. Hongkong gehört uns allen und kann nicht von wenigen kontrolliert und zerstört werden. So fordert der Gewerkschaftsbund HKCTU alle Beschäftigten unabhängig von Klasse, Beruf und Beschäftigung auf, auf den Streik der Arbeiterinnen und Arbeiter zu reagieren, und an der Versammlung gegen die Änderung des Auslieferungsgesetzes am 17. Juni teilzunehmen.«
»demokratische Selbstbestimmung in Hongkong«
Im Vordergrund der diesjährigen Demonstrationen standen neue, studentische Gruppen wie Youngspiration, Demosisto und Hong Kong Indigenous, die auf die Menge von rund 100.000 Studentinnen und Studenten an Hongkongs fünf Universitäten und Fachhochschulen zurückgreifen. Demosisto steht für »demokratische Selbstbestimmung in Hongkong«: »Durch direkte Aktionen, Volksabstimmungen und gewaltfreie Mittel drängen wir auf die politische und wirtschaftliche Autonomie der Stadt von der Unterdrückung der Kommunistischen Partei Chinas und der kapitalistischen Hegemonie.« Hongkong Indigineous sind mit dem »sanften Ansatz« der Gewaltlosigkeit weniger zufrieden und fordern eine »aktivistischere« Vorgehensweise mit »Mut und Kraft«.
Obwohl sie durch die Auslieferungsgesetze ausgelöst worden sind, wurzeln die Demonstrationen in ihrer Breite und Tiefe im Alltag aller Hongkonger bis auf die reichsten. Ihre Tage sind lang und zunehmend hart. Im Jahr 2018 wuchs die Wirtschaft Hongkongs so langsam wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Die schwache Konsumnachfrage und die »Abkühlung« der Immobilienpreise führten dazu, dass die Wachstumsraten im letzten Quartal 2018 auf 1,2 Prozent sanken, bei gleichzeitigem Rückgang der Gesamtexporte um 4,2 Prozent. Dies ist beunruhigend für eine Stadt, die einen Großteil ihres Einkommens auf Import/Export stützt. Fast 30 Prozent der 4 Millionen Hongkonger Beschäftigten sind in irgendeiner Weise in der Industrie tätig. Es sind noch mehr, wenn man die informell beschäftigten Straßenhändlerinnen und Straßenhändler mit einbezieht, die auf den Nachtmärkten der Stadt von Waren leben, die aus der Import/Exportindustrie umgeleitet werden.
Riesige Vermögensunterschiede in der Stadt
Die Vermögensunterschiede in der Stadt gehören zu den größten der Welt. Hongkong erzielt Einnahmen aus dem Verkauf und der Besteuerung von Grundstücken und durch die Gewinnung internationaler Unternehmen, die aufgrund der niedrigen Steuern Kapital investieren, das zum öffentlichen Haushalt beiträgt. Laut Healy Consultants hat Hongkong das attraktivste Geschäftsumfeld innerhalb Ostasiens, was die Anziehungskraft ausländischer Direktinvestitionen betrifft – vor allem dank der niedrigen Löhne der überarbeiteten Bevölkerung.
Jüngste Zahlen zeigen, dass 1,37 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze leben und mit 4000 Hongkong-Dollar (465 Euro) pro Monat für einen Einpersonenhaushalt ums Überleben kämpfen. Die Armutsquote in Hongkong erreichte in den letzten zehn Jahren mit 20,1 Prozent einen Höchststand und ging in jüngster Zeit nur leicht zurück, was auf vorübergehende Barzuwendungen zurückzuführen ist, die nichts zur Beseitigung der eigentlichen Ursachen der Armut beitragen.
Die Wohnungsnot ist in der Stadt akut, als Folge der Regierungspolitik, Grundstücke zum Teil gewinnbringend zu verpachten, zum Teil aber auch zurückzuhalten, um einen profitablen Grundstücksmangel aufrechtzuerhalten. In den letzten zehn Jahren sind die Einnahmen zwar stabil geblieben, die Wohnkosten aber um 242 Prozent gestiegen. Die Wohnfläche in Wohnungen ist im Allgemeinen sehr klein, wobei die überwiegende Mehrheit der Menschen in Hongkong in einer der vielen Hochhausanlagen lebt. Einige haben sich für »Sargwohnungen« entschieden – so kleine Einheiten, dass sie nur ein Bett und einen Behälter für Gegenstände aufnehmen können. Entstanden aus der Aufteilung einer Wohnung in noch kleinere Abschnitte, teilen sich die Mieter Küche und Bad. Etwa 200.000 Menschen leben auf diese Weise.
Damit einhergehend sind Stress und Probleme der psychischen Gesundheit in die Höhe geschnellt. Mindestens ein Drittel der jungen Menschen in Hongkong leidet unter Stress, Angst oder Depressionen. Eine Umfrage der Hongkong Playground Association ergab: »Das Leben junger Menschen in Hongkong ist nicht einfach. Sie haben kein komfortables Leben in dieser Wohlstandsgesellschaft, und jede und jeder steht stark unter Druck.« Hohe Arbeitsbelastung während des Studiums verhindert Zeit für Bewegung und Erholung. Der Anteil, der unter starkem bis extremem Stress, Angst und Depressionen litt, war in der Altersgruppe der 19-24-Jährigen sehr groß und trug zweifellos zum Wachstum der oben genannten Studierendengruppen bei. Im Allgemeinen gilt Hongkong als die fünftbelastete Bevölkerung weltweit, mit bis zu 92 Prozent Stress im Alltag, weit über dem – ohnehin schon schändlichen – globalen Durchschnitt von 86 Prozent. Ramsy Yeung von Cigna HK, einer Versicherungsgruppe, die Stressforschung durchführte, sagte: »Viel Stress, mit dem Hongkong-Millennials konfrontiert sind, ist arbeitsbedingt, da sie sehr viele Stunden für ein relativ niedriges Gehaltsniveau arbeiten… Hohe Immobilienpreise haben ebenfalls zu dem Druck beigetragen.«
Protest in Hongkong nimmt zu
Während in Hongkong selbst Unruhen, politischer Protest und Unsicherheit zunehmen, vernetzt sich die Stadt zunehmend mit den Entwicklungen des Perlflussdeltas, insbesondere mit der Strategie der Greater Bay Area (GBA) des chinesischen Festlandes. Dieses erstaunliche Projekt hat die fruchtbare und in erster Linie sehr landwirtschaftliche Gegend im Norden und Westen Hongkongs in den letzten 30 Jahren zu einer Megastadt gemacht, zur größten zusammenhängenden Stadtregion der Welt. In den 1970er Jahren hatte Shenzhen, eine Stadt im Norden von Hongkong, rund 30.000 Einwohner und ein funktionierendes Taxi. Heute hat Shenzhen nach den Initiativen des ehemaligen chinesischen Regierungschefs Deng Xiaoping eine Einwohnerzahl von 13 Millionen.
Die GBA hat inzwischen eine Gesamtbevölkerung von 69 Millionen und ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1,53 Billionen US-Dollar – wie Russland und mehr als Australien. Sie läge damit auf dem 12. Platz in der Welt. Es wird vorhergesagt, dass sie sich im Laufe des nächsten Jahrzehnts verdoppeln wird, um die fünftgrößte Weltwirtschaft zu werden, die größer als das Vereinigte Königreich wäre. Ayesha Lau von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG sagt: »Bei der GBA-Initiative dreht sich alles um Synergien. Durch die Nutzung von Größenvorteilen, eine angemessene Arbeitsteilung und Spezialisierung können die zusammengefassten Städte viel schneller wachsen. Die engere wirtschaftliche Integration der GBA entspricht einer Mini-Version der wirtschaftlichen Globalisierung.«
Region entwickelt sich von der »Fabrikhalle der Welt« zum »Siliziumdelta«
Die Hauptanziehungspunkte des Gebietes für das Kapital waren ein riesiger und kostengünstiger Arbeitskräftepool, billiges und reichlich vorhandenes Land und wenig gesetzliche Regelungen für die Industrie, mit verheerenden Folgen für die Arbeitskräfte der Region. Der Finanzsektor Hongkongs und sein Weltklasse-Seehafen bieten zudem Möglichkeiten für Warenimport und -export und finanzielle Ressourcen.
Teile der GBA passen sich dem neuen Klima an, mit der Zunahme hochqualifizierter Arbeitskräfte in vielen Bereichen. Viele Industrien »erfinden sich neu«, so dass sich die Region von der »Fabrikhalle der Welt« zum »Siliziumdelta« entwickelt. Huawei und ZTE, die Telekommunikationsgeräte herstellen und Zehntausende beschäftigen, haben ihren Hauptsitz in Shenzhen. Lenovo, TCL, BYD, Apple, IBM, Philips, BGI, Lucent und Olympus verfügen über Produktionsstätten sowie Forschungs- und Designkapazitäten in der Region. Die Wirtschaft von Guangdong, dem Bezirk, in dem das Perlflussdelta liegt, ist aufgebläht und heute größer als die Indonesiens. »Shenzhen und die gesamte Delta-Region haben sich zu einem fortschrittlichen Produktionsökosystem entwickelt, in dem Cluster von Fabriken symbiotisch arbeiten, um das Gebiet zu einem One-Stop-Shop für viele High-Tech- und Innovationsprojekte zu machen«, wie die South China Morning Post es ausdrückt.
Mit der Abwanderung der Bevölkerung in städtische Gebiete und den Prozessen der Dequalifizierung und Umschulung gehen enorme Vermögensunterschiede einher. Im Jahr 2007 sagte der Parteichef der Region Guangdong, Wang Yang, er sei »beschämt, ein armes Guangdong vorzufinden, das sich hinter einer reichen Fassade versteckt«. Offizielle Statistiken zeigen, dass das Pro-Kopf-BIP in Nord-, Ost- und Westguangdong im Jahr 2009 17.000 Yuan bis 18.000 Yuan betrug – etwas mehr als ein Viertel des Durchschnitts von 67.000 Yuan im gesamten Perlflussdelta.
»Delta-Region steht vor gewaltigen Herausforderungen für die öffentliche Gesundheitsversorgung«
Die Delta-Region steht vor gewaltigen Herausforderungen für die öffentliche Gesundheitsversorgung – ein massiver Zustrom von Migrantinnen und Migranten, viele davon mit sozialen Problemen; harte Arbeitsbedingungen und damit verbundene Arbeitsunfälle; eine hohe Rate von Infektionskrankheiten (einschließlich AIDS, medikamentenresistenter Tuberkulose und Malaria), steigende chronische Krankheiten, eine hohes Auftreten von psychischen Gesundheitsproblemen sowie Gesundheitsproblemen von Müttern und Kindern; Ungleichheiten bei Einkommen und dem Zugang zur Gesundheitsversorgung; Umweltverschmutzung, gefährliche Lebensmittelzusätze und mögliche langfristige Auswirkungen des Klimawandels auf die Küstenregion.
Die sozialen Probleme, die mit diesem Ausmaß von Migration einhergehen, wie z.B. die hohe Zahl von Obdachlosen, darunter viele mit schweren und oft ansteckenden Krankheiten und verlassenen Kindern, haben die Provinzbehörden dazu veranlasst, 40.000 Sozialarbeiterinnen und –arbeiter einzustellen, die Familienplanungsdienste, temporäre Wohnungen und andere soziale Dienste zur Verfügung stellen. Die unmittelbarste Herausforderung für die öffentliche Gesundheit in der Region ergibt sich aus den Arbeitsbedingungen von Wanderarbeiterinnen und -arbeitern, die alle Arbeitsplätze übernehmen, die von den Einheimischen abgelehnt werden, z.B. Arbeitsplätze in Bergwerken, Steinbrüchen, Bau- und petrochemischen Anlagen, den Sektoren mit den höchsten Unfallraten und arbeitsmedizinischen Problemen. Viele Unternehmen beschäftigen Migrantinnen und Migranten in den gefährlichsten Berufen, setzen sie Gefahrstoffen aus und sparen an Sicherheitsmaßnahmen. Eine Umfrage berichtet zum Beispiel, dass 63,8 Prozent der Migrantinnen und Migranten sieben Tage die Woche ohne Ruhe arbeiten und dass die durchschnittliche Arbeitswoche 56 Stunden beträgt. Diese Situation spiegelt die äußerst niedrige Lohnstruktur für Wanderarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer wider. Vor einer Reihe von teilweise erfolgreichen Streiks im Jahr 2010 lag der Grundlohn bei rund 900 Yuan (weniger als 115 Euro) pro Monat, was die Werktätigen zwang, Überstunden zu leisten, um genug zu verdienen, um zu leben und einen kleinen Betrag zu sparen. Die Häufung von Selbstmorden im Elektronikwerk von Foxconn in Shenzhen (mit 300.000 Beschäftigten die größte Fabrik der Welt) ist direkt mit diesen Bedingungen verbunden.
Herrschende Klasse versucht eine neue Arbeitsdisziplin durchzusetzen
Hinter den Unruhen in Hongkong verbergen sich für die chinesische herrschende Klasse die tiefen Unsicherheiten der bedeutsamen, sich entwickelnden und verändernden Arbeiterschaft im Perlflussdelta. In drei kurzen Jahrzehnten zusammengewachsen, müssen sich Millionen früherer Landarbeiterinnen und -arbeiter mit den neuen Kulturen des städtischen Lebens auseinandersetzen, während die chinesische herrschende Klasse versucht, eine neue Arbeitsdisziplin durchzusetzen, ohne den schlafenden Riesen, den diese Arbeiterschaft darstellt, zu wecken. Angesichts der sich abzeichnenden Handelskriege und der Abkühlung des Wirtschaftswachstums wird diese Aufgabe nur noch schwieriger, wie das Wachstum und die zunehmende Militanz der Gewerkschaftsaktivitäten in der Region zeigen.
In den letzten zwei bis drei Jahren gab es eine Reihe wichtiger Arbeitskämpfe, darunter Streiks und Repressionen im Werk Changchun von FAW-Volkswagen, wo die Leiharbeitsbeschäftigten die ihnen geschuldeten Löhnen einforderten, sowie bessere Arbeitsbedingungen und die Gleichstellung mit festangestellten Beschäftigten. Mitte Juli 2018 wurden Beschäftigte, die eine neue Gewerkschaft in Shenzhen gegründet hatten, entlassen und teilweise von Sicherheitskräften geschlagen. Die Beschäftigten forderten die Wiedereinstellung eines Kollegen und bessere Arbeitsbedingungen, die von sicheren Produktionsstätten bis hin zur rechtzeitigen und vollständigen Auszahlung der Löhne reichen. Studierende von mehr als 20 Universitäten auf dem Festland – darunter auch von den Universitäten Peking und Tsinghua – protestierten zur Unterstützung der Beschäftgten, nachdem 29 Streikende und ihre Anhänger verhaftet wurden.
Seitdem hat das China Labour Bulletin über 1100 Arbeitskämpfe registriert, wobei die Bauwirtschaft etwa 41 Prozent aller seit dem 1. August 2018 registrierten Fälle ausmacht. Fabrikbesitzerinnen und -besitzer haben ihre gesetzlichen Verpflichtungen bei der Schließung, dem Verkauf oder der Verlagerung ihres Unternehmens regelmäßig ignoriert. Aber es ist die Arbeitgeberschaft im Dienstleistungssektor, die zur größten Bedrohung für die Interessen der Beschäftigten wird. Die Arbeitsplätze im IT- und Dienstleistungssektor sind zunehmend prekär, die Beschäftigten werden ihrer gesetzlich geregelten Leistungen beraubt und unterliegen oft willkürlichen Änderungen der Lohn- und Arbeitsbedingungen.
IT-Beschäftigte starten eine Kampagne über Arbeitsbedingungen
In einem Fall starteten die technischen Beschäftigten in China eine Kampagne über die Arbeitsbedingungen. Die Code-Sharing-Plattform GitHub, im Besitz von Microsoft, ist ein Ort für Entwickler, an dem sie Softwareprojekte speichern, teilen und zusammenarbeiten können. Es ist in China zugänglich und stellt die dominante Plattform für die Zusammenarbeit von Entwicklerinnen und Entwicklern dar, einen wichtigen Teil des täglichen Betriebs chinesischer Technologieunternehmen. Chinesische Tech-Beschäftigte richteten einen GitHub-Speicherplatz mit dem Titel 996.ICU ein, ein Hinweis auf die erschöpfenden und illegalen Arbeitszeiten vieler Tech-Unternehmen in China – von 9 bis 21 Uhr, sechs Tage die Woche. In der Projektbeschreibung von GitHub 996.ICU heißt es: »Durch die Einhaltung des Arbeitsplanes 996 riskieren Sie die Einlieferung auf die ICU (Intensivstation)«. Das Projekt fordert chinesische Technologieunternehmen auf, die Arbeitsgesetze in China und die internationale Arbeitskonvention einzuhalten.
Diese Initiative hat in China massive Unterstützung gefunden. GitHub-Benutzerinnen und Benutzer haben den Speicherplatz favorisiert, um ihre Unterstützung zu zeigen. Innerhalb weniger Wochen wurde das Projekt über 200.000 Mal markiert und ist damit einer der am schnellsten wachsenden GitHub-Speicherplätze in der Geschichte des Dienstes. Seitdem es viral geworden ist, haben chinesische Inlandsbrowser, wie die von Tencent und Alibaba, den Zugriff auf 996.ICU in ihren Webbrowsern eingeschränkt und warnen die Benutzer, dass der Speicherplatz illegale oder schädliche Inhalte enthält. Als Reaktion darauf gaben Microsoft- Beschäftigte und andere Technikerinnen und Techniker folgendes bekannt:
»Wir, die Beschäftigten von Microsoft und GitHub, unterstützen die 996.ICU-Bewegung und stehen in Solidarität mit den Technikerinnen und Technikern in China. Wir wissen, dass es sich um ein Problem handelt, das über die Landesgrenzen hinausgeht. Dieselben Probleme kennen Vollzeit- und abhängig Beschäftigte bei Microsoft und in der gesamten Branche. Ein weiterer Grund, warum wir in Solidarität mit chinesischen Beschäftigten Stellung beziehen müssen, ist, dass die Geschichte uns sagt, dass multinationale Unternehmen die Beschäftigten in einem Wettbewerb nach unten gegeneinander ausspielen werden, wenn sie Arbeitsplätze auslagern und schwache Arbeitsregelungen zur Gewinnerzielung nutzen. Wir müssen über Ländergrenzen hinweg zusammenkommen, um gerechte Arbeitsbedingungen für alle Menschen auf der ganzen Welt zu gewährleisten.«
In Hongkong verbinden und vernetzen sich die Proteste
Dies ist der Kontext der historischen Bewegung in Hongkong. In einer Region mit einer riesigen und ständig wachsenden Arbeiterklasse, zusammengepfercht auf einem kleinen Gebiet, eng verbunden und vernetzt durch gemeinsame Beschäftigung, gemeinsame Arbeitgeber und familiäre und kulturelle Bindungen, entwickeln sich Proteste und Beschäftigte und Studierende organisieren sich. Die neuen Studierendenbewegungen stehen dabei an der Spitze, indem sie die Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter unterstützen und im Gegenzug auch Unterstützung bekommen.
Übersetzung: Franziska Wöckel
Foto: Studio Incendo
Schlagwörter: China, Hongkong, Proteste