Das Attentat von Christchurch kam keineswegs aus dem Nichts. Die Ideologie des Täters findet sich derweil nahezu deckungsgleich in der AfD. Von Daniel Anton und Christine Buchholz
Warum ein Mensch sich dazu entscheidet, fünfzig Menschen mit einer halbautomatischen Waffe zu erschießen und wann genau der Zeitpunkt erreicht ist, an dem eine rassistische, hasserfüllte Gedankenwelt in die mörderische Tat umschlägt, wird niemand jemals abschließend beantworten können. Was aber absolut sicher ist: Der Nährboden, aus dem der Terror von Christchurch entspringen konnte, ist nicht einfach in einem einzelnen kranken Hirn zu suchen.
Das ist das Märchen, dass sich bürgerliche Politiker und Medien nahezu jedes Mal zurechtlegen, wenn der Täter »weiß« und männlich war – oder gar ein »engelhafter Junge«, ein »angelic boy«, wie das Boulevard-Blatt »Daily Mirror« in einer Schlagzeile über den rechten Terroristen von Neuseeland schrieb.
Rassismus und Islamhass
Es ist eine traurige Notwendigkeit, es noch einmal zu betonen: Der Täter war Rassist und bekennender Faschist. Triebfeder für seine blutige Tat war sein unbändiger Hass auf Muslime. Seine Wahnvorstellung von einem »Bevölkerungsaustausch« ist getrieben von der Phantasie, dass »die Weißen« von »den Muslimen« verdrängt werden würden. Sie gipfelt in seinem Pamphlet in der These vom »Völkermord an den Weißen«.
Spätestens seit dem 11. September 2001 stehen 1,6 Milliarden Menschen unter Generalverdacht und sind konstanten Schmähungen und Gewalttaten ausgesetzt. Wie schnell die menschenverachtende Hetze gegen Muslime im Parlament und auf der Straße in handfeste Gewalt umschlagen kann, beweist das gesellschaftliche Umfeld des Attentäters.
Die Nazis von Christchurch
Für neuseeländische Sicherheitsexperten ist es keine allzu große Überraschung, dass der Anschlag im vermeintlichen Wohlfühl-Nest Neuseeland stattfand – einem Land, das den meisten Menschen hierzulande höchstens als Kulisse der »Herr der Ringe«-Filme bekannt ist. Doch die Insel ist meilenweit davon entfernt, ein Abbild des friedlichen Auenlands zu sein. In Christchurch selbst, organisierten sich seit mehreren Jahrzehnten Nazis in mordenden Gangs (»The fourth Reich«) und sind vermutlich für mehrere Morde an Migranten und Touristen verantwortlich.
Ein paar hundert Kilometer weiter nordwestlich, in Australien, dem Herkunftsland des Attentäters, sprechen rechte Politiker wie der Senator Fraser Anning (bekannt übrigens als Zielscheibe des #eggboy) schon mal von der »Endlösung für Muslime« und davon, dass »die Muslime« durch ihre massenhafte Einwanderung eine Mitschuld an dem tödlichen Attentat hätten.
Rassismus der »Mitte«
Doch Islamhass und Rassismus sind längst nicht nur ein Phänomen am rechten Rand, sondern durchdringen auch die politische »Mitte«: In Australien haben sowohl die Konservativen als auch die Labor Party mit gezielten Kampagnen Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten gemacht.
Die Einwanderungspolitik ist seit vielen Jahren extrem restriktiv. Teilweise werden Flüchtlinge unter menschenunwürdigen Bedingungen auf vorgelagerten Inseln in Lager gesteckt. Erst vergangene Woche kündigte Premierminister Scott Morrison an, jährlich 30.000 Migranten weniger ins Land zu lassen. Schon während des letzten Wahlkampfs verfolgte er die Strategie, an die weitverbreiteten Ressentiments gegen Muslime anzuknüpfen. Es ist an Heuchelei kaum zu überbieten, wenn ebensolche Politiker sich nun erschrocken über das Ausmaß der Gewalt zeigen.
»Neurechte« Ideologie und die AfD
Wir müssen aber nicht auf das andere Ende der Welt schauen, um dieses Muster zu finden: Im Jahr 2016 tötete der Schüler David S. in München neun Menschen aus Einwandererfamilien. Obwohl er – wie der Christchurch-Attentäter – ein rechtes Manifest schrieb und sich auf den norwegischen Rassisten und Massenmörder Anders Breivik bezog, besteht die Staatsanwaltschaft bis heute auf dem Motiv »Mobbing«. Statt eine Systematisierung von rassistischen Taten vorzunehmen, werden die Fälle individualisiert.
Auch, wenn Alexander Gauland im Zusammenhang mit dem Familiennachzug von syrischen Flüchtlingen von einem »Bevölkerungsaustausch, der auf Hochtouren läuft«, spricht oder Björn Höcke die AfD als »letzte evolutionäre Chance für unser Vaterland« bezeichnet und damit implizit droht, die angestrebten Veränderungen auch mit Gewalt durchzusetzen, haben wir es mit denselben rassistischen und neofaschistischen Denkmustern zu tun.
Wie tief die Verschwörungstheorie der gezielten Zerstörung des »deutschen Volkes« in der AfD verankert ist, zeigte sich auch in einer geleakten Mail von Alice Weidel aus dem Jahr 2013. Dort schreibt sie: »Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden. Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen.«
Es sind die gleichen rassistischen Gedanken und Verschwörungsideologien, wie sie im »Manifest« des Attentäters von Christchurch zu lesen sind.
Sarrazin, Seehofer und Co.
Doch auch in Deutschland sind es nicht nur die AfD, Reichsbürger und andere Nazis, die rechten Terroristen die ideologische Munition liefern: Bürgerliche Politiker wie Thilo Sarrazin und ein Teil der Medien haben antimuslimischen Rassismus über Jahre geschürt. Nicht ohne Wirkung: Alleine in Deutschland wurden im Jahr 2017 950 Angriffe auf Muslime und muslimische Einrichtungen verübt, in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 belief sich diese Zahl erneut bereits auf 578 Attacken. Im Übrigen werden erst seit wenigen Jahren islamfeindliche Straftaten als solche registriert – ein Lehrstück für den Umgang der deutschen Behörden mit dem Hass gegen Muslime.
Dass es damit immer noch nicht weit her ist, bewies Innen- und Heimatminister Seehofer kurz nach dem Anschlag von Christchurch: Er schließt zwar im Gespräch mit der »Bild« nicht aus, dass Moscheen in Deutschland ebenfalls Anschlagsziele sein könnten, beruhigt jedoch die Öffentlichkeit im gleichen Atemzug mit der Behauptung, dass es kein islamfeindliches Klima in Deutschland geben würde.
Dem widerspricht sein eigenes Ministerium: In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der LINKEN, werden mehrere Studien zitiert, die den Anstieg der Islamfeindlichkeit in Deutschland eindeutig dokumentieren – so etwa eine im Frühjahr 2015 veröffentlichte Bertelsmann-Studie, wonach 57 Prozent der Befragten »den Islam als Bedrohung« empfinden. Doch Seehofer banalisiert nicht nur die Hasskampagnen von AfD, NPD und Co. gegen Muslime, sondern hat sich daran selbst immer wieder beteiligt.
Eine Frage der Zeit
Es bleibt eine Frage der Zeit, wann im Land der »Kopftuchmädchen« (Sarrazin, SPD) oder dem »Mekka Deutschland – die stille Islamisierung« (Der Spiegel) sich ebenfalls vermeintliche Einzeltäter berufen fühlen, der vermeintlichen »islamischen Gefahr« entgegenzutreten.
Seehofer versucht uns zu beruhigen, dass Angriffe auf Moscheen und Muslime mit der Härte des Rechtsstaats verfolgt werden. Wir wissen, dass wir uns auf Seehofer, die Regierung und die Behörden im Kampf gegen Rassismus nicht verlassen können. Sie sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Die linke Antwort muss ein breites, gesellschaftliches Bündnis sein, welches sowohl dem Rassismus als auch der akuten Gefahr der Entstehung einer faschistischen Massenpartei in Deutschland entgegentritt und Muslime und Muslima wie alle anderen von Rassismus betroffenen aktiv in diese Strategie einbindet. Darin liegt unsere Stärke.
Foto: Wikipedia
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus, Gauland, Höcke, Islam, Rassismus, Rechtsterrorismus, Sarrazin, Seehofer