Statt für die Gesundheit von Geflüchteten in Flüchtlingslagern zu sorgen, wird auf Isolation gesetzt. Bijan hat in den vergangenen Monaten in drei verschiedenen Lagern gelebt. Mit ihm sprach Ava Matheis über gestrichene Busverbindungen, Rassismus in der Corona-Reaktion der Behörden und selbstorganisierten Widerstand.
Die englische Version des Gesprächs findet sich hier.
Marx21: Hallo Bijan, danke für das Gespräch. Könnest du uns ein bisschen etwas über dich erzählen?
Bijan: Ich kam 2019 nach Deutschland und erhielt im Februar 2020 Asyl. Ich hatte großes Glück, dass ich Asyl bekam, denn heutzutage bekommt in Deutschland fast niemand mehr sofort Asyl. Zuerst habe ich im brandenburgischen Eisenhüttenstadt gelebt, dann wurde ich nach Doberlug-Kirchhain transferiert. Jetzt lebe ich in einem Lager in Oberkrämer, zwischen Oranienburg und Hennigsdorf.
Seit knapp zwei Monaten hat sich vieles verändert. Wie hat die Lagerleitung reagiert, als sich Corona auszubreiten begann?
Bereits im Januar, als ich noch in meinem alten Lager war, haben wir das Problem des Coronavirus angesprochen. Der Lagerleiter sagte, es gäbe nicht viel zu befürchten, 20.000 Menschen würden jedes Jahr an der Grippe sterben, das sei keine große Sache. Aber dann änderten sich die Dinge, und sie mussten Maßnahmen ergreifen.
Welche Maßnahmen haben sie ergriffen?
Ich weiß nicht genau, was in Doberlug-Kirchhain passiert ist, denn ich wurde nach Oberkrämer verlegt. Hier haben sie Flyer an die Wände gehängt, die Maßnahmen gegen die Kontamination erläutern, und sie haben Seife in die Toiletten getan. Vorher gab es keine Seife. Im Eingang gibt es jetzt ein Handdesinfektionsmittel. Die Arbeitszeit der Sozialarbeiter wurde um eine Stunde verkürzt, sie sind sehr aktiv und hilfsbereit. Momentan sind sie nur noch per Telefon erreichbar. Wenn es einen Notfall gibt, kann man in ihr Zimmer gehen, ansonsten muss man mit ihnen telefonieren. Wir wissen, wenn viele Menschen positiv getestet werden, sperren sie die ganze Einrichtung ab. Bis jetzt ist Situation aber normal, genau wie vor Corona. Es hat sich nicht viel geändert.
Werden Menschen getestet, wenn sie Symptome zeigen?
Ich weiß nicht, ob Menschen getestet werden. Um das herauszufinden, müsste man mit allen im Heim sprechen. Das ist nicht die Situation, in der man miteinander spricht. Alle sind deprimiert. Nur wenige Menschen sprechen miteinander.
Hast Du noch Kontakt zu Menschen in Doberlug-Kirchhain? Wie ist die Situation dort?
Die Stimmung dort ist angespannter, einige Menschen wurden positiv getestet. Vor ein paar Wochen wurden drei Menschen positiv getestet, dann hörten wir, dass es fünf waren. Niemand kennt die genaue Zahl der positiv getesteten Personen. Diese Menschen sind in einem separaten Container auf dem Hof vor der Cafeteria untergebracht.
Gibt es ausreichende Informationen für alle über das Virus selbst und die Eindämmungsmaßnahmen sowie über Regeln und Bußgelder?
Niemand informiert uns über die neuen Regeln. Sie sagen es uns einfach: »Wasch dir die Hände, wasch dir die Hände.« Aber das ist keine Regel. Die Regeln sind sehr einschränkend, und man muss sie wirklich kennen, denn die Bußgelder sind sehr hoch. Vielleicht stellt die deutsche Regierung die Regeln auf irgendeine Website. Aber sie sollten auch für Nicht-Deutschsprachige zugänglich sein. Ich habe nichts gesehen. Ich habe versucht, mit dem Flüchtlingsrat zu sprechen und die Leitung der Lager zu drängen, die Sozialarbeiter zu zwingen, den Menschen wenigstens Informationen zu geben. Manche Leute interessieren sich überhaupt nicht für das Virus. Sie machen mit ihrem bisherigen Lebensstil weiter, wahrscheinlich auch, weil sie nicht genügend Informationen haben. Ich habe auch mit dem Sozialarbeiter hier gesprochen und gefragt, was sie tun werden, wenn mehr als eine Person positiv getestet wird. Er sagte: »Wir müssen das ganze Lager abriegeln.«
Gibt es einen angemessenen Zugang zum Gesundheitssystem für den Fall, dass jemand ein nicht Corona-bezogenes Gesundheitsproblem hat?
Es ist dasselbe wie zuvor. Sie müssen sich an die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter wenden, aber das Problem ist, dass so viele Menschen dies nicht tun wollen. Sie wollen nicht die Freiheit aller Bewohnerinnen und Bewohner gefährden. Wenn also jemand krank ist, erwähnt er oder sie das nicht wirklich.
Wie werden Menschen, die zu den Risikogruppen gehören, geschützt?
In Doberlug-Kirchhain zum Beispiel werden kranke Menschen im fünften Stock im Haupthaus untergebracht. Ich verstehe das nicht. Das bedeutet, dass Menschen, die sich im fünften Stock befinden, durch das ganze Gebäude gehen müssen, um dorthin zu gelangen, wo sie hin wollen. Das macht keinen Sinn.
Man muss also immer noch in eine gemeinsame Cafeteria gehen, in einer Schlange stehen und auf Essen warten?
Die Leute bekommen nur 150 Euro im Monat bezahlt. Das bedeutet, dass sie es sich nicht leisten können, für sich selbst zu kochen. Also müssen sie mindestens zwei Mal am Tag ins Camp-eigene Restaurant gehen, um zu essen. Jetzt müssen sich alle, die ins Restaurant gehen, die Hände waschen, bevor sie dorthin gehen. Vor Corona musste man etwa 30 Minuten warten, um Essen zu bekommen. Jetzt ist es viel mehr als das. Die Leute werden gebeten, Abstand zu halten.
Darf man das Lager noch verlassen?
Technisch gesehen darf man das Lager verlassen, ja. Aber: Der Busverkehr, der vom Lager ins Stadtzentrum fuhr, wurde eingestellt. Wir wissen nicht, ob das eine Entscheidung der Ausländerbehörde oder des Busunternehmens war. Alle anderen Busse fahren – nur der Bus, der vom Lager in die Innenstadt fährt, nicht.
Wie bitte? Mit welcher Begründung wurde die Buslinie gestrichen?
Das Management ist wohl der Meinung – ich habe gehört, dass der Leiter das jemandem gesagt hat – dass die Leute keinen Bus in die Innenstadt brauchen. Sie können zu Fuß gehen oder Fahrräder benutzen wie andere Menschen in Deutschland. Aber es sind vier Kilometer vom Lager zum Stadtzentrum. Das Lager befindet sich mitten im Wald. Einige Leute könnten vielleicht Fahrräder benutzen. Aber was ist mit älteren Menschen, schwangeren Frauen und kranken Menschen?
Das ist ungeheuerlich…
Meiner Meinung nach sind die neuen Regeln bezüglich des Coronavirus sehr unklar, und die Behörden jedes Landkreises haben viel Freiheit zu tun, was sie wollen. Die gestrichene Busverbindung in Doberlug-Kirchhain ist nur ein Beispiel dafür. Wer weiß, warum sie das getan haben, und ob das überhaupt legal ist. Ich glaube nicht, dass die Maßnahmen fair sind. Die Menschen, im Lager arbeiten kommen und gehen ja auch jeden Tag. Ich glaube nicht, dass sie regelmäßig getestet werden. Sie beschränken den Nahverkehr der Flüchtlinge, aber nichts anderes wird eingeschränkt. Vielleicht denken sie, dass nur Flüchtlinge mit dem Virus infiziert sind.
Die Leute in Doberlug-Kirchhain haben das nicht einfach so hingenommen… Kannst du uns mehr darüber erzählen?
Aber sicher. Einige Leute von We’ll come united haben beschlossen, ihre Autos mitzubringen und den Leuten beim Einkaufen zu helfen. Beim ersten Mal ging das gut. Beim zweiten Mal wurden die Fahrerinnen und Fahrer von der Polizei gestoppt – mit Hinweis auf die neuen Corona-Bestimmungen. Die Polizei verhängte Geldstrafen gegen einige der Fahrer, die Flüchtlinge zu Supermärkten brachten! Die Polizei forderte alle auf, die Stadt zu verlassen und mindestens eine Woche lang nicht mehr zurückzukommen. Wie erwähnt, ist die Entfernung zwischen dem Lager und dem Einkaufszentrum weit. Frustrierend war, dass einige der Flüchtlinge zu Fuß zum Lager zurückgehen mussten, nachdem die Polizei die Autos angehalten hatte.
Einige Zeit später riefen wir zu einem Protest vor dem Rathaus von Doberlug-Kirchhain auf und forderten die sofortige Wiederaufnahme des Busverkehrs. Einige Geflüchtete aus dem Lager beteiligten sich auch mit Redebeiträgen an dem Protest. Sie forderten die Wiederaufnahme des Busbetriebs. Einer von ihnen erwähnte auch, dass er möchte, dass die Arbeiter im Lager ebenso häufig getestet werden wie die Bewohner. Denn – Zitat: »Glauben die denn, dass das Virus nur von Dunkelhaarigen kommt?«.
Wie hat sich das Leben im Lager sonst verändert?
Alle Freizeitaktivitäten im Lager in Doberlug-Kirchhain wurden gestrichen. Das Café, wöchentliche Konzerte – alles wurde gestrichen. Das heißt, die Menschen müssen kreativ sein bei ihren Aktivitäten. Auch Besucher dürfen nicht kommen.
Was passiert mit den getesteten Personen und ihren Ansprechpartnern?
Die Kontaktpersonen werden, glaube ich, auch getestet. Wer positiv ist, wird entweder innerhalb des Lagers unter Quarantäne gestellt oder an andere Orte verlegt.
Wie funktioniert das in einem Lager, wo man sich nicht auf Distanz halten kann?
Sie geben ihnen Nahrung. Aber es hat nicht die gleiche Qualität wie das Essen, das normalerweise verteilt wird. Sie geben ihnen Medikamente. Aber sie werden in völliger Isolation gehalten. Wir machen uns Sorgen um ihre psychische Gesundheit, weil sie nicht in die Quarantäne gehen können.
Was ist mit dem Personal in dem Lager, das unter Quarantäne steht?
Im Moment ist es einfach Unsinn, über Menschenrechte zu reden. Die Regierung – viele Regierungen – schränken die Bewegungsfreiheit und die Lebensbedingungen ein. Aber das scheint nicht für alle gleichermaßen zu gelten. Jeder, der in dem Lager arbeitet, sollte regelmäßig getestet werden. Im Moment tun sie das nicht. Wenn sie ein Lager unter Quarantäne stellen, bedeutet das, dass jeder im Lager unter Quarantäne gestellt werden sollte. Es kann nicht sein, dass die Flüchtlinge als Gefangene gehalten werden und die Arbeiter wie üblich kommen und gehen. Denn so funktioniert ein Gefängnis. Das Virus kann auch von Deutschen übertragen werden. Ich meine, sie nennen es ein »demokratisches Virus«. Wie stellen die Regierung und die Behörden sicher, dass das Virus nicht von den Sozialarbeitern und den in den Lagern arbeitenden Menschen auf die Flüchtlinge übertragen wird?
Was wäre nötig, um die Sicherheit der Geflüchteten zu gewährleisten?
Unsere Hauptforderung ist eine sichere, getrennte Unterbringung, damit sie tatsächlich Abstand halten können. Wenn sich 400-500 Menschen Küchen und Bäder teilen, ist es nicht möglich, »social distancing« zu betreiben. Ich denke, das ist nur logisch. Es gibt so viele leerstehende Hotels. Nach Angaben des Flüchtlingsrates Brandenburg gibt es im Land Brandenburg 1000 leerstehende Unterkünfte. Aber wie wir deutlich sehen, sind Flüchtlinge das Letzte, woran die Regierungen denken. Wir sind hier nur noch auf uns selbst gestellt. Ihnen ist egal, was mit uns passiert. Die derzeitige Regierung und ihre Antwort auf die Krise wird als vernünftig bezeichnet. Was soll dann passieren, wenn die AfD an die Macht kommt?!
Die Fragen stellte Ava Matheis.
Schlagwörter: Coronakrise, Flüchtlingsunterkünfte, Inland