Seit der Corona-Krise bekommt die Pflege in den Krankenhäusern viel Aufmerksamkeit. Beschäftigte an den Berliner Kliniken Charité und Vivantes nutzen diese für ihren Kampf gegen den Pflegenotstand
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marx21: Dana, Du arbeitest auf einer Intensivstation, die zur Covid-Station wurde. Wie haben sich Deine Arbeitsbedingungen dadurch verändert?
Dana Lützkendorf: Ich habe den Eindruck, dass die Häuser der Charité und bei Vivantes recht schnell und gut vorbereitet waren. Es gab auch Probleme, aber die Leitungen waren früh bemüht, dass Betten frei werden und die Kapazitäten auf den Intensivstationen erhöht werden. Dazu kam, dass die verschiebbaren Operationen ausgesetzt wurden. Das alles zusammen hat Personal frei gemacht, das auf den Covid-Stationen eingesetzt wurde. Dort hatten wir jetzt für kurze Zeit vom Personal her Arbeitsbedingungen, wie wir sie uns vorstellen und schon seit langem fordern.
Was heißt das?
Dana Lützkendorf: Ein oder zwei Patienten pro Pflegekraft. Das hängt vom Zustand der Patienten ab. Wenn Patienten wach sind und sich selbst versorgen können, kann eine Pflegekraft auch drei Patienten betreuen. Aber normalerweise gehen wir von zwei Intensivpatienten pro Kraft aus. Bei instabilen Patienten wäre sogar eine 1:1-Betreuung angesagt und das war jetzt unter den Covid-Bedingungen auch hier und da möglich. Man sieht: Man kann so arbeiten, wenn der Wille da ist.
Wie ist das Verhältnis bei euch normalerweise?
Dana Lützkendorf: Der Normalzustand vor der Coronakrise war auf unserer Station ein Verhältnis 1:2 bis 1:4.
Dass die Coronakrise zu einer solchen Verbesserung führt, klingt überraschend gut.
Dana Lützkendorf: Das ist auch nur ein Aspekt und betraf auch nur meine Station, nicht alle. Nicht, dass da ein falsches Bild entsteht. Auf anderen Intensivstationen musste trotzdem bis zu 1:4 gearbeitet werden. Als Begründung kam dann, dass ja genug Unterstützung durch die Springerinnen und Springer da wäre. So zu argumentieren finde ich fatal, weil die Verantwortung für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten ja die gleiche bleibt, ja sogar gestiegen ist.
Schutzmaterial gegen Corona fehlt
Aber unabhängig von der Personalsituation war sehr schnell klar, dass Schutzmaterialien fehlen. Ich arbeite auf einer Infektionsstation. Wir sind den Umgang mit Keimen gewöhnt. Das Personal zieht sich ständig an und aus. Das Schutzmaterial wird dann jeweils weggeschmissen, das ist Einwegmaterial. Während der Coronamaßnahmen war das Material rationiert, zum Beispiel auf eine FFP-2-Maske pro Schicht.
Silvia, Du arbeitest im Operationsbereich in der Anästhesie. Wie sehen die Bedingungen dort aus?
Silvia Habekost: Wir hatten schon im Februar eine Schulung, wo es darum ging, sparsam mit Schutzmaterial umzugehen. Bis dahin wurden wir immer darauf hingewiesen, zum Beispiel die Masken zu wechseln, wenn man reingeniest hat oder sogar einfach nur runtergezogen hat. Jetzt tragen wir die ganze Schicht dieselbe Maske. Wir arbeiten nah an den Atemwegen. Zu Beginn der Pandemie haben wir ganz normal mit Mund-Nasen-Schutz gearbeitet. Dann wurde langsam klar, dass das Virus per Aerosol übertragen wird und wir bekamen FFP-2-Masken; eine pro Schicht. Wir arbeiten zusätzlich mit Visieren, die haben wir uns aber privat besorgt. Inzwischen werden alle Patienten getestet, aber bei einem Notfall, der von der Straße kommt, können wir nicht auf das Ergebnis des Abstrichs warten. Ich würde sagen, in vielen Bereichen ist das Risiko einer Ansteckung sogar größer als auf den Covid-Stationen.
Wie reagieren die Kolleginnen und Kollegen darauf?
Silvia Habekost: Auf der einen Seite ist die Verunsicherung groß, weil plötzlich ganz andere Regeln gelten. Die Tests und die FFP-2-Masken gibt es noch nicht lange. Das hat das Vertrauen nicht gestärkt.
Ihr habt im April gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen eine Petition gestartet, die unter anderem die Versorgung mit Schutzkleidung zum Inhalt hatte. Innerhalb einer Woche haben sich 4.528 Beschäftige von Charité und Vivantes angeschlossen. Inzwischen fordert Ihr mit ver.di einen Berliner Corona-Krankenhauspakt. Was umfasst der?
Silvia Habekost: Zu dem Gesundheitsschutz kommen noch die Forderungen nach Anbindung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für die Beschäftigten in den ausgegliederten Tochterunternehmen und nach einem Belastungszuschlag für alle sowie eine Personalbemessung. Die Fallpauschalen sollen ausgesetzt oder gleich abgeschafft werden, die Krankenhäuser sollen kostendeckend finanziert und Beschäftigte in die Krisenstäbe geholt werden.
Wie habt Ihr es geschafft, in so kurzer Zeit so viel Unterstützung für die Forderungen zu sammeln?
Silvia Habekost: Zum einen haben wir genau den Nerv der Kolleginnen und Kollegen getroffen, dann haben wir mit persönlicher und telefonischer Ansprache die Listen verteilt und dieses Feedback bekommen. Die Listen wurden abfotografiert, eingescannt und kamen schnell zu uns zurück.
Mitte Mai habt Ihr ein Townhall-Meeting mit Gesundheitspolitikerinnen und -politikern und Beschäftigten in der Krankenpflege per Zoom veranstaltet. Worum ging es dabei?
Silvia Habekost: Wir hatten die Gesundheitssenatorin zum Gespräch aufgefordert und keine Antwort bekommen. Dann haben wir die Abgeordneten eingeladen und es kamen 20. Wir haben dort unsere Forderungen vorgestellt und danach ist der Corona-Krankenhauspakt entstanden. Dabei waren über 200 Beschäftigte als Zuschauerinnen und Zuschauer dabei.
Jetzt steht Ihr mitten in mehrstufigen Verhandlungen darüber. Wie wollt Ihr dafür sorgen, dass Eure Forderungen durchgesetzt werden?
Dana Lützkendorf: Wir bauen parallel zu den Verhandlungen eine Delegiertenstruktur auf. Wir haben neben der namentlichen Petition eine zweite, teamorientierte, gemacht. Da konnten sich Teams anschließen, die sich zu mehr als 50 Prozent hinter die Forderungen stellen und zu Aktionen bereit erklären. Auf den Stationen, wo diese Mehrheitspetitionen erfolgreich waren, gibt es bereits Delegierte. Diese Delegierten besprechen die Verhandlungen. In einem zweiten Schritt besprechen sie das Ergebnis in ihren Teams und das wird dann wieder rückgekoppelt.
An was für Aktionen denkt Ihr unter den herrschenden Abstandsregeln?
Dana Lützkendorf: Vielleicht solche wie in den USA, wo sich die Beschäftigten mit Abstand und Schildern vor die Krankenhäuser gestellt haben. Vivantes hat neun Häuser und die Charité drei. Eine Idee könnte sein, sich an den Hauptkliniken, die auch in Bezug auf den Pakt aktiv waren, an exponierten Orten hinzustellen oder die Straße zu säumen. Durch die Petition haben wir sichergestellt, dass da nicht nur 20 Leute stehen, wenn es nötig ist.
Wie schätzt Ihr Eure Chancen ein?
Silvia Habekost: Die Kolleginnen und Kollegen erfahren große Aufmerksamkeit. Sie gelten als systemrelevant. Das hilft uns jetzt.
Was meinst Du damit?
Silvia Habekost: Wir machen gerade einen großen Sprung. Dass die Arbeitssituation belastend ist und Personal fehlt, ist ja nicht neu. Neu ist, dass uns zugehört wird. Die Leute sehen die Auswirkungen der Pandemie in Italien, Spanien und den USA. Es wird deutlich, dass Profite im Gesundheitssystem nichts zu suchen haben. Es gibt ja schon lange Bündnisse und Proteste mit dem Ziel, die Verhältnisse im Gesundheitssystem zu verbessern. Aber erst jetzt hat es eine solche Aktion in die Tagesschau geschafft.
Was habt Ihr gemacht?
Silvia Habekost: Wir haben am 12. Mai, dem Tag der Pflegenden, mit unserem neuen Bündnis Gesundheit ohne Profite einen Sprechchor vor dem Bundesministerium für Gesundheit gemacht. Im Vergleich zu anderen Aktionen in der Vergangenheit war diese aufgrund der Abstandsregeln eher klein, aber sie war trotzdem in den nationalen Medien.
Was für Forderungen stehen in dem Aufruf zu diesem neuen Bündnis?
Silvia Habekost: Ganz wichtig ist, dass sich die Krankenhausfinanzierung verändern muss. Wir möchten, dass die Fallpauschalen abgeschafft werden und dass sie in einem ersten Schritt ausgesetzt werden. Wir fordern eine gerechte Entlohnung nach Tarif für alle Krankenhausbeschäftigte – vor allem in den Tochterunternehmen.
Mehr Geld für die Pflege
Dana Lützkendorf: Dazu kommt eine Personalbemessung am Bedarf der Patientinnen und Patienten orientiert per Gesetz. Dafür gibt es auch bereits einen gemeinsamen Vorschlag vom Deutschen Pflegerat, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und ver.di. Der Ball liegt aktuell bei Gesundheitsminister Jens Spahn. Das war schon im Februar fertig, bevor Corona dazwischenkam. Man könnte auch noch Pandemieforderungen mit aufnehmen, aber das Bündnis steht eher dafür, wofür wir seit Jahren kämpfen.
Silvia Habekost: Wir haben hier extreme Fortschritte gemacht. Nicht nur die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht inzwischen die Fallpauschalen kritisch. Die Berliner SPD hat erklärt, eine Bundesratsinitiative zu unterstützen, damit sie abgeschafft werden.
Eigentlich hattet Ihr auch Aktionen zur Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am 17. Juni geplant. Der Termin stammte noch aus Vor-Corona-Zeiten und ist jetzt abgesagt. Wie geht Ihr damit um?
Silvia Habekost: Mag sein, dass die Minister ihren Termin verschieben können. Wir haben aber trotzdem was zu sagen. Wir werden eine ähnliche Aktion wie zum Tag der Pflege vor der Senatsverwaltung für Gesundheit machen. Natürlich wieder mit Abstand, aber hoffentlich mit mehr Leuten. Berlin hat den Vorsitz der GMK.
Ist eure Bewegung auf Berlin beschränkt?
Dana Lützkendorf: Bundesweit gibt es noch mehr Bündnisse, besonders an Orten, wo es schon Kampagnen oder Volksentscheide zu Gesundheitsthemen gab. Die werden auch Aktionen machen. Es geht dabei nicht nur um Druck auf die Gesundheitsminister. Von denen fordern wir schon lange, dass sich nachhaltig etwas verändern muss, um das System zukunftsfähig zu machen. Wir wollen gerne und lange bis zur Rente in unseren Berufen bleiben und gut und positiv motiviert arbeiten können. Im Moment schaffen aber viele ihren Beruf körperlich und psychisch nicht, schon gar nicht in Vollzeit. Deswegen gehen sie aufgrund der Überlastung in Teilzeit oder verlassen den Beruf. Doch wie das mit den Eigentumsverhältnissen und Regelungen wie den Fallpauschalen zusammenhängt, war bisher schwer zu vermitteln. Jetzt ist die Aufmerksamkeit in der breiten Bevölkerung dafür da. Die wollen wir erreichen.
Wie wollt Ihr das machen?
Silvia Habekost: Wir versuchen, uns breiter aufzustellen. Das Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus gibt es ja schon länger. Die Gründung unseres Aktionsbündnisses Gesundheit ohne Profite zielt genau auf noch mehr zivilgesellschaftliche Organisationen.
Dana Lützkendorf: Gesundheit findet ja nicht nur im Krankenhaus statt. Wir möchten zum Beispiel die häusliche Pflege und ambulante Pflege mit ins Boot holen.
Wie erfolgreich seid Ihr bei der Ausweitung?
Dana Lützkendorf: Ende Mai gab es zum Beispiel eine gemeinsame Aktion zum Krankenhauspakt mit Umweltorganisationen, unter anderem mit Fridays for Future unter dem Motto »Geld für Pflege statt für Autos«. Die Idee ist, dass Umweltschutz und Gesundheit voneinander abhängen. Die Vorgeschichte ist ein Gesundheitsblock auf dem Klimastreik am 20. September 2019. Wir arbeiten weiter daran, uns noch breiter aufzustellen.
Unsere Interviewpartnerinnen:
Dana Lützkendorf arbeitet als Intensivpflegekraft an der Berliner Charité und ist bei ver.di und im Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus aktiv.
Silvia Habekost arbeitet als Krankenpflegerin bei Vivantes in Berlin und ist bei ver.di und im Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus aktiv.
Das Interview führte Jan Maas.
Schlagwörter: Corona, Pflege