Die 1960er und 70er Jahre waren nicht nur politisch unruhig, auch kulturell veränderte sich der Blick auf die bürgerliche Welt. Einen prägnanten Ausdruck fand dies im Horrorfilm. Anlässlich des 80. Geburtstags von Dario Argento, einem prägenden Schöpfer des italienischen Giallo, stellt Thomas Walter ihn und sein Werk vor
Dario Argento wurde am 7. September 1940 in Rom geboren. Als Regisseur und Drehbuchschreiber machte er sich ab den 1960er Jahren im Giallo-Genre einen Namen. Typisch für diese Gialli (giallo = gelb), in welchen die gutbürgerliche Welt von schrecklichen Verbrechen heimgesucht wurde, sind psychopathische Serienkiller, die wegen irgendwelcher früherer Traumata zu pathologischen Mörderinnen und Mördern wurden.
Bei Argento sind es auch grausame Hexen (»Mütter« oder madri), die in gutbürgerlichem Milieu ihr Unwesen treiben. Kritisch an diesen Horrorfilmen wird gesehen, dass die Opfer häufig junge Frauen sind, deren Todesangst oder -kampf minutenlang ausgewalzt wird. Dass in Argentos Filmen auch mal ein Mann daran glauben muss, wirkt schon fast eher als Alibi.
Dario Argento: »Suspiria«
So zum Beispiel in dem Horrorklassiker »Suspiria« von 1977: Gleich zu Beginn des Films erleiden zwei Schülerinnen an einer international renommierten »Tanzakademie« ein schreckliches Ende. Argento verwies darauf, dass auch die Hauptperson, die die böse Hexe am Schluss zur Strecke bringt, eine junge amerikanische Studentin ist. Einige der Unterhexen und -hexer sind freilich offensichtlich osteuropäischer Herkunft, so dass auch der Vorwurf, fremdenfeindliche Klischees zu bedienen, nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Der Film spielt in Freiburg, nahe dem Schwarzwald, aus italienischer Sicht offensichtlich ein besonders unheimlicher Ort. Gedreht wurde allerdings in München. Da Suspiria ein Erfolg wurde, ließ Argento zwei Sequels folgen »Inferno« (1980) und »La terza madre« (2007). So entstand die »Mütter«-Trilogie von insgesamt drei Hexen, die die Welt erobern wollen. Der erste Folgefilm spielt in New York, der zweite in Rom. Das Remake zu Suspiria aus dem Jahr 2018 von Luca Guadagnino wurde dann doch nicht mehr in dem jetzt wohl zu provinziellen Freiburg, sondern in Berlin angesiedelt.
Alltag wird zum Horror
Typisch für Argentos Filme ist, dass Alltagsgegenstände oder -szenen zum Horror werden. Da fällt der Schlüssel in den Gulli, die Tür, die man selbst verriegelt hat, sperrt jetzt Hilfe von außen aus, in der nächtlichen Straßenbahn oder im Vorortzug lauert der Mörder oder die Mörderin. Im Keller einer alten Stadtvilla schaffen lecke Wasserrohre eine unheimliche Stimmung.
Mitten auf einem nächtlichen Platz in München, auf dem Weg nach Hause vom Hofbräuhaus – Münchener Polizisten sind in der Nähe mit ihren früher üblichen langen weißen Ledermänteln – beißt der treue Blindenhund, von Hexen verzaubert, plötzlich seinem eigenen Herrchen die Kehle durch. In »Inferno« eilt im nächtlichen Central Park in New York der Hotdog-Verkäufer zur Hilfe, nur um das Opfer mit einem Messer vollends abzumurksen.
»Profondo Rosso«
Bei einigen Filmen mischen sich Horror- und Krimielemente, etwa im anderen Klassiker von Argento »Profondo Rosso« (1975). Ein britischer Jazz-Musiker, der von dem aus Blow Up (1966) bekannten David Hemmings dargestellt wird, versucht in Turin eine Mordserie aufzuklären und zu beenden, zumal er selbst bedroht wird. In einem Streitgespräch hält ihm sein italienischer Band-Kollege Carlo vor, er sei ein Bourgeois, der für die Kunst Klavier spiele. Carlo hingegen sei Proletarier und tue dies, um zu überleben.
In diesem wie in einigen anderen Argento-Filmen taucht das Motiv auf, dass eine Hauptperson zu Beginn etwas Entscheidendes wahrnimmt, sich aber während der gesamten Handlung nicht mehr genau erinnern kann. Erst am Ende der Geschichte klärt sich das Rätsel auf.
Nicht zuletzt mit seiner besonderen Farbtechnik gelang es Dario Argento eine unheimliche Stimmung und Spannung zu erzeugen. Bei einigen Filmen steuerte die Progressive-Rock-Band Goblin die Musik bei. Eine solche Atmosphäre kann heute wohl nicht mehr erzeugt werden. Auch Argento selbst schafft das nicht mehr so ohne weiteres, wie sein späteres Werk »La terza madre« (2007) zeigt.
Politisch zwiespältig
Politisch versteht sich Argento als links. Will man seine Filme politisch deuten, so zeigen sie, wie sich hinter einer scheinbar alltäglichen und sicheren gutbürgerlichen Fassade eine unsichere und unheimliche Welt verbirgt. Der Hintergrund zu Argentos Filmen ist der kranke und krisenhafte Kapitalismus. Die Kehrseite ist freilich, dass Argento und ähnliche Autoren auch nach dem kommerziellen Erfolg schielen und sich fragen lassen müssen, ob sie Sadismus, Frauen- und Fremdenfeinlichkeit kritisieren oder voyeuristisch zur Erhöhung der Zuschauerzahlen einsetzen.
Foto: Filmplakat »Suspiria«
Schlagwörter: Horrorfilm, Kultur