Ist liken Arbeit? Wie kann Klassenkampf im Internet aussehen? Gibt es eine politische Ökonomie des Internets? Julia Meier und Dirk Spöri haben sich die aktuelle Ausgabe der PROKLA für uns angesehen.
Die PROKLA-Ausgabe 186 vom Mai 2017 beschäftigt sich in einem Schwerpunkt mit der Politischen Ökonomie des Internets. Das Internet ist im Laufe der vergangenen 30 Jahre zu einem alltäglichen Bestandteil unseres Lebens, unserer Arbeit und der Gesellschaft geworden und hat Produktionsweisen verändert. Allerdings gibt es erst vergleichsweise wenige linke Analysen dazu.
Geschichte des Internets
Dementsprechend beginnt der Schwerpunkt mit einer »Kurzen Geschichte des Internets« von Susanne Lang. Lang leitet an vielen Beispielen her, wie politische Entscheidungen im Kalten Krieg und die seit den 90ern zunehmende Kommerzialisierung das Internet zu einem zentralen Instrument von Kommunikation und Gemeinschaft, aber auch zum Schauplatz der Intervention des Staates als Garant des Privateigentums und als Akteur von Überwachung sowie einem »von kapitalistischen Logiken durchsetzen Raum«, kurz, einem integralen Bestandteil des modernen Kapitalismus, gemacht haben.
Dünn bleibt der Artikel allerdings bei der ökonomischen Herleitung der privatwirtschaftlichen Aneignung des Internets in den 90er Jahren, die im Artikel auf die Herausbildung eines »Dienstleistungssektors von 1993 bis 2003« reduziert wird. Hier wäre mindestens zu nennen: die Privatisierung der Telekommunikationsunternehmen in westlichen Staaten in den 80ern und 90er Jahren, die Abschaffung von Regeln, die etwa Werbung einschränkten und auch auf anderen Ebenen die Internet-Infrastruktur in private Hände zu geben. Hintergrund der Privatisierungswelle waren, verkürzt gesagt, die gesunkenen Profitraten und die Stagnationskrise seit den 80er Jahren.
Ist freies Internet möglich?
Der zweite Artikel des Schwerpunktes, Kathrin Ganz’ »Vom freien Internet zur postdigitalen Gesellschaft« beschäftigt sich mit Ideen und Entwicklung der »Netzbewegung«. Ganz befasst sich mit der Idee des »freien Internet« als zentralem Bezugspunkt der Netzbewegung und fragt nach deren Potenzial »eine treibende Kraft in einer Auseinandersetzung um die Organisation gesellschaftlicher Produktions- und Herrschaftsverhältnisse« werden zu können.
Sie beschreibt eindrücklich die Vermischung liberaler, mit dem modernen Kapitalismus gut vereinbarer Ideen mit »Commons-basierten sozialen Praxen«, Werten von Austausch und Kollaboration, die einer Einbindung in »Logiken von Informationskontrolle, Eigentum und Verwertung« diametral entgegenstehen. Ganz stellt die naive Annahme vieler Aktivisten der Netzbewegung in Frage, die technischen Möglichkeiten des Internet führten über kurz oder lang automatisch zu einer Transformation der Eigentumsverhältnisse und hält ihr die reale Entwicklung einer rasanten Monopolisierung von Suchmaschinen (Google) und sozialen Netzwerken (Facebook) entgegen. Sie beschreibt, wie die Idee eines ursprünglich freien Internet zu einer Fehlinterpretation von Konflikten führt: Anstatt kapitalistischer Verteilungskonflikte innerhalb des Kapitals und handfester Klassenauseinandersetzungen wird ein Konflikt der »alten« mit der »neuen« Wirtschaft gesehen. Unter anderem darauf gründet sie ihre Einschätzung, die Frage nach dem revolutionären Potential der Netzbewegung müsse mit Nein beantwortet werden. Für die Gesamtheit der Netzbewegung liegt sie damit sicher richtig, doch sollten wir nicht übersehen, dass mindestens Teile einer Bewegung gegen staatliche Überwachung und Einschränkung durch kapitalistische Eigentumsverhältnisse das Potential haben sich zu radikalisieren.
Ist liken Arbeit?
Der dritte Artikel, »Facetten der Debatte über das digitale Arbeiten« von Sebastian Sevignani, befasst sich mit einer Annahme, die sich durch den ganzen Schwerpunkt zieht: Das Posten und Teilen von Inhalten in sozialen Netzwerken sei in irgendeiner Form Arbeit. Sevignanis Artikel zeichnet im Wesentlichen die Debatte nach. Doch in jeder der vorgestellten Betrachtung wird die Aktivität in sozialen Netzwerken als Arbeit definiert. Einige, Christian Fuchs und der Autor selbst, sehen sie gar als produktive, Mehrwert schaffende Arbeit an, Andere als unproduktive Arbeit, die Theorien unterscheiden sich in der Einschätzung, ob diese Arbeit entfremdet sei oder nicht, doch in keiner vorgestellten Betrachtung wird die Sichtweise der Aktivität in sozialen Netzwerken als Arbeit in Frage gestellt.
Dem zugrunde liegt ein fataler Fehlschluss: Obwohl jeder Artikel des Schwerpunktes, und insbesondere dieser, auf die Tatsache verweist, dass Google und Facebook ihre riesigen Gewinne durch Werbung erzielen, verschleiern verschiedene Aspekte der Internetökonomie offensichtlich den Blick auf eine simple Schlussfolgerung: Dass diese Unternehmen, wie alle Unternehmen der Werbebranche, wie vor ihnen Werbebanner an besonders lukrativen öffentlichen Orten, wie quotenbasiert ausgewertetes werbefinanziertes Fernsehen, der Austauschsphäre angehören und sich aus Mehrwert finanzieren, der in den produktiven Teilen der Wirtschaft erzeugt wird.
Einer dieser verschleiernden Umstände ist die Höhe der Umsätze, die Menge an Geld, die in dieser Branche verschoben werden. Der zweite, interessantere, ist die Überwachung, die Unternehmen wie Google oder Facebook ihren Nutzern aufzwingen. Dass diese Überwachung dem ökonomischen Motiv der immer zielgenaueren Werbung folgt, erkennen alle beschriebenen Theorien an. Und doch wird das Einstellen von Beiträgen als Arbeit gesehen, da die aus der Überwachung gewonnenen Daten für die Werbefirmen wertvolles Eigentum darstellen. Niemand jedoch käme auf die Idee, Interaktion in einem öffentlichen, nicht digitalen, Raum in Anwesenheit einer Werbetafel zu Arbeit zu erklären. Dabei tut Facebook nichts Anderes: Facebook stellt einen quasi öffentlichen Raum zur Verfügung, in dem Menschen sich treffen und miteinander interagieren sollen, um möglichst umfassend der gezeigten Werbung ausgesetzt zu sein. Dass diese Werbung durch Überwachung jeder Interaktion passgenau zugeschnitten wird, ändert nichts am Geschäftsmodell von Facebook. Würden die zahllosen Überwachungskameras am Potsdamer Platz dazu verwendet, die Anwesenden zu überwachen und die Werbebotschaften an die Anwesenden anzupassen, so wäre dies wohl eine Protest herausfordernde Dystopie, doch der Aufenthalt auf dem Platz würde auch damit nicht zu einer Form der Arbeit.
Internet und Überwachung
Im vierten Artikel mit dem Titel »Digitale Disziplin. Zur Transformation der inneren Sicherheit« beschreibt Christian Meyer plastisch, wie im Neoliberalismus soziale Sicherheit abgebaut wird und im Gegenzug »Innere Sicherheit« eine größere Bedeutung bekommt, um die Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen durchzusetzen. Der Artikel legt dar, wie dies Hand in Hand mit der Integration neuer Technologie wie Überwachungskameras, Datamining und Bilderkennung und allgemein der Vernetzung des Internets passiert. Es ist ein Verdienst des Artikels, dass er nachdrücklich fest stellt, dass es gezielte Projekte und politische Entscheidungen sind, die Nutzung neuer Technologien voranzubringen, diese zu entwickeln und den politischen Rahmen für ihren Einsatz zu schaffen. Die Rolle des Staates als Instrument der Durchsetzung der Interessen der herrschenden Klasse wird damit plastisch sichtbar.
Staatstheorie der Digitalisierung
Allerdings bleibt der Artikel auf der Ebene der Diskursanalyse stehen. Eine Staatskritik oder Staatstheorie als solche wird weder entwickelt noch darauf verwiesen. Dementsprechend kommt die ökonomische und geopolitische Entwicklung der Krisen Anfang und Ende der 90er Jahre sowie 2008, die Neuaufteilung der Welt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und die Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz, als Triebfeder der so eindrücklich beschriebenen Entwicklung nicht vor. Die Klasseninteressen im neoliberalen Kapitalismus werden zwar sichtbar, aber nicht tiefer analysiert. Dementsprechend kommt auch der Kampf um bzw. gegen den Staat nicht vor.
Dies ist die größte Schwäche der gesamten Ausgabe. Klassenkämpfe sind nicht Gegenstand der Betrachtung, ihre bloße Existenz taucht in den Texten kaum auf. Ebenso wenig eine Frage, die sich bei dem Thema geradezu aufdrängt, ob und wenn ja wie neue Technologie in Klassenkämpfen genutzt werden, ob und wenn ja wie sie das Kräfteverhältnis im Klassenkampf verschieben oder auch ob, und wenn ja wo sie zu einer Schwachstelle für die herrschende Klasse werden können.
Überhaupt zeichnen sich die Texte durch das vollständige Fehlen der Arbeiterklasse aus: Weder wird die veränderte Arbeitswelt beschrieben, noch die Grenzen und Möglichkeiten des Aufbegehrens unter neuen technischen Voraussetzungen.
Klassenkampf im Internet
Einen Lichtblick in dieser Hinsicht bietet Christian Frings »Das Problem der Linken mit der Technik. Ein Zwischenruf aus dem Maschinenraum« als fünfter und letzter Artikel des Schwerpunktes, wenn er aufruft »unser Augenmerk […] auf die noch so kleinen Versuche einer Wiederaneignung der kollektiven Dimension der Produktion in den Klassenkämpfen [zu] richten«. Doch bleibt dieser Artikel dann bei seiner Kritik an der vorherrschenden Trennung von Natur- und Sozialwissenschaften, eben wieder in der Diskursanalyse, stehen. Das Plädoyer für eine zusammengedachte Wissenschaft der Gesellschaft, der Natur und Technik ist richtig und eindrucksvoll ausgeführt. Doch verleitet sie zu einer Ansicht, nach der wir Gesellschaft und Natur nur richtig zu betrachten bräuchten, um ihre Widersprüche auszuräumen. Das ist aber nicht der Fall.
Die Bearbeitung der Natur in einer kapitalistischen Gesellschaft führt nicht nur zu ständiger Fortentwicklung der Technik, sondern auch zu andauernden Widersprüchen aufgrund mangelnder Ressourcen und kapitalistischer Konkurrenz und zu einer ewigen Reproduktion der angeprangerten Arbeitsteilung und Wissenstrennung. Diese Widersprüche sind es, die den Kapitalismus trotz bzw. gerade wegen seiner technischen Entwicklung und Produktivitätssteigerungen immer wieder in Krisen stürzen. Das Wesen des Kapitalismus ist es eben gerade, die Chancen, die neue Technologien bieten, immer wieder zu verspielen.
Hinter diesen Vorhang der verspielten Möglichkeiten erhaschen die jungen Netzaktivisten einen Blick, wenn sie in ihrer selbstgebauten Internet-Gemeinwohl-Produktion von freier Software und Community Wikis das blasse Abbild einer anderen Zukunft sehen. Es ist der selbe Vorhang, hinter den die Arbeiter des beginnenden 20.Jahrhunderts, durch lange Erfahrungen der Arbeiterbewegung sehr viel klarer sahen, als sie, in fester Überzeugung, dass die immer vernetztere Produktion und die immer größeren Fabriken die Voraussetzungen für eine gemeinschaftliche, selbstorganisierte Produktion schaffen würden, Streiks, Widerstand und Revolutionen wagten.
Das Wesen des Kapitalismus, das Wesen der verspielten Möglichkeiten, der wahnsinnigen Widersprüche in dem die Vereinfachung der Produktion durch Technik eher in die Verelendung denn in den Wohlstand führt, ist der Grund, warum Klassenkämpfe nötig sind. Keine Technologie der Welt wird die Widersprüche des Kapitalismus auflösen können. Aber die Widersprüche, die uns den Wahnsinn dieser Wirtschaftsordnung so deutlich vor Augen führen sind dieselben Widersprüche, die Schwächen der herrschenden Klasse auslösen, die wir ausnutzen können.
Leider widmet sich keiner der Texte diesem Verhältnis zwischen Produktivkraftentwicklung und Krisendynamik im Kapitalismus, dessen Analyse unter den neuen Bedingungen von Digitalisierung und Internetökonomie notwendig wäre.
Dieser Schwerpunkt der PROKLA macht einen Aufschlag für eine Debatte, die wir als gesellschaftliche Linke weiterführen werden müssen. Als solcher ist er eine lohnende Lektüre, wirft jedoch mehr Fragen und Ansätze für Kritik auf, als er zu klären vermag.
Foto: balleyne
Schlagwörter: Bücher, Internet, Klassenkampf, Kultur, politische Ökonomie, Rezension, Überwachung