Jules El-Khatib macht es sich zu leicht, wenn er ein Einwanderungsgesetz ablehnt, meint Susanne Hennig-Wellsow.
Der Text »DIE LINKE sollte gegen restriktive Gesetze kämpfen« von Jules El-Khatib atmet den Geist einer defensiven nicht progressiven, erst recht nicht einer radikalen Haltung. Unsichere Fluchtwege und nicht vorhandene Perspektiven für hunderttausende spielen in seiner Betrachtung keine Rolle. Was sagt man einem Geflüchteten als LINKE auf die Frage, warum er als Roma an den Balkan zurück muss? Warum er nicht bleiben darf, obwohl sein Lebensmittelpunkt hier besteht? Weil wir im Kapitalismus leben und die LINKE deshalb keine Gesetzesänderungen vorschlägt?
Positive Idee des gemeinsamen Zusammenlebens
Jules missachtet unsere Verantwortung, eine positive Idee des gemeinsamen gesellschaftlichen Zusammenlebens an Alltagserfahrungen gespiegelt zu formulieren, in einer Zeit des mehrheitlichen Rückzugs auf das Nationale und der Verweigerung internationaler Solidarität für Menschlichkeit zu streiten.
»Ich bin gegen ein linkes Einwanderungsgesetz. Denn unter kapitalistischen Bedingungen wird jegliche gesetzliche Regelung von Einwanderung immer einen restriktiven Charakter annehmen: Sie regelt immer auch, unter welchen Bedingungen Menschen gehen müssen.« Könnte es dann auch heißen: ich bin gegen ein linkes Mindestlohngesetz, weil es auch immer regelt, wie viel Geld nicht gezahlt wird?
DIE LINKE muss Verantwortung übernehmen
DIE LINKE ist in mehreren Parlamenten vertreten, u.a. in drei Landesregierungen. Es ist falsch zu glauben, DIE LINKE könne ausschließlich außerparlamentarisch Wirkung erzeugen. Im Gegenteil, sie hat ebenso die Verpflichtung als Teil der gesetzgeberischen Gewalt ihre politischen Ideen in juristische Formeln zu gießen. Aus welchen Gründen treten wir sonst bei Wahlen an? Parlamentarische Verantwortung zu tragen und Regierungsverantwortung auszufüllen, kommt für Jules nicht in Betracht. DIE LINKE hat aber auch diese Gestaltungsmöglichkeiten von Politik in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung übertragen bekommen.
Nur »offenen Grenzen« zu fordern reicht nicht
Wir dürfen uns nicht mit Forderungen nach »offenen Grenzen« begnügen, wir müssen formulieren, dass es anders geht und wie. Wollen wir einer von Nützlichkeitsrassismus geprägten Debatte über Einwanderung und vorliegenden Konzepten der anderen Parteien wirksam etwas entgegensetzen, müssen wir erklären, was wir entgegensetzen und wie eine Alternative funktionieren kann: Teilhabe, soziale Sicherheit, Gleichstellung und Bewegungsfreiheit sind so hohe Güter für jeden Menschen, dass sie rechtlicher Zusicherung bedürfen. Linkes Einwanderungsrecht formuliert eine andere, solidarische Idee des gesellschaftlichen Zusammenlebens und stellt sich damit auch der kapitalistischen Verwertungslogik entgegen. Warum nicht den Mut aufbringen und dafür streiten?
Zur Autorin:
Susanne Hennig-Wellsow ist Landesvorsitzende der LINKEN in Thüringen und Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag.
- Susanne Hennig-Wellsow: »Wir brauchen ein linkes Einwanderungsgesetz«
- Jules El-Khatib: »DIE LINKE sollte gegen restriktive Gesetze kämpfen«
- Ulla Jelpke/Lena Kreck: »Kann es ein linkes Einwanderungsgesetz geben?«
- Susanne Hennig-Wellsow: »Nur offene Grenzen zu fordern reicht nicht«
- Jules El-Khatib: »Gleiche soziale und politische Rechte für alle!«
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Schlagwörter: Einwanderungsgesetz