Berlin erlebte rund um den gestrigen AfD-Aufmarsch die größten antifaschistischen Proteste seit vielen Jahren. Ein klarer Punktsieg für unsere Seite, doch die letzte Schlacht ist noch nicht geschlagen
Einen »Tag der Abrechnung« mit Merkel unter dem Motto »Zukunft Deutschland« hatte die AfD angekündigt. Doch Zehntausende Berlinerinnen und Berliner zeigten, dass sie für die rechte Hetze nichts übrighaben und stellten sich den Rassisten entgegen.
Auch wenn der AfD-Aufmarsch am Sonntag in Berlin nicht verhindert wurde, konnten die Rechten in der Hauptstadt keinen Meter ohne lautstarken Gegenprotest laufen. Etwa 72.000 Menschen fluteten das Regierungsviertel und protestierten gegen 5.000 AfDler.
Die Abschlusskundgebung der AfD war von zehntausenden Antifaschistinnen und Antirassisten umzingelt. »Haut ab!«, »Nazis raus!« und »Ganz Berlin hasst die AfD!« schallte es den rechten Hetzern stundenlang entgegen.
Nazis geben Takt in der AfD an
Auf der AfD Demo hetzten die Rednerinnen und Redner in gewohnter Manier gegen Geflüchtete und Muslime. Andreas Kalbitz, Partei- und Fraktionsvorsitzender in Brandenburg und Mitglied des neofaschistischen »Flügel« innerhalb der AfD, zitierte Höcke, der die AfD als »letzte evolutionäre Chance für das Vaterland« bezeichnete und damit implizit mit dem gewaltsamen Umsturz drohte. »Höcke, Höcke« skandierten daraufhin die Teilnehmer des Aufmarschs. An der AfD-Demo nahmen auch offene Nazis und »Identitäre« teil. Es zeigte sich erneut, dass der Nazi-Flügel in der AfD den Takt angibt.
Auch in der Ansprache von Kalbitz wurde deutlich, dass es den Nazis innerhalb der »Alternative« darum geht, Bündnisse im rechtsradikalen Spektrum zu schmieden und auf der Straße den Schulterschluss mit Nazis, »Identitären« und rassistischen »Bürgerbewegungen« zu vollziehen. »Und ich danke auch den Vertretern der Mitstreiter der zahlreichen Bürgerinitiativen, Pegida Dresden, den engagierten Frauen von ‚Kandel ist überall‘, der ‚Zukunft Heimat‘, ‚Ein Prozent«, den ‚Merkel-muss-weg-Initiativen‘. Und so vielen anderen Menschen, auch jungen Menschen«, so Kalbitz.
Der Schein »anständiger Patrioten«
Im Vorfeld der Demonstration hatte es im AfD-Vorstand Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob der Aufmarsch in Berlin tatsächlich stattfinden soll. Während für die neofaschistischen Kräfte in der AfD der Kampf um die Straße und der Aufbau einer Massenbewegung zentrales strategisches Ziel ist, zögern die bürgerlichen Kräfte, die zwar genauso rassistisch hetzen wie die Nazis, die AfD jedoch als parlamentarische Opposition und nicht als faschistische Bewegungspartei aufbauen wollen. Nazi-Aufmärsche unter dem Banner der Partei gefährden diese Strategie.
Dass der Aufmarsch stattfand, ist ein weiterer Beleg dafür, dass der neofaschistische Flügel mittlerweile den Ton in der Partei angibt. Dennoch wurde auf der Demo darauf geachtet, den Schein »anständiger Patrioten« zu wahren. Reichsflaggen und andere Nazi-Symbolik, wie beim sogenannten Frauenmarsch der AfD im Februar dieses Jahres waren nicht zu sehen. Stattdessen hatte die AfD zu Demobeginn hunderte Deutschlandfahnen verteilt, die das Bild des Aufmarschs dominierten.
Punktsieg, aber kein »K.O.-Schlag«
In der rechten Presse wird die Demonstration als voller Erfolg gefeiert. Die »Junge Freiheit« frohlockte über das »schwarzrotgoldene Fahnenmeer«, während Jürgen Elsässer von »Compact« behauptet, die »Hammer-Demo« habe die »Demonstrationsfreiheit gerade in der linksradikalen Hochburg zurückerobert«. Tatsächlich ist die Teilnehmerzahl mit höchstens 5.000 AfD-Anhängern deutlich geringer als die zunächst angekündigten 12.000. Bereits im Vorfeld hatte die AfD ihre Erwartungen trotz bundesweiter Mobilisierung herunterschrauben müssen. Die Gegenproteste waren hauptsächlich aus Berlin mobilisiert. Die Stärke im Vorfeld der Mobilisierung war die Vielfalt: Clubs, Theater, ein breites politisches Bündnis und die Antifa haben die ganze Stadt in Bewegung gesetzt. Das Berlin, das gegen Fremdenhass und gegen Unterdrückung kämpft, war deutlich stärker als die Hetzer.
Insofern waren die Aktionen gegen den Aufmarsch der AfD ein wichtiger Schritt nach vorne. Klarer Punktsieg für das antifaschistische Berlin gegen die AfD. Leider kein »K.O.-Sieg« da die Blockaden nicht geklappt haben. Woran lag das?
Warum scheiterten die Blockaden?
Es lag sicher nicht an der Masse der Menschen, die gegen die AfD auf der Straße waren. Zahlenmäßig waren die Antifaschistinnen und Antifaschisten den AfDlern weit überlegen – selbst mit den konservativ geschätzten 25.000. Die Zahl derer, die an diesem Tag die AfD wirklich stoppen wollten, war groß. Alleine zum Sammelpunkt am Mehringplatz kamen 1000 Menschen. Die Situation war jedoch auf Grund der Routenführung kompliziert. Die Route der AfD war extrem kurz und von der Polizei weiträumig abgeschirmt. Die Route war umgeben von natürlichen Hindernissen (Spreeufer). Die Taktik den AfD-Marsch durch dezentrale Blockaden aufzuhalten hat unter diesen Bedingungen nicht funktioniert.
Rückblickend wären die Chancen wohl besser gewesen, sich nur auf einen zu blockierenden Punkt zu konzentrieren. Der Abschlusskundgebungsort der AfD vor dem Brandenburger Tor hätte ein solches Ziel seien können. Dafür hätten aber die »Blockadewilligen« ihre Kräfte bündeln müssen und den Platz frühzeitig durch Aktionen des zivilen Ungehorsams besetzen müssen. Angesichts der Kräfteverhältnisse wäre es für die Polizeiführung schwierig gewesen, eine politisch breit getragene Platzbesetzung aufzulösen. Die Massen an Menschen die dafür nötig gewesen wären, kamen schlicht zu spät, nämlich als sich der Kundgebungsplatz der Alternative für Deutschland schon füllte.
Erfolgreiche Platzbesetzung gegen Nazis
Das politische Vorbild für eine solche Platzbesetzung ist München. Als 1997 die Naziszene bundesweit 4000 nach München mobilisierte, um gegen die Wehrmachtsaustellung zu demonstrieren, stellten sich 25.000 Münchenerinnen und Münchener ihnen in den Weg.
Nach einer antifaschistischen Demonstration am Vormittag mit 10.000 Protestierenden strömten immer mehr Menschen zum Mariannenplatz. Sie durchbrachen teilweise die Polizeiabsperrungen und besetzten den Platz der Endkundgebung der NPD. Und das, obwohl der damalige SPD-Oberbürgermeister von München, Christian Ude, im Vorfeld den Aufruf sich den Nazis am Mariannenplatz entgegenzustellen scharf kritisierte und der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber angekündigt hatte, den Platz notfalls mit Polizeigewalt zu räumen.
Geheime Routen vs. Offene Debatte
Im Unterschied zu Berlin wurden damals in München schon im Vorfeld die Blockade des Endkundgebungsorts bekannt gegeben. Rückblickend zeigt sich jetzt, dass die in Berlin gefahrene Blockade-Taktik in kleinen Gruppen durch die Straßen zu rennen und zu versuchen die AfD-Route zu besetzen, nicht funktionierte und nicht zu Massenblockaden führte. Es war ein Fehler, dass die Routen der Finger nicht veröffentlicht wurden und dass sie weitgehend außerhalb der Demonstrationen unterwegs waren, statt die »Finger« von der zentralen Kundgebung aus starten zu lassen.
Die Entschlossenheit der Menschen auf der Kundgebung von »Stoppt den Hass«, in der »Glänzenden Demonstration« und auch beim Rave war hoch, die Bereitschaft zum Blockieren da. Es fehlte der politische Wille im Vorfeld sich auf einen Blockadepunkt zu einigen und diesen auch in aller Öffentlichkeit zur Diskussion zur stellen.
SPD-Innensenator hilft der AfD
Dass die AfD überhaupt mit einem blauen Auge davongekommen ist – und sich im Nachhinein ihre Demonstration als einen Erfolg zurecht lügen kann – haben sie aber auch dem Berliner SPD-Innensenator zu verdanken.
Die Polizei hat einen Korridor herausgeschnitten, in dem die Alternative für Deutschland allein marschieren konnte. Dass die Berliner SPD den Aufruf unterstützt hat, war wichtig. Aber der Senator fühlte sich nicht an die Partei, sondern die Staatsräson gebunden.
Die letzte Schlacht…
Trotz des großen Polizeiaufgebots war die Abschlusskundgebung von zehntausenden Protestierenden umzingelt. Und auch die Heimreise wurde für die AfDler zum Spießrutenlauf. Im Hauptbahnhof skandierten tausende Antifaschistinnen und Antifaschisten »Nazis verpisst euch, keiner vermisst euch!« und »Ganz Berlin hasst die AfD«.
Das Berlin, das gegen Fremdenhass und gegen Unterdrückung kämpft, war am Sonntag den 27. Mai 2018 deutlich größer als die Hetzerinnen und Hetzer von der AfD. Danke Berlin! Aber die letzte Schlacht ist noch nicht geschlagen.
Fotos: Lucas Oliveira und Oskar Stolz
Schlagwörter: Antifaschismus, Inland