Herero und Nama erheben Klage wegen Völkermord. Die Bundesregierung weigert sich, Verantwortung für die Verbrechen des Kolonialismus zu übernehmen. Von Niema Movassat
Anfang dieses Jahres haben Vertreter der Herero und Nama aus Namibia in New York eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Darin fordern sie materielle Wiedergutmachung für Völkermord zwischen 1904 und 1908 sowie eine direkte Beteiligung an den Verhandlungen.
Die offiziellen Verhandlungen der Bundesregierung mit der namibischen Regierung dauern nun schon über ein Jahr. Doch dieser Prozess, ursprünglich angetreten um Versöhnung zu fördern, ist dabei alte Wunden aufzureißen und neue Verwerfungen zu schaffen. Denn die betroffenen Gruppen sitzen nicht am Verhandlungstisch und Deutschland lehnt jegliche Reparationszahlungen ab.
Völkermord und Landraub
Zwischen 1904 und 1908 verübte das Deutsche Kaiserreich in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einen Völkermord. Dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte bestimmt noch immer das Leben der Nachfahren. Denn damals ermordeten deutsche Soldaten nicht nur bis zu 100.000 Hereros und Namas, sondern sie zerstörten auch die ökonomischen Existenzgrundlagen der Überlebenden, indem sie ihnen ihr Land und Vieh raubten, ohne Ausgleich zu leisten.
Die heutige ungleiche Landverteilung, bei der Weiße immer noch über 80 Prozent des Landes besitzen, hat ihren unmittelbaren Ursprung im Völkermord. Auch deshalb leben viele der Nachfahren in Armut. Der oberste Herero Chief Vekuii Rukoro hat unmissverständlich klar gemacht, dass eine symbolische Entschuldigung ohne materielle Wiedergutmachung nichts wert ist.
Massaker des Kolonialismus
Die juristischen Erfolgsaussichten der Klage sind schwer vorherzusagen. Durchaus vielversprechend ist der Bezug auf das in der UN-Konvention über die Rechte indigener Völker festgeschriebene Recht an »Entscheidungsprozessen in Angelegenheiten, die ihre Rechte berühren können, durch von ihnen selbst gemäß ihren eigenen Verfahren gewählte Vertreter mitzuwirken«. Sowohl Deutschland als auch Namibia haben diese Konvention unterzeichnet. Zwar leitet die jetzigen Verhandlungen mit Dr. Zed Ngavirue ein Herero, er wurde aber von der namibischen Regierung bestimmt, ohne die Zustimmung der offiziellen Vertreter der Herero und Nama.
Sollte Deutschland gerichtlich dazu verpflichtet werden, Entschädigungen zahlen zu müssen, wären die Folgen immens. Auch andere Massaker der Kolonialzeit wie der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika und Verbrechen anderer früherer Kolonialmächte wie Großbritannien oder Frankreich könnten neu verhandelt werden.
Falsches Spiel mit der Entwicklungshilfe
Entscheidender als der rechtliche Aspekt ist jedoch die politische Botschaft der Klage. Sie ist ein Protest gegen den völlig unsensiblen Umgang mit den Volksgruppen und die Nachwirkungen des Kolonialismus. Immer wieder haben Herero und Nama darauf hingewiesen, keine Übereinkunft hinzunehmen, die ohne sie zustande gekommen ist. In ihren Worten heißt das: »Everything about us without us is against us.«
Die Bundesregierung gibt vor, historische Verantwortung übernehmen zu wollen, nimmt diese Signale aber nicht ernst. Als Reaktion auf die Klage ließ das Auswärtige Amt über seinen Sprecher Martin Schäfer lediglich verlauten, die Gespräche liefen gut und es sei »bewusst unterlassen« worden mit den Herero und Nama direkt zu verhandeln. Auch der Sonderbeauftragte der Bundesregierung Ruprecht Polenz (CDU) zeigte sich betont gelassen, schließlich habe es schon mehrere erfolglose Versuche gegeben Entschädigungszahlen vor Gericht zu erstreiten. Statt die eigene diplomatische Strategie zu hinterfragen, gibt man sich überheblich und selbstgerecht.
Dabei spielt die deutsche Seite bei der Reparationsfrage ein falsches Spiel. Sie versuchte seit der Unabhängigkeit 1990 an den namibischen Staat gezahlte Entwicklungshilfegelder unter der Hand als Wiedergutmachung zu verkaufen. Doch eine Hilfsleistung unterliegt der Gnade des Gebers, Wiedergutmachung dagegen steht den Nachfahren der Opfer zu. Offenbar dachte die Bundesregierung, sie könne Geld bezahlen, ohne sich klar zur Schuld zu bekennen und dafür um Vergebung zu bitten.
Pappkameraden statt Ehrlichkeit
Auch im Zuge der jetzt laufenden Verhandlungen wird es vermutlich keine Reparationen geben, zumindest keine Zahlungen unter diesem Begriff. Der deutsche Botschafter Christian Schlaga spricht von freiwilligen Leistungen zur Heilung und Entwicklung.
Ruprecht Polenz verteidigt seine Haltung, individuelle Entschädigungszahlungen schon vor Abschluss der Verhandlungen ausgeschlossen zu haben. Leider seien die Erwartungen an die Gespräche von vornherein mit einer solchen Perspektive belastet gewesen, so Polenz. Damit baut Polenz aber Pappkameraden auf. Ein Blick in die Klageschrift genügt, um zu sehen, dass die Herero und Nama keine individuellen Entschädigungen fordern. Vielmehr geht es ihnen um einen kommunalen Aufbaufonds, der helfen soll, einen Ausgleich struktureller Benachteiligungen herzustellen. Hierbei geht es beispielsweise um den Kauf von Land oder Infrastrukturprojekte. Das ist etwas völlig anderes als individuelle Zahlungen.
Die Bundesregierung gibt vor, gerne weltweit Verantwortung übernehmen zu wollen, insbesondere auch auf dem afrikanischen Kontinent. Dabei ist sie nicht einmal in der Lage, aus der Vergangenheit zu lernen. Stattdessen nimmt sie die unmittelbar Betroffenen nicht ernst und will als Täterseite die Bedingungen der Versöhnung vorab bestimmen. Das ist Unterdrückung in bester Kolonialherrenmanier und kein würdevoller und respektvoller Umgang mit dem Völkermord.
Der Autor:
Niema Movassat ist Mitglied des Deutschen Bundestages für die Partei DIE LINKE und Obmann im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Foto: UweHiksch
Schlagwörter: Bundesregierung, Bundesrepublik Deutschland, Deutsches Reich, DIE LINKE, Kolonialismus, Linksfraktion