Auch im Lockdown lief und läuft die Arbeit weiter. Sebastian* berichtet von der Stimmung in der Belegschaft einer Druckerei in Thüringen
Wo arbeitest du? Wieviele Beschäftigte sind in deinem Unternehmen tätig?
Ich arbeite in der Binderei einer großen Druckerei in Ostthüringen mit etwa 700 Beschäftigten.
Wie hat der »Lockdown« deine Arbeit verändert?
Die Arbeit lief während des Lockdowns stets weiter. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 gingen etliche Kolleginnen und Kollegen ins Homeoffice. Wer konnte, arbeitete von zu Hause. Ich weiß nicht, wie das aktuell ausschaut. Doch die allermeisten Kolleginnen und Kollegen müssen in der Fabrik erscheinen.
Hauptsache Produktion fortsetzen
Angesichts der neuen Situation war man zunächst sehr vorsichtig. Man achtete auf Maske und Abstand und versuchte, durch eine Stunde Stillstand die Schichten voneinander zu isolieren. Die Vorsicht seitens des Arbeitgebers vom letzten Jahr ist inzwischen dem Ziel gewichen, die Produktion fortzusetzen. So gesehen hat der Lockdown keine weiteren nennenswerten Einflüsse auf das Arbeitsleben. Und das, obwohl die Zahlen rund um Covid zuletzt dramatisch waren.
Wie ist der Gesundheitsschutz bei dir im Betrieb geregelt? Fühlst du dich geschützt?
Da unsere Region von der ersten Welle weitgehend verschont blieb, wirkten die Maßnahmen, die man im März 2020 ergriffen hatte, eher hinderlich. Alle paar Meter erinnerten Aufsteller oder Plakate an Abstand und Maske. Die Kolleginnen und Kollegen waren angehalten, 1,5 Meter Abstand zu halten. Wo dies nicht machbar war, sollte Maske getragen werden. Doch kaum jemand kannte einen Fall von Corona. Auch im erweiterten Bekanntenkreis war niemand erkrankt oder auch nur positiv getestet. Deshalb war die ganze Sache etwas abstrakt. Die Maßnahmen wurden weit weniger diszipliniert eingehalten, als geboten war.
Doch bereits im Herbst wendete sich das Blatt komplett. Plötzlich kamen die Einschläge näher. Mit dem Risiko konfrontiert, genügten etlichen Kollegen die wirklich umfangreichen und gut durchdachten Maßnahmen im Betrieb nicht mehr. Während zu Beginn der Pandemie der Arbeitgeber Mühe hatte, die Maßnahmen durchzusetzen, war es jetzt vielen Kolleginnen und Kollegen unverständlich, dass die Produktion unbedingt aufrecht gehalten werden muss.
Eine gespaltene Belegschaft
Die Belegschaft ist gespalten. Es gibt etliche Leute, die nicht an die Gefährlichkeit des Virus glauben. Einige davon nehmen am »Montagsspaziergang« der Coronaleugner teil. Entsprechend halten sie sich in der Fabrik auch nicht an Abstände und Maskenpflicht, sobald sie quasi unbeobachtet sind. Andere Kolleginnen und Kollegen hingegen haben inzwischen Angst, sich auf Arbeit zu infizieren. Vor allem ältere oder gesundheitlich vorbelastete Personen, wie etwa mit Asthma. Menschen, die privat auf jeden unnötigen Kontakt verzichten, in der Firma jedoch einem relativ hohem Risiko ausgesetzt sind.
Wir alle haben zusehen müssen, wie Kolleginnen und Kollegen positiv getestet wurden oder gar erkrankten, eine Nachverfolgung der Infektionskette aber nicht stattfand. Die Behörden haben angesichts der hohen Infektionszahlen der zurückliegenden Wochen keine Chance, Infektionsketten nachzuvollziehen, geschweige denn zu unterbrechen. Man hinkt der Realität um Tage hinterher und lässt viel zu viele Leute ungetestet.
Der Lockdown, der keiner ist
Deshalb erkennen Kolleginnen und Kollegen zwar die Bemühungen des Arbeitgebers an, welcher auch Masken kostenlos zur Verfügung stellte. Viel lieber würden sie jedoch eine Arbeitspause einlegen. Denn in einem Punkt ist man sich einig: Entweder haben wir ein ernstes Problem mit einem gefährlichen Virus, dann muss man den Stecker komplett ziehen, oder wir haben kein ernstes Problem. Der Lockdown ist gar kein Lockdown. Das ist die Hauptkritik an Politik und Wirtschaft. So sahen das viele schon im März 2020. Heute schließen sich nicht nur mehr Kolleginnen und Kollegen dieser Meinung an, sie artikulieren sie auch. Und so ist auch die Initiative ZeroCovid im Betrieb angekommen. Das wird in Gesprächen deutlich.
Ist die Kantine offen?
Ja, die Kantine ist geöffnet. Auch hier gibt es ein strenges Hygienemanagement mit Maske, Plexiglas und Einbahnstraße, damit man sich nicht entgegen kommen kann. Das Essen wird allerdings nicht im Speisesaal eingenommen. Frühstück wie Mittagsangebot holt man sich lediglich ab und verzehrt es dann in den Pausenräumen, von denen es in jeder Abteilung einen gibt. Auch dort gilt ein Mindestabstand von 1,5 Meter, welcher von den Kolleginnen und Kollegen selbst eingehalten werden soll.
Was hältst du von der Initiative #ZeroCovid?
Mir war sofort klar, dass diese Initiative innerhalb der Linken zu Diskussionen führen würde. Und doch habe ich sofort unterschrieben und dafür geworben. Weil es endlich ein radikales Angebot von links gab. Seit März 2020 hatte ich so etwas vermisst. Deshalb möchte ich eigentlich auch gar nicht ins Detail gehen. Wichtig ist mir allein, dass es endlich etwas gibt, womit man Druck aufbauen kann.
Es soll endlich etwas passieren
Und dass das funktioniert, sieht man an den Reaktionen der Herrschenden. Mir und vielen anderen ist es zunächst egal, wie realistisch die Forderungen sind. Uns interessieren auch die akademischen Debatten nicht. Diese mögen für Linke wichtig sein, damit man einen gemeinsamen Weg findet. In der Fabrik hat man die Nerven dafür nicht mehr. Es soll endlich einfach etwas passieren.
Was forderst du von deiner Gewerkschaft?
Ich würde mir wünschen, dass die Gewerkschaften sich nicht auf Hinweise und Empfehlungen beschränken. Sie sollten stärker auf die trotz aller Bemühungen weiterhin bestehenden Risiken vieler Arbeiterinnen und Arbeiter hinweisen. Und zwar auch medial, wo die Debatten stattfinden und von jedem wahrgenommen werden können, wie in Talkshows.
Was erwartest du von der LINKEN?
DIE LINKE in Thüringen gibt sich besorgt und besonnen und versucht ihr soziales Gewissen umzusetzen. Das ist nett, aber unzureichend. Diese Krise hat das Potential, den Kapitalismus bloßzustellen. DIE LINKE sollte wesentlich radikalere Positionen einnehmen und ZeroCovid unterstützen.
Den Kapitalismus bloßstellen
Wenn man diese Sache nicht unterstützen kann, dann sollte man eigene Forderungen stellen. Derzeit gibt es alle möglichen Phrasen. Nur von links kommt nichts. All die leeren Worthülsen, ablenkendes Gesabbel der Politiker jeder Partei und dann diese idiotischen Coronaleugner, die von der AfD erfolgreich aufgekehrt werden. Und die Linke schaut zu.
*Name von der Redaktion geändert
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Schlagwörter: #CovidAtWork, #Schichtgeschichten, #ZeroCovid, Corona, Covid-19, Inland