Die Berliner Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« setzt im Kampf gegen hohe Mieten auf ein ganz neues Mittel: Sie will die größten Wohnungsunternehmen per Volksbegehren enteignen. Wir sprachen mit dem Mitbegründer Rouzbeh Taheri über den Immobilienkonzern »Deutsche Wohnen«, das Volksbegehren als Investoren-Schreck und die Selbstermächtigung von Mieterinnen und Mietern
Rouzbeh Taheri ist Sprecher des Bündnisses »Spekulation bekämpfen – Deutsche Wohnen & Co. enteignen«. Er ist seit Jahren in der Berliner Stadtpolitik aktiv und wirkte unter anderem auch beim Mietenvolksentscheid mit.
Niemandem käme in den Sinn, hierfür das Wort Korruption zu verwenden (lacht)
marx21: Was ist die »Deutsche Wohnen« überhaupt?
Rouzbeh Taheri: Die »Deutsche Wohnen« ist ein Immobilienkonzern und heute die größte Vermieterin Berlins. Gegründet wurde der Konzern 1998 als eine Immobilientochter der Deutschen Bank. Innerhalb von wenigen Jahren stieg die Deutsche Wohnen dann allerdings von einem mittelgroßen Unternehmen zum zweitgrößten deutschen Immobilienkonzern auf.
Wie das?
Der Aufstieg von Deutsche Wohnen ist im Kern das Produkt einer unheiligen Allianz der neoliberalen Deregulierung auf dem Wohnungsmarkt und der vagabundierenden globalen Kapitalströme, die nach Anlagemöglichkeiten suchen.
Kannst du das genauer erklären?
Die Deutsche Wohnen ist vor allem durch Übernahmen von Wohnungsbaugesellschaften, die vormals in öffentlicher Hand waren, gewachsen. Schon der Gründungszweck war die Übernahme eines Immobilienportfolios der Pensionskasse Hoechst und des Bundeslands Rheinland-Pfalz. Diese Übernahme konnte jedoch nur deswegen stattfinden, weil zuvor die Politik mit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 1990 die Weichen dafür gestellt hat. So wurden die Schutzmauern um die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften eingerissen und damit die Privatisierung von deren Beständen möglich gemacht. Zu einem großen Player wurde die Deutsche Wohnen allerdings erst, als sie im Jahr 2007 die Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft (GEHAG) in Berlin übernommen hatte.
Wie war das möglich?
Auch hier hatte die Politik die Finger im Spiel. Die Privatisierung der GEHAG war durch die Große Koalition in Berlin bereits im Jahr 1998 erfolgt. Der zuständige Bausenator war damals übrigens ein gewisser Jürgen Klemann (CDU). Funfact: Etwa ein Jahr später wurde er Chef der von ihm mitprivatisierten GEHAG.
Wie bitte?
Ja, das ist schon heftig. Aber niemandem käme in den Sinn, hierfür das Wort Korruption zu verwenden (lacht). Den größten Coup landete die Deutsche Wohnen allerdings mit der Übernahme der Berliner Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW), die 2004 von der rot-roten Landesregierung an den Finanzinvestor Cerberus verscherbelt worden war.
Kein klassischer Wohnungsverwalter
Und wie viele Wohnungen besitzt die Deutsche Wohnen nach den ganzen Übernahmeaktionen heute?
Wir reden hier von mehr als 110.000 Wohnungen nur in Berlin. Damit hat der Konzern zwar keine Monopolstellung, ist aber ein durchaus marktmächtiger Akteur in der Stadt. In bestimmten Stadtteilen ist die Konzentration des Bestandes der Deutschen Wohnen so hoch, dass ihre Mietenpolitik den Mietspiegel maßgeblich beeinflusst.
Aber die Deutsche Wohnen verwaltet doch nur Wohnungen. Das Unternehmen selbst sagt, sie haben »die gesellschaftliche Verantwortung, dringend benötigten Wohnraum zu erhalten und zu schaffen«. Was ist daran schlimm?
Es stimmt einfach nicht. Die Bedürfnisse der Mieterinnen und Mieter interessieren die Deutsche Wohnen-Manager gar nicht. Die Deutsche Wohnen ist kein klassischer Wohnungsverwalter.
Was ist sie dann?
Ein Finanzkonzern, der den Wohnungsmarkt als Anlagemöglichkeit entdeckt hat. Aufgrund der Deregulierung des Wohnungsmarkts und der Privatisierungswelle in der Bundesrepublik standen massenhaft geeignete Anlageobjekte zur Verfügung. Gleichzeitig sind genügend Lücken in der Mietgesetzgebung vorhanden, damit die Investitionen gewinnbringend verwaltet werden können. Die Deutsche Wohnen ist nur den Aktionären verpflichtet und nicht dem Gemeinwohl.
Für die Mieterinnen und Mieter ist diese Politik der blanke Horror
Wie haben das die Mieterinnen und Mieter in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen?
Die Mieterschaft wird schlicht und einfach ausgepresst. Zuerst nutzte die Deutsche Wohnen die klassischen Instrumente eines Miethaies. Sie schöpfte alle legalen Mieterhöhungsmöglichkeiten systematisch aus, Modernisierungsprogramme wurden aufgelegt und die Instandhaltungsausgaben gesenkt. Das Ziel von Deutsche Wohnen war damals schon Mietpreissteigerung um jeden Preis. Aber in den Jahren 2012 und 2013 griff das Management dann zu einer noch aggressiveren Strategie.
Und die wäre?
Die Modernisierungsstrategie wurde intensiviert, sinnlose Wärmedämmung bis an die Grenze des technisch Möglichen wurde bei den angekündigten Maßnahmen zur Regel. Gleichzeitig fuhr das Management die notwendige Instandhaltung so weit herunter, dass in den vergangenen Jahren massenhaft Fahrstühle stehenblieben oder im Winter über Wochen Heizungen ausfielen. Überhöhte Nebenkosten, bewusst irreführende Mieterhöhungsankündigungen, das Schikanieren von aufmüpfigen Mieterinnen und Mietern – die Liste der Winkelzüge des Konzerns Deutsche Wohnen ließe sich sehr lange fortführen. Für die Mieterinnen und Mieter ist diese Politik der blanke Horror.
»Deutsche Wohnen & Co. enteignen«
Das Bündnis fordert nun die Enteignung von Deutsche Wohnen. Wie stellt ihr euch das vor?
Wir schlagen vor, dass der Wohnungsbestand der von der Enteignung betroffenen Konzerne von einer Anstalt des öffentlichen Rechts verwaltet wird. Deren Sinn und Zweck ist allerdings nicht der Profit, sondern Menschen mit Wohnraum zu versorgen.
Die SPD wiegelt ab und meint, es gäbe keine Rechtsgrundlage, die den Senat dazu in die Lage versetzen würde, die Immobilienkonzerne zum Verkauf ihrer Bestände zu zwingen.
Wir beziehen uns auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Darin heißt es: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.« Dass die SPD diese Textpassagen des Grundgesetzes nicht anerkennt, zeigt wie weit sie sich von den eigenen Ursprüngen entfernt hat. Schließlich hat sie selbst diesen Artikel mit in das Grundgesetz geschrieben.
Wenn wir mit dem Volksbegehren die Spekulanten aus Berlin verschrecken, ist eines unserer Ziele schon mal erreicht
Geht es bei der Enteignung denn nur um die Deutsche Wohnen?
Nein. Es geht uns um alle Wohnungskonzerne die mehr als 3000 Wohnungen besitzen. Neben Deutsche Wohnen, wären beispielsweise auch Vonovia mit mehr als 40.000 Wohneinheiten und Akelius mit knapp 10.000 Wohneinheiten von unserem Volksbegehren betroffen.
Die Immobilienlobby schreit bei der Forderung von »Enteignung« laut auf und befürchtet, dass Berlin damit zum »Investoren-Schreck« beim Wohnungsbau wird. So würden noch weniger Wohnungen gebaut werden und es drohe ein massiver Einbruch der Konjunktur.
Die Mächtigen in Politik und Wirtschaft haben doch eine unglaubliche Doppelmoral. Wenn die großen Energiekonzerne nach Kohle buddeln wollen, werden ganze Dörfer enteignet. Jetzt kommen wir mit einem Volksbegehren, dass die soziale Wohnungsversorgung sicherstellen will, und schon geht die Panikmache los. Diese Drohgebärden der Immobilienlobby zeigen vor allem, dass die Immobilienkonzerne Angst um ihre zukünftigen Profite haben. Aber hey, wenn wir mit dem Volksbegehren die Spekulanten aus Berlin verschrecken, ist eines unserer Ziele schon mal erreicht.
Wir wollen nicht mehr, dass Großkonzerne den Wohnungsmarkt dominieren. Wir wollen die Wohnungen wieder in öffentlicher Hand haben.
Neubau vs. Enteignung
Aber dadurch entsteht doch keine einzige neue Wohnung.
Klar, das behaupten wir auch nicht. Wir sind natürlich für den Neubau bezahlbarer Wohnungen. Man muss aber beide Seiten betrachten: Wenn man den Bestand nicht schützt, kann man gar nicht so viel neu bauen, um den Menschen, die vertrieben werden, eine Alternative zu bieten.
Wie meinst du das?
Im Jahr 2017 gab es in Berlin zehn Zwangsräumungen pro Tag. Allein die Deutsche Wohnen hat das Ziel, jährlich mindestens fünf Prozent der Mieterhaushalte auszutauschen. Das wären vorsichtig geschätzt 5000 Mieterinnen und Mieter, die jedes Jahr zusätzlich mit bezahlbaren Neubauwohnungen versorgt werden müssten. Das ist nicht zu schaffen. Man muss beides machen: den Bestand schützen und bezahlbaren Wohnraum neu schaffen.
Sehen das die Berlinerinnen und Berliner auch so?
Für einen Großteil der Berliner Bevölkerung ist diese Idee absolut naheliegend. Schließlich waren GEHAG und GSW bis zu ihrer Privatisierung jahrzehntelang in städtischem Besitz und integraler Bestandteil der Daseinsvorsorge in der Westhälfte der Stadt. Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des »Tagesspiegel« finden es 54,8 Prozent der Hauptstädter richtig, »dass es Bestrebungen gibt, Großvermieter gegen Entschädigung zu enteignen«.
Dass sich die Immobilienwirtschaft als »Hüterin der sozialen Gerechtigkeit« inszeniert, ist schon ein starkes Stück
Warum benutzt ihr das Wort »enteignen«, auch das Bündnis will doch die betroffenen Konzerne mit 14 Milliarden Euro entschädigen?
Auf einen groben Klotz gehört auch ein grober Keil. Wir wollten natürlich auch provozieren. Aber es stimmt: Vergesellschaftung beschreibt den Prozess, der uns vorschwebt, korrekter. Es geht uns nicht um eine entschädigungslose Enteignung, weil das rechtlich auch gar nicht durchsetzbar wäre. Wir gehen von einem Preis zwischen 8 und 14 Milliarden aus.
Die Immobilienwirtschaft vertritt den Standpunkt, dass viel höhere Kosten entstehen würden. Maren Kern, Vorstand des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, spricht von »mindestens 25 Milliarden Euro«. Sie attackierte den rot-rot-grünen Senat scharf: »Das ist das Zehnfache dessen, was in Berlin pro Jahr für Investitionen zur Verfügung steht. Da müssen wir auf neue Kitas verzichten, auf neue Schulen verzichten, auf Straßenbau verzichten….« Hat sie Recht?
Dass sich die Immobilienwirtschaft als »Hüterin der sozialen Gerechtigkeit« inszeniert, ist schon ein starkes Stück. Die großen Wohnungskonzerne sind Spekulanten und verdienen mit der Preistreiberei auf dem Wohnungsmarkt Milliarden. Laut Daten des Marktforschers Empirica haben sich die angebotenen Kaltmieten für eine 60 bis 80 Quadratmeter große Wohnung in der Hauptstadt in den vergangenen zehn Jahren von 5,27 Euro auf 9,87 Euro pro Quadratmeter nahezu verdoppelt.
Die Summe von 25 Milliarden wird nur erreicht, wenn nach dem tatsächlichen Marktwert entschädigt werden müsste. Das lehnen wir jedoch ab.
Warum?
Die heutigen Marktwerte sind durch Spekulation derselben Konzerne entstanden, die jetzt an dem Verkauf der Wohnungen nochmal verdienen wollen. Die Politik hat die Wohnungen für einen Spottpreis verkauft. Wir sehen nicht ein, dass die Stadt jetzt zum Acht- oder Zehnfachen zurückkaufen soll. Wir meinen, dass bei Anwendung des Artikels 15 des Grundgesetzes die Entschädigung auf jeden Fall unter Marktwert bleiben wird. Selbst Juristen, die gegen die Anwendung sind, sehen das so.
Kooperation vs. Konfrontation
Angenommen ihr seid erfolgreich: Selbst 14 Milliarden sind kein Pappenstiel. Wie kommt der Berliner Senat an so viel Geld? Müssen dann die kommunalen Wohnungsunternehmen, die der Senat besitzt, Kredite auf dem Kapitalmarkt aufnehmen?
Natürlich geht es dabei um eine Finanzierung. Aber zwanzig Prozent des Geldes könnten durch zurückgelegte Mittel aus dem Berliner Infrastrukturfonds aufgebracht werden. Der Rest müsste in der Tat durch Kredite finanziert werden. Aus den jetzigen Mieteinnahmen könnte die Stadt dann die Kredite tilgen. Das haben wir durchgerechnet. Das klappt.
Wenn die Mieteinnahmen für Kredittilgung aufgezehrt werden, womit sollen dann die Kosten für Instandhaltung und Modernisierung bestritten werden?
Die Instandhaltung und Modernisierung sind in unserer Kostenrechnung enthalten.
Was passiert, wenn der Staat diese Kredite nicht bekommt?
Das ist höchst unwahrscheinlich. Die Wohnungsbaugesellschaften sind gern gesehene Kundinnen bei Banken, weil sie durch die Mieteinkünfte und den Besitz von Wohnungen eine hohe Kreditwürdigkeit besitzen.
Es ist absoluter Quatsch, das Volksbegehren und andere Maßnahmen gegeneinander auszuspielen
Der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will einen anderen Weg gehen. Er hat der »Deutschen Wohnen« Verhandlungen über einen Rückkauf angeboten. Ihr Vorstandschef Michael Zahn erklärte daraufhin: »Wir können uns vorstellen, bei etwaigen Verkäufen von Berliner Beständen das Land zu präferieren. Das Bemühen, den kommunalen Bestand in Berlin zu stärken, unterstützen wir gerne.« Ist diese kooperative Strategie der SPD nicht viel erfolgversprechender?
Es ist erfreulich, dass die Proteste der Mieterinnen und Mieter die Regierenden zum Handeln zwingen. Allerdings ist die »Müller-Version« keine wirkliche Alternative, sondern soll vom Volksbegehren ablenken. Die SPD ist, gerade in Berlin, eng mit den großen Playern der Immobilienwirtschaft verbunden. So kam 2014 heraus, dass der Berliner Baulöwe Klaus Groth gestückelte Spenden an die SPD getätigt hat, auch an den Kreisverband des damals zuständigen SPD-Bausenators Andreas Geisel. »Kooperative Strategie« hört sich schön an, bedeutete aber in der Vergangenheit, dass der SPD die Interessen der Immobilienwirtschaft wichtiger waren als die Bedürfnisse der Mieterinnen und Mieter. Allerdings gibt es innerhalb der SPD immer noch auch andere Kräfte. Die Jusos unterstützen beispielsweise unsere Kampagne, auch einzelne Abgeordnete haben sich bisher positiv geäußert. Es gibt viel Sympathie an der Basis der SPD für uns.
Aber der Senat war doch mit dieser Strategie schon erfolgreich. Die SPD behauptet, dass es ihr so auch ohne juristische Auseinandersetzungen gelungen ist, den Bestand landeseigener Wohnungen durch Ankauf und Neubau in den vergangenen Jahren um 30.000 auf nunmehr rund 300.000 Wohnungen anzuheben. Die SPD meint, es sei sinnvoller, Landesmittel, wie auch bisher, in den Ankauf von Wohnungen oder das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten zu stecken, statt jetzt Immobilienkonzernen mit Enteignung zu drohen.
Es ist absoluter Quatsch, das Volksbegehren und andere Maßnahmen gegeneinander auszuspielen. Was die SPD vollkommen verkennt, ist, dass auch mit Steuerungsinstrumenten wie der Mietpreisbremse oder durch Vorkaufsrechte zugunsten der öffentlichen Hand die Wohnungsversorgung für Haushalte mit geringem Einkommen nicht hinreichend sichergestellt werden kann. Aktuell haben etwa eine Million Berliner Haushalte Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und somit auf eine Sozialwohnung. Es sind aber nur etwas mehr als 100.000 Sozialwohnungen in der Stadt vorhanden.
DIE LINKE und das Volksbegehren
Im Unterschied zur SPD unterstützt DIE LINKE das Volksbegehren, obwohl sie Teil der Regierung ist. Warum ist das wichtig?
Wir brauchen jeden Bündnispartner und freuen uns vor allem über die aktive Unterstützung des Volksbegehrens durch die Mitgliedschaft in den Basisorganisationen. Dass der Parteitag der LINKEN in Berlin das Volksbegehren mit großer Mehrheit unterstützt hat, ist ein wichtiger Schritt. Die LINKE erzwingt so natürlich auch, dass die anderen Koalitionsparteien darüber diskutieren müssen.
Was erwartest du dir von der LINKEN in Berlin in puncto Volksbegehren?
DIE LINKE muss konsequent ihre Linie der Unterstützung des Volksbegehrens beibehalten und darf sich von den Koalitionspartnern nicht einschüchtern lassen. Ich hoffe, dass die Partei alle Hebel in Bewegung setzt, um die Mitgliedschaft zu aktivieren, und die Selbstaktivität in den Basisorganisationen rund um das Volksbegehren fördert. Gleichzeitig können die Abgeordneten uns auch durch Expertise und Einschätzungen helfen.
Wir möchten möglichst vielen Menschen das Selbstbewusstsein geben, selbst etwas gegen die Großkonzerne zu tun
Das Volksbegehren ist im April 2019 gestartet. Wie wollt ihr die Kampagne nutzen, um die Organisierung von Betroffenen voranzutreiben?
Dies passiert zum Teil jetzt schon. Unsere Basis sind die fast 200 Mieterinitiativen in Berlin. Wir hoffen, dass über die Kampagne noch mehr Menschen ermutigt werden, selbst gegen Mietsteigerungen und Verdrängung aktiv zu werden. Wir haben eine Arbeitsgruppe, die sich »Starthilfe« nennt. Sie hilft bei der Organisierung von Mieterinitiativen und leistet hier eine großartige Arbeit. Wir bieten auch entsprechende Workshops zum Erfahrungsaustausch an.
Wie ist das Bündnis entstanden?
Es gibt in Berlin aktuell etwa zwanzig Initiativen, die sich mit dem Immobilienkonzern Deutsche Wohnen beschäftigen. Hieraus ist das »Bündnis der Deutschen-Wohnen-Mieterinnen und Mieter« entstanden. Die Idee einer Enteignungskampagne entstand bei mehreren Initiativen zeitgleich und unabhängig voneinander. Die gute Vernetzung der stadtpolitischen Szene – ein Resultat der Kämpfe der vergangenen Jahre – trug zu ihrer schnellen Verbreitung bei. Nach vielen Beratungen beschlossen wir, es mit dem größten Miethai der Stadt aufzunehmen. Da unsere Erfahrungen uns gelehrt haben, dass das Warten auf die Politik meist vergeblich ist und nur ausreichend gesellschaftlicher Druck grundsätzliche Änderungen bewirkt, war ein Bündnis von unten das Mittel der Wahl.
Vom Volksbegehren zum Volksentscheid
Ihr habt als Bündnis bewusst auf ein Volksbegehren gesetzt. Warum?
Direkte Demokratie ist für uns ein Mittel zur Selbstermächtigung. Wir möchten möglichst vielen Menschen das Selbstbewusstsein geben, selbst etwas gegen die Großkonzerne zu tun. Mit dem Volksbegehren und dann dem Volksentscheid haben wir die Möglichkeit, ein Landesenteignungsgesetz zur Sozialisierung von Deutsche Wohnen & Co. auch tatsächlich durchzusetzen.
Wie können euch Menschen unterstützen?
Wer nicht in Berlin lebt, kann uns durch Spenden helfen. Hinter uns stehen keine Großkonzerne und mächtige Lobbyverbände. Wir arbeiten alle ehrenamtlich und müssen jedes Flugblatt, jedes Plakat und alles andere aus Spenden finanzieren. Das wichtigste ist aber Aktivität: Alle Berlinerinnen und Berliner, die das Anliegen unterstützen, sollten natürlich fleißig mithelfen, Unterschriften zu sammeln. Die Enteignung eines Großkonzerns ist eine riesige Aufgabe, die nicht von uns allein bewältigt werden kann.
Diese Woche ist Einsendeschluss für die Unterschriftenlisten. Wie geht es weiter?
In der Berliner Landesverfassung ist der Weg vom Volksbegehren zum Volksentscheid in ein dreistufiges Verfahren gegliedert: Zu Beginn steht der Antrag auf ein Volksbegehren. Hierfür müssen 20.000 gültige Unterschriften innerhalb von sechs Monaten gesammelt werden. Nachdem wir diese Stufe genommen haben, kommt das eigentliche Volksbegehren. Dann müssen etwa 170.000 gültige Unterschriften innerhalb von vier Monaten gesammelt werden. Wir haben also noch viel vor.
Wurden die ersten beiden Stufen erfolgreich genommen, kommt es zu einem Volksentscheid. Dies ist vergleichbar mit einer Parlamentswahl. Zur Abstimmung steht der Vorschlag des Volksbegehrens. Er gilt als angenommen, wenn ihm mehr als 50 Prozent der Abstimmenden und mehr als 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Yaak Pabst.
Foto: Matthias Ripp und some human
Schlagwörter: Berlin, Inland, Miete, Mietenbewegung, Volksbegehren, Wohnen