Vor 100 Jahren erschütterte ein großer Eisenbahnerstreik das Land. Damals erntete die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) massive Kritik – und das nicht nur von Arbeitgeberseite, Politik und Medien, sondern auch vonseiten des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Von Florian Wilde
Florian Wilde ist Historiker und arbeitet als wissenschaftlicher Referent im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema Gewerkschaftspolitik. Im Jahr 2018 erschien sein Buch »Revolution als Realpolitik. Ernst Meyer (1887-1930). Biographie eines KPD-Vorsitzenden«.
Im Februar 1922 erschütterte ein einwöchiger Eisenbahnerstreik die junge Weimarer Republik. In der Spitze beteiligten sich laut Streikleitung 800.000 Eisenbahnbeschäftigte. Das unter ihnen viele Beamte waren, machte ihn zugleich zum ersten großen Beamtenstreik in Deutschland überhaupt. Zum Streik aufgerufen hatte die »Reichsgewerkschaft deutscher Eisenbahnbeamter und -Anwärter« mit ihren 270.000 Mitgliedern, ein traditionell eher konservativer, nicht im sozialdemokratisch geführten ADGB vertretener Verband, dessen mächtigste Einzelorganisation die »Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer« (GDL) mit ihren damals etwa 55.000 Mitgliedern bildete – eben jene GDL, die heutzutage unter Führung von Claus Weselsky wieder mit ihren Streiks von sich reden macht.
Konkurrenz der Eisenbahner-Gewerkschaften
Die Reichsgewerkschaft und mit ihr die GDL standen damals in scharfer Konkurrenz zum sozialdemokratisch geführten DEV (Deutsche Eisenbahner-Verband, Vorläufer der heutigen EVG), einer Mitgliedsgewerkschaft des ADGB (Vorläufer des DGB). Der Streik richtete sich unmittelbar gegen die Reichsregierung des Kanzlers Joseph Wirth (Zentrums-Partei) als Bahneigentümerin, einer Regierung, an der die SPD beteiligt war und die den Beschäftigten keine der Inflation entsprechenden Lohn- und Gehaltserhöhungen zugestehen und stattdessen sogar 20.000 von ihnen entlassen wollte. Der Streik war so heftig, dass die Regierung entsetzt von einer »Revolte in der Beamtenschaft« sprach.
Die Führungen von SPD, ADGB und DEV liefen Sturm gegen diesen Streik. Reichspräsident Ebert (SPD) verbot sofort den Streik selbst wie auch jede Agitation für ihn, die Regierung drohte mit disziplinarischen Maßnahmen, ließ Mitglieder der Streikleitung verhaften und Streikkassen beschlagnahmen. Die Spitze des ADGB forderte die Streikenden öffentlich auf, »die Arbeit sofort wieder aufzunehmen«, da »gerade die werktätige Bevölkerung unter den Folgen besonders zu leiden« habe und der Streik sich »geradezu katastrophal […] auf die Außenpolitik Deutschlands« auswirke. Die breite Streikbeteiligung ließ aber sowohl die staatliche Repression als auch die mediale Hetze gegen die Streikenden zunächst ins Leere laufen.
Die KPD und der Eisenbahnerstreik der GDL
Als einzige politische Kraft unterstützte die Kommunistischer Partei Deutschlands (KPD) diesen Streik einer konservativ geführten Spartengewerkschaft von Anfang an vorbehaltlos und mit ganzer Kraft. So forderte die Zentrale der KPD in ihrem Aufruf »An die gesamte werktätige Bevölkerung« zur »Solidarität mit den Kämpfenden!« auf: »Die Niederlage der Beamten und Arbeiter in diesem Streik ist […] die Niederlage des Sozialismus, ist die Zerrüttung der Gewerkschaften, ist der Sieg von [Industriekapitän, FW] Stinnes. Die mächtige Einheitsfront aller Arbeiter, Beamten und Angestellten muss diesen Anschlag zunichte machen!«
Tatsächlich bot der Streik der KPD eine ersehnte Gelegenheit, ihre neue »Einheitsfrontstrategie« in der Praxis auszuprobieren. Sie forderte die Führungen von DEV, ADGB, SPD und USPD auf, gemeinsame Maßnahmen zur Unterstützung der Streikenden und vor allem zur Verteidigung des Streikrechtes der Beamten zu beraten. Während sie bei den nationalen Führungen damit auf Granit biss, hatte die KPD mit ihren Einheitsfrontbemühungen zumindest auf lokaler Ebene einen gewissen Erfolg. In Berlin, Hamburg-Altona, Halle, Frankfurt/Main, Chemnitz und in anderen Orten erreichten KPD-Mitglieder Solidaritätserklärungen und eine Teilnahme freigewerkschaftlicher, im ADGB organisierter Arbeiter an den Streiks. In Rheinland-Westfalen gab es schließlich zumindest einen gemeinsamen Aufruf von KPD und USPD zur Unterstützung der Streikenden.
Unterstützung und eigene Propaganda
Die Kommunisten blieben aber die einzigen, die den Bahnstreik bis zu seinem schließlich ergebnislosen Abbruch am 8. Februar 1922 massiv unterstützten. Die KPD verzichtete, was die unmittelbaren Ziele des Streiks anging, auf eigene Forderungen, wie ihr Vorsitzender Ernst Meyer, selbst Sohn eines Eisenbahners, auch im preußischen Landtag unterstrich: »Sie werden nicht eine Äußerung zitieren können, aus der hervorgeht, dass wir in dieser Bewegung etwas anderes gewollt haben als die tatkräftige Unterstützung der Arbeiter und Beamten, die im Streik standen.«
Die KPD verzichtete allerdings nicht auf die Propaganda eigener, weiterführender Ziele, wie z.B. einer Sicherung der Rentabilität der Eisenbahnen durch eine »Übernahme der Kohlen- und Eisenerzwerke durch den Staat unter Kontrolle der Arbeiter, Angestellten und Beamten« und propagierte, die Verteidigung des Streikrechtes müsse erfolgen »durch den schärfsten Kampf gegen die Regierung, durch den Sturz der Regierung und die Aufrichtung einer Arbeiterregierung«.
Die KPD versuchte, die Eisenbahner über den notwendigerweise politischen Charakter ihres Kampfes aufzuklären, denn »ein Kampf zwischen Regierung und Beamtenschaft […] ist niemals ein rein wirtschaftlicher Kampf, sondern zugleich ein politischer Machtkampf« und propagierte die Notwendigkeit der Ausrufung eines Generalstreiks, um die Eisenbahner zu unterstützen. Die Unterstützung des Streikes machte die KPD allerdings nie von einer Übernahme ihrer Forderungen durch die Streikenden abhängig und versuchte auch nicht, ihre Forderungen den Streikenden aufzudrängen, sondern legte sich, wie Meyer später sagte, »größere Zurückhaltung« auf, um die Eisenbahner »nicht zu verwirren«.
Erfolgreiche Taktik der Einheitsfront
Trotz der letztlichen Niederlage der Streikenden war die ganze Aktion für die den Streik unterstützende KPD ein großer Erfolg. In einem Artikel für die »Inprekorr« schrieb Meyer: »Der Eisenbahnerstreik hat vielen Beamten die Augen über die Politik der Kommunisten geöffnet und der KPD zahlreiche Anhänger unter den Beamten und Angestellten neu gewonnen«. In der Zentrale-Sitzung vom 15.2.22 resümierte Meyer: »Die Isolierung, in der wir uns zum Teil von der Arbeiterschaft befanden, ist beseitigt worden. Unser Einfluss bei den Beamten und deren Vertrauen zu uns ist gerade durch die Streikbewegung außerordentlich gesteigert worden«.
Auch in seinem Referat auf der Mai-Sitzung des KPD-Zentralausschusses bewertete Meyer das Auftreten der Partei im Eisenbahnerstreik sehr positiv. Die Sympathien bei Arbeitern und Beamten für die KPD seien gewachsen und die »Taktik, die wir in den Tagen des Streiks eingeschlagen haben, hat sich nicht nur bewährt, sondern sie bildet zugleich die Möglichkeit und die Basis dafür, bei neuen Bewegungen der Arbeiter wie der Angestellten und Beamten an die Beziehungen anzuknüpfen, die sich inzwischen gebildet haben«. Noch auf dem IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale im Herbst 1922 wurde die Politik der KPD während des Eisenbahnerstreiks vom Komintern-Vorsitzenden Sinowjew als ein »klassisches Beispiel für die richtige Anwendung der Taktik der Einheitsfront« gepriesen.
Die enthusiastische Unterstützung des Eisenbahnerstreiks durch die Kommunisten sicherte ihnen neue Sympathien an der Basis des EVD und anderer ADGB-Gewerkschaften, deren Führungen den Streik der Konkurenzgewerkschaften ja mit allen Mitteln bekämpft hatten, was sich unmittelbar in einer starken Zunahme des kommunistischen Einflusses bei Gewerkschaftstagen niederschlug: Im Laufe des Jahres 1922 übernahmen die Kommunisten die Führung des DEV in Berlin und Leipzig und stellten auf dem Gewerkschaftstag dieser Gewerkschaft 1922 ein Fünftel der Delegierten. Beim ADGB-Kongress im Juni 1922 war jeder achte Delegierte Kommunist, und beim Gewerkschaftstag der Transportarbeitergewerkschaft stellte die KPD immerhin ein Zehntel der Delegierten.
Ihre konsequente Unterstützung des Eisenbahnerstreiks im Rahmen ihrer Einheitsfrontstrategie ließ so den Einfluss der Kommunisten in der gesamten organisierten Arbeiterbewegung deutlich steigen.
Für Quellenangaben, weiterführende Literatur und politischen Hintergrund siehe:
Florian Wilde
Revolution als Realpolitik. Ernst Meyer (1887-1930). Biographie eines KPD-Vorsitzenden
UVK Verlag
Konstanz und München 2018
452 Seiten
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Schlagwörter: GDL, KPD