In vielen Ländern auf dem Balkan formiert sich die radikale Linke neu. Pavle Ilic berichtet von seinen Erfahrungen in Serbien
Pavle, du bist Mitglied von Marks21 in Serbien – und damit Teil der radikalen Linken auf dem Balkan. Wie würdest du die Situation der radikalen Linken auf dem Balkan allgemein und in Serbien im speziellen heute beschreiben?
Wir haben am 27. März unser achtjähriges Bestehen gefeiert. Das ist ein gutes Beispiel für die Lage der Linken auf dem gesamten Balkan, vor allem in den Ländern, die im 20. Jahrhundert von kommunistischen Parteien regiert wurden. Der Großteil der linken politischen Organisationen des Balkans ist sehr jung, insbesondere in Serbien. Die meisten haben bei Null angefangen, die eigene Identität aufzubauen, in einem starken Klima des Antikommunismus.
In bestimmten Orten hat die Linke bereits Durchbrüche erzielt, wie in Slowenien, wo eine Partei der radikalen Linken im Parlament sitzt oder auch in Mazedonien, wo der Prozess zur Gründung einer Partei der radikalen Linken bereits angelaufen ist und die organische Verbundenheit mit sozialen Bewegungen stark ist. Leider ist in Serbien ein solcher Durchbruch noch nicht in Sicht. Man kann jedoch auch nicht sagen, dass die linke Szene in Serbien tot wäre.
Gibt es eine linke Partei in Serbien, die mit der LINKEN in Deutschland vergleichbar wäre?
Man kann schwerlich von einer Massenpartei in Serbien sprechen, die links von der Sozialdemokratie steht. Die SPS (Sozialistische Partei Serbiens) und PS (Bewegung der Sozialisten) sind Parteien, die Mitglieder der Regierungskoalition unter der Führung der Mitte-Rechts-Partei SNS (Serbische Fortschrittspartei) sind.
Eine neue politische Formation in der heimischen Politikszene ist die »Linke Serbiens«, die von einem ehemaligen Abgeordneten der DS (Demokratische Partei), Borko Stefanović, gegründet wurde. Die DS war lange Jahre an der Macht, bevor sie 2012 abgewählt wurde und seitdem in mehrere Parteien auseinanderfiel.
Diese »Bewegung der Linken Serbiens«, die so heißt, weil sie noch keine Partei ist, betrat die Politikbühne, als ob sie ein neues Kapitel in der serbischen Politik aufschlagen würde. In der Zwischenzeit hat sich gezeigt, dass die »Linke Serbiens« lediglich das Parlament als Betätigungsfeld sieht, wie alle anderen Parteien auch. Und das, obwohl etliche Aktive der radikalen Linken, die ihre ersten Erfahrungen in den Studierendenprotesten in Belgrad gesammelt haben, der Partei beigetreten sind.
Die Politik der »Linke Serbiens« zielt auf Erfolge im Parlament und Umfragen ab, während sie auf kommunalem Niveau bereits mit nationalistischen Kräften zusammenarbeitet und gleichzeitig eine arrogante und überhebliche Haltung gegenüber den außerparlamentarischen Linken einnimmt, die sich nicht anschließen wollten. Ich würde sagen, dass mit ziemlich hoher Sicherheit der Durchbruch der »Linken Serbiens« in den politischen Mainstream ein vergeblicher Versuch bleibt.
Euer konkretes politisches Projekt heißt »Linker Gipfel Serbiens«. Was ist das?
Der »Linke Gipfel Serbiens« (LSS) ist eine Koalition aus 16 linken Organisationen, unter denen marxistische Gruppen wie Marks21 sind, aber auch Gewerkschaften und Arbeiterkollektive, kritische NGOs sowie feministische und queertheoretische Aktivistinnen. Der »Linke Gipfel Serbiens« hat bis heute an etlichen gewerkschaftlichen und sozialen Protesten teilgenommen, steht allerdings auch vor organisatorischen Herausforderungen. Doch wie auch immer die Zukunft des LSS aussieht, die Erfahrungen im und am Netzwerk sowie die verbesserte Kommunikation zwischen den Gruppen werden Spuren in der serbischen Linken hinterlassen.
Die Zukunft des LSS hängt davon ab, ob es gelingt, eine Kampagne zu einem bestimmten sozialen Thema zu initiieren, die eine breite Massenmobilisierung in Serbien ermöglichen würde. Eine solche Kampagne könnte nicht nur dazu führen, dass die Kinderkrankheiten des LSS behoben werden, sondern könnte auch eine andere politische Kultur von unten etablieren.
Wie steht es denn um Klassenkämpfe in Serbien?
In Serbien haben sich die Klassenkämpfe zugespitzt. Leider sind die vergangenen 30 Jahre des Klassenkampfes durch eine starke Offensive des Kapitals gekennzeichnet, durch eine Stärkung der herrschenden Eliten und der Atomisierung linker und anderer Kräfte, die gegen eine solche Offensive Widerstand leisten könnten. Diese Atomisierung bringt einen Niedergang des Klassenbewusstseins mit sich. Dies führt uns zu der Situation, das es gleichzeitig ein niedriges Klassenbewusstsein gibt und trotzdem eine hohe Anzahl von Streiks.
Das niedrige Klassenbewusstsein führt aber dazu, dass die meisten Forderungen der Arbeiterinnen bloße Appelle an den Staat sind, manchmal personifiziert durch den Premierminister Aleksander Vučić. Die Linke hat es bis jetzt nicht geschafft, in diesen Kämpfen ein alternatives Ziel anzubieten oder den Menschen die gemeinsamen Ziele vor Augen zu führen. Genau dies ist die größte Aufgabe aller, die die aktuelle Lage ändern und den Niedergang aufhalten möchten.
Welche Rolle spielt die EU auf dem Balkan und für die Linke dort?
Die Europäische Union ist ein Gebilde, das untrennbar mit den wirtschaftlichen Einflüssen und den Machtdynamiken der Region verbunden ist. Das Kapital der starken EU-Ökonomien, allen voran Deutschlands, ist die Hauptursache für die Abhängigkeit unserer kleineren Ökonomien und die Schuldenknechtschaft. Die Wirtschaftskrise und der Neoliberalismus haben die Kürzungspolitik als alternativlose Politik etabliert. Deswegen muss die Linke auf dem Balkan sowohl in den EU-Ländern, als auch in denen die es noch nicht sind, gegen die sogenannte »Eurointegration« sein und damit den Kampf gegen die EU der nationalistischen und rassistischen Rechten abnehmen.
Vielfach wird die europäische Integration aber als ein Gegenmittel zur nationalistischen Rechten dargestellt.
Schuldenknechtschaft und Arbeitsplatzvernichtung, um nur ein paar Probleme zu benennen, sind direkt mit der Politik der EU verbunden. Andererseits werden uns nationale Grenzen und Spaltungen daran hindern, dem bestehenden System und dem gegenseitigen Hass Alternativen entgegenzusetzen. Wir betonen übernationale und klassenorientierte Lösungen der Probleme und lehnen jegliches Spiel mit dem Nationalismus ab. Wir wenden uns auch gegen rot-braune Koalitionen, anders als andere linke Kräfte in Region. Dies würde die Linke schlussendlich nur schwächen. Klassenkampf kann nur international geführt werden. Dieses marxistische Leitmotiv ist besonders für den Balkan sehr wichtig.
Was ist deine Prognose für die Linke in Serbien und auf dem Balkan?
Ohne die Vorsicht abzulegen, die in der politischen Arbeit notwendig ist, ist meine Prognose optimistisch. Die ökonomische Krise wird von vielen weiteren begleitet – einer ideologischen, humanitären und einer ökologischen. Nichts von alledem garantiert einen Erfolg linker Kräfte. Es schafft jedoch ein Umfeld, in dem es für uns leichter ist, an die negativen Erfahrungen der meisten Einwohnerinnen und Einwohner des Balkans zu appellieren und mit ihnen über eine neue politische Lösung nachzudenken.
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre, die reichen revolutionären Traditionen und das Engagement der jungen Menschen sind Bedingungen, die dazu führen könnten, dass durch die nächste Welle des Zorns über das politische System viele Menschen linke Antworten wiederentdecken. Der Kampf um die Köpfe und Herzen der Menschen dieser Region nimmt erneut an Intensität zu.
(Das Interview führte Daniel Kerekes.)
Mehr Infos:
Pavle Ilic ist Mitglied bei Marks21 und referiert auf dem MARX IS MUSS Kongress über die Linke auf dem Balkan.
Foto: sivinjski danijel
Schlagwörter: Balkan, EU, Euro, Europäische Union, Linke, Linkspartei, Serbien