Schlechte Umfragewerte, viel Selbstbeschäftigung und offener Streit: Auf den ersten Blick vermittelt DIE LINKE keine Aufbruchstimmung. Doch der Schein trügt. Potenzial ist da – es zu heben eine Frage der Strategie. Von der marx21-Redaktion
»DIE LINKE steckt in einer existenziellen Krise«, so die einhellige Meinung der Presse im Vorfeld der Bundestagswahl. Für die »Welt« steht die Partei »vor dem Abgrund«. Die »Tagesschau« ruft wortwitzig die »Alarmstufe Rot« aus. »Die Zeit« diagnostiziert, etwas zurückhaltender, einen »schleichenden Niedergang« und fragt sich spürbar besorgt: »Ist ihre Zeit vorbei?« Die Antwort des Blattes der Holtzbrinck-Milliardäre lässt sich erahnen. Doch steht es tatsächlich so schlecht um DIE LINKE? Oder ist bei so manchem Schreiberling nicht eher der Wunsch der Vater des Gedankens?
Zunächst einmal gilt: Die Postillen von Bertelsmann, Bauer, Burda und Co. haben nicht nur weder eine Ahnung noch Interesse daran, wie es an der Basis der LINKEN aussieht, sie sind der Partei auch alles andere als wohlgesonnen. Ihre Berichterstattung über DIE LINKE ist in den allermeisten Fällen nicht nur oberflächlich, sondern nutzt jede Angriffsfläche, die sich ihnen bietet. Genüsslich stürzen sie sich auf jeden parteiinternen Streit. DIE LINKE müsste schon strotzen vor Kraft, damit die Konzernmedien ihr keine Krise herbeischreiben – und dann würden sie erst recht auf Angriffsmodus schalten.
Schlechte Umfragewerte im Wahljahr
Tatsache ist jedoch auch: DIE LINKE hat zuletzt mehrere Landtagswahlen im Osten krachend verloren. Die meist kleineren Zugewinne im Westen können dies nicht aufwiegen. Und die Umfragewerte für die Bundestagswahl im September sehen nicht gut aus.
Doch das ständige Schielen auf Wahlumfragen hilft der Partei genauso wenig weiter wie der Blick auf die bürgerlichen Meinungsseiten. Umfragen sind kein verlässlicher Indikator für den Zustand einer Partei. Zum einen sind sie immer eine Momentaufnahme, zum anderen sind sie bei einer Fehlertoleranz von mehreren Prozentpunkten alles andere als zuverlässig. Vor allem aber misst sich die Stärke der LINKEN nicht in erster Linie an Wahlergebnissen. Diese sind zwar durchaus relevant, aber keineswegs der einzige Faktor – insbesondere nicht für eine sozialistische Mitgliederpartei, die für eine Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse kämpft, statt lediglich um Parlamentsmandate.
Aber wie steht es tatsächlich um DIE LINKE? Und wie kann der Wahlkampf genutzt werden, um eine möglichst starke Linksfraktion in den kommenden Bundestag zu bringen – vor allem aber, um die Partei weiter an der Basis zu stärken, sie in sozialen Bewegungen und Betrieben zu verankern und so zu einem wirklichen »Machtfaktor« in der Bundesrepublik zu machen?
DIE LINKE im Osten: Krise mit Ansage
Um den wahren Zustand der LINKEN zu untersuchen und Antworten auf die vor uns liegenden strategischen Fragen zu geben, muss zunächst ein Unterschied in den Blick genommen werden, der DIE LINKE auch knapp fünfzehn Jahre nach ihrer Gründung noch immer prägt: Ost/West. Obwohl es durchaus Angleichungsprozesse gibt und auch innerhalb von West- und Ostdeutschland große regionale Unterschiede herrschen, ist die Partei in den neuen und alten Bundesländern bis heute eine andere. Das gilt auch für den Trend, wie sich DIE LINKE in Bezug auf Wahlergebnisse und Mitgliederzahlen in den letzten Jahren entwickelt.
Denn im Osten ist die Krise der Partei unbestreitbar. Lediglich Thüringen bildet in gewisser Weise eine Ausnahme: Hier scheint der sozialdemokratisch-gemäßigte Regierungskurs unter dem beliebten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow für DIE LINKE aufzugehen und sie kann bei Landtagswahlen Erfolge feiern. Doch jenseits des Landesvater-Bonus schwindet auch in Thüringen die Unterstützung für die Partei, was sich an den Ergebnissen der letzten Bundestagswahlen ablesen lässt: minus 12 Prozent zwischen 2009 und 2017. In den anderen vier Ostländern befindet sich DIE LINKE sowohl bei Bundestags- wie Landtagswahlen seit zehn Jahren im freien Fall. Gleiches gilt für die Zahl der Parteimitglieder, die sich seit Gründung der LINKEN im Jahr 2007 in den fünf Ostländern beinahe halbiert hat.
Es ist jedoch eine Krise mit Ansage: Die Mitgliedschaft ist schon lange überaltert und in der Wählerschaft sieht es nicht viel anders aus. Dass ein Großteil der LINKEN im Osten ohne grundlegende Erneuerung und Verjüngung der Partei schlicht auszusterben droht, ist lange bekannt und dürfte niemanden überraschen.
Beschleunigt hat den Niedergang der Aufstieg der AfD, aber nicht hauptsächlich deshalb, weil ehemalige LINKE-Wähler:innen nach rechtsaußen übergelaufen sind, sondern, weil sie ihr Kreuz bei SPD, Grünen oder CDU machen, teilweise auch aus Sorge, die vom faschistischen Flügel dominierte AfD könnte stärkste Kraft im Landtag werden. Am meisten Stimmen verlor DIE LINKE im Osten jedoch nicht an andere Parteien, sondern an die Friedhöfe und ins Lager der Nichtwähler:innen.
Probleme sind hausgemacht
Die herben Verluste der LINKEN im Osten sind jedoch keiner Naturgewalt geschuldet. Die Probleme sind hausgemacht. Die Partei hat sich über Jahre auf ihrem Image als ostdeutsche »Kümmererpartei« ausgeruht, bloß wollten ihr das dreißig Jahre nach der Wende immer weniger abnehmen. Dort, wo sie mitregierte, verwaltete sie die Missstände – von Aufbruch und sozialem Fortschritt keine Spur. Und auch dort, wo sie nicht regierte, gab sich DIE LINKE als »Regierung im Wartestand« – staatstragend statt kämpferisch; als Teil des politischen Establishments statt als Protestpartei; programmatisch kaum unterscheidbar von der SPD statt entschieden antikapitalistisch; vollkommen fixiert auf Wahlen und Parlamentarismus statt auf soziale Kämpfe und Widerstand in Betrieben oder auf der Straße.
Ob DIE LINKE als sozialistische Protest- und Bewegungspartei an ihre alten Wahlerfolge im Osten hätte anknüpfen können, ist natürlich nicht ausgemacht. Dass der alte Ost-Bonus bei ansonsten vollständiger Anpassung an den bürgerlichen Politikbetrieb nicht ewig tragen würde, war hingegen klar.
Sahra Wagenknechts These, dass die Menschen sich von hippen »Lifestyle-Linken« abwenden würden, trifft das Problem der Ost-LINKEN sicherlich nicht. »Ostdeutschland hat mehr verdient«, »Nehmt den Wessis das Kommando« oder »Für ein starkes Sachsen-Anhalt«, so die Plakat-Slogans der LINKEN zur diesjährigen Landtagswahl. DIE LINKE in Brandenburg warb 2019 mit »Brandenburg. Land zum Leben« und »Blühende Landschaften für alle«. In Sachsen ließ die Partei Großplakate mit dem Slogan »Das gute am Osten« aufstellen. Und auch in Mecklenburg-Vorpommern setzte sie auf die Themen Heimat und Ostalgie: »Aus Liebe zu M-V«. Lediglich Thüringen scherte mit einer Kampagne ganz auf Ramelow bezogen aus – allerdings nicht im positiven Sinne: »Was ein Mensch braucht« oder »Willkommen in Thüringen« und dazu ein nachdenklicher Ministerpräsident auf einer Wiese am See oder in einer alten Dampflock. Eine hippe »Lifestyle-Linke« sieht mit Sicherheit anders aus. Identitätspolitik ist für DIE LINKE im Osten zwar offensichtlich sehr wichtig, aber anders als Wagenknecht es kritisiert. Es geht um Ost-Identität.
Angespasst statt widerständig
Klimakrise, Antirassismus, Feminismus oder sexuelle Vielfalt spielen höchstens eine Nebenrolle. Soziale Themen – Löhne, Mieten, Rente, Hartz IV – stehen, anders als von Wagenknecht behauptet, zwar auch im Osten im Zentrum. Jedoch lässt die Partei hier jeglichen Geist von Widerständigkeit oder Antikapitalismus vermissen und setzt voll und ganz auf Stellvertreterpolitik: Wähl uns und es wird dir besser gehen!
Der Absturz der LINKEN bei Wahlen im Osten hängt eng damit zusammen, dass sie diesen Anspruch nie einlösen konnte. Zudem vermag es DIE LINKE damit weder, an die tiefe Abgegessenheit vieler Menschen mit dem politischen und ökonomischen System anzuknüpfen, noch als kämpferische Kraft gegen den Rechtsruck oder den neoliberalen Kapitalismus wahrgenommen zu werden.
Überhaupt findet der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital im Auftreten der LINKEN im Osten schlicht nicht statt. Stattdessen wird hervorgehoben, DIE LINKE mache Politik für Wirtschaft und Beschäftigte. Slogans wie »Wirtschaftskenner« in Sachsen-Anhalt oder »Wir sorgen für Wirtschaft, Klimaschutz und Freizeit« in Thüringen bringen diese Orientierung auf den Punkt. In keinem Moment lässt DIE LINKE durchscheinen, dass sie den Kapitalismus stürzen will. Stattdessen erklärt sie sich zu dessen besserer Verwalterin. Protestwähler:innen, für die eine AfD-Wahl aus guten Gründen keine Option ist, blieben einfach zuhause.
Der Niedergang der LINKEN im Osten bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Bundespartei. Wegen des großen Gewichts der ostdeutschen Wähler- und Mitgliedschaft für die gesamte LINKE sind die herben Verluste hier auch bundesweit deutlich spürbar. Aber wie sieht es im Westen aus?
DIE LINKE im Westen: Negativtrend gestoppt
Ein Blick auf die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen zeigt für DIE LINKE in den alten Bundesländern ein gemischtes Bild: Bis auf die Wahlen in Rheinland-Pfalz 2021 und im Saarland 2017 konnte die Partei bei allen letzten Landtagswahlen im Westen zulegen. Allerdings gelang ihr der Einzug ins Landesparlament nur in den drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sowie in Hessen und im Saarland – in Nordrhein-Westfalen scheiterte sie 2017 denkbar knapp.
Anders als bei den meisten Landtagswahlen kam DIE LINKE bei der Bundestagswahl 2017 auch im Westen überall meist deutlich über die Fünfprozenthürde. Ob die Ergebnisse bei der Bundestagswahl 2021 auch in den Westländern wieder hinter die Zahlen von 2017 zurückfallen, wie es die Umfrageinstitute momentan voraussagen, bleibt abzuwarten.
Doch Linke sollten sich von den Demoskopen ebensowenig ins Bockshorn jagen lassen wie von der bürgerlichen Presse. Denn anders als die Umfragewerte deuten die Mitgliederzahlen – ein weit wichtigerer Indikator – darauf hin, dass DIE LINKE gar nicht so schlecht dasteht. Im Westen ist der Negativtrend gestoppt. Tatsächlich hat DIE LINKE in den alten Bundesländern einschließlich Berlin Ende letzten Jahres den Mitgliederrekord aus dem Jahr 2009 fast wieder geknackt.
Der Aufwärtstrend bei der Mitgliederentwicklung im Westen seit 2016 wird begleitet von einer deutlichen Verjüngung der Partei – und das gilt auch für den Osten. Bei den Neumitgliedern im Jahr 2020 liegt der Anteil von unter 35-jährigen bundesweit bei 63 Prozent. Diese Entwicklung ist sehr zu begrüßen, weil gerade unter den jüngeren Mitgliedern ein großes Potenzial für den Aufbau aktivistischer Parteistrukturen besteht. Eine aktive Mitgliedschaft, die ihre Unterstützung der LINKEN nicht auf den Mitgliedsbeitrag beschränkt, sondern vor Ort in den Parteigliederungen und sozialen Bewegungen tätig wird, ist für den weiteren Parteiaufbau Gold wert.
Klasse und Identität
Aber sind das nicht die von Wagenknecht gescholtenen urbanen und akademischen »Lifestyle-Linken«, deren kosmopolitische Orientierung DIE LINKE von klassischen Arbeitermilieus und Arbeitslosen entfremdet? Richtig ist, dass viele der jungen Neumitglieder sich in den großen Protestbewegungen der letzten Jahre politisiert haben und beispielsweise Teil der Klimabewegung oder der antirassistischen Proteste gegen die AfD, das Sterben im Mittelmeer oder von Black Lives Matter sind. Richtig ist auch, dass viele von ihnen in Großstädten leben und studiert haben oder dies noch tun, so wie mittlerweile nunmal die Mehrheit eines Jahrgangs ein Studium aufnimmt. Vollkommen falsch ist es hingegen, den jungen und aktivistischen Milieus, die in DIE LINKE eintreten, die Schuld für deren mangelnde Verankerung in anderen Teilen der Arbeiterklasse zu geben.
Die dahinter stehende Vorstellung, dass ein fortschrittliches und solidarisches Gesellschaftsbild, das Kämpfe von Frauen und sexuellen oder ethnischen Minderheiten als wichtigen Teil des Klassenkampfes begreift, Arbeiter:innen abschrecken würde, ist Unsinn. Gleiches gilt für den Kampf für Klimagerechtigkeit. Sicherlich gibt es konservative Teile der Arbeiterklasse, die wenig mit diesen Themen anfangen können – so ist beispielsweise die stärkste Kraft in der organisierten Arbeiterschaft in Bayern nach wie vor die CSU. Und tatsächlich ist es auch der AfD gelungen, nicht nur Teile der Arbeiterklasse für sich zu gewinnen, sondern sogar gewerkschaftlich Aktive zu ihrer Wahl zu bewegen. Wenn LINKE daraus jedoch den Schluss ziehen, soziale Fragen und Widerstand gegen Unterdrückung oder Klimakrise gegeneinander auszuspielen, begehen sie einen schweren Fehler. Klassenbewusstsein lässt sich nicht durch ein Wegducken vor konservativen oder gar reaktionären Einstellungen herstellen, sondern durch gemeinsame Kämpfe, Organisierung und die Erfahrung von Solidarität.
Zudem ist die Gegenüberstellung von Arbeiterklasse und akademischen »Mittelschichten« künstlich. Der überwältigende Teil der Hochschulabsolvent:innen wird heute nach dem Studium als lohnabhängige Beschäftigte Teil der Arbeiterklasse, Tendenz stark steigend. Die wenigsten von ihnen landen in Führungspositionen. Das heißt auch, dass alle negativen Entwicklungen rund um die Arbeitswelt – befristete Verträge, Arbeitsverdichtung, sinkende Reallöhne – Teil ihrer Bewusstseinslage sind. Aktivist:innen aus der Klima- oder antirassistischen Bewegung, die sich in der LINKEN organisieren, tun dies bewusst, weil ihnen soziale Fragen und Antikapitalismus wichtige Anliegen sind.
Doppelter Schaden für DIE LINKE
Natürlich muss es Anspruch einer sozialistischen Kraft sein, die verschiedenen Gruppen und Milieus der arbeitenden Klasse zusammenzubringen und allen Ausgebeuteten, Unterdrückten und Marginalisierten eine Stimme zu geben und ein Organisierungsangebot zu machen.
Die vor allem über bürgerliche Medien gefahrene Kampagne von Wagenknecht um ihr »Gegenprogramm« schadet der LINKEN dabei aber in gleich mehrerer Hinsicht: Sie schreckt sowohl Menschen ab, die gegen Unterdrückung oder für Klimagerechtigkeit kämpfen wollen, als auch Menschen, die Wagenknechts Erzählung Glauben schenken, DIE LINKE würde nicht mehr für ihre sozialen Interessen kämpfen. Es ist schlicht falsch zu behaupten, die soziale Frage stünde nicht im Mittelpunkt der Politik der LINKEN. Dafür reicht ein Blick ins Wahlprogramm oder auf die Kampagnen der letzten Jahre mit den Schwerpunkten zu den Themen Pflege und Mieten.
Da die Medien sich bereitwillig auf jeden innerparteilichen Zwist in der LINKEN stürzen und wesentlich lieber über Wagenknechts neuesten Talkshow-Auftritt mit Pauschalschelte der eigenen Partei oder einen Ausschlussantrag gegen die prominenteste LINKE berichten als beispielsweise über die Verankerung der Partei in der Bewegung für mehr Krankenhauspersonal, dominiert dies schnell die öffentliche Wahrnehmung der LINKEN. Wer DIE LINKE nicht von ihrer Aktivität vor Ort kennt, muss den Eindruck bekommen, sie sei ein zerstrittener Haufen, der, je nach Perspektive, entweder nicht mehr an der Seite der sozial Benachteiligten stünde oder keine konsequente Haltung zur Klimabewegung oder dem Kampf gegen Rassismus oder Sexismus hätte. Es ist offensichtlich, dass dies zu den momentan schwachen Umfragewerten der LINKEN beiträgt.
Leider ist nicht absehbar, dass Sahra Wagenknecht ihre Angriffe auf die Partei und deren klare Mehrheitspositionen einstellen wird. Die unproduktive Debatte und ihre schädigende Wirkung werden also vorerst nicht einfach verschwinden. Aber anstatt sich darauf zu konzentrieren und sich nur mit sich selbst zu befassen, muss DIE LINKE weiter daran arbeiten, zu einem organischen Teil der sozialen Bewegungen und Proteste zu werden und sich darin als antikapitalistischer Pol zu verankern sowie Teil des Widerstandes und organisierender Faktor in betrieblichen Kämpfen zu sein. Denn die Glaubwürdigkeit der LINKEN hängt davon ab, ob sie durch ihr praktisches Handeln unter Beweis stellt, wofür sie steht.
Spielraum für linke Regierungspolitik?
Doch genau hier besteht ein weiteres Problem. Denn nicht nur das Sperrfeuer aus den eigenen Reihen stellt die Glaubwürdigkeit der LINKEN infrage. Überall dort, wo die Partei sich an Regierungen beteiligt, kommt sie immer wieder in einen grundlegenden Widerspruch zu ihrem eigenen Programm und den politischen Positionen, für die sie gewählt wurde. Jüngstes Beispiel: Die rot-rot-grüne Landesregierung in Bremen setzt mitten in der Pandemie Kürzungen an den Krankenhäusern durch. Beim Bremer Klinikverbund Geno sollen 440 Stellen gestrichen werden. Die Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard von der LINKEN unterstützt die Pläne und verteidigt sie mit dem Argument, dass der landeseigene Klinikverbund rote Zahlen schreibt. So lässt sich viel von dem Vertrauen, das DIE LINKE über Jahre mit ihrer Unterstützung der Kämpfe für mehr Personal im Krankenhaus aufgebaut hat, auf einen Schlag zerstören.
Ein solch fataler Kurs der LINKEN an der Regierung ist alles andere als ein Einzelfall: Von der Privatisierung von 70.000 Wohnungen unter Rot-Rot in Berlin über die Unterstützung der Kohleindustrie gegen die Klimabewegung in Brandenburg bis hin zur Abschiebepolitik in Thüringen – jede Landesregierung unter Beteiligung der LINKEN hat politische Entscheidungen mitgetragen, die den Forderungen und Zielen der Partei diametral widersprechen. Der folgende Glaubwürdigkeitsverlust trifft DIE LINKE umso stärker, weil sie damit auch ihr Versprechen bricht, anders als die anderen Parteien zu sein. Hinzu kommt: Wo DIE LINKE Teil von Regierungen ist, fällt sie als Opposition aus und kann als antikapitalistische Kraft weniger in Erscheinung treten. Dies schwächt den linken Widerstand und schafft Raum für die faschistische Rechte, von der Unzufriedenheit zu profitieren.
Der Grund, warum DIE LINKE an der Regierung immer wieder in Widerspruch zu ihrem Programm und den Interessen ihrer Wähler:innen gerät, ist nicht in erster Linie die fehlende Standhaftigkeit ihrer Politiker:innen. Der Spielraum für linke Regierungspolitik im Rahmen eines kapitalistischen Staates ist schlicht äußerst begrenzt – erst recht mit konzernfinanzierten Koalitionspartnern und unter dem Diktat einer Schuldenbremse. Aber auch generell gilt: Da der Staat selbst von erfolgreicher Kapitalakkumulation abhängig ist, lässt sich durch eine Übernahme der Regierungsgeschäfte nicht nur die Macht der Konzerne nicht brechen, sondern selbst ein Mindestmaß an sozialen Verbesserungen gegen Kapitalinteressen kaum durchsetzen. Regierungsbeteiligungen werden deswegen leicht zu Fallen. Selbst wenn eine linke Regierung unter günstigen Kräfteverhältnissen einige Reformen durchsetzen sollte, werden solche Verhältnisse nicht dauerhaft bestehen. Und im Kuhhandel mit den Koalitionspartnern sowie durch den Druck der Kapitalseite droht immer wieder der Verrat an dem, wofür die Partei steht.
Lagerwahlkampf für Grün-Rot-Rot?
Das gilt nicht nur auf Landesebene, sondern auch im Bund. Deshalb wäre es – selbst wenn es für eine Koalition mit Grünen und SPD reichen würde und diese dazu bereit wären – ein Fehler, auf eine grün-rot-rote Bundesregierung zu setzen. Denn die Bedingung dafür wäre, eine Politik mitzutragen, welche DIE LINKE als sozialistische, antikapitalistische und antiimperialistische Kraft, die für einen grundlegenden Politikwechsel kämpft, völlig unglaubwürdig macht.
Der Aufschwung der Grünen hat in Teilen der LINKEN die Hoffnungen auf Grün-Rot-Rot gestärkt. So meint die neue Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow: »Mein Ziel ist eine Bundesregierung ohne CDU – am liebsten eine grün-rot-rote. Ich werbe dafür, uns regierungsbereit zu machen.« Dabei macht sie keinen Hehl daraus, dass sie dafür auch bereit ist, »rote Haltelinien« zu überschreiten und zum Beispiel die Antikriegsposition der Partei aufzuweichen.
Solche Versuche, DIE LINKE auf einen Lagerwahlkampf mit Grünen und SPD einzuschwören, schwächen die Partei. Die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr etwa ist ein Alleinstellungsmerkmal der LINKEN und wird in Meinungsumfragen von einer klaren Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Statt schon im Vorfeld der Wahl die eigenen Positionen preiszugeben, muss DIE LINKE die Unterschiede zu Grünen und SPD hervorheben und sich klar von ihnen abgrenzen. Es braucht keine weitere Partei, die ihr Programm links liegen lässt und den »Sachzwängen« einer Regierungsbeteiligung opfert.
Natürlich setzen auch viele Wähler:innen der LINKEN ihre Hoffnungen auf ein Regierungsbündnis mit Grünen und SPD. Gleichzeitig verbinden sie jedoch mit der Wahl der LINKEN die Erwartung auf einen echten Politikwechsel. Um für alle nachvollziehbar zu machen, dass DIE LINKE einen Politikwechsel will, Regieren aber kein Selbstzweck ist, muss die Partei im Wahlkampf ihre Haltelinien und Mindestbedingungen für eine Regierungsbeteiligung deutlich machen.
Wahlkampf, Parteiaufbau und Verankerung
Die anstehende heiße Phase des Wahlkampfs und die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit gilt es für DIE LINKE zu nutzen, um ihr eigenes Profil zu schärfen, vor allem aber um den außerparlamentarischen Widerstand aufzubauen sowie die eigene Mitgliedschaft zu aktivieren und weiter zu stärken. Dass es hierfür durchaus großes Potenzial gibt, zeigen die vielen oft jungen Neumitglieder, die in den letzten Jahren zur LINKEN gestoßen sind.
Und obwohl der Mitgliederschwund im Osten nicht gestoppt ist, gibt es auch hier Neueintritte und viele junge Menschen, die – nicht nur aufgeschreckt durch die Erfolge der AfD oder die Klimakrise – bereit sind, DIE LINKE als antikapitalistische Kraft aufzubauen. Sie sind die Zukunft der Partei und brauchen ein entsprechendes Angebot vor Ort, welches sich nicht im Wahlkampf oder in einer passiven Begleitung linker Mandatsträger:innen erschöpfen darf.
Die Stärkung der Aktivenstrukturen und die Kampagnenfähigkeit der LINKEN müssen auch im Wahlkampf oberste Priorität haben. Die Kampagnen der LINKEN sind dann stark, wenn sie mit realen gesellschaftlichen Mobilisierungen verbunden werden. Ansatzpunkte dafür gibt es zahlreiche. Zwar haben wir einen niedrigen Stand an betrieblich-gewerkschaftlichen Kämpfen, doch es gibt auch hier durchaus Ausnahmen, etwa die Streikbewegungen in der Pflege und den Krankenhäusern. Hinzu kommen oft kleinere betriebliche Auseinandersetzungen an verschiedenen Orten sowie lokale gewerkschaftliche Erneuerungsprozesse im Rahmen großer Tarifrunden, aktuell etwa im Handel. Hier muss DIE LINKE vor Ort sein und die Beschäftigten aktiv unterstützen. So kann sie zum Sammlungspunkt für vorwärtstreibende Kräfte in den Gewerkschaften werden, die mit dem sozialpartnerschaftlichen Kurs brechen wollen.
Die großen Mobilisierungen um politische Fragen wie Klima, Mieten, Gesundheit oder Rassismus bieten gewaltiges Potenzial für DIE LINKE. Wenn die Partei als politisch intervenierende Kraft arbeitet, das heißt richtige Forderungen entwickelt und organisierend tätig ist, kann sie gewinnen. Für eine starke LINKE, die auch bei Wahlen wieder Erfolge feiern kann, führt kein Weg vorbei am weiteren Aufbau der Parteibasis und der Verankerung in sozialen Kämpfen. Eine Abkürzung gibt es nicht.
Foto: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Schlagwörter: Bundestagswahl, DIE LINKE