Wie LINKE und SDS die Klimabewegung rocken und zum antikapitalistischen Pol einer ganzen Generation werden können, erklärt Lea Knoff
Lea Knoff ist aktiv bei DIE LINKE. SDS und Students For Future an der Universität Leipzig.
marx21: Die Klimabewegung ist zur größten sozialen Bewegung des Landes geworden. Millionen vor allem junger Menschen politisieren sich momentan an der Frage und gehen auf die Straße. Der LINKEN fällt es bislang jedoch sichtlich schwer, sich in der Bewegung Gehör zu verschaffen. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Lea Knoff: Ich denke, das hat mehrere Gründe. Zunächst ist es nicht überraschend, dass vor allem den Grünen Kompetenz in Klimafragen zugesprochen wird. Das Image der Grünen ist das einer Umweltpartei, obwohl sie schon oft das Gegenteil bewiesen haben. DIE LINKE wird nicht in erster Linie mit Ökologie assoziiert, sondern mit Sozialem. Wir müssen zeigen, dass Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Klimagerechtigkeit zusammengedacht werden müssen. Was das allerdings erschwert, sind die Widersprüche in der Partei bei dieser Frage.
Welche Widersprüche meinst du?
DIE LINKE in Brandenburg agiert als Kohlepartei und macht den Fehler, Arbeitsplätze und Klimagerechtigkeit gegeneinander auszuspielen.
Wie könnte sie es besser machen?
Die Antwort der LINKEN müsste sein, Perspektiven aufzuzeigen, wie der Strukturwandel von Kohle hin zu erneuerbaren Energien oder vom Individualverkehr hin zu mehr ÖPNV sozial gestaltet werden kann, ohne Abstriche beim Klimaschutz zu machen. Da darf nicht gegeneinander abgewogen werden und am Ende kommt ein Kompromiss heraus, der weder sozial ist, noch das Klima schützt. DIE LINKE muss für harten Klimaschutz streiten und gleichzeitig klassenpolitische Forderungen einbringen. Den Kohlekompromiss zu verteidigen und auf regionale Wirtschaftsförderung zu setzen, sind keine linken Antworten. Stattdessen müsste DIE LINKE versuchen, die Klimafrage auch als Vehikel zu nutzen, um eine Debatte darüber anzustoßen, wie wir als Gesellschaft eigentlich leben und arbeiten wollen, also auch über Fragen der Eigentums- und Produktionsverhältnisse.
Angriff auf die Energie- und Industriekonzerne
Ein Blick ins Programm der LINKEN zeigt, dass die Partei weitgehende Forderungen für den Klimaschutz aufstellt. Die Jugendorganisationen von BUND und NABU in Nordrhein-Westfalen haben einen Parteiencheck zur Europawahl zum Thema Ökologie veröffentlicht, bei dem DIE LINKE am besten abschneidet. Wie kann die Partei ihre Forderungen in der Bewegung besser bekannt machen und sich gegenüber den Grünen profilieren?
DIE LINKE unterscheidet sich von anderen Parteien vor allem darin, dass sie eine klare antikapitalistische Linie verfolgt und sich gegen die Macht der Konzerne richtet. Einhundert Konzerne sind für 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Das zeigt, wo unser Gegner steht. DIE LINKE ist die einzige Partei, die das klar benennt. Im Gegensatz dazu propagieren die Grünen einen Kapitalismus, in dem zwar etwas grüner produziert werden soll, aber die ursprünglichen ausbeuterischen Produktionsverhältnisse, der Wachstumszwang und die ungerechten Eigentumsverhältnisse bestehen bleiben. Diesen zentralen Unterschied muss DIE LINKE herausstellen.
Es reicht nicht, die Grünen bei den Forderungen bezüglich der Reduktionsziele zu übertreffen. Wir müssen immer herausstellen, dass wirksamer Klimaschutz einen Angriff auf die Energie- und Industriekonzerne voraussetzt und der Kampf um Klimagerechtigkeit antikapitalistisch sein muss.
Welche Forderungen soll DIE LINKE in den Vordergrund stellen?
Das Hauptproblem ist die Macht der Energiekonzerne. Die Forderung der LINKEN nach Vergesellschaftung muss daher ganz oben stehen.
Allein dadurch wird der CO2-Ausstoß aber auch nicht geringer.
Nein. Dafür müssen jetzt sofort die zwanzig schmutzigsten Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Das sollte unsere ganz unmittelbare Hauptforderung sein. Darüber hinaus müssen wir aber auch die Frage stellen, wer überhaupt die Entscheidungen trifft, was und wie produziert wird. Wir müssen die Macht der Konzerne herausfordern und Konzepte entwickeln, wie wir gemeinsam unsere Ressourcen verwalten und kollektiv Produktionsentscheidungen treffen. Das ist eine Frage von Wirtschaftsdemokratie.
Ist der Ausstieg aus der Kohleverstromung der einzige zentrale Fokus?
Nein. Der Umbau von Industrie und Landwirtschaft und die Verkehrswende sind auch zentral. Aber ohne schnellstmöglichen Ausstieg aus der Kohle bleibt Klimaschutz in Deutschland ein schlechter Witz – wie wenn ein Alkoholiker mit kranker Leber sich gesund ernährt, aber fröhlich weitersäuft.
Was sollte er außer dem Alkohol noch weglassen?
Wahrscheinlich sollte er mit dem Abgasrauchen aufhören (lacht). Wir müssen wegkommen vom Individualverkehr und das schaffen wir nur mit einem guten, ausgebauten und kostenlosen ÖPNV. Es braucht eine Transformation der Autoindustrie und auch hier sollten wir als LINKE das Thema Vergesellschaftung nicht scheuen. Die Gesellschaft und vor allem die Beschäftigten müssen Einfluss darauf haben, was produziert wird, wie produziert wird und wofür.
DIE LINKE und die Klimabewegung
In einer im September 2019 erhobenen Umfrage gaben 55 Prozent der befragten Personen an, dass die Grünen beim Klimaschutz am ehesten eine Politik in Ihrem Sinn vertreten. Der LINKEN traut hingegen gerade einmal 1 Prozent der Befragten beim Thema Klima am meisten zu. Was machen wir falsch?
Es ist ja nicht so, dass Wählerinnen und Wähler bei solchen Umfragen ihre allgemeinen Parteipräferenzen außer Acht lassen. DIE LINKE steht bundesweit in Umfragen bei 7 bis 9 Prozent und bekommt im Parteienvergleich in keinem Politikfeld die höchsten Kompetenzwerte zugesprochen. Selbst bei der Frage der sozialen Gerechtigkeit liegt sie deutlich hinter SPD und Union. Die Menschen wägen bei diesen Fragen eben nicht die verschiedenen Parteiprogramme gegeneinander ab – und mal ehrlich, wer kennt die schon –, sondern antworten entsprechend ihrer Einschätzung des Profils der jeweiligen Partei und danach, welche Politik diese Partei ihrer Meinung nach einschlagen würde, wenn sie an der Regierung wäre.
Und da kommt DIE LINKE so schlecht weg?
Da ist das Beispiel Brandenburg natürlich fatal, weshalb eben auch linke Wählerinnen und Wähler bei der Frage des Klimaschutzes eher noch den Grünen etwas zutrauen.
Was schlägst du vor, wie DIE LINKE ihr Image als Klimapartei aufpolieren kann?
Zunächst einmal halte ich es für keine gute Idee, ständig auf Meinungsumfragen zu schielen und es allen recht machen zu wollen. Das ist ohnehin unglaubwürdig. DIE LINKE muss klarmachen, wo die Unterschiede etwa zu den Grünen liegen und ihre eigenen Stärken herausstellen. Sie muss zeigen, dass sie die einzige Partei ist, die bereit ist, die Profiteure dieses Systems anzugreifen, die für die Klimakrise verantwortlich sind und eine Lösung der Krise verhindern. Um das zu erreichen, kann sie nicht darauf zählen, in der bürgerlichen Presse mehr Resonanz für ihre Ideen zu bekommen. Sie muss sich also selbst Gehör verschaffen.
Und wie soll das gehen?
Wir haben ja zum Glück gerade eine riesige Klimabewegung auf der Straße. DIE LINKE muss aktiver Teil dieser Bewegung werden. Das heißt, Präsenz auf der Straße zeigen und die Klimaaktivistinnen und -aktivisten unmittelbar in ihren Kämpfen unterstützen. Und damit meine ich nicht nur den Soli-Onkel zu machen, sondern aktiver Teil der Bewegung zu werden.
Klimastreikwoche und Students For Future
Wie kann so eine aktive Arbeit in der Bewegung aussehen? Was sind eure Erfahrungen in Leipzig?
Wir haben als SDS Anfang des Jahres gemeinsam mit vielen anderen Studierenden Fridays For Future an die Uni Leipzig geholt und eine Students For Future-Gruppe ins Leben gerufen. Schon zum ersten Aktiventreffen kamen etwa sechzig Leute. Viele davon haben sich das erste Mal organisiert und in den letzten Monaten in der Bewegung ihre ersten politischen Erfahrungen gesammelt. Die Gruppe ist sehr divers, von Linksradikalen bis hin zu eher liberalen Grünen. Die breite Aufstellung macht es für neue Aktive aber auch einfacher, sich einzubringen. Wir haben es geschafft, im letzten Semester innerhalb von zwei Wochen eine Vollversammlung mit 1.300 Studierenden zu organisieren. Das zeigt, dass das Mobilisierungspotential an der Uni riesig ist.
Wie habt ihr euch als SDS in das Bündnis und die Bewegung eingebracht?
Wir haben es zum einem geschafft, der Gruppe inhaltliche Impulse zu geben, ohne eine Grundsatzdebatte über Kapitalismus führen zu müssen. Zum anderen haben wir es geschafft, durch Strategien des Organizing, die wir in die Bewegung getragen haben, neue Menschen mit ins Boot zu holen, zu politisieren und über kollektive Erfahrungen mitzunehmen. Dieser Prozess und der tägliche politische Aktivismus schafft mehr Potenzial für Radikalisierung, als es eine Grundsatzdebatte über Antikapitalismus jemals erreichen könnte.
Aber sind Aktivismus und Grundsatzdebatten nicht auch etwas ganz Anderes?
Ich meine damit, dass die Menschen, erst wenn sie aktiv werden, merken, dass es nicht reicht, Forderungen an die Politik zu stellen, und dass wir uns organisieren und den Druck von unten aufbauen müssen. Wenn Menschen sich bewegen, machen sie Erfahrungen, die tiefer gehen als tausend Grundsatzdebatten. Und wer solche Erfahrungen macht, sucht die Debatten danach ganz von alleine.
Welchen Unterschied könnt ihr als SDS dabei in der Bewegung machen?
Die Frist für die ersten Forderungen von Fridays For Future läuft Ende des Jahres aus. Wie das gerade beschlossene Klimapaket eindrucksvoll zeigt, ist die Politik weit davon entfernt, diese umzusetzen. Was wir hier als LINKE und als SDS bieten können, ist eine Vision davon, wie es weitergehen kann und an wen wir unsere Kritik adressieren.
Und wie kann es weitergehen?
Wir haben die Idee einer Klimastreikwoche an den Hochschulen in die Bewegung getragen. Beim bundesweiten Vernetzungstreffen von Students For Future in Jena, zu dem 120 Menschen aus über 30 Städten zusammenkamen, haben wir nun beschlossen, vom 25. bis 29. November den Hochschulbetrieb zu bestreiken.
Was soll in dieser Woche passieren?
Wir wollen für eine Woche die Türen der Hochschulen öffnen und aus ihnen »public climate schools« machen.
Wie kann man sich das vorstellen?
Wir wollen einen Raum schaffen, um uns zum einem zu Klimagerechtigkeitsfragen zu bilden und zum anderen strategische Diskussionen zu führen. Wir wollen verschiedene Akteurinnen und Akteure aus Schulen, Hochschulen, Betrieben und migrantischen Communities zusammenbringen. Außerdem wird am 29. November der nächste große Klimastreik stattfinden und an dem Wochenende mobilisiert Ende Gelände in die Lausitz.
Klingt nach einem ordentlichen Programm.
Ja, unser Streik wird der Auftakt für eine Woche Klimaaktivismus bundesweit. Die Klimastreikwoche ist der nächste Schritt, um die Aufmerksamkeit weiter zu erhöhen und Strategien für das weitere Vorgehen zu entwickeln.
LINKE als organischer Teil der Klimabewegung
Das klingt nach einem super Projekt für den SDS und für Klimaaktivismus an der Uni. Aber wie kann DIE LINKE so etwas als Gesamtpartei angehen?
Ich denke, dass jede Basisgruppe der LINKEN aktiv werden und sich in die Bewegung einbringen kann. Dort können sowohl inhaltliche Impulse gesetzt werden, zum Beispiel durch Veranstaltungs- und Diskussionsangebote, als auch vorherige Polit- und Bewegungserfahrungen geteilt werden. Die Landesverbände und die Bundespartei muss die Basisaktiven dabei unterstützen, indem sie gutes Material zu Fragen der Klimagerechtigkeit und konkrete soziale Antworten auf klimapolitisch relevante Themen liefert.
Also alle raus zum Klimastreik?
DIE LINKE sollte mehr tun, als nur bei den Protesten aufzutauchen. Sie muss versuchen, organischer Teil der Bewegung zu werden. Anstatt bloß auf den Demos mit Parteifahnen rumzurennen, sollte DIE LINKE sich aktiv in die Ortsgruppen von Fridays For Future oder anderen lokalen Klimabündnissen einbringen und hier die richtigen Fragen stellen und dann auch sozial gerechte Antworten liefern. DIE LINKE muss als vertrauenswürdige Kraft und aktiver Teil der Bewegung wahrgenommen werden. Dazu gehört als Partei nicht omnipräsent, sondern inhaltlich gut aufgestellt zu sein – wobei zu viel Präsenz momentan nicht das Problem der LINKEN ist.
Welchen Unterschied kann DIE LINKE in der Bewegung machen?
Die Bewegung ist breit aufgestellt. Teile sind davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, Konzerne mit ins Boot zu holen, um sie noch breiter aufzustellen. Wir als LINKE haben da eine andere Strategie: eine Mehrheitsbewegung von unten. Als Teil der Bewegung kann DIE LINKE mitdiskutieren und ihre Ideen und Forderungen einbringen. Ein Fokus hierbei sollte auch auf der Gewerkschaftsorientierung liegen.
Wie reagieren die Gewerkschaften auf eure Gesprächs- und Vernetzungsangebote?
Fridays For Future und auch wir Studierenden sind schon in Gesprächen mit verschiedenen Gewerkschaften auf lokaler wie auch auf Bundesebene. Wir stoßen hier generell auf sehr offene Ohren und eine hohe Bereitschaft für zukünftige Zusammenarbeit. So haben Aktive von uns auch auf dem letzten ver.di-Bundeskongress gesprochen und von der geplanten Klimastreikwoche erzählt. Dort gab es Standing Ovations für unsere Aktivistinnen und Aktivisten.
Ziviler Ungehorsam und Massenmilitanz
In der Bewegung wird viel über zivilen Ungehorsam als Aktionsform diskutiert und teilweise auch bereits angewendet, etwa von Ende Gelände oder Extinction Rebellion. Was hältst du davon?
Ziviler Ungehorsam ist prinzipiell erstmal gut und kann ein sinnvolles Mittel sein, um den Druck zu erhöhen. Außerdem kann dadurch die Radikalisierung innerhalb der Bewegung fortgeführt werden. Das finde ich auch erstmal gut (lacht). Wobei wir auch im Kopf behalten sollten, dass es nicht für alle gleichermaßen möglich ist, zivilen Ungehorsam auszuüben, etwa wenn ich keinen deutschen Pass habe und womöglich ohnehin schon staatlicher Repression ausgesetzt bin.
Und man muss natürlich auch im Blick behalten, nicht die Masse und Breite der Bewegung zu verlieren – also keine Militanz, um der Militanz willen. Um wirklich große Veränderungen herbeizuführen, brauchen wir eine schlagkräftige Massenbewegung von unten, die dann auch zu Mitteln des zivilen Ungehorsams wie Blockaden greifen sollte.
Außerdem müssen wir aufpassen, uns die richtigen Gegner auszusuchen. Straßenblockaden können sinnvoll sein, aber nicht die individuellen Autofahrerinnen und Autofahrer sind unsere Gegner, sondern die großen Konzerne, die Politik der Bundesregierung oder die rechten Klimawandelleugner.
Wie kann es insgesamt für die Klimabewegung weitergehen?
Ich sehe in der Klimabewegung eine riesige Chance. Momentan scheint sich eine ganze Generation an der Frage der Klimakrise zu politisieren – so viele junge Menschen, die sich selbst ermächtigen und für eine radikale Veränderung eintreten, Schülerinnen und Schüler, die den Streik als Aktionsform entdeckt haben. Darauf können wir aufbauen. Der nächste Schritt ist der Streik an der Uni. Dann kommen die Betriebe!
Das klingt sehr optimistisch.
Das Klimapaket zeigt, dass wir immer noch nicht ernst genommen werden. Deswegen heißt es für uns, unsere Stoßrichtung zuzuspitzen. DIE LINKE muss zum Motor des antikapitalistischen Pols in der Klimabewegung werden. Wir legen uns mit den Herrschenden an. Wir dürfen keine Angst haben anzuecken. Im Gegenteil. Wir müssen anecken!
Das Interview führte Martin Haller.
Foto: DIE LINKE
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