Der Krieg um die Ukraine hat in der Linkspartei zu einer Debatte über den außenpolitischen Kurs geführt. Braucht die LINKE ein Update in Sachen Antimilitarismus? Eine Antwort auf Caren Lay. Von Michael Ferschke
Die Invasion der russischen Armee in die Ukraine hat in der LINKEN zu einer Debatte um die außenpolitische Positionierung der Partei geführt. Zu den berechtigten Forderungen nach klarer Verurteilung von Putins Regime mischen sich Stimmen, die sich für eine Neupositionierung der LINKEN gegenüber NATO und Bundeswehr aussprechen. Zuletzt hatte die Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow in ihrem Essay »Wir müssen reden« die rhetorische Frage gestellt, ob die LINKE es sich länger leisten könne, von der Demokratie zu profitieren, ohne bereit zu sein, sie mit der Bundeswehr auch militärisch zu verteidigen. Antimilitarismus Adé?
In ihrem Text »Linke Außenpolitik braucht ein Update« knüpft Caren Lay zwar als Aufhänger an Susanne Hennig-Wellsow an, die »sehr richtige Fragen gestellt« habe; aber in den Vorschlägen für die Korrektur der außenpolitischen Positionen der LINKEN geht Caren Lay nicht so weit, dass sie sich explizit für einen Positiv-Bezug auf NATO oder Bundeswehr ausspricht (nebenbei gibt sie Bodo Ramelow eins mit, für seine »absurde Idee, die Wehrpflicht wieder einzuführen«). Aber implizit führt ihre Argumentation auf diesen Pfad.
Notwendige Korrektur falscher pro-russischer Positionierungen
Bei einem Teil von Carens Lays Argumentation zur notwendigen Korrektur falscher pro-russischer Positionierungen von Teilen der LINKEN können Antimilitarist:innen mitgehen. Im konkreten Teil zum Krieg in der Ukraine überspannt die Autorin den Bogen allerdings bereits, wenn sie die Analyse des Konfliktes einseitig auf das Agieren des »Aggressors Putin« verengt und den Blick auf das größere Bild des imperialistischen Konfliktes der Großmächte als »NATO-what-aboutism« abtut.
In ihren 11-Punkten zur »Weiterentwicklung« linker Außen- und Friedenspolitik sind auch mache linke und richtige Forderungen enthalten. . Viele der Punkte sind aber genau genommen kein »Update« der Positionierung der LINKEN, weil diese ohnehin Mehrheitsmeinung in der Partei sind (z.B. »gegen Parteinahme für autokratische Systeme«, oder »Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund«). Es ist gut, dass zu diesen Fragen eine eindeutige Aussage der Partei eingefordert wird.
DIE LINKE und der Krieg: Antimilitarismus Ade?
Bei den vielen richtigen Punkten darf aber nicht aus dem Blick geraten, wo Caren Lays Vorschläge tatsächlich wegführen von antiimperialistischen (den Begriff benutzt sie freilich nicht) und antimilitaristischen Positionen. Im Kern handelt es sich dabei um folgende:
(a) »Zwischen Autokratie und Demokratie darf es keine Äquidistanz geben«. Das klingt erstmal gut, ist aber nicht hilfreich als Kompass für die Anti-Kriegs-Positionierung der LINKEN. Es schwingt erstens eine idealistische Verklärung der aktuellen Konfliktlage und der Triebkräfte des Krieges mit. Putin ist nicht in die Ukraine einmarschiert, weil er sich durch eine demokratische Staatsform bedroht sieht, sondern aus materiell-geopolitischen Interessen des russischen Kapitalismus. Zweitens bietet die Formel keinen Kompass für den Fall, dass umgekehrt demokratische Staaten eine Autokratie überfallen, wie etwa beim Krieg gegen Afghanistan oder Irak. Hieße in diesem Fall dann »keine Äquidistanz«, dass die Linke sich auf die Seite des »demokratischen« Aggressors stellen sollte? Das wäre fatal und ein Einfallstor für die politische Unterstützung des angeblich demokratischen westlichen Imperialismus.
Kritik an der NATO ad acta?
(b) Caren Lay fordert durch die Blume, das die LINKE ihre grundsätzliche Kritik an der NATO ad acta legen soll. »Der Austritt aus oder die Auflösung der NATO und eine Sicherheitssystems unter Einschluss von Russland sind in weite Ferne gerückt. Solange Putin über Russland regiert, wird es kein solches Sicherheitsbündnis mit Russland geben. Eine wirtschaftliche, ökonomische und sicherheitspolitische Kooperation mit einem demokratischen Russland bleibt ein langfristiges Ziel.«Auch hier gibt es die idealistische Gleichsetzung von »demokratisch« mit »friedliebend«. Fernab der grundsätzlich trügerischen Friedenshoffnung auf Verträge zwischen kapitalistischen Staaten, gibt es keinen Grund zur Annahme, dass ein parlamentarisch-demokratisch verfasster Staat weniger imperialistisch oder im konkreten Fall vertrauenswürdiger in internationalen Vereinbarungen wäre. Diese Argumentation führt weg von einem materialistischen Verständnis imperialistischer Dynamiken, als Ausdruck kapitalistischer Staatenkonkurrenz. Konkret legt Caren Lays Argumentation Nahe, dass die LINKE die Forderung nach Auflösung der NATO nicht länger erheben soll, weil mit Putin kein besseres Staatenbündnis zu machen sei.
Sanktionen als Wirtschaftskrieg befürworten?
(c) Bei der Frage der Sanktionen begibt sich Caren Lay ins Wünsch_Dir-Was-Land. »Unser kategorisches Nein zu allen wirtschaftlichen Sanktionen ist nicht mehr zu halten, hier müssen wir differenzieren zwischen denjenigen, die die Oligarchie und die Entscheider:innen treffen, und denjenigen, die tatsächlich nur die verarmte Bevölkerung treffen.« Erstens gibt es dieses »kategorische Nein« der Partei gar nicht in Bezug auf Sanktionen. Die Forderung nach schärferen Sanktionen ist zwar verständlich, aber nicht besonders hilfreich. Linke sind natürlich alles andere als Freund:innender Reichen in Ost und West, aber die Forderung nach Sanktionen, die gezielt und ausschließlich Oligarchen und Entscheider:innen treffen, ist kein Instrument, um Putin zu stoppen, geschweige denn originär links.
Putin führt Krieg für die Interessen der Oligarchen gegen die westlichen Konkurrenten – weshalb sollten die Oligarchen sich aufgrund von Sanktionen durch die imperialistischen Rivalen von Putin abwenden? Zudem ist die Forderung nach Sanktionen gegen russische Oligarchen kein Unique Selling Point für die LINKE – das betreibt die EU schon längst unter Federführung Ursula von der Leyens (CDU) und auch Christian Lindner (FDP) fordert das, als Teil des Wirtschaftskrieges gegen deren kapitalistische russische Konkurrenten. Wie wenig effektiv die beschlossenen Maßnahmen gegen Reiche sind, ist mittlerweile bekannt. Es gab kürzlich einen Beitrag im Fernsehmagazin »Kontraste« zur Sanktionsliste der EU, in dem aufgezeigt wurde, wie die Oligarchen ihre Vermögen verschleiern und außerhalb der juristischen Reichweite parken und weitgehend unangetastet bleiben.
Sanktionsregime muss viel schärfer kritisiert werden anstatt vermeintlich »gezieltere« Sanktionen zu fordern
Die Forderung nach einem internationalen Transparenzregister zu Vermögensverhältnissen ist hier richtig, wird aber unter den derzeitigen kapitalistischen Rahmenbedingungen wohl kaum umgesetzt, weil ja auch die Reichen der NATO-Staaten kein Interesse dran haben. Die tatsächlich aktuell verhängten Sanktionen treffen jedoch die Ärmsten in Russland und auch in anderen Staaten hart – sowohl in den reicheren Ländern im Westen, als auch in vielen ärmeren Ländern Noch kein Autokrat wurde durch Sanktionen gestürzt, aber die Bevölkerung jedes mal extrem getroffen (Irak, Syrien, Nord-Korea). Sanktionen sind Teil des imperialistischen Konkurrenzkampfes. Dieses Sanktionsregime sollte von uns viel schärfer kritisiert werden, anstelle schärfere, vermeintlich »gezieltere« Sanktionen zu fordern.
DIE LINKE und der Krieg: Friedensutopien statt Realität
(d) Caren Lays übt sich in dem, was Rosa Luxemburg »Friedensutopien« nannte. Lay schreibt: »Linke Außenpolitik muss die Stärkung und Demokratisierung internationaler Institutionen ins Visier nehmen. OSZE und UNO müssen gestärkt, die UNO, etwa im Sicherheitsrat reformiert werden. Doch es sind diese internationalen Strukturen, die wir wollen, da darf es kein Vertun geben.« Die Staatenlenker und ihre Institutionen sind keine Garanten für ein friedlichere Welt. Aufrüstung und Krieg sind nicht Ausdruck diplomatischen Versagens. Vielmehr sind sie Ergebnis zunehmender wirtschaftlicher und politischer Konkurrenz und als solche untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden. Bürgerliche Staaten und Staatenbündnisse bringen dabei die Interessen ihrer Kapitalisten im globalen Wettstreit um Märkte und Rohstoffe zur Geltung.
Linke mögen an solche Staaten und Institutionen appellieren und mit friedenspolitischen Forderungen an sie herantreten. Aus sich heraus können sie qua ihrer Natur als rivalisierende bürgerliche Staaten der imperialistischen Dynamik zum Krieg jedoch nicht entgegenwirken. Es ist entsprechend nicht falsch, z.B. eine grundlegende Demokratisierung der UNO zu fordern. Das müsste aber tiefgreifender geschehen, als es Caren Lay mit einer »Reform des Sicherheitsrates« nahe legt. Demokratisch wäre beispielsweise, wenn die UN-Vollversammlung anstelle des Sicherheitsrates bindende Resolutionen verabschieden könnte, und jeder Mitgliedstaat dabei eine Stimme hätte. Bislang ist allerdings jede Initiative, die UNO in diese Richtung zu reformieren gescheitert.
Die mächtigen Nationen setzen ihr gesamtes finanzielles und diplomatisches Gewicht ein, um Reformen zu ihren Ungunsten zu verhindern. Von daher braucht DIE LINKE für ihre friedenspolitischen Positionen andere Verbündete: die internationale Antikriegsbewegung, welche insbesondere durch Verbindung mit Mobilisierungen der Arbeiter:innenklasse das entscheidende Gewicht gegen die imperialistische Kriegsdynamik in die Waagschale werfen kann. Oder wie Rosa Luxemburg schrieb: »Die Friedensfreunde aus bürgerlichen Kreisen glauben, das sich Weltfriede und Abrüstung im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung verwirklichen lassen, wir aber, die wir auf dem Boden der materialistischen Geschichtsauffassung und des wissenschaftlichen Sozialismus stehen, sind der Überzeugung, das der Militarismus erst mit dem kapitalistischen Klassenstaate zusammen aus der Welt geschafft werden kann.«
Bild: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Schlagwörter: Antiimperialismus, DIE LINKE, Krieg, Militarismus, Ukraine