Die LINKE sollte mithelfen, ein progressives Lager gegen die gesellschaftliche Rechtsentwicklung zu formieren. Ein Beitrag zur Debatte »Sollte die LINKE #r2g anstreben?« von Klaus Ernst
Die Leserinnen und Leser kennen die Wahlergebnisse des Jahres 2016. Die Wahlen haben den Rechtstrend nicht nur bestätigt, sondern dramatisch verstärkt. Die Bundesrepublik erlebt eine historische Zäsur. Die Flüchtlingskrise wurde zum Katalysator, der die latente soziale und ökonomische Spaltung in einen politischen und kulturellen Großkonflikt überführte, in dem sich ein wachsender Teil der Bevölkerung entlang einer Frage politisch einordnet, die vor zwei Jahren noch nicht einmal in den Top Ten der wichtigsten politischen Themen auftauchte: Ist man für oder gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und Zuwanderern?
Diese diskursive Neuordnung des politischen Felds ist der Ausgangspunkt für das Wiedererstarken der AfD. Dazu kommt aber auch die Erfahrung, dass die etablierte Politik die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen seit Jahren nicht wirklich wirksam bekämpft hat und was die Linke angeht, nicht in der Lage war, über die Proklamation von Forderungen hinauszukommen. So gut wie nichts konnte sie umsetzen.
Der Protest der Abgehängten ist rechts
Die Großerzählung, dass »die da oben«, die in den Metropolen lebenden Eliten eine Hereinnahme von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten befürworten und die knappen staatlichen Ressourcen für ein buntes »Multikulti«-Deutschland ausgeben, während für »die da unten« nichts übrig bleibt, verfängt und führt dazu, dass aus gefühlter und realer sozialer Benachteiligung nicht sozialer Protest, sondern fremdenfeindliches Ressentiment wird, das an der Wahlurne in eine rechtsradikale Proteststimmabgabe mündet.
Diese Erzählung, die den Konflikt zwischen »oben« und »unten« zu einem Konflikt zwischen den Befürwortern und Gegnern einer humanitären Flüchtlingspolitik und einer modernen Zuwanderungspolitik macht, ist für die Linke und DIE LINKE eine geradezu historische Zäsur, weil diejenigen, die sie glauben, uns tendenziell nicht mehr an der Seite von »denen da unten« wahrnehmen. Der Protest der Abgehängten ist rechts, und es spricht einiges dafür, dass sie nicht einfach »falsch wählen«, sondern dass sie das tun, weil sie rechts denken.
Ein Lager der politischen Rechten
Eine Erklärung für dieses Wahlverhalten nach der Methode, die Wähler haben unsere Botschaften und unsere Positionen nicht verstanden, greift hier viel zu kurz. Sie haben unsere Positionen schon verstanden und genau deshalb werden wir von einem beachtlichen Teil unserer ehemaligen Wähler nicht mehr gewählt.
Der beschriebene kulturelle und politische Großkonflikt ist Realität und mündet in eine neue Lagerbildung. In Deutschland formiert sich längst ein Lager der politischen Rechten, das von der extremen Rechten über die AfD bis zu den Unionsparteien reicht. Geeint wird dieses Lager zur Zeit im Wesentlichen durch die Ablehnung der Flüchtlingspolitik, aber auch durch Fremdenfeindlichkeit und Ablehnung von Muslimen.
Spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen
Was aber ist in dieser Situation die richtige Strategie für DIE LINKE? Wenn es nicht gelingt, dem Merkelschen: »Wir schaffen das«, ein »so machen wir das« folgen zu lassen, das die Vorbehalte der Menschen abbaut, ihre Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt und auch Erwartungen der hier lebenden Bürgerinnen und Bürger an die Schutzsuchenden aufgreift, wird sich diese Entwicklung fortsetzen.
Wenn es nicht gelingt, nicht nur auf dem Papier linker Parteiprogramme eine Politik zu formulieren, die eine spürbare Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen derer bedeutet, die sozial und ökonomisch ausgegrenzt sind und die eine weitere Verschlechterung der Situation des Mittelstandes verhindert, sondern diese Politik auch durchzusetzen, ist ein weiteres Erstarken des rechten Lagers wahrscheinlich.
Ein progressives Lager formieren
Die Rechte will Deutschland einen Kurswechsel in die Vergangenheit verordnen. Und das wird ihr auch gelingen, wenn sich nicht auf der anderen Seite endlich ein progressives Lager formiert, das nicht nur diesem Ansinnen entschieden entgegen tritt, sondern den Kampf um eine offene, moderne und soziale Republik auch mit Aussicht auf Erfolg aufnimmt. Wir sind als Befürworter einer gerechten Verteilungspolitik, mit unserem Einsatz für soziale Gerechtigkeit, einer friedlichen Außenpolitik und einer humanitären Flüchtlingspolitik bereits einem Lager zugeordnet.
Wenn wir die Rechtsentwicklung stoppen wollen, müssen wir dieser Entwicklung den Boden entziehen. Das geht, wie die Wahlen zeigen, nicht mit noch so guten Programmen. Dazu muss wenigstens ein Teil unserer Vorstellungen umgesetzt und die Lebenswirklichkeit vieler Menschen entscheidend verbessert werden. Wer glaubt, das schaffen wir mit unseren Mitgliedern und den vielleicht 10 Prozent Wählerinnen und Wählern alleine, der überschätzt unsere Rolle als Oppositionspartei gewaltig. Und das wäre ein großer Fehler. Wir haben keine andere Wahl, als unsere Rolle in einem linken Lager zu definieren, wenn wir die Realität und nicht nur die Papierlage verändern wollen. In einem solchen Lager müssen wir das linke Gewissen und die Treiber für wirkliche Veränderungen sein. Chancen dafür müssen wir nutzen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Geschichte ungerecht mit der Linken umspringt. Wirken wir dabei mit, dass sich Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Die AfD hat sich den Kampf gegen alles was »links« ist, längst auf die Fahnen geschrieben, nicht nur den Kampf gegen die Linke.
Der Autor:
Klaus Ernst ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag.
Was ist deine Meinung?
Sollte die LINKE #r2g anstreben? Beteilige dich online an der Debatte via Facebook oder sende deinen Beitrag per E-Mail an redaktion@marx21.de. Oder schreibe uns per Post: marx21 – Magazin, Postfach 44 03 46 12003 Berlin. Wir freuen uns auf zahlreiche Zuschriften – bitte mit Absendeadresse! Die interessantesten Beiträge veröffentlicht marx21 online sowie in der nächsten Ausgabe. Die Redaktion behält sich vor Beiträge gekürzt zu veröffentlichen.
Schlagwörter: AfD, Alternative für Deutschland, Bundestagswahl, DIE LINKE, Klaus Ernst, Koalition, Linkspartei, R2G, Rot-Rot-Grün