Einzeln betrachtet waren viele Nazis lächerliche Figuren, doch mit ihrer Partei NSDAP etablierten sie eine Schreckensherrschaft in weiten Teilen Europas. Sven Felix Kellerhoffs Studie über den Aufstieg der NSDAP bietet neue Erkenntnisse über Aufbau und Strategie der faschistischen Massenpartei. Von Christian Schröppel
Sven Felix Kellerhoff beschreibt in seinem Buch den Aufstieg eines Sammelsuriums verkrachter Existenzen, streitsüchtiger Zeitgenossen und verschrobener Strippenzieher zu einer politischen Kraft, die die bürgerliche Demokratie ebenso wie die Organisationen der Arbeiterbewegung in Deutschland zerschlug und Krieg über Europa und weite Teile der Welt brachte.
Für sein Buch wertete Kellerhoff erstmals mehrere Hundert Interviews aus, in denen Mitglieder der NSDAP Auskunft über ihre Biografie und ihre Entscheidung, der Partei beizutreten, gaben. Darüber hinaus flossen auch Polizeiakten und die Akten der NSDAP selbst, sowie die öffentlichen Reden, Publikationen und Tagebücher, die bereits in der historischen Forschung zur NSDAP rezipiert wurden, in seine Analyse ein.
Die NSDAP und ihre Wurzeln
Mit zahlreichen Belegen aus den Gründungsjahren der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), aus der später die NSDAP entstand, belegt der Autor die engen Verbindungen der Parteigründer zu reaktionären bürgerlichen Verbänden wie dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund, einer Tochterorganisation des Alldeutschen Verbands. Der ausdrückliche Bezug auf die Arbeiterschaft hob die DAP von vielen weiteren völkischen Gruppierungen ab, die in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurden.
Der Antisemitismus sollte sich als wirkungsvolles Mittel erweisen, Klassenunterschiede zu verdecken, auch wenn Kellerhoff eine Untersuchung zitiert, nach der nur jeder zehnte frühe Sympathisant Antisemitismus als wesentlichen Beweggrund nannte. Der Judenhass bildete neben einem weltanschaulichen Idealismus, der Feindschaft gegenüber dem Marxismus und der völkisch-rassistischen Ideologie den Kitt, der die Mitglieder der NSDAP ideologisch zusammenschmiedete.
Antisemitismus als ideologischer Kitt
Die Unterstützungsleistungen, die die faschistische Bewegung aus bürgerlichen Kreisen erhielt, bestanden überwiegend aus anlassbezogenen Finanzierungen und nicht aus dauerhaften Zuwendungen an die Partei. Der Autor widerspricht Thesen, die von umfangreichen Spenden aus der Industrie an die faschistische Bewegung ausgehen. Zugleich legt der Abschnitt »Hitlers private Finanzen« jedoch nahe, dass zumindest Adolf Hitler selbst auf regelmäßige finanzielle Unterstützung von vermögender Seite hoffen konnte.
Dass faschistische Parteien vorwiegend aus Protest gewählt und bald wieder von der Bühne verschwinden würden, war eine damals ebenso wie heute verbreitete Auffassung, wie Kellerhoff an zahlreichen Beispielen zeigt. Die NSDAP war ab der Mitte der zwanziger Jahre eine Partei, die strategisch und mit überlegter Taktik den Übergang zur Massenpartei anstrebte. Hierzu gehörte, dass in der Öffentlichkeitsarbeit nach 1928 antisemitische Hetze zu Gunsten plakativer Kapitalismuskritik zurücktrat.
NSDAP wird Massenpartei
Der Autor zeichnet den Weg der Nazis zur Macht aus der Perspektive der Mitgliedschaft nach: von Hitlers Ablehnung im Jahr 1932, das Amt des Vizekanzlers zu übernehmen, über die Mitgliedersperre im April 1933 bis zur Alimentierung »verdienter Kameraden« in neu geschaffenen staatlichen Stellen und öffentlichen Betrieben.
Den Versuch einer präzisen Einordnung dieser Prozesse in eine Darstellung der Übernahme des bürgerlichen Staatsapparats durch die faschistische Herrschaft, wie sie Ernst Fraenkel in »Der Doppelstaat« und Franz Neumann in »Behemoth« vorgenommen haben, unternimmt Kellerhoff nicht. Sein Buch ist eine äußerst ergiebige und gut organisierte Fundgrube von Beobachtungen und Erkenntnissen über die NSDAP als Kaderorganisation und aufstrebende Massenpartei, deren Aktualität und Relevanz für die heutige Diskussion über faschistische Bewegungen in Deutschland und Europa augenfällig ist.
Das Buch:
Sven Felix Kellerhoff
Die NSDAP. Eine Partei und ihre Mitglieder
Klett-Cotta
Stuttgart 2017
441 Seiten
25 Euro
Schlagwörter: Antifaschismus, Bücher, Kultur, Nationalsozialismus, Nazis, NSDAP, Rezension