Warum die Unterstützung für die »eigene« herrschende Klasse in einem imperialistischen Krieg gleichbedeutend mit der Aufgabe des Kampfs für Sozialismus ist. Von Duncan Hallas
Dieser Artikel erschien angesichts der Auseinandersetzungen zwischen Argentinien und Großbritannien um die Falklandinseln im Jahr 1982. Wir veröffentlichen diesen Artikel, weil hier wichtige Argumente für die Haltung von Sozialist:innen zu Krieg und Frieden entwickelt werden, die auch heute noch richtig sind. Es ist der Auftakt einer marx21-Serie von historischen Artikeln zum Thema Imperialismus, Krieg und der Haltung der Linken.
Sozialist:innen sind keine Pazifisten, wir verabscheuen die argentinische Diktatur unter Leopoldo Galtieri. Wir weisen auch die Behauptung zurück, dass die Besetzung der Falklandinseln durch Argentinien aus antikolonialen Gründen fortschrittlich sei. Dennoch denken wir, dass in einem Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien die Niederlage des britischen Imperialismus das kleinere Übel ist. Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Keine dieser Aussagen ist aber möglicherweise so selbsterklärend, dass es keiner weiteren Erläuterung bedürfte. Lasst uns deshalb zu den Grundlagen zurückkehren: Nach welchen Kriterien bestimmen Sozialistinnen und Sozialisten ihre Haltung zum Krieg im Allgemeinen und im Speziellen?
Lenins Sozialismus und Krieg
Ein sehr guter Ausgangspunkt bildet Lenins einleitender Absatz zu »Sozialismus und Krieg«, den er 1915 inmitten des Schlachtens des Ersten Weltkriegs schrieb: »Die Sozialisten haben die Kriege unter den Völkern stets als eine barbarische und bestialische Sache verurteilt. Aber unsere Stellung zum Krieg ist eine grundsätzlich andere als die der bürgerlichen Pazifisten (der Friedensfreunde und Friedensprediger) und der Anarchisten. Von den Ersteren unterscheiden wir uns durch unsere Einsicht in den unabänderlichen Zusammenhang der Kriege mit dem Kampf der Klassen im Innern eines Landes, durch die Erkenntnis der Unmöglichkeit, die Kriege abzuschaffen, ohne die Klassen abzuschaffen und den Sozialismus aufzubauen, ferner auch dadurch, dass wir die Berechtigung, Fortschrittlichkeit und Notwendigkeit von Bürgerkriegen voll und ganz anerkennen, das heißt von Kriegen der unterdrückten Klasse gegen die unterdrückende Klasse, der Sklaven gegen die Sklavenhalter, der leibeigenen Bauern gegen die Gutsbesitzer, der Lohnarbeiter gegen die Bourgeoisie. Von den Pazifisten wie von den Anarchisten unterscheiden wir Marxisten uns weiter dadurch, dass wir es für notwendig halten, einen jeden Krieg in seiner Besonderheit historisch (vom Standpunkt des Marx’schen dialektischen Materialismus) zu analysieren.«
Krieg ist immer »barbarisch und bestialisch«, und das auf sehr schrecklich Weise, wenn wir an die Bombardierung, das Napalm, die Entlaubung, die Grausamkeiten der US-Armee in Vietnam oder an die Khmer Rouge in Kambodscha denken. Krieg ist immer ein Übel und er verursacht weitere Übel. Deshalb sollte Krieg, so lautet das »Prinzipiell gegen den Krieg«-Argument, unabhängig von den Umständen abgelehnt werden. Nie wieder Krieg!
Carl von Clausewitz’ Schrift »Vom Kriege«
Diese Haltung besitzt einen gesunden und fortschrittlichen Kern und ist häufig mit einem gewissen Klassenbewusstsein verbunden. »Das ist der Krieg des reichen Mannes, aber der Kampf des armen Mannes«, lautete die Parole der Gegner der Wehrpflicht im Amerikanischen Bürgerkrieg. Ich erinnere mich noch gut, wie ich in einem gewöhnlichen kommerziellen Kino in Manchester ein oder zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs den klassischen Antikriegsfilm »Im Westen nichts Neues« sah. An einer Stelle sagt ein deutscher Soldat zu einem anderen: »Wir sollten die Generale und Politiker mit Knüppeln gegeneinander kämpfen lassen«, und das Publikum, unter denen eine nicht geringe Zahl ehemaliger Soldaten gewesen sein muss, brach in lauten Applaus aus. Das war ein guter Ansatz, tausendmal besser als das patriotische Fahnenschwenken der Labour Party seinerzeit und heute wieder.
»Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.«
Aber es reicht nicht. Marx und Engels und ihre Anhänger stellten sich im Amerikanischen Bürgerkrieg auf die Seite des Nordens. Einige von ihnen, meist deutsche Exilanten, kämpften freiwillig für die Union und gegen die Sklaverei. Und sie hatten recht damit. Denn trotz des Schreckens, des Schlachtens, der Verstümmelung, des Betrugs und der Kriegsgewinnlerei war dies ein Krieg zur Beendigung der Sklaverei und deshalb ein gerechter und fortschrittlicher Krieg. Dies ist ein politisches Urteil, was uns zu Carl von Clausewitz’ Schrift »Vom Kriege« und seiner klassischen Definition von Krieg bringt: »Der Krieg einer Gemeinheit – ganzer Völker – und namentlich gebildeter Völker geht immer von einem politischen Zustande aus und wird nur durch ein politisches Motiv hervorgerufen. Er ist also ein politischer Akt. […] So sehen wir also, dass der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln. Was dem Kriege nun noch eigentümlich bleibt, bezieht sich bloß auf die eigentümliche Natur seiner Mittel.« Die »eigentümliche Natur seiner Mittel« benennt Clausewitz mit brutaler Klarheit und ohne Heuchelei: »Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.«
Die Grenzen des Pazifismus
All das ist unbestreitbar wahr und von entscheidender Bedeutung. Eine Schlussfolgerung lässt sich sofort ziehen: Auch die Revolution ist »ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen«. Sie ist natürlich viel mehr, aber entweder ist sie das oder nichts. Wir können dabei aber nicht stehenbleiben. Da in jeder Klassengesellschaft die herrschenden Klassen immer zur Gewalt greifen, um ihre Herrschaft zu verteidigen, läuft die prinzipielle Ablehnung von Gewalt aus politischen Gründen (nicht immer, nicht üblicherweise, aber den Umständen entsprechend) darauf hinaus, den Kampf für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung, für eine klassenlose Gesellschaft, für Sozialismus aufzugeben.
Weil außerdem Kriege nicht abgeschafft werden können, solange Klassen nicht abgeschafft sind und der Sozialismus errichtet werden kann, ist die »prinzipielle« Antikriegshaltung, wenn sie von den Arbeiterinnen und Arbeitern weitgehend übernommen wird, eine Garantie für weitere Kriege. Die pazifistische Haltung ist trotz ihres humanistischen Impulses eine sehr konservative. Deshalb sind wir keine Pazifisten.
Der Atomkrieg der Supermächte
Aber ein Atomkrieg, die Bedrohung durch einen atomaren Holocaust, muss das unsere Haltung nicht von Grund auf verändern? Zweifellos hat das Einfluss auf unsere Haltung, aber es ändert die dem zugrunde liegenden Realitäten nicht. Es gab hundert oder mehr Kriege, seit die Luftwaffe der USA die Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki abwarf – sie waren allesamt nicht atomar (wenn auch einige nur knapp daran vorbeigeschrammt sind). Der Atomkrieg der Supermächte hat nicht stattgefunden, weil das – rational betrachtet – nicht im Interesse der herrschenden Klassen ist. Das heißt nicht, dass er nicht stattfinden könnte, sondern nur, dass der Holocaust, eine immer gegenwärtige Gefahr, nicht vermieden werden kann, wenn wir den Kopf in den pazifistischen Sand stecken. Er kann letztendlich nur abgewendet werden, wenn wir den herrschende Klassen die Atomwaffen aus der Hand schlagen – durch eine Revolution.
Der Krieg um die Falklandinseln
Von diesen gewichtigen und grundsätzlichen Erörterungen wenden wir uns nun einer Angelegenheit zu, die eine Farce wäre, wäre sie nicht so armselig und potenziell gefährlich – den Falklandinseln (Malvinas). In den 1730er Jahren enterte die spanische Küstenwache vor den Westindischen Inseln das Schiff von Kapitän Jenkins und er verlor in dem Handgemenge sein linkes Ohr. Jenkins war ein Schmuggler und Pirat laut den spanischen Behörden, die seinerzeit den Großteil Südamerikas beherrschten, seinen Freunden galt er dagegen als sehr respektabler Handelsschiffer. Nach dem Ereignis verfielen das damalige Gegenstück zur Daily Mail (oder der Bild) und die Hinterbänkler der Tories in einen hysterischen Wutanfall.
Der folgende »Krieg wegen Jenkins’ Ohr« hatte mit der Sache selbst ebenso wenig zu tun wie heute mit dem »Recht auf Selbstbestimmung« der Bewohner der Falklandinseln. Es war ein durchsichtiger Vorwand. Worum es wirklich ging, war der Sklavenhandel, ein höchst profitables Geschäft, aus dem britische Sklavenhändler in verschiedenen Kriegen als Sieger hervorgingen. Es gibt jedoch einen Unterschied: Damals gab es einen ernsthaften Streit zwischen den beiden herrschenden Klassen. Die britische Bourgeoisie wollte in die südamerikanischen Märkte eindringen, und die Machthaber des spanischen Amerikas in Madrid versuchten, das um jeden Preis zu verhindern. In dem »Ohrkrieg« war Jenkins nur die Ausrede. Wäre er nicht geboren worden, wäre das Ergebnis dasselbe gewesen – vielleicht ein oder zwei Jahre später.
Schamloser Heuchelei
Nun aber ist die Ausrede der Grund. Sollte sich die jetzige Lage zu einem Krieg entwickeln, wird es darum gehen, ob Thatcher oder Galtieri das Gesicht verliert (im chinesischen Sinne). Es gibt keinen rationalen Grund (nur einen räuberischen) für diese Auseinandersetzung. Die Falklandinseln haben keine große Bedeutung. Reines Prestige und interne Politik sind der Antrieb für beide Seiten. Jetzt ist die Rede von Öl, aber ob es wirklich existiert oder nicht, ist hier nicht von Belang. Schließlich bemüht sich Thatcher eifrig um die »Privatisierung« der British National Oil Corporation, ausländische Ölgesellschaften besitzen einen großen Teil der Nordsee und ausländische multinationale Unternehmen können in Galtieris Argentinien ungehindert tätig sein. Die Behauptung der britischen Seite, Thatcher sei besorgt um die Bewohner der Inseln und deren »Interessen haben unbedingten Vorrang« ist ein Meisterstück schamloser Heuchelei.
Unter britischer Herrschaft durften die Bewohner der Inseln nicht einmal frei eine Stadtverwaltung mit der Befugnis eines Stadtrats wählen, und schon gar nicht hatten sie das Recht auf Selbstbestimmung«. Die meisten konnten nicht einmal die Sicherheit eines eigenen Hauses genießen, sondern waren gebunden an die Wohnstätten der britischen Falkland Islands Company, die den Großteil des fruchtbaren Weidelands besaß. Bis zu dem militärischen Überfall Argentiniens auf die Inseln hat keine einzige britische Regierung sich je um die Interessen der Falkländer gekümmert. Zudem hatte Thatchers Regierung und vor ihr die von James Callaghan bereits mit mehreren argentinischen Regierungen Geheimverhandlungen über die Zukunft der Inseln geführt, ohne dass die Bewohner auch nur Thema waren, und schon gar nicht eine Volksabstimmung, wie sie jetzt gefordert wird.
Nicht bedingungslos für das Recht auf Selbstbestimmung
In jedem Fall ist das Argument der Selbstbestimmung mehr als fadenscheinig. Eine schwindende Bevölkerung von knapp 2.000 Menschen wäre nicht einmal eine beachtliche Zuschauerzahl für ein Fußballspiel der vierten Liga. Sie verfügt über keine sozialen, ethnischen, linguistische, kulturellen oder historischen Muster, um als »nationale« Einheit angesehen werden zu können. Mit viel größerer Plausibilität könnte das Recht auf Selbstbestimmung für die Bewohner der Isle of Man eingefordert werden. Aber auch in diesen plausibleren Fällen wäre das absurd und reaktionär. Lenin schrieb 1914: »Wenn wir [..] die Bedeutung der Selbstbestimmung der Nationen begreifen wollen und nicht mit juristischen Definitionen spielen, nicht abstrakte Begriffsbestimmungen ,ausheckenʻ, sondern die historisch-ökonomischen Grundlagen der nationalen Bewegungen untersuchen, so kommen wir unvermeidlich zu dem Schluss: unter Selbstbestimmung der Nationen versteht man ihre staatliche Lostrennung von fremd-nationalen Gemeinschaften, versteht man die Bildung eines selbstständigen Nationalstaates.«
»Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren.«
In dem jetzigen Fall gibt es weder eine nationale Bewegung noch die Möglichkeit, einen Nationalstaat zu bilden. Das Argument der Selbstbestimmung ist ein Betrug, um der Unterstützung von Thatchers militärischem Abenteuer einen »demokratischen« Anstrich zu geben. Soweit es um die Falklandinseln geht, ist damit alles gesagt. Um aber Missverständnisse zu vermeiden, muss auch gesagt werden, dass wir nicht bedingungslos für das Recht auf Selbstbestimmung eintreten. Wir räumen es zum Beispiel nicht den Protestanten der nordirischen Provinz Ulster ein, obwohl sie zweifellos eine historisch herausgebildete, sich ihrer selbst bewusste Gruppe mit quasinationalen Eigenschaften sind. Wir lehnen die Theorie der zwei Nationen in Irland ab, weil sie reaktionär ist, und nicht aufgrund juristischer Spielereien, ob die Protestanten diese oder jene »nationale« Eigenschaft haben. Die »antikolonialen« Behauptungen der argentinischen Diktatur sind kaum besser als der Betrug der Selbstbestimmung. Sicherlich kann Argentinien aufgrund der Geschichte der Falklands und ihrer geografischen Lage mit etwas mehr Plausibilität Anspruch auf die Inseln erheben, die eindeutig eine britische Kolonie sind. Aber das sind juristischen Fragen und abstrakte Ansprüche. Wir unterstützen antikoloniale Bewegungen als Bewegungen das Kampfs unterdrückter Völker gegen ihre Unterdrücker und wir unterstützen sie, weil, wie Friedrich Engels sagte: »Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren.«
Der Hauptfeind steht im eigenen Land
Für die Falklandinseln ist das alles nicht besonders relevant. Es gibt keine spanisch sprechende Bevölkerung, die gegen den britischen Imperialismus kämpfen würde. Für Galtieri bedeutet »Antikolonialismus« einen praktischen Vorwand, argentinische Arbeiterinnen und Arbeiter von ihrem Kampf gegen seine Diktatur abzulenken. Der Zeitpunkt des militärischen Überfalls war ohne Zweifel beeinflusst von der wachsenden Zahl an Demonstrationen und Streiks in Argentinien. »Nationale Einheit« zur Unterstützung einer Auslandsstreitigkeit ist das Ziel Galtieris ebenso wie Thatchers, und »nationale Einheit« bedeutet die Unterordnung der Arbeiterinnen und Arbeiter unter die Bosse. Wir stehen beiden Regierungen und beiden Regimen unversöhnlich gegenüber. Aber wir sind in Großbritannien und nicht in Argentinien, und deshalb ist die britische Regierung, der britische Staat der Hauptfeind für uns. Die Führer der Labour Party und sogar einige Tories, die den Putsch Augusto Pinochets in Chile begeistert unterstützten, haben plötzlich festgestellt, dass das argentinische Regime faschistisch ist. Das ändert natürlich alles! Genauer betrachtet ist die argentinische Diktatur kein echter Faschismus, aber lassen wir das mal beiseite. Auch die Tories lassen wir mal beiseite. Für uns ist die »linke« Variante des Arguments wichtig. Im Kern ist es ein sehr altes.
Der Internationale Sozialistenkongress
Im Jahr 1907 nahm der Internationale Sozialistenkongress von Stuttgart die berühmte Resolution zum Krieg an, in der es heißt: »Der Kongress bestätigt die Resolutionen der früheren internationalen Kongresse gegen den Militarismus und Imperialismus und stellt aufs Neue fest, dass der Kampf gegen den Militarismus nicht getrennt werden kann von dem sozialistischen Klassenkampf im Ganzen. Kriege zwischen kapitalistischen Staaten sind in der Regel Folgen ihres Konkurrenzkampfes auf dem Weltmarkte […]. Diese Kriege ergeben sich weiter aus den unaufhörlichen Wettrüstungen des Militarismus, der ein Hauptwerkzeug der bürgerlichen Klassenherrschaft und der wirtschaftlichen und politischen Unterjochung der Arbeiterklasse ist. Begünstigt werden die Kriege durch die bei den Kulturvölkern im Interesse der herrschenden Klassen systematisch genährten Vorurteile des einen Volkes gegen das andere, um dadurch die Massen des Proletariats von ihren eigenen Klassenaufgaben sowie von den Pflichten der internationalen Klassensolidarität abzuwenden. Kriege liegen also im Wesen des Kapitalismus; sie werden erst aufhören, wenn die kapitalistische Wirtschaftsordnung beseitigt ist […]. Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit des Internationalen Büros, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern. Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur politischen Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.«
Fünf Jahre später, auf dem Baseler Kongress, wurde diese Position einstimmig bekräftigt, auch von den britischen Delegierten der Labour Party. Weitere zwei Jahre später, im Jahr 1914, vertrat die Mehrheit der Labour und sozialdemokratischen Führung in fast allen am Krieg beteiligten Staaten das genaue Gegenteil, sie gaben den Klassenkampf zugunsten einer »nationalen Einheit« auf und stellten sich auf die Seite ihrer »eigenen« Regierung.
Wie rechtfertigten sie diesen Sinneswandel? Indem sie natürlich auf die böse Natur des feindlichen Regimes verwiesen. Die Mehrheit der deutschen Sozialdemokratie, die für unsere Zwecke der treffendste Vergleich ist, zeigte mit dem Finger auf Russland. Der Zar herrsche über ein »Völkergefängnis«, sagten sie. »Er hat die Bewegungen der russischen Arbeiter und Bauern von 1905 bis 1907 auf blutige Weise unterdrückt. Dies ist der brutalste, rückständigste und bösartigste Staat Europas, ein Hort der europäischen Reaktion seit über 100 Jahren.« All das war wahr. Das zaristische Russland war genauso niederträchtig, bösartig und reaktionär wie das Argentinien Galtieris und hatte um einiges mehr Macht. Außerdem teilte es eine lange Grenze mit Deutschland, und die Armeen des Zaren marschierten gerade in deutsche Gebiete Ostpreußens ein.
Die Antwort der Revolutionäre auf den Krieg
Was antworteten Liebknecht, Luxemburg, Mehring und Zetkin darauf? Sie sagten: »Ihr seid Schurken, ihr seid Verräter. Ihr habt die deutsche und die internationale Arbeiterbewegung verraten. Der Zarismus ist heute kein Deut anders als 1907 und 1912, als ihr euer Versprechen gegen den Krieg gegeben habt. Der Krieg ist für Deutschland ein ,reales politisches Instrumentʻ der deutschen Bourgeoisie. Ihr seid zum Feind übergelaufen, und es wird bei einer zeitweiligen Unterstützung des Kriegs nicht bleiben« – wie sich in der Tat im Jahr 1918/19 zeigte, als dieselben »sozialistischen« Kriegsbefürworter Truppen aufstellten, um die deutsche Arbeiterbewegung niederzuschießen.
Ihr Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Mit Liebknechts unvergesslichen Worten: »Der Hauptfeind steht im eigenen Land!« Das ist natürlich nicht der einzige Feind. »Der Zar ist ein Feind, aber die Unterstützung des Kaisers schwächt die Opposition der russischen Arbeiter gegen den Zaren, und da der Kampf gegen den Militarismus nicht von dem des sozialistischen Klassenkriegs getrennt werden kann«, stärkt die Unterstützung »unserer« Regierung die Reaktion überall. Lenin und Leo Trotzki, Alfred Rosmer und James Connolly, John MacLean und Eugene Debs, sie alle sagten, mit jeweiligen nationalen Varianten, dasselbe. Sie alle stellten sich gegen ihre »eigene« Regierung und deren Krieg. Und sie hatten völlig recht damit. Unterstützung für die »eigene« herrschende Klasse in solch einem Krieg ist gleichbedeutend mit der Aufgabe des Kampfs für Sozialismus. Denn ihr Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Der Krieg und die Reaktion der Sozialdemokratie
Und genauso verhält es sich mit dem Krieg Thatchers, um das Gesicht zu wahren. Ein Gutes hatte die Falklandkrise immerhin: Die Reaktion der Labour Party hat erneut eindeutig und unwiderlegbar bewiesen, dass die Illusion so vieler Linker, es habe seit 1979 einen echten Linksruck in der Partei gegeben, nichts anderes als Märchengold ist. Michael Foot, der sich in die britische Fahne hüllte und mit rechtschaffener Empörung die Vernachlässigung der britischen Interessen seitens der Regierung anprangerte, ist eine Sache. Die Unterstützung und den von der überwiegenden Mehrheit der Labour-Abgeordneten geernten Applaus eine ganz andere. Nicht nur die Rechten, auch die linken Abgeordneten jubelten nach seiner Rede. Bei der ersten Prüfung verfielen sie in Hurrapatriotismus. Es hätte nicht des Muts eines Liebknechts oder eines MacLean bedurft, um sich gegen das Falklandabenteuer auszusprechen – nur eines Mindestmaßes an Prinzipien und Rückgrat. Das war in den allermeisten Fällen für die linken Abgeordneten bereits zu viel. Stattdessen erlebten wir den spektakulären Mangel eines elementaren Klassenhasses, der unverzichtbaren Abwehrreaktion gegen Militarismus und Krieg auf den Bänken der Labour-Abgeordneten.
Kann eine vernunftbegabte Person wirklich glauben, dass diese Truppe, selbst wenn sie durch Wiederwahl und Konferenzbeschlüsse gestärkt würde, in einer echten Krise, in der bürgerliche Interessen auf dem Spiel stehen, der Bourgeoisie die Stirn bieten würde? Wenn du dich nicht laut, klar, fest und von Anfang an gegen die komische Oper, die im Südatlantik aufgeführt wird, aussprichst, wirst du dich erst recht nicht gegen den unvergleichlich größeren Druck der Unternehmerklasse wehren können, wenn du versuchst, eine von ihnen nicht erwünschte Wirtschaftspolitik durchzusetzen. Auch zugunsten Tony Benns und einer Handvoll anderer Labour-Abgeordneter, die Thatcher nicht zur Seite sprangen, kann nicht allzu viel vorgebracht werden.
Benns Haltung lautet im Kern: »Lasst die Vereinten Nationen das regeln.« Die UN sind ein Klub aus Regierungen. Wir kennen einige von ihnen: Thatchers, Galtieris, Reagans und Breschnews und so weiter, Feinde ihrer eigenen und jeder anderen Arbeiterklasse. Benns Haltung unterscheidet sich faktisch nicht von der bedeutender Meinungsmacher der Bourgeoisie wie der Financial Times und des Guardian. Das mag ihm gewisse Glaubwürdigkeit verleihen, insbesondere wenn das Falklandabenteuer sich als Fehlschlag erweist, aber es findet sich darin nicht der kleinste Funke sozialistischen Internationalismus. Und was die Labour-Abgeordneten insgesamt betrifft – die Linke, Rechte und das Zentrum –, so hatten wir das Glück, einen Vorgeschmack auf ihr Verhalten in einer künftigen Labour-Regierung zu bekommen: feige, gemein, chauvinistisch und vor der herrschenden Klasse kriechend.
Bild: marx21 / macrovector / freepik
Zum Text: Duncan Hallas: Sozialismus und Krieg, aus Socialist Review 43, Mai/Juni 1982. Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning
Schlagwörter: Antiimperialismus, Imperialismus, Krieg, Ukraine