Arash T. Riahi hat einen erschütternden Film über die nicht enden wollende Flucht gemacht. Von Phil Butland
Der Film des iranisch-österreichischen Regisseurs Arash T. Riahi »Ein bisschen bleiben wir noch« beginnt in einem Wohnblock in Wien. Die Polizei stürmt eine Wohnung und findet den 9-jährigen Oskar und die 13-jährige Lilli allein vor. Sie sind mit ihrer Mutter vor dem Bürgerkrieg in Tschetschenien geflohen. Obwohl die Mutter schnell dazu kommt, will die Polizei die beiden mitnehmen. Während sich die Mutter im Badezimmer die Pulsadern aufschneidet, flüchten beide Kinder aufs Dach.
Die Familie wird getrennt
Wegen Suizidgefahr wird die Mutter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und die Kinder werden in zwei verschiedenen Familien, die eine Stunde voneinander entfernt sind, untergebracht. Lilli kommt zu der einsamen Rut und ihrem trotteligen Fotografenfreund Georg. Oskar hingegen findet sich bei zwei selbstgefälligen vegetarischen Lehrer:innen wieder, die er immer nur mit »die Lehrerin« und »der Lehrer« anspricht.
Der Lehrer hat einen Bart und spielt in unpassenden Momenten Akkordeon. Die Lehrerin klaut, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, Fleischstücke im Supermarkt. Außerdem haben sie ein schreiendes Kind und eine alternde Mutter mit Parkinson, die, wie Oskar sagt, »ohne Musik tanzt«. Oskar freundet sich mit der alten Frau an, aber weiß, dass sie beide nur Trophäen sind, die die Großzügigkeit der Lehrer:innen beweisen sollen.
Albträume von der Flucht
Oskar, der ewige Optimist, schreibt seiner Mutter regelmäßig Briefe, die nie beantwortet werden, weil er nicht weiß, wohin er sie schicken soll. Er glaubt, dass sie in ihrer alten Wohnung auf sie wartet, und als Lilli und er sich kurzzeitig wiedersehen, versuchen sie zweimal, nach Hause zurückzukehren. Beim ersten Mal finden sie ein blutverschmiertes Bad vor. Beim zweiten Mal sind die Schlösser ausgetauscht und jemand anderes wohnt dort.
Lilli entwickelt eine Hautkrankheit und beginnt, nach Albträumen von der Flucht, ins Bett zu nässen. Derweil findet Georg, dass Lilli seine Kreativität einschränkt, und macht einen Deal mit ihr. Er wird versuchen, ihre Mutter zu finden, und sie geht ihm dafür aus dem Weg.
Herzzerreißend trauriger Film
Lilli ist den ganzen Film über mürrisch, mit einer bemerkenswerten Ausnahme. Auf einer Fahrt durch den Prater erhält sie von Georg die Nachricht, dass er die Adresse ihrer Mutter gefunden hat. Mit ausgestreckten Armen gleitet sie durch die Luft und freut sich unbändig. Das ist ein seltener Moment der Freude in einem herzzerreißend traurigen Film.
Trailer
Lilli bleibt wie versteinert, wenn sie Polizisten sieht, weil sie glaubt, dass jeder Kontakt mit ihnen ihre Abschiebung zur Folge hat. Es ist keine unbegründete Angst. Und während Oskar stolz darauf ist, dass sein Vater ein Freiheitskämpfer ist, weiß Lilli, dass er ein politischer Gefangener und möglicherweise tot ist.
Zwischen Flucht und Hoffnung
Gegen Ende sagt Oskar zu seiner Mutter, dass man heutzutage alles kaufen kann, was aber nur funktioniert, wenn man Geld hat. Doch trotz der allgemeinen Hoffnungslosigkeit schafft es »Ein bisschen bleiben wir noch«, gelegentlich Momente der Freude zu zeigen, bis hin zur Schlussszene, die uns einen Hoffnungsschimmer zu geben scheint, bevor sie uns ein letztes Mal in den Abgrund reißt.
Wie könnte ein authentischer Film über Flüchtlinge in einem Land, das sie nicht wirklich will, auch anders sein? Aber wir sollten diesen Film nicht nur entsetzt über die groben Ungerechtigkeiten verlassen, die Oskar, Lilli und viele Menschen wie sie erleben, sondern auch motiviert, für eine bessere und gerechtere Welt zu kämpfen.
Film
Ein bisschen bleiben wir noch
Arash T. Riahi
Drama
Österreich
115 Minuten
2019
Kinostart: voraussichtlich 02. Oktober 2021.
Schlagwörter: Filmrezension, Flucht, Kultur, Rezension