Die Initiative Widersetzen ruft dazu auf, sich massenhaft dem AfD-Parteitag in Essen entgegenzustellen. Der Aufruf knüpft an eine inzwischen lange Tradition von antifaschistischen Kämpfen an
Immer wieder haben die Nazis nach dem Untergang des Dritten Reiches in Westdeutschland versucht, eine Nachfolgeorganisation der NSDAP aufzubauen. Seit dem Ende der 1960er Jahre hat sich dagegen immer wieder massiver Widerstand geregt. Der Widerstand gegen das Auftreten von Nazis kann inzwischen auf eine lange Tradition zurückblicken. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit gewesen.
Die NPD konnte nach ihrer Gründung 1964 bis 1968 unbehelligt an Wahlkämpfen teilnehmen und innerhalb kurzer Zeit in sieben Landtage einziehen. Das änderte sich erst mit der Studentenbewegung am Ende der 1960er Jahre und der von ihr eingeforderten kritischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus, die bis dahin ausgeblieben war.
Die Bedeutung dieser Auseinandersetzung und dem daraus resultierenden Widerstand gegen die Organisationen der Nazis wird besonders deutlich, wenn man einen Blick über die Grenze nach Österreich wirft. Dort steht die in den 1950er Jahren von Altnazis gegründete FPÖ für eine inzwischen siebzigjährige Tradition als Sammelbecken von Nazis, unbehelligt von einem breiten öffentlichen Widerstand.
Antifaschismus in der BRD
Die 2013 gegründete AfD steht heute, nach mehreren politischen Häutungen, in der Tradition von diversen Vorgängerorganisationen wie der 1964 von Adolf von Thadden, einem früheren NSDAP-Mitglied, gegründeten NPD, so wie der 1971 als Verein und ab 1987 als Partei auftretenden DVU, gegründet von Gerhard Frey und den 1983 von Franz Schönhuber, einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS, gegründeten ›Republikanern‹.
Neben diesen Parteien, die mit wechselnden Erfolgen zu Parlamentswahlen angetreten sind, die aber immer weit davon entfernt waren, so erfolgreich wie AfD zu sein, gab und gibt es zahlreiche große und kleine Nazi-Gruppen in Deutschland, die durch mehr oder weniger feste Netzwerke miteinander verbunden sind. Sie tauchen als Schutztruppen für die Nazi-Parteien bei deren Veranstaltungen auf oder mischen in Organisationen wie der von Jürgen Elsässer 2009 gegründeten Querfront und der 2014 von Lutz Bachmann gegründeten »Pegida« mit.
Die Massenproteste gegen das öffentliche Auftreten von Nazis sind deswegen von besonderer Bedeutung, weil der Anspruch, die Straße zu beherrschen, zu ihrer Strategie gehört, um eine Bewegung aufzubauen. Im Falle von Parteitagen oder anderen Veranstaltungen hinter verschlossenen Türen geht es darum, deutlich zu machen, dass wir es hier nicht mit einer bürgerlichen Wahlpartei zu tun haben, sondern mit Nazis, denen es nicht nur um Parlamentssitze geht.
Manchmal haben diese Massenproteste großen Erfolg gehabt, manchmal sind die Erfolge eher im Kleinen zu finden. Massenproteste können in jedem Fall alle ermutigen, die sich in ihrer Stadt danach mit anderen Antifaschist:innen zusammenschließen, um den Nazis dort öffentlich entgegenzutreten. Sie können auch alle ermutigen, sich Naziparolen und Rassismus im Alltag, in der Familie und am Arbeitsplatz zu widersetzen. Damit sind kleine Erfolge und wichtige Erfahrungen verbunden, die die Basis legen können, um beim nächsten Mal noch stärker zu sein.
1969: »Ein Adolf war genug«
Eine Serie von Wahlerfolgen der NPD, die nur knapp unter 10 Prozent blieb und in sieben Landtagen vertreten war, führte 1968 zu einer Welle von Protesten. Die Stimmanteile der Partei halbierten sich, nachdem sie keine Veranstaltung mehr durchführen konnte, die nicht von massiven Protesten begleitet war. Die Auseinandersetzungen spitzten sich zu, als die NPD 1969 im Bundestagswahlkampf mit Schlägertrupps versuchte, sich die Gegendemonstrierenden vom Hals zu schaffen. Zu offensichtlich waren die Parallelen zum Auftreten der SA unter Hitler.
Das führte dazu, dass das Image der Partei, die sich als bürgerliche Alternative rechts von der CDU verkaufen wollte, nachhaltig beschädigt wurde. Auf Wahlplakaten wurden dazu passende Sticker mit der Parole »Ein Adolf war genug« geklebt – eine Anspielung auf den Namen des damaligen Parteivorsitzenden Adolf von Thadden.
Die 1969 stattfindende Bundestagswahl wurden zur Niederlage für die NPD, von der sich die Partei nie wieder erholen sollte. Sie scheiterte 1969 bei der Bundestagswahl an der 5-Prozent-Hürde. Die Wahlniederlage provozierte Flügelkämpfe und die Partei verlor innerhalb von nur zwei Jahren ein Viertel ihrer 27.000 Mitglieder. Die NPD war damit noch nicht geschlagen, aber deutlich geschwächt. Adolf von Thadden bescheinigte den Antifaschist:innen nachträglich das richtige Vorgehen gegen seine Partei gewählt zu haben. Er führte die Niederlage auf die »Unterdrückung der Versammlungstätigkeit durch zunehmenden Terror« zurück.
1979: »Rock gegen Rechts«
Als mit dem Ende des Nachkriegsbooms das Gespenst der Arbeitslosigkeit, von dem die Mehrheit in der Gesellschaft glaubte, dass der Kapitalismus von dieser Krankheit geheilt sei, wieder seine hässliche Fratze zeigte, versuchte die NPD einen Neustart. Diesmal wählte sie mit Massenaufmärschen einen anderen Weg, um auf sich aufmerksam zu machen. Ab Mitte der 1970er Jahre lud die NPD immer am 17. Juni zu sogenannten »Deutschlandtreffen« ein, um für ein Großdeutschland in den Grenzen von 1938 – einschließlich Südtirols – zu demonstrieren. Nicht ohne Erfolg, denn der Verfassungsschutz verzeichnete damals einen regen Zulauf von jungen Leuten und eine zunehmende Versammlungs- und Kundgebungstätigkeit der Partei.
1978 kam es in Frankfurt am Main zu heftigen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem »Deutschlandtreffen« als über 7.000 Antifaschist:innen den Versammlungsort der Nazis im Stadtzentrum besetzten. Die Polizei versuchte vergeblich den Platz für die NPD zu räumen und sah sich gezwungen der NPD mit ihren 4.000 angereisten Anhänger:innen die im Vorfeld genehmigte Demonstrationsroute zu untersagen.
Dieser große Erfolg verbreitete sich wie ein Lauffeuer in ganz Westdeutschland und verhalf der antifaschistischen Bewegung zum Durchbruch. Er stärkte allen den Rücken, die sich nicht damit begnügen wollten, weit weg vom Veranstaltungsort der Nazis zu demonstrieren. Es hatte sich gezeigt, dass die direkte Konfrontation zum Erfolg führen kann. Deswegen meldete im folgenden Jahr der DGB eine Demonstration mit Kundgebung direkt am geplanten Aufmarschort der NPD an, die natürlich nicht genehmigt wurde. Trotzdem kamen rund 40.000, die gegen die NPD protestieren wollten, so dass sich die Polizei gezwungen sah, die Demonstration zu dulden. Parallel dazu wurde ein »Rock gegen Rechts«-Konzert organisiert, das von ungefähr 50.000 Antifaschist:innen besucht wurde. Von dieser Demütigung sollte sich die NPD nie wieder richtig erholen.
Erst zehn Jahre später – mit der Wiedervereinigung – sah die NPD ihre Zeit erneut gekommen und versuchte in Ostdeutschland mit einigem Erfolg wieder Fuß zu fassen. Mit dem wachsenden Einfluss des »Flügels« in der AfD wurde diese für viele Parteigänger der NPD, die sich seit 2023 »Die Heimat« nennt, attraktiver, weshalb die NPD heute wieder an Bedeutung verloren hat.
2009: »Nazifrei! – Dresden stellt sich quer«
Der Jahrestag der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 durch die westlichen Alliierten ist von Nazis über Jahre mit wachsendem Erfolg zum Anlass für eine Demonstration missbraucht worden, mit dem Ziel die Verbrechen der Nazis im Dritten Reich zu relativieren. 2009 wurde deswegen das breite Bündnis »Nazifrei!-Dresden stellt sich quer« gegründet, das mit einer Massenblockade den erneuten Aufmarsch verhindern wollte.
Im ersten Jahr standen etwa 7.000 Nazis nur 4.000 Antifaschist:innen gegenüber. 2010 aber kamen 12.000 Antifaschist:innen und konnten die 6.000 Nazis, die gekommen waren, am Marsch durch die Stadt hindern. Im folgenden Jahr konnte der Erfolg leicht wiederholt werden, nachdem nur noch halb so viele Nazis wie im Vorjahr angereist waren. Damit haben die Dresdner:innen ihre ganz eigene Tradition, den Jahrestag der Bombardierung ihrer Stadt zu begehen, entwickelt.
Der Schlüssel zum Erfolg war wieder die breite Mobilisierung gegen die Nazis und die Bereitschaft von Teilen der Bewegung, sich ihnen direkt entgegenzustellen. Wichtig war am Anfang, dass die Dresdner Antifaschist:innen eine starke Unterstützung aus vielen anderen Städten erhielten. Das hat viele Menschen in Dresden, die unsicher waren, ermutigt und sie haben sich dem Protest angeschlossen. Je größer die Demonstrationen, umso größer die entmutigende Wirkung auf die Nazis und umso größer die Ermutigung für ihre Gegner:innen.
2018: »Unteilbar«
Deswegen war es so wichtig, dass im Oktober 2018 fast eine Viertelmillion Menschen dem Aufruf des breiten Bündnisses »Unteilbar« folgten und in Berlin gegen die Nazis und gegen eine repressive Flüchtlingspolitik demonstrierten – die bis dahin größte Demonstration zu diesem Anlass, ausgelöst durch die Ereignisse, die kurz zuvor in Chemnitz stattgefunden hatten.
Dort mobilisierten die Nazis im Sommer 2018 aus Anlass eines Mordes über die angebliche Bürgerbewegung »Pro Chemnitz« 6.000 Menschen zu einer Demonstration, die von rassistischen und antisemitischen Ausschreitungen begleitet wurde. Nur zwei Tage später fand eine weitere von der AfD um Björn Höcke und »Pegida« organisierte Demonstration statt und am Tag darauf noch eine, zu der wieder »Pro Chemnitz« aufgerufen hatte. Unter dem Motto »Herz statt Hetze« hatte ein breites Bündnis zu einer Gegendemonstration aufgerufen, die wieder von gewaltbereiten Nazis angegriffen wurde.
Die Bilder dieser Ereignisse gingen um die ganze Welt und waren der Auslöser für die Chemnitzer Band »Kraftklub« innerhalb weniger Tage mit Unterstützung der Stadtverwaltung ein »Rock gegen Rechts«-Konzert auf die Beine zu stellen, an dem dann 65.000 Menschen teilnahmen. Diese Reaktion und die folgende Massendemonstration in Berlin haben den Antifaschist:innen in Chemnitz den Rücken gestärkt. Das Bündnis »Unteilbar« brachte ein Jahr später im Sommer 2019 in Dresden noch einmal 40.000 Menschen auf die Straße und 2020 in Erfurt 18.000, die gegen die Wahl eines FDP-Kandidaten mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten in Thüringen protestierten. Der gerade gewählte Ministerpräsident Thomas Kemmerich von der FDP musste schließlich infolge des öffentlichen Drucks zurücktreten.
Antifaschismus: Keil ansetzen – Nazis isolieren
Die Millionen, die nach Bekanntwerden der Remigrationspläne der AfD in ganz Deutschland auf die Straße gegangen sind, machen der AfD bis heute zu schaffen. Die jüngsten Wahlergebnisse – so hässlich sie immer noch sind – blieben hinter den Erwartungen der Partei zurück. Die AfD ist seit Bekanntwerden ihrer Pläne zur Deportation von Migrant:innen aus Deutschland in Wahlumfragen um fast ein Drittel eingebrochen.
Es ist also gelungen, den Kern der Partei um den Nazi Björn Höcke von Teilen des Protestwählerpotentials zu trennen. Höcke hat darauf reagiert und versucht inzwischen seinen Spitzenkandidaten für die Europawahl Maximilian Krah, der sich vor kurzem schützend vor die Mitglieder der Waffen-SS gestellt hat, kaltzustellen.
Der Aufruf nach Essen zu fahren, um zu versuchen den AfD-Parteitag zu ver- oder wenigstens massiv zu behindern, ist eine Chance, der Nazi-Partei um Höcke einen weiteren Schlag zu versetzen – nutzen wir sie!
Schlagwörter: AfD, Antifaschismus