Viele haben den Streik im Sozial- und Erziehungsdienst als zu lang kritisiert. Dass man aber auch die Unterstützung von Betroffenen gewinnen kann, zeigt Alina Goldmann mit ihrer Eltern-Initiative in Aachen.
marx21: Alina, deine drei Kinder gehen in die Kindertagesstätte „Pusteblume« in Aachen. Warum wurde die Kita bestreikt, obwohl sie nicht kommunal ist?
Alina Goldmann: Ich habe mich dafür engagiert. Als ver.di den Streik angekündigt hat, habe ich in der Kita gefragt, ob sie auch bestreikt wird. Die Erzieherinnen haben mir gesagt, das würde auf keinen Fall passieren und wollten mich damit beruhigen. Ich war jedoch der Meinung, dass ein Streik dringend notwendig ist.
Du wolltest, dass die Kita bestreikt wird, in die deine Kinder gehen?
Genau. Ich finde den Streik wichtig weil die Erzieherinnen für meine und unsere Kinder streiken. Unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen und Betreuungsschlüsseln ist kein Platz für wichtige enge Bindungen und intensive Betreuung.
Die Erzieherinnen kämpfen um Arbeitsbedingungen, unter denen meine Kinder angemessen betreut werden können. Sie müssen ihren Beruf aufwerten, damit auch in Zukunft noch Menschen diese wichtige Arbeit machen wollen. Deshalb will ich diesen Streik.
Du hast für den Streik geworben?
Ja. Es stellte sich heraus, dass bereits eine Erzieherin Mitglied bei ver.di war. Wir haben mit den anderen Kolleginnen über den Streik diskutiert und schließlich zusammen mit ver.di einen Solidaritätsstreik organisiert. Die restlichen Kolleginnen haben an diesem ersten Streik-Tag sogar Urlaub genommen, um mitstreiken zu können.
Alina Goldmann (zweite von rechts) bei der Demo »wir sorgen für morgen« zur Unterstützung des Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst. Auf den Schildern im Hintergrund stehen Berufsgruppen, die bei der Demo vertreten waren
Ging es noch weiter?
Klar. Ver.di hat die „Pusteblume« noch an einigen weiteren Tagen zum Solidaritätsstreik aufgerufen und eine weitere »freie« Kita hat sich angeschlossen. Wir waren auch auf allen großen Streik-Demonstrationen in Aachen. 2000 kämpferische Kolleginnen zu treffen, war wahnsinnig beeindruckend. Inzwischen sind zwei Drittel der Erzieherinnen der „Pusteblume« ver.di-Mitglied.
Hat ver.di euch geholfen?
Ohne ver.di hätte es keinen Streik gegeben. Aber die Kolleginnen wären auch zu mehr Streiktagen bereit gewesen, wenn die Gewerkschaft dazu aufgerufen hätte.
Ich denke, die Ver.di-Sekretäre wussten nicht so recht, was sie tun sollten, als wir uns zum Solidaritätsstreik bereit erklärt haben. Das war schade.
War der Streik nicht ein Problem für dich und andere Eltern?
Sicher. Ich habe Vorlesungen verpasst. Manche mussten sogar unbezahlten Urlaub nehmen. Es drängt sich aber eine ganz andere Frage auf: Was ist das größere Problem für Eltern: Mehrere Wochen Streik oder dauerhaft unterbesetzte Kitas mit miesen Löhnen für die Erzieherinnen? Die Kinder verbringen in den Kitas heutzutage häufig mehr Zeit als zuhause mit ihren Eltern.
Es müssen bessere Rahmenbedingungen für das Aufwachsen unserer Kinder geschaffen werden. Dies darf nicht auf dem Rücken der Erzieherinnen passieren. Deshalb unterstütze ich den Kampf der Erzieherinnen um bessere Arbeitsbedingungen, angemessene Bezahlung und eine Aufwertung ihrer Arbeit.
Wir können die Betreuung und Begleitung unserer Kinder nicht Hilfsarbeitern mit Niedriglohn anvertrauen. Die Aufwertung des Erzieherinnen-Berufs ist entscheidend für die Entwicklung unserer Kinder.
Könnten Eltern nicht ihren Job verlieren, wenn eine Kita bestreikt wird?
In den Medien wurde eine Mutter erwähnt, die vor kurzem einen Job begonnen hatte, wegen des Streiks nicht arbeiten konnte und daraufhin entlassen wurde. Nur: Wenn eine Mutter entlassen wird, weil eine Kita geschlossen hat, ist dann der Streik falsch oder die arbeitsrechtlichen Gesetze?
Wir dürfen unseren Widerstand gegen niedrige Löhne nicht beenden, weil die Wirtschaft versucht, Unschuldige darunter leiden zu lassen. Das ist tragisch, aber auch unsere Rechte am Arbeitsplatz werden wir nur durch Kämpfe und Streiks bekommen und nicht, indem wir klein beigeben.
Gab es Streit mit Eltern?
Leider häufiger. Wir haben den Streik immer verteidigt. Aber mir ist klar geworden, dass die Erzieherinnen, ihre Unterstützer und ver.di bei künftigen Streiks viel mehr mit den Eltern sprechen und sie einbinden müssen. Viele verstehen nicht, dass der Streik ihren Kindern nutzt. Manche denken sogar, wir wollen die Kita-Gebühren erhöhen, um Löhne zu finanzieren. Hier müssen wir beim nächsten Mal für Aufklärung sorgen, statt die Eltern sich selbst zu überlassen.
Wurden die Eltern im Verlauf des Streiks kritischer?
Schon. Denn auch wenn Eltern die Streikziele unterstützen, so bleibt meistens doch ihr oberstes Ziel, dass er schnell beendet wird. Am Anfang haben viele Eltern noch in den Rathäusern demonstriert und Protest-Briefe an den Oberbürgermeister geschrieben.
Aber je deutlicher wurde, dass die Kommunen kein Angebot machen, desto mehr Eltern haben von ver.di verlangt nachzugeben. Durch den langen Streik waren sie immer weniger bereit, ihren Alltag einzuschränken oder Kosten hinzunehmen, damit ihre Kinder trotzdem betreut werden. Das müssen wir in einem zukünftigen Streik bedenken.
Deswegen habt ihr eine Eltern-Initiative zur Unterstützung des Streiks gegründet
Richtig. Mit meiner Freundin Janne habe ich in Aachen das Bündnis „Mehr Wert« ins Leben gerufen. Wir sind von Kita zu Kita gegangen, haben Plakate aufgehängt und Flugblätter verteilt, um zu einem Informationsabend einzuladen.
Wie hat das funktioniert?
Ganz gut. Schon zum ersten Abend kamen Erzieherinnen, Eltern, Vertreter von ver.di und einige andere Interessierte. Wir wollten damit vor allem einer Spaltung zwischen Erzieherinnen und Eltern entgegenwirken.
Was haben Eltern gesagt?
Die hatten viel Wut im Bauch. Aber als eine Erzieherin ihren Arbeitsalltag und die tagtäglichen Probleme geschildert hat, haben viele ihre Meinung geändert. Da haben wir gemerkt, was es für einen riesigen Unterschied macht, ob Eltern mit Erzieherinnen sprechen und verstehen, wo der Streik hinführen soll.
Am Ende des Abends hatte sich die Stimmung komplett gedreht. Eltern, die am Anfang geschimpft haben und noch nie etwas politisches gemacht hatten, entschlossen sich nach der Diskussion, den Streik mit uns aktiv zu unterstützen. Nach dem Motto: Je schneller die Erzieherinnen gewinnen, desto schneller ist unsere Kita wieder geöffnet!
Was habt ihr dann gemacht?
Eine unserer besten Aktionen war unsere Blockade der Eröffnung des CHIO. Das ist ein großes, internationales Pferdesport-Turnier, das jedes Jahr in Aachen stattfindet und auf dem Marktplatz von CDU-Oberbürgermeister Marcel Philipp eröffnet wird, wobei Pferdekutschen über den Platz fahren. Philipp hatte den Streik im Sozial- und Erziehungsdienst und ver.di von Beginn an scharf kritisiert.
Wie konntet ihr die Eröffnung blockieren?
Wir waren etwa 45 Eltern und sind mit Plakaten und Transparenten auf den Marktplatz gezogen. Wahrscheinlich sahen wir harmlos aus. Jedenfalls lies der Sicherheitsdienst zu, dass wir in den abgesperrten Bereich direkt vors Rathaus liefen und dort die Kutschen blockierten.
Wie ging’s dann weiter?
Als wir anfingen, Streik-Slogans zu rufen, kam Philipp zusammen mit seinem Pressesprecher raus und wir konnten mit ihm eine hitzige Diskussion führen. Er hat uns dann „großzügig« angeboten, den Streik mit uns im Rathaus zu besprechen. Ich sagte dem Oberbürgermeister, das komme nicht in Frage, aber wir könnten als Kompromiss auf die Rathaustreppe gehen und die Kutschen durchlassen.
So thronten wir also mit unseren Streik-Parolen über der CHIO-Eröffnung und waren der Blickfang für alle Fotografen. Ein tolles Gefühl!
Der Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp umringt von Demonstrantinnen zur Unterstützung des Streiks im Sozial- und Erziehungsdienstes. Der Protest blockierte die Eröffnung des Pferdesport-Turniers CHIO.
Klingt nach einer tollen Aktion…
Auf jeden Fall. Als nächstes haben wir eine Demo mit dem Titel „wir sorgen für morgen« organisiert und neben Beschäftigten des Sozial-und Erziehungsdienstes und Eltern auch Vertreter anderer Berufsgruppen eingeladen, die unter niedrigen Löhnen, geringer Wertschätzung und schlechten Arbeitsbedingungen leiden. Tatsächlich kamen auch Feuerwehrleute, Hebammen, Altenpflegerinnen, Gebäudereinigerinnen, Busfahrer, Post- und Einzelhandel-Angestellte und viele andere. Unterstützt wurde die Demo von ver.di und der LINKEN.
Wie war die Stimmung?
Gut. Wir waren etwa 200 Leute und fast allen hat es gefallen. Vorher und nachher gab es sehr positive Artikel in der lokalen Presse. Vor allem den Erzieherinnen hat es sehr gut gefallen. Unser Bündnis war in Aachen ein vollständig akzeptierter Teil des Streiks.
Flugblatt für die Demonstration »wir sorgen für morgen« der Aachener Eltern-Initiative »Mehr Wert«
Gab es auch Kritik?
Ein wenig von Seiten der Eltern. Einige meinten, sie fühlten sich von ver.di instrumentalisiert. Aber auch hier wurde wieder überdeutlich, wie sehr es an Aufklärung mangelt.
Wieso?
Einige der Eltern meinten, sie wollten die Erzieherinnen und den Streik unterstützen, aber nicht ver.di. Sie wussten einfach nicht, dass es ein ver.di-Streik ist, dass ohne die Gewerkschaft gar kein Tarifvertrag vereinbart werden kann und was eine Gewerkschaft ist, wussten sie eigentlich auch nicht. Das müssen wir den Leuten von Anfang an erklären.
Glaubst du, ihr konntet einen Unterschied machen?
In Aachen auf jeden Fall. Mit unserem anfangs noch »Zwei-Frauen-Bündnis« haben wir es geschafft, wütende Eltern aufzuklären, zu informieren und sogar für den Streik zu gewinnen.
Wir haben eine Möglichkeit geschaffen, alle Beteiligten des Streiks an einen Tisch zu bringen. Wir haben es geschafft, Menschen, die noch nie politisch gearbeitet haben, zu Aktionen zu mobilisieren und den Streik zu unterstützen. Wir haben auf Facebook Stellungnahmen veröffentlicht und haben damit eine ständige Gegenbewegung gebildet, zu Vorurteilen, schlechter Presse und wütenden Meinungsäußerungen.
Wir haben es geschafft den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst zu zeigen, dass Sie nicht nur für uns da sind, indem sie unsere Kinder betreuen, wenn wir zur Arbeit gehen. Wir als Eltern waren mit auf der Straße und haben die Forderungen unterstützt. Außerdem haben wir es geschafft, in den lokalen Medien ein positives Bild von uns zu zeichnen.
Ist das so wichtig?
Ich denke schon. Ein Erzieherinnen-Streik legt kein profitables Unternehmen lahm und übt daher keinen wirtschaftlichen Druck aus. Umso wichtiger ist die öffentliche Meinung, der gesellschaftliche Druck auf die Politiker, den Forderungen nachzugeben.
Der Streik ist jetzt ausgesetzt. Seid ihr noch aktiv?
Ja. Denn jetzt läuft die Mitgliederbefragung von ver.di über den grauenhaften Schlichterspruch. Wir machen Info-Stände in der Fußgängerzone und sammeln Unterschriften dafür, den Schlichterspruch abzulehnen.
Alina, ich danke dir für das Gespräch
(Die Fragen stellte Oskar Stolz.)
Alina Goldmann studiert Medizin an der RWTH Aachen. Ihre drei Kinder besuchen die Kita „Pusteblume«, deren „freier« Träger das Studentenwerk Aachen ist. Mehr Infos über das von ihr mitbegründete Bündnis »Mehr Wert« hier: https://www.facebook.com/buendnismehrwert?fref=ts.
Schlagwörter: Demonstration, Erzieher, Erzieherin, Gewerkschaft, Kinder, Kita, Protest, Solidarität, Streik