Ende November organisiert das Bündnis »Ende Gelände« wieder die Blockade eines Tagebaus, diesmal im Lausitzer Kohlerevier. Was daran antikapitalistisch ist, erklärt Sina Reisch im marx21-Gespräch
marx21: Ihr blockiert ab 29. November 2019 einen Tagebau in der Lausitz. Ist es nicht zu kalt dafür?
Sina Reisch: Deshalb machen wir diesmal kein Camp, sondern fahren von Berlin, Leipzig und Dresden direkt zur Blockade. Außerdem haben wir Klimawandel. Vielleicht werden es 15 Grad plus … [lacht]
…Fridays for Future hat große Demos gemacht, Extinction Rebellion große Blockaden in Berlin. Warum blockiert Ende Gelände jetzt noch einen Tagebau?
Diese Vielfalt der Bewegung ist großartig. Gemeinsam haben wir klar gemacht, wie dringend der Klimawandel bekämpft werden muss. Nur hat sich nichts geändert. Die Klimakonferenzen haben nichts gebracht. Kohle, der größte Klimakiller der Welt, soll in Deutschland noch 19 Jahre abgebaut und verbrannt werden. Dann ist es fürs Klima zu spät. Nächstes Jahr eröffnet sogar das neue Kohlekraftwerk Datteln 4, damit bis 2038 noch möglichst viel Kohle verbrannt werden kann. So wird das nichts! Wir brauchen den Kohleausstieg sofort. Deshalb besetzen wir den Tagebau.
Was wollt ihr erreichen?
Wir wollen erstens den Kohleabbau vorübergehend stoppen und zweitens allen die Chance geben, Gemeinschaftlichkeit zu erleben und ungehorsam zu werden. Eine gehorsame Gesellschaft hat dem Faschismus nichts mehr entgegen zu setzen. Es ist eine wichtige Übung, Regeln auch mal zu brechen.
Wir sind das Investitionsrisiko!
Warum das?
Wenn wir die Gesetze der kapitalistischen Gesellschaft immer weiter befolgen, werden wir den Klimawandel nicht stoppen. Die weltweiten Kohlevorkommen sind Eigentum weniger Konzerne und Staaten. Die können damit tun was sie wollen, selbst wenn dadurch Millionen von Menschen sterben. Wir müssen diese fossilen Energieträger unter demokratische Kontrolle stellen. Ein beliebter Spruch der Klimabewegung ist ja: System change, not climate change. Das System heißt Kapitalismus und unterdrückt uns auf ganz verschiedene Arten. Diesen Kapitalismus müssen wir überwinden. Da darf man auch von Revolution sprechen.
Ende Gelände und die Situation in der Lausitz
In der Lausitz ist Ende Gelände wahrscheinlich nicht so beliebt. Warum geht ihr dorthin?
Das ist so pauschal nicht richtig. Auch in Sachsen und Brandenburg wollen die meisten Menschen mehr Klimaschutz. Wir haben 2016 schonmal erfolgreich in der Lausitz blockiert. Damals wurden die Tagebaue und Kraftwerke von Vattenfall an die EPH verkauft und wir haben gesagt »Wir sind das Investitionsrisiko!« Dieses Versprechen lösen wir jetzt ein.
Macht ihr den Lausitzern damit Angst?
Alle Ostdeutschen und besonders die Lausitzer haben in den 90er Jahren einen wirtschaftlichen Strukturbruch erlebt, bei dem fast alles falsch gemacht wurde, was man falsch machen kann. Damals wurden viele Betriebe eingestellt, ohne den Beschäftigten Alternativen anzubieten. Deswegen haben jetzt manche Leute Angst und deswegen sagen wir: Das darf so nicht mehr passieren. Wir brauchen einen guten Strukturwandel und müssen mit allen Menschen gut umgehen.
Aber der deutsche Kohlekumpel ist mir genau so wichtig wie die indonesische Reisbäuerin, die ihre Lebensgrundlage verliert, weil der Meeresspiegel steigt und ihre Felder versalzen. Wir müssen die Klimakrise ernst nehmen und können die Kohleförderung nicht weiterlaufen lassen. Jeder Tag Kohleabbau ist einer zu viel.
Ende Gelände und Klimagerechtigkeit
Sprecht ihr deshalb von »Klimagerechtigkeit«?
Genau. Das Konzept geht zurück auf die die Schwarze Umweltbewegung der USA und ihre Idee der »Umweltgerechtigkeit«. In den 60er und 70er Jahren gab es in den USA zahlreiche Umweltbewegungen. Darunter waren auch wohlhabende Weiße, die zum Beispiel verhindern wollten, dass in ihrer Region eine Giftmülldeponie oder ein Kraftwerk entsteht …
… was absolut verständlich ist.
Richtig. Das Problem ist, dass die dreckigen Industrien einfach in Wohngebiete von Schwarzen oder Indigenen umgezogen sind, deren Protest in einer rassistischen Gesellschaft weniger Wert ist. Die Umweltverschmutzung wurde nicht verhindert, sondern nur an einen anderen Ort verlegt. Echter Klimaschutz ist also nur möglich, wenn wir gesellschaftliche Strukturen in unsere Analyse miteinbeziehen.
Wir wollen ein gutes Leben für alle!
Wir müssen nicht nur Kohle überwinden, sondern jede Form von Diskriminierung und Ausbeutung. Klimagerechtigkeit heißt auch Antirassismus, Feminismus, Antifaschismus und anderes. Wir wollen ein gutes Leben für alle. Das heißt auch, den Preis des Ausstiegs nicht die Menschen in den Kohlerevieren bezahlen zu lassen. Nur dann können wir die breite Solidarität erreichen, die notwendig ist, um diesen Kampf zu gewinnen.
Besteht nicht trotzdem die Gefahr, weiter zu spalten?
Die Spaltungen sind schon da, wir machen sie nur sichtbar. Wenn Industrien davon abhängen, unsere Lebensgrundlage zu verfeuern, liegt da ein Interessenskonflikt. Unsere Blockaden sind eine Kleinigkeit, verglichen mit den tiefen gesellschaftlichen Verwerfungen und Konflikten, die es geben wird, wenn wir die Klimaerhitzung nicht unter 1,5 Grad halten. Das ist der Point of no return, weil verschiedene Mechanismen im Ökosystem dafür sorgen, dass sich das Klima dann automatisch weiter erhitzen wird.
Der Klimawandel wird unsere Gesellschaften wie wir sie kennen grundsätzlich zerstören. Es ist unsinnig, diejenigen zu beschuldigen, die darauf hinweisen. Wenn eine große Katastrophe droht, nützt es nichts, den Überbringer der Nachricht zu verteufeln.
Ende Gelände und die AfD
Im Lausitzer Kohlerevier gibt es Gemeinden, in denen die AfD bei den Landtagswahlen 2019 über 40 Prozent bekommen hat.
Das ist natürlich ein Problem. Aber die Einwanderungspolitik zeigt, dass man die AfD nicht schwächt, indem man ihren Wünschen entgegenkommt. Dass immer weniger Menschen aufgenommen und immer mehr abgeschoben werden, hat die AfD-WählerInnen nur in ihrem Irrglauben bestärkt, dass MigrantInnen ein Problem seien. Die AfD leugnet den Klimawandel und es ist ein riesiges Problem, dass so viele Menschen diesen Verschwörungstheorien glauben. Aber was soll es bringen, ihnen da »entgegen zu kommen«? Wir bleiben bei der Wissenschaft.
Sollten wir die AfD ignorieren?
Nein, das wäre fahrlässig. Um die AfD zu bekämpfen muss etwas gegen rechte Strukturen getan werden und zwar nicht nur in Ostdeutschland. Ich habe einige Jahre in Niederbayern gelebt. Da hat die AfD auch schon über 30 Prozent geholt. Gegen die AfD hilft mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Austausch mit Migrantinnen und Migranten, Bildung. Das AfD-Problem ist kompliziert und ich habe leider auch kein perfektes Erfolgsrezept. Aber weniger Klimaschutz wird sicher nicht zur Lösung beitragen, ganz im Gegenteil.
Was Ende Gelände erreichen will
Was kann die Blockade in der Lausitz im optimalen Fall erreichen?
Wir können die öffentliche Diskussion weiterbringen, indem wir grundsätzliche Zusammenhänge aufzeigen und die Eigentumsfrage stellen. Darüber hinaus zeigen wir, dass der Kapitalismus überwunden werden muss und wollen auch Leuten, die bereits gegen den Klimawandel demonstriert haben, die Chance bieten, einen Schritt weiter zu gehen. Am Freitag, 29. November findet der nächste globale Klimastreik von Fridays for Future statt, auch mit einer Großdemonstration in Berlin. Am Samstag, 30. fahren wir von dort zu den Tagebauen. Jede Demonstrantin und jeder Demonstrant kann sich dann dem Kohleabbau mit dem eigenen Körper in den Weg stellen.
Was muss ich tun, wenn ich mitmachen will?
Ende Gelände ist eine wachsende Bewegung. Wir haben dieses Jahr viele neue Ortsgruppen gegründet, die man auf unserer Internetseite findet und mit denen man jetzt Kontakt aufnehmen kann.
Wer als Einzelperson mitmachen möchte, sollte schon am 29. November nach Berlin kommen. Wir organisieren die Übernachtung und bieten an diesem Tag Treffpunkte, Besprechungen und Aktionstrainings an, bei denen wir üben, wie wir uns bei der Blockade am besten verhalten.
Was ist ein Aktionstraining?
Unser Aktionskonsens sagt: Wir bleiben in jeder Situation ruhig und besonnen. Gerade deshalb üben wir gemeinsam, was wir tun, wenn die Polizei unsere Blockade räumt. Wie fühlt es sich an, sich wegtragen zu lassen? Das probieren wir in Trainings aus, damit die Teilnehemenden gute Entscheidungen für sich treffen können. Es ist auch völlig in Ordnung, aufzustehen und selbst mit der Polizei mit zu laufen. Diese persönlichen Entscheidungen zu respektieren, ist sehr wichtig bei uns. Wir üben auch, Polizeiketten zu durchfließen, indem wir uns immer weiter aufteilen und die Kette so lange dehnen, bis Lücken entstehen, durch die wir einfach durchlaufen können.
Wer kann bei Ende Gelände mitmachen?
Wirklich absolut jede und jeder. Wer nicht in den Tagebau steigen will oder kann, zum Beispiel wegen eines Rollstuhls, kann im »bunten Finger« mit. Der hat bei der letzten Aktion zum Beispiel eine Zufahrtsstraße blockiert, um Polizeiautos aufzuhalten und die Blockade so in die Länge zu ziehen. Wer komplett im legalen Rahmen bleiben möchte, kann Mahnwachen betreuen, Essen für die Blockierenden kochen oder Leute vor der Gefangenensammelstelle in Empfang nehmen. Es gibt ganz viele verschiedene, wichtige Dinge zu tun, ohne die eine Blockade nicht funktioniert und da ist für alle was dabei.
Sina, wir danken dir für das Gespräch.
Sina Reisch ist eine der Pressesprecherinnen von Ende Gelände
Das Interview führte Hans Krause
Lausitz 2019
- Aufruf zur Lausitz-Aktion 2019
- Aktionskonsens
- Mit dem Rollstuhl bei Ende Gelände dabei? Aufruf Bunter Finger
- Informationen zur Anreise
- Packliste
- Bezugsgruppen
- Mobimaterial: Flyer, Sticker und Plakate zum Ausdrucken
- Ihr wollt unterstützen: dann schaut hier
- Die Rechtshilfebroschüre für Aktionen in Brandenburg (direkt zum PDF, Stand 10-2019)
- Take Care – Passt auf euch auf!
- FAQ
Foto: endegelaende
Schlagwörter: ende gelände, Inland, Klima, Klimabewegung, Klimawandel, Kohle, Kohleausstieg