In seinem neuen Buch »Die neuen Gesichter des Faschismus« argumentiert Enzo Traverso für den Begriff des »Postfaschismus«. Welche Schwächen dieses Konzept hat, erklärt Peshraw Mohammed
Was bedeutet der Begriff Faschismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Erinnern wir uns an die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen: Gewalt, Diktaturen, Rassismus und Völkermord. Diese Erinnerung kehrt derzeit zurück. So steigen Rechtsradikale Kräfte auf. Populismus und Fremdenfeindlichkeit breiten sich aus. Terrorismus erreicht ein erschreckendes Ausmaß. Dabei gibt es Parallelen zum historischen Faschismus, aber auch viele Unterschiede. Das kann zu Begriffsverwirrung führen. So kann z.B. die Angst vor dem dschihadistischen Terror als eine der Ursachen für den Erfolg der populistischen und antiislamischen Rechten erscheinen.
»Gesichter des Faschismus«
In seinem neuen Buch »Die neuen Gesichter des Faschismus« untersucht Enzo Traverso diese Erscheinungen. Der Standpunkt des Historikers Traverso kann uns helfen, die Rätsel der Gegenwart zu entschlüsseln. Traverso schlägt den Begriff »Postfaschismus« vor. Dieser soll etwas beschreiben, das nicht mehr Faschismus ist, aber auch nicht etwas ganz Neues und Andersartiges. Wir sollten nicht vergessen, so Traverso, dass der Begriff des Faschismus nach dem Zweiten Weltkrieg unterschiedlich verwendet wurde. So diente er z.B. nicht nur dazu, die Militärdiktaturen Lateinamerikas zu beschreiben. Ein anderes Beispiel: Theodor W. Adorno schrieb 1959, dass »das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie« potenziell gefährlicher sei als »das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie«. Pier Paolo Pasolini wiederum stellte 1974 den neoliberalen Kapitalismus als einen »neuen Faschismus« dar. Dem gegenüber erscheint das faschistische Regime Mussolinis veraltet.
Die neue Rechte
Traversos Buch ist in drei Teile gegliedert. Es beleuchtet verwandte Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Der Abschnitt »Postfaschismus« schildert den Aufstieg der neuen Rechten in Europa. Für Traverso ist die neue Rechte eher postfaschistisch als faschistisch im traditionellen Sinne des Wortes. Zwar sind diese neuen, sich noch im Umbruch befindlichen Bewegungen eindeutig fremdenfeindlich. Sie gehören zur Geschichte des Faschismus. Sie wollen aber weder den Rechtsstaat zerschlagen, noch die Demokratie stürzen, so Traverso.
Traverso lehnt das Wort Populismus ab. Es gäbe nämlich kein einheitliches Verständnis dieses Begriffes. Traverso selbst unterscheidet zwischen einem europäischen und einem lateinamerikanischen Verständnis. So können wir einerseits Hugo Chávez als Populisten bezeichnen, andererseits so aber auch die rechtspopulistischen Strömungen in Europa.
»Kulturpessimismus«
Um solche Unschärfen zu vermeiden, schlägt Traverso den Begriff »Postfaschismus« vor. »[D]ie Logik des Postfaschismus [sei] eher die des kulturellen Pessimismus«: Verteidigung traditioneller Werte und »bedrohter« nationaler Identitäten, Ansprüche auf nationale Souveränität gegen die Globalisierung und die Suche nach einem Sündenbock bei Einwanderern, Geflüchteten und Muslimen.
Fehlende EU-Kritik bei Traverso
Sozialdemokraten in allen europäischen Ländern propagieren die Verteidigung der jetzigen Form der Europäischen Union (EU), um damit die extremen Rechten zu bekämpfen. Die »Humanisierung« des Kapitalismus ist jedoch spätestens mit dem Einzug des Neoliberalismus nicht mehr zu haben. Leider glaubt Traverso, dass die Rechte nur durch eine transformierte EU bekämpft werden kann, ohne die EU selbst grundlegend zu ändern.
Das Buch
Enzo Traverso
Die neuen Gesichter des Faschismus
Postfaschismus, Identitätspolitik, Antisemitismus und Islamophobie
Gespräche mit Régis Meyran
Neuer ISP Verlag 2019
136 Seiten
€ 14.80
Schlagwörter: Bücher, Faschismus, Nationalsozialismus, Neue Rechte