Die neu gewählte griechische linke Regierung steht vor sozialen und ökonomischen Herkulesaufgaben. Hat sie überhaupt Chancen, etwas gegen das von Merkel geleitete Europa des Kapitals auszurichten? Die Lage in diesem Konflikt zwischen dem kleinen Griechenland und dem großen kapitalistischen Europa ändert sich täglich. Thomas Walter erläutert die ökonomischen Hintergründe.
Im Moment (21. Februar 2015) sieht es so aus, dass die griechische Regierung optimistisch gesehen ein paar Monate Zeit gekauft hat. Pessimistisch gesehen haben Schäuble & Co. bis jetzt fast alle ihre Forderungen aufrechterhalten. Ob das so bleibt, wenn die Frist abgelaufen ist, hängt vom Geschick der griechischen Regierung und dem Druck der sozialen Bewegungen ab.
Kämpfe von unten haben Syriza überhaupt erst an die Macht in Griechenland gebracht. Die Regierung hat nach wie vor die Unterstützung der Bevölkerung, was sich in großen Demonstrationen zeigt. Diese Demonstrationen sind auch eine Warnung an die Regierung, sich auf keine faulen Kompromisse mit dem Kapitalismus einzulassen. Die Menschen haben die Nase voll von Wirtschaftskrise, Verarmung und dem Diktat aus Brüssel und Berlin.
Die wirtschaftliche Lage in Griechenland
Griechenland steckt tief in der Wirtschaftskrise. Das Bruttoinlandsprodukt, eine Maßgröße für Produktion und Einkommen, abgekürzt BIP, liegt um 25 % unter seinem Wert des letzten Vorkrisenjahres 2008. Die Beschäftigung ist seitdem um 19 % geschrumpft. Die Bezahlung der Arbeitnehmer in ihrer Summe sogar um 28 %. Für die verbleibenden Arbeitnehmer ergibt dies je Kopf eine Lohnverminderung von etwa 9 %.
Die Arbeitslosenrate stieg in Griechenland von 8 % 2008 auf 28 % 2013, bei Jugendlichen, die zwischen 15 und 24 Jahre alt sind, von 22 % auf 58 %. Die letzten Zahlen von Eurostat, der europäischen Statistikbehörde, reichen dabei zur Zeit offiziell bis 2013.
Zahlen für 2014 sind noch zum Teil Schätzungen. Sie werden allerdings in der politischen Auseinandersetzung zum Teil schon verwendet, wenn etwa bei einer einzelnen Größe gezeigt werden soll, das sich etwas „verbessert“ hat. Die statistische Beobachtung der EU-Mitgliedsstaaten ist übrigens durch Brüssel seit der Eurokrise verschärft worden. Die EU-Kommission will bei auffälligen Entwicklungen zukünftig stärker eingreifen können und dürfen.
Kein Wunder, dass die Schulden steigen
Für das Kapital zählt zuallererst die „Wettbewerbsfähigkeit“. So wird gefeiert, dass 2013 erstmals die Exporte größer waren als die Importe. Der Exportüberschuss betrug 0,7 % des BIP. Vor der Krise im Jahr 2008 war die Differenz zwischen Exporten und Importen noch stark negativ, -14 % des BIP. Erkauft wurde der jetzige Exportüberschuss mit einem Rückgang der Importe von 31 % seit 2008. Dieser Importrückgang ist auch Ausdruck der Verschlechterung der Lebensverhältnisse in Griechenland.
Bei einer solchen Entwicklung ist es kein Wunder, dass die Staatsschulden steigen. Mit dem Wegbrechen der Wirtschaft gehen die Staatseinnahmen zurück. Gleichzeitig steigen die Ausgaben für die Arbeitslosen. Konjunktur- und Rettungsprogramme für Firmen und Banken kosten auch Geld.
Während die Staatsschulden Griechenlands noch bis zur Krise recht stabil ungefähr so groß waren wie das BIP, liegen sie inzwischen bei 175 %. Dabei sind die Staatsschulden selber seit 2008 in Euro betrachtet eigentlich nur um 20 % gestiegen, aber gleichzeitig ist das BIP um 25 % geschrumpft.
Aus ähnlichen Gründen sind in vielen anderen Staaten ebenfalls die Staatsschulden im Vergleich zum BIP gestiegen, aber in Griechenland war dies doch am stärksten. Die Finanzmärkte forderten von diesen Ländern für ihre Kredite hohe Risikoaufschläge. 2011 – in der Spitze – musste Griechenland in Höhe von 11 % seines BIP Zinsen auf Staatsschulden zahlen. Erst als Stützungsmaßnahmen der EU erfolgten, sanken die Zinsen wieder. 2013 mussten noch 4 % des BIP an Zinsen gezahlt werden.
Diese Stützungsmaßnahmen waren natürlich nicht der christlichen Nächstenliebe geschuldet. Gläubiger, die von Schuldnern Geld wollen, müssen immer eine Gratwanderung machen, damit der Schuldner nicht völlig zusammenbricht, und sie als Gläubiger dann gar keine Geld mehr zurückbekommen. Die Kuh, die es zu melken gilt, darf nicht getötet werden.
Deutschland zahlt keine Zinsen
Nach Griechenland kommen Italien und Portugal mit jeweils 128 % Staatsschuld gemessen am BIP und Irland mit 123 %. Italien und Portugal zahlten 2013 in Höhe von rund 5 % des BIP Zinsen auf Staatsschulden, Irland zahlte 4 %.
Deutschland als im Vergleich sicherer Anlagehafen für internationales Kapital zahlt in Höhe von 2 % des BIP. Für neue Schulden muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zur Zeit sogar gar keine Zinsen mehr bezahlen, weil die Kapitalisten angesichts der Dauerkrise froh sind, dass sie ihr Geld irgendwo parken können. In manchen Staaten wie Dänemark oder Schweiz müssen sie sogar Zinsen für das Geldparken bezahlen.
Auch die Schulden der Privatwirtschaft sind gestiegen. Die Privatschulden betragen in Griechenland 136 % des BIP. Das griechische Kapital selbst konnte für all diese Schulden die Kredite nicht liefern. Die griechische Wirtschaft musste sich im Ausland verschulden. Die Verschuldung gegenüber dem Ausland beträgt per Saldo (Schulden abzüglich eigener Forderungen) 121 % des BIP. Die Geldgeber sind inzwischen hauptsächlich europäische staatliche Institutionen.[1]
Diese Institutionen gewährten Griechenland neue Kredite. Griechenland musste das Geld aber gleich nutzen, um seine Schulden bei den privaten ausländischen Geldgebern zurückzuzahlen. So wurden diese privaten Geldgeber vor einer Pleite geschützt. Die offiziellen Pläne für die Rückzahlung dieser Schulden gehen bis über die nächste Jahrhunderthälfte hinaus, bis 2057.[2]
Das erinnert durchaus an die jahrzehntelangen Reparationszahlungen, die Deutschland laut Versailler Vertrag nach dem ersten Weltkrieg leisten sollte. Laut FAZ muss Griechenland im März eine nächste Rate von 2,1 Mrd. Euro bezahlen.[3]
Die Weltfinanzkrise
Wie ist es dazu gekommen? Kapitalistische Ökonomien neigen dazu, Produktionskapazitäten aufzubauen, die über die Nachfrage hinausgehen. Dies führt regelmäßig zu Überkapazitäten und sogenannten Überakkumulationskrisen. Zuletzt ist dies weltweit ab 2007 passiert. Diese weltweite Krise brach in den USA aus, erreichte dann aber bald Europa. 2009 brach hier das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein, in Deutschland z.B. preisbereinigt um über 5 %. Die Weltwirtschaft kämpft immer noch mit den Krisennachwirkungen.
Die Krise brach aus, weil größere Produktionskapazitäten aufgebaut wurden, als tatsächlich durch die Nachfrage ausgelastet werden können. Es wurde gesamtwirtschaftlich zu viel Kapital akkumuliert. In einer solchen Lage brechen die Investitionen weg. Arbeiterinnen und Arbeiter werden entlassen. Der Konsum schrumpft. Staaten importieren weniger, andere Staaten können so weniger exportieren.
Die Bedeutung der Zentralbanken
Fehlen die Einnahmen, bleibt die Privatwirtschaft auf den Schulden sitzen, mit denen zuvor der Kapazitätsaufbau finanziert wurde. Unternehmen gehen pleite. Banken können ihre Kredite nicht mehr eintreiben. Auch sie gehen bankrott.
In einer solchen Lage kommt den Zentralbanken eine wichtige Rolle zu. In Europa ist dies die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Die staatlichen Regierungen halfen den Unternehmen und Banken mit Krediten. Die Regierungen mussten sich das Geld aber selbst erst von den Banken leihen. Diese wiederum, selbst vom Bankrott bedroht, beschafften sich das Geld von der Zentralbank. Die Zentralbank nimmt die Kredite der Banken an die Regierung als Sicherheiten für die Kredite, die sie den Banken gewährt.
Grundsätzlich kann die Zentralbank unbegrenzt Kredite vergeben („Geld drucken“). Eigentlich verleiht also die Zentralbank der Regierung Geld, aber dies ist so geregelt, dass sie den Banken das Geld leiht, und diese dann den Regierungen. So entscheiden die „Märkte“, also das Finanzkapital, welche Regierung sie für „kreditwürdig“, also für ökonomisch und politisch profitabel, halten.
Die Achilles-Ferse des Kapitals ist dabei die Profitrate. Angesichts weltweiter Überakkumulation ist diese sehr niedrig. Es herrscht „Anlagenotstand“. Die Kapitalisten wissen nicht mehr, wo sie ihr Geld anlegen sollen. Damit die Wirtschaft nicht völlig abstürzt, müssen die Zentralbanken Geld drucken.
In den USA funktionierte diese Rettung der Wirtschaft einigermaßen. Die US-Regierung half über die US-Zentralbank (Federal Reserve, kurz Fed) den Banken und damit den Unternehmen mit riesigen Krediten aus. In Japan funktionierte das ähnlich.
In Europa gibt es aber nicht nur eine Regierung, sondern viele. Hier tritt die deutsche Regierung mit dem deutschen Kapital auf den Plan. Sie haben kein Interesse daran, dass allen europäischen Staaten unbürokratisch über die Druckerpresse der EZB geholfen wird. Die deutsche Regierung ist mit vielen Ländern unzufrieden, zum einen mit den südeuropäischen Krisenländern, aber auch mit großen Ländern wie Frankreich oder Italien. Dort gäbe es immer noch zu viel Sozialstaat, was rentable Investitionen unmöglich machen würde.
Frankreich und Italien
Deutsche Kapitalisten fürchten, dass eine Niederlage gegen Griechenland dazu führt, dass die sogenannten „Reformkräfte“ gerade auch in Italien und Frankreich geschwächt werden. Aus Sicht des deutschen Kapitals sind wegen ihres großen Gewichts eigentlich Frankreich und Italien viel größere Problemländer als Griechenland. Während in Deutschland die Staatsausgaben 2013 44 % des BIP ausmachten, sind es in Frankreich 57 % und in Italien 51 %.
Nach herrschender Lehre bedeutet dies, dass der Staat in diesen beiden Ländern zu viel Einfluss hat. Erst dieser Tage wurde zum Beispiel die italienische Bank Monte dei Paschi vom italienischen Staat teilverstaatlicht, weil sie sonst pleite gegangen wäre.
Während Deutschland eine Staatsverschuldung von 77 % im Vergleich zum BIP hat, sind dies bei Frankreich 92 % und bei Italien 128 %. Die deutsche Volkswirtschaft hat gegenüber dem Ausland per Saldo Forderungen, die gemessen am BIP 43 % ausmachen. Deutschland ist per Saldo „Gläubiger“, hat also mehr Forderungen als Schulden.
Profite auf dem Rücken der Arbeiterklasse
Bei Frankreich ist es umgekehrt. Es ist per Saldo in Höhe von 16 % des BIP und Italien ist mit 31 % gegenüber dem Ausland verschuldet. Das deutsche Kapital fürchtet, dass wenn diese Länder ihre Schulden nicht zurückzahlen können, entweder das Projekt eines einheitlichen kapitalistischen Europas aufgegeben werden muss oder dass das deutsche Kapital diesen Ländern ähnlich entgegenkommen muss wie kleinen Eurokrisenländern, die überschuldet sind. Das ist aber bei so großen Ländern mit hohen Verlusten und Risiken verbunden.
Damit dieser Fall gar nicht erst eintritt, sollen auf dem Rücken der Arbeiterklasse in Frankreich und Italien mehr Profite erzeugt werden. Deutschland fährt deshalb schon seit längerem Kampagnen gegen Frankreich und Italien, die als Reformverweigerer angegriffen werden.[4]
Das Dilemma
Allerdings gibt es da – auf gut griechisch – ein Dilemma. Damit Konzerne und Banken nicht abstürzen, müssen Staaten und staatliche Institutionen in den Markt eingreifen. Als nicht beabsichtigte Nebenwirkung schwächt dies aber die marktwirtschaftlichen „Sachzwänge“, die eigentlich den Menschen und ganzen Staaten über die „Marktkräfte“ die „Reformen“ zugunsten des Kapitals abnötigen sollen.
Auch ideologisch sind diese Rettungen oder „Bail-outs“ heikel, denn je offensichtlicher die staatlichen Zentralbanken zugunsten des Kapitals in die Märkte eingreifen, desto schwieriger wird es propagandistisch von „Eigenverantwortung“, „Eigeninitiative“ und „Selbstregulierung der freien Märkte“ zu reden. Während die einen auf „alternativlos“ getrimmt werden, gibt es für die anderen dann plötzlich doch Alternativen.
Staatliche Unternehmen zu Schnäppchenpreisen
Das deutsche Kapital versucht das Problem so zu lösen, dass kleine Länder wie Griechenland hart angefasst werden und dass gleichzeitig propagandistisch der Druck auf Italien und Frankreich aufrecht erhalten wird, endlich die gewünschten Reformen durchzuführen. Ganz Europa soll in das Prokrustes-Bett kapitalistischer Konkurrenzfähigkeit gezwängt werden.
Speziell gegen Griechenland soll vor allem die Arbeiterklasse geschwächt werden durch Entlassungen im öffentlichen Dienst, Lohnsenkungen, Abschaffung des Mindestlohnes, Kürzung von Sozialleistungen, Abbau sozialer Schutzrechte, und ähnliches. Dagegen wehrt sich die griechische Bevölkerung und die Regierung.
Aber auch das bürgerliche Lager soll neu aufgestellt werden. Kleine und mittlere Unternehmen („Vetternwirtschaft“) sollen unter Kontrolle stärkerer Kapitalisten, kapitalistische Konkurrenten („Oligarchen“) sollen ausgeschaltet und staatliche Unternehmen an internationales Kapital zu Schnäppchenpreisen verkauft werden.
Welche Möglichkeiten hat Griechenland?
Das einfachste wäre vielleicht ein Austritt aus dem Euro, ein „Greece exit“ oder „Grexit“ in der Sprache der Finanzmärkte.[5] Ein Grexit käme einem Staatsbankrott gleich. Die staatlichen Schulden an das Ausland wären zunächst mal weg.
An Stelle des Euro wird in Griechenland eine „neue Drachme“ eingeführt. Diese würde wohl stark gegen den Euro abwerten. Private Schulden, die auf Euro lauten, würden dann in Drachme gerechnet entsprechend steigen. Griechenland könnte aber nach Abwertung der Drachme billig exportieren. Importe, wie zum Beispiel Energie, würden teurer. Griechenland wäre durch den Bankrott zunächst mal frei von unmittelbarer Gängelung durch Deutschland und EU. Was letztlich passieren würde, weiß allerdings niemand genau.
Der unterschiedliche Ausgang von Staatsbankrotten
Blickt man in die Geschichte, dann gehen Staatsbankrotte ganz unterschiedlich aus. Es hängt von den Kräfteverhältnissen ab. Nach dem ersten Weltkrieg z.B. war Deutschland wegen Reparationsverpflichtungen stark verschuldet. Es schob seine Schulden immer weiter vor sich her. Die Gläubigerländer, maßgeblich die USA, versuchten auszuloten, wie viel man Deutschland an Rückzahlung der Schulden abpressen könnte, ohne die zu melkende Kuh umzubringen.
Nach dem zweiten Weltkrieg war es anders. Westeuropa wurde als Gegengewicht zur Sowjetunion gebraucht. Die USA als Gläubigerstaat strichen ihre Forderungen an die westeuropäischen Staaten, einschließlich Westdeutschland. So entstand eine von den USA geführte westliche Welt gegen den „Kommunismus“.
Auch im Falle Griechenland spielen solche geostrategischen Gründe eine Rolle. Einen Kommentar in der FAZ kann man so verstehen, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schon so oder so verloren habe.[6]
Entweder gibt er der griechischen Regierung nach, dann werden in ganz Europa die Kräfte gegen das Europa des deutschen Kapitals gestärkt. Ein vom Kapital befürchteter Wahlerfolg von Podemos in Spanien würde näher rücken.[7]
Oder Schäuble setzt brutal gegen Griechenland seine Forderungen durch. Dann wird das Bild vom „hässlichen Deutschen“ in ganz Europa vorherrschend, was auch nicht im Interesse des deutschen Kapitals sein kann.
Pokerspiel, Nervenkrieg, „Chicken-Game“
Zur Zeit läuft ein Pokerspiel zwischen Syriza und seinen europäischen Gegnern. Jede Seite blufft. Schäuble meinte gleich zu Beginn, dass ein Grexit für den Euro „verkraftbar“ sei. Dann bekam er doch wieder kalte Füße und beeilte sich zu betonen, dass ein Grexit nicht auf dem Plan stehe.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit großem Theaterdonner verkündet, griechische Staatspapiere nicht mehr als Sicherheiten für Zentralbankkredite anzunehmen. Als darauf hin griechische Banken in Gefahr gerieten, beeilte sich die EZB der griechischen Notenbank zu erlauben, 60 Mrd. Euro zusätzliches Geld für notleidende griechische Banken als Extrakredit zu vergeben. Inzwischen sind es schon 65 Mrd. Euro im Rahmen eines sogenannten ELA-Programms („Emergency Liquidity Assistance“. Laut EZB-Statuten kann den nationalen Notenbanken erlaubt werden, auf – angeblich – eigene Rechung Kredite zu vergeben, sozusagen selbst auch Geld zu drucken). Für vorerst zwei Wochen ist diese Möglichkeit am 18. Februar 2015 wohl auf 68,3 Mrd. Euro ausgedehnt worden.[8]
Die EZB ist dabei in der glücklichen Lage, ihr Geld selbst drucken zu können. Zur Zeit kauft sie jeden Monat für 60 Mrd. Euro staatliche Schulden (Staatsanleihen) mit dem erklärten Ziel, insgesamt auf diese Weise über eine Billion Euro zusätzlich in Umlauf zu bringen. So soll in Europa die drohende Deflation, das allgemeine Absinken der Preise, und der Ausbruch einer neuen schweren Krise in Europa verhindert werden. Würde die EZB gezielt griechische Staatsschulden aufkaufen, dann wäre nach reichlich fünf Monaten die gesamte griechische Staatsschuld von 320 Mrd. Euro aufgekauft und somit „verschwunden“. Das macht sie aber absichtlich nicht, denn dann wäre ja der Druck von Griechenland weg.
Während in Deutschland die Folgen eines Grexit für die europäische Wirtschaft herunter gespielt werden, sehen dies die „neutralen“ angelsächsischen Medien etwas anders. Dort wird von einem „Lehman im Quadrat“ gesprochen, falls Griechenland austritt.[9] Die Pleite der US-Bank Lehman Brothers im Jahr 2008 hatte die letzte Weltfinanzkrise noch einmal beschleunigt. Meldungen dieser Art schwächen die Verhandlungsposition Schäubles gegen Syriza.
Können andere kapitalistische Staaten Griechenland helfen?
Es ist vielleicht kein Zufall, dass aus USA und Großbritannien manchmal Stimmen zu hören sind, die Schäuble zur Mäßigung mahnen. Der US-Finanzminister hat sich vorsichtig, aber unverbindlich zugunsten von Griechenland geäußert. [10] Die USA ärgern sich schon lange, dass Deutschland sich weigert, die Weltwirtschaft mit anzukurbeln. Mittlerweile sind angelsächsische Ökonomen wie der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz oder Paul Krugman[11] harte Kritiker von Merkels Austeritäts- oder Sparpolitik.
Aber Deutschland will sein Projekt Europa. Mit diesem Europa will es sich auf dem Weltmarkt durchsetzen. Dazu gehört Konkurrenzfähigkeit. Konkurrenzfähigkeit wird mit sozialen Härten durchgesetzt und passt nicht zu konjunkturpolitischen Stützungsmaßnahmen, wie sie die USA von Deutschland fordern. Die USA verhalten sich hier ähnlich wie jene von Marx genannten Kapitalisten, die alle gerne höhere Löhne hätten, nur nicht bei den eigenen Arbeitern.
Merkel und Schäuble können ausnutzen, dass der US-Imperialismus nicht mehr das ist, was er einmal war. Die kapitalistischen Konkurrenten können vielleicht über Griechenland gegen Deutschland ein paar Zugeständnisse für sich selbst abpressen. Letztlich ist ihnen aber das Schicksal Griechenlands egal.
So hat China sich schon darüber geärgert, dass die Privatisierung des Hafens von Piräus gestoppt wurde. Die chinesische Cosco-Gruppe würde nämlich diesen Hafen gerne kaufen. Nachhaltige Hilfe ist von kapitalistischen Staaten für Griechenland nicht zu bekommen. Ganz im Gegenteil, große Teile der herrschenden Klasse in anderen Ländern sehen zur Politik von Merkel keine Alternative, weil letztlich auch ihre Klasseninteressen bedient werden. Der Gegner Merkels ist die Arbeiterklasse, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Griechenland und anderen Ländern.
Internationale Solidarität
Entscheidend wird die Solidarität linker Kräfte wie Bewegungen oder Gewerkschaften in Griechenland selbst und in anderen Ländern sein. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat mit einer Resolution der griechischen Regierung den Rücken gestärkt und eine Unterschriftenaktion gestartet.[12]
Dies geschieht durchaus im eigenen Interesse, denn auch in Deutschland droht weiterer Sozialabbau. Langfristig wird z.B. weiterhin an einer Verschlechterung der Alterssicherung gearbeitet. Um dies in Deutschland und in Europa abzuwehren, sind politische Wahlsiege wie der von Syriza in Griechenland und vielleicht bald von Podemos in Spanien wichtig. So werden die hinter diesen Parteien stehenden Bewegungen gestärkt und damit kann das gesellschaftliche Kräfteverhältnis nach links verschoben werden.
Dabei ist „Solidarität“ für die deutsche Regierung kein Fremdwort, wenn es um Solidarität mit dem Kapital geht. Gigantische europaweite „Öffentlich-Private Partnerschaften“, also staatliche Investitionsprogramme, mit eingebauter Profitgarantie für die beteiligten Unternehmen stehen auf der Agenda von SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel.[13]
Wer staatliche Maßnahmen für die Menschen statt für das Kapital will, muss dafür kämpfen. Griechinnen und Griechen haben mit ihrer Wahl der linken Syriza-Regierung hier ein gutes Zeichen gesetzt, an das angeknüpft werden kann. Im Moment sieht es so aus, dass Schäuble gegen die griechische Regierung nicht nachgibt. Umso dringender ist europaweite, internationale Solidarität mit der griechischen Bevölkerung. Wie schreibt es Heraklit Wolfgang Schäuble ins Stammbuch: „Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.“
Quellen
[1] Deutsche Banken haben noch in Höhe von reichlich 20 Mrd. Euro Forderungen an Griechenland, FAZnet 26.1.2015 „Deutsche Banken haben mehr als 20 Milliarden in Griechenland“
[2] FAZnet 4.2.2015 „Tsipras wirbt in Brüssel für seine Finanz-Zaubershow“
[3] FAZnet 18.2.2015 „Wie viel Zeit hat Griechenland noch?“
[4] FAZnet 12.12.2014 „‘Die Deutschen sind für uns der Bösewicht‘“ , FAZnet 9.12.2014 „Juncker droht Frankreich und Italien“
[5] Dafür tritt der linke Ökonom Costas Lapavitsas ein.
[6] FAZnet 26.1.2015 „Für Merkel wird es ungemütlicher in Europa“
[7] Vgl. z.B. Der Standard, 20.2.2015 „Spaniens Angst vor Griechenland“
[8] Brian Blackstone, Wall Street Journal online, 18. Februar 2015 „ECB to Lend Greece €68.3 Billion Through Emergency Credit Facility – Greek banks can still post junk-rated government bonds as collateral“
[9] Wirtschaftswoche online, 10. Januar 2015 „Ökonom Eichengreen warnt – Grexit wäre schlimmer als Lehman-Pleite“
[10] Zum Komplex Deutschland/USA/Russland/Griechenland vgl. marx21-online Catarina Principe „Griechenland: Merkels Zwickmühle“
[11] Vgl. Joseph E. Stiglitz im Handelsblatt vom 20./21./22. Februar 2015 „Härte bringt nichts“. Paul Krugman in der New York Times online 16. Februar 2015 „Athenae delenda est“
[12] DGB-Internetseite vom 10.02.2015 „Für einen Kurswechsel in Griechenland und Europa – Alternativen zur Austeritätspolitik“
[13] TAZ online, 19.12.2014, Kai Schlieter „Gabriels Profitexperten“
Foto: dayblakelydonaldson
Foto: EU Council Eurozone
Schlagwörter: Alexis Tsipras, Angela Merkel, DGB, EU, Euro, Eurokrise, Europa, Europäische Union, Frankreich, Grexit, Griechenland, Inland, Italien, Krise, Podemos, Protest, Schulden, Schuldenschnitt, Syriza, Widerstand, Wolfgang Schäuble