Der Krieg um die Ukraine zieht sich immer weiter in die Länge. Wie soll die Linke reagieren? Wir beantworten die wichtigsten Fragen
Wer trägt die Schuld an der Eskalation des Konflikts?
Putin trägt die volle Verantwortung für den Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Berichterstattung westlicher Medien, wonach der russische Präsident Wladimir Putin die alleinige Schuld an der Eskalation des Konflikts trägt, ist aber äußerst scheinheilig und falsch. Denn der Grundstein für den Krieg um die Ukraine wurde durch den Westen, vor allem durch das Handeln der Nato und der EU gelegt. Im Kern handelt es sich um einen Konflikt zwischen dem mächtigsten imperialistischen Block auf der Welt, den Vereinigten Staaten mit seinen europäischen Verbündeten einerseits, und Russland, einer ökonomisch schwächeren aber militärisch starken, ebenso brutalen imperialistischen Macht, andererseits. Die Schuld für die Eskalation liegt bei diesen beiden imperialistischen Gegenspielern – einerseits den USA und ihren Verbündeten, die die Nato und die Europäische Union nach Osten bis an die Grenze Russlands ausdehnen und ihre Vorherrschaft im westlichen Eurasien ausweiten und festigen wollen, und andererseits Russland mit seinen Verbündeten, die versuchen, diesen Prozess durch Krieg, Eroberung und Besetzung aufzuhalten. Beide imperialistischen Widersacher drehen an der Eskalationsspirale. All dies geschieht auf Kosten der Menschen in der Ukraine. Die Arbeiter:innen und ihre Familien in den betroffenen Ländern haben weder vom westlichen noch vom russischen Imperialismus Gutes zu erwarten.
Worum geht es in diesem Krieg?
Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg. Für das russische Imperium geht es nicht um seine Verteidigung, sondern um die aggressive Sicherung seiner Einflusssphäre in den postsowjetischen Staaten. Aus der Sicht von vielen Ukrainer:innen ist es ein Krieg der nationalen Selbstverteidigung, für ihr Selbstbestimmungsrecht gegen eine imperiale Besatzungsmacht. Gleichzeitig ist es vonseiten der westlichen imperialistischen Mächte, angeführt von den USA und organisiert durch die Nato und die EU, ein Stellvertreterkrieg gegen Russland.
Wie sollte die Linke in dieser Situation reagieren?
Die Linke braucht eine klare Haltung zu den zwei wichtigsten Erscheinungsformen dieses Krieges: erstens dem Versuch der Eroberung der Ukraine durch Russland und dem Kampf der Ukrainer:innen für Selbstbestimmung; zweitens dem dafür ursächlichen Konflikt zwischen Russland und den Vereinigten Staaten und ihren jeweiligen Verbündeten. Letzteres drückt sich zum jetzigen Zeitpunkt auf westlicher Seite in Waffenlieferungen für die ukrainische Regierung von Wolodymyr Selenskyj, einem Wirtschaftskrieg gegen Russland (Sanktionen) und massiver Aufrüstung der eigenen Armeen aus. Für Linke – egal in welchem Land sie agieren – kann hierbei die Parole des Antimilitaristen und Sozialisten Karl Liebknecht aus dem Ersten Weltkrieg eine wichtige Richtschnur sein. Sie lautete: »Der Hauptfeind steht im eigenen Land.« Jeder Krieg stellt die Linke vor Herausforderungen.
Welche Fehler kann die Linke in der jetzigen Situation machen?
Vor diesem Hintergrund gibt es drei Fehler, die Linke und Antikriegsaktive begehen können. Zum einen gibt es eine Minderheit von Linken in der Friedensbewegung, die nach der Maxime »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« handeln. Da die Nato unter Führung der USA die Welt mit immer neuen Kriegen überzieht, müsse linke Friedenspolitik darin bestehen, Staaten und Regime zu unterstützen, die sich dem »Hauptimperialisten«, der Nato, entgegenstellen. Sie verurteilen zwar den russischen Angriffskrieg, verteidigen in dieser Logik aber Russlands »legitime Sicherheitsinteressen«.
Diese Reaktion ist genauso falsch wie die jener Linken, die jetzt die Reaktionen und Maßnahmen der Vereinigten Staaten, der Nato und der EU unterstützen, in der Hoffnung den Krieg zu beenden und die Unabhängigkeit der Ukraine zu sichern. Das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung in der Ukraine wird in diesem Stellvertreterkrieg von allen Seiten instrumentalisiert. Waffenlieferungen, Sanktionen und Aufrüstung des westlichen imperialistischen Blocks gießen nur Öl ins Feuer.
Diese Politik ist eine Sackgasse, weil sie die Eskalationsspirale weiter anheizt und den Menschen – weder in der Ukraine noch weltweit – Frieden und Gerechtigkeit bringt. Diese Politik zu befürworten, bringt die Friedensbewegung in ein gefährliches Fahrwasser, weil sie damit auf die Seite der größten imperialistischen Macht der Welt stehen würde, deren Ziele jedoch nichts mit Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung zu tun haben.
Der dritte Fehler ist eine grundsätzlich pazifistische Haltung gegenüber der Opposition gegen Krieg und Gewalt. Obwohl es angesichts von Putins Invasion verständlich ist, jeglicher Gewalt abzuschwören, wäre es fahrlässig, das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung der Menschen in der Ukraine abzulehnen. Linke sollten stattdessen ihre Solidarität mit den Ukrainer:innen zeigen und ihr Recht auf Widerstand gegen den militärischen Überfall unterstützen. Putin ist die Pest, aber die Nato und die EU sind die Cholera.
Linke sollten sich nicht zwischen zwei Krankheiten entscheiden. Die Parole: »Weder Moskau noch Washington!« ist für die Linke heute deswegen wieder von großer Bedeutung. Dazu gehört der Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung, die sich Putins Krieg genauso entgegenstellt wie dem nationalistischen Kriegsgetrommel und der Aufrüstung im Westen.
Sollten Linke in Deutschland Waffenlieferungen an die ukrainische Armee unterstützen?
Nein. In diesem Konflikt führen Waffenlieferungen des Westens zu noch mehr Leid und Tod, anstatt zu einer friedlichen Entwicklung. Die Regierung Selenskyj und damit die ukrainische Armee ist vom Westen bereits massiv hochgerüstet worden. Das hat den Konflikt nicht befriedet, sondern verschärft. Insbesondere die USA haben die Ukraine seit 2014 systematisch aufgerüstet, was unter der rechtsnationalistischen Regierung Donald Trumps einen ersten Höhepunkt fand, aber durch den amtierenden demokratischen US-Präsidenten Joe Biden um ein Vielfaches gesteigert wurde.
Die ukrainische Armee wird seit Jahren von den USA mit hochmodernen Waffen (Javelin und Stinger) aufgerüstet. Diese Waffen sind auf einen mobilen Bodenkampf zur Abwehr von Panzern und Flugzeugen ausgerichtet. Die USA genehmigten zusätzlich im März 2022 ein Paket mit 13 Milliarden US-Dollar für »humanitäre und militärische Hilfe«. In seiner Rede zur Verteidigung dieser erneuten Unterstützung der Ukraine sagte Joe Biden: »Wir haben der Ukraine im vergangenen Jahr mehr Sicherheitsunterstützung zukommen lassen als jemals zuvor – Waffen im Wert von 650 Millionen Dollar, einschließlich Luftabwehr- und Panzerabwehrausrüstung, vor der Invasion. Als die Invasion begann, waren sie also bereits im Besitz der Waffen, die sie brauchten, um dem russischen Vormarsch entgegenzutreten. Und als der Krieg begann, haben wir sofort Hilfe im Wert von weiteren 350 Millionen Dollar bereitgestellt, um ihren Bedarf zu decken: Hunderte von Luftabwehrsystemen, Tausende von Panzerabwehrwaffen, Transporthubschrauber, bewaffnete Patrouillenboote und andere hochmobile Fahrzeuge, Radarsysteme zur Erkennung anrückender Artillerie und unbemannter Drohnen, sichere Kommunikationsgeräte und taktische Ausrüstung, Satellitenbilder und Analysekapazitäten. Das hat der Ukraine eindeutig geholfen, den russischen Streitkräften dramatische Verluste beizubringen.«
Die USA waren nicht die einzigen Waffenlieferanten. Alle Nato-Mitgliedsstaaten haben die Ukraine mit Waffen und weiterem kriegswichtigen Material versorgt. Zudem ist die Ukraine selbst einer der größten Waffenproduzenten auf der Welt. Die Linke würde einen großen Fehler machen, diesen Waffenlieferungen zuzustimmen. Denn sie sind ein Mittel des westlichen Blocks, die Ukraine unter ihren Einfluss zu bekommen.
Sollte die Linke Forderungen nach einer Flugverbotszone unterstützen?
Nein. Die Unterstützung des ukrainischen Widerstands ist nicht gleichbedeutend mit der Einstellung der Kritik gegenüber den Forderungen und dem Handeln der ukrainischen Regierung unter der Führung von Wolodimyr Selenskyj. Diese Regierung vertritt nicht die Interessen der Vielen, sondern repräsentiert ihrerseits einen Flügel der Oligarchen in der Ukraine, der eine stärkere Anbindung an den westlichen Imperialismus befürwortet. Im konkreten Fall führen die Forderungen nach einer Flugverbotszone, nach noch mehr Waffen oder Sanktionen gegen Russland zu einer Eskalation des Krieges. Die Regierung Selenskis ordnet sich den Zielen des westlichen Imperialismus unter, anstatt eine unabhängige Position sowohl von Rußland als auch von der Nato und der EU einzunehmen. Die Forderung nach einer Flugverbotszone dient der Regierung in Kiew und deren Unterstützer:innen im politischen System des Westens dazu, das westliche Staatenbündnis in einen offenen Krieg mit Russland hineinzuziehen. Linke sollten diese Forderungen, wie viele andere Menschen weltweit, ablehnen – auch und besonders, weil sie nicht nur die Menschen in der Ukraine betreffen. Eine Flugverbotszone würde unweigerlich zu Gefechten zwischen den Nato-Armeen und den russischen Streitkräften führen. Ein solcher Krieg könnte zu einem atomaren Schlagabtausch zwischen beiden Seiten führen und damit der Beginn eines dritten Weltkriegs sein, an dessen Ende noch mehr Elend, Leid und Tod stehen würden.
Ist es kein Widerspruch, einerseits für das Recht auf Selbstverteidigung der Menschen in der Ukraine einzutreten, aber auf der anderen Seite Waffenlieferungen des Westens abzulehnen?
Waffenlieferungen finden nicht im luftleeren Raum statt. Der westliche Block unter Führung der USA benutzt die Menschen in der Ukraine als Rammbock gegen ihren Rivalen, den russischen Imperialismus. Die Akteure, welche Waffen liefern, tun dies nicht, weil sie die Menschen in der Ukraine besonders schützen wollen. Der Kontext sind imperialistische Rivalitäten und die Akteure kapitalistische Staaten. Die Menschen in der Ukraine wissen, wie sie sich selbst verteidigen können. Sie haben dies schon der ganzen Welt gezeigt, als sie zu Hunderttausenden auf dem Maidan die Regierung Janukowitsch aus dem Amt jagten, und sie zeigen es jetzt, wenn sie zu Tausenden gegen die russischen Besatzer auf die Straße gehen. Es gibt Menschen, die sich am bewaffneten Kampf beteiligen. Ebenso gibt es viele Menschen, die es ablehnen, zu den Waffen zu greifen. Sie leisten zivilen Widerstand oder flüchten. Die Regierung Selenski verbietet aber beispielsweise Männern im kampffähigen Alter, das Land zu verlassen. Linke sollten dies ablehnen, aber das Recht auf bewaffneten Widerstand verteidigen. All das bedeutet jedoch nicht, die Kritik an der Regierung Selenski einzustellen.
Sind Sanktionen gegen Russland hilfreich, um den Krieg in der Ukraine zu stoppen?
Die jetzt beschlossenen Sanktionen gegen Russland dienen nicht der ukrainischen Bevölkerung. Sie bringen die Menschen dem Frieden nicht einen Schritt näher. Im Gegenteil: Besonders betroffen von den Sanktionen sind die Millionen Armen und Lohnabhängigen, die Bäuerinnen und Bauern, diejenigen, die sowieso kaum etwas besitzen – in Russland und im Rest der Welt. Sanktionen sind damit Wasser auf Putins nationalistische Propagandamühlen und helfen ihm, die Bevölkerung hinter sich zu sammeln. Zudem: Sanktionen sind nur die Vorstufe für eine weitere Eskalation, an deren Ende auch der Einsatz von militärischen Mitteln stehen kann. Sie entsprechen in diesem Kontext der imperialistischen Logik.
Statt Sanktionen gegen Russland, sollte die Linke die sofortige Streichung der Auslandsschulden der Ukraine in Höhe von 113 Milliarden Dollar und schnelle humanitäre Hilfe für die Menschen in der Ukraine fordern. Ebenso wichtig: die Forderung nach der Öffnung der Grenzen für alle Ukrainer:innen, die aus ihrer Heimat fliehen möchten, und auch für alle anderen Migrant:innen, gerade auch für afrikanische und arabische, denen wegen des rassistischen Grenzregimes der EU die Einreise verweigert wird.
Hat Russland »legitime Sicherheitsinteressen«?
Moskau behauptet, eine Friedensmission durchzuführen und legitime Sicherheitsinteressen durchzusetzen. Das ist eine Lüge. Der Krieg gege die Ukraine ist nur ein weiteres Kapitel der Militarisierung russischer Außenpolitik – ob bei der Niederwerfung der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung, im Krieg gegen Georgien im Jahr 2008, bei der Intervention in Syrien auf der Seite des Diktators Baschar al-Assad, der Besetzung der Krim und kürzlich der Intervention gegen die Massenproteste in Kasachstan. Auch wenn das Vorgehen des Westens in den letzten beiden Jahrzehnten eine offene Provokation gegenüber der russischen Führung darstellt, haben Putin und die Oligarchen kein Naturrecht auf die Länder, die von den russischen Geostrategen als Russlands »nahes Ausland« bezeichnet werden. Russland geht es, wie den anderen großen Militärmächten, wenn sie von »nationalen Interessen« reden, vor allem um eins: Zugang zu Märkten, Rohstoffen und billigen Arbeitskräften. Solange der Wohlstand der Welt nach dem Prinzip der Konkurrenz und der privaten Aneignung verteilt wird, werden die Kämpfe darum weitergehen.
Was macht die Ukraine so interessant für die rivalisierenden imperialistischen Mächte?
Der Konflikt um die Ukraine wird häufig aus dem Blickwinkel der geopolitischen Konkurrenz betrachtet. Und in der Tat hat die Ukraine eine wichtige geopolitische Bedeutung. Die russische Schwarzmeerflotte ist auf der Krim stationiert, da sich von dort aus das ganze Schwarze Meer kontrollieren lässt. Das ist wichtig, weil die Transitwege für das Rohstoffexportland Russland über den Bosporus nach Europa und in den Nahen Osten verlaufen. Gasexporte machen fast 10 Prozent der Exporterlöse Russlands aus. Die Ukraine selbst ist ein wichtiges Empfänger- und Transitland für russische Rohstoffe. Ein großer Anteil des russischen Gases wird über Pipelines in der Ukraine exportiert, die ihrerseits selbst von Gasimporten abhängig ist.
Die Industrieproduktion der Ukraine war bis 2013 sehr eng mit dem russischen Markt verbunden und hat sich seitdem stärker Richtung Westen orientiert. Der westliche Block, bestehend aus Nato und EU, versucht zu verhindern, dass die Ukraine zurück in das russische Einflussgebiet fällt. Die geopolitischen Konflikte zwischen den Großmächten sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Ausplünderung der ukrainischen Ressourcen. Für die russischen Kapitalist:innen und den russischen Staat spielt die Ukraine eine wichtige ökonomische und geopolitische Rolle, für die westlichen Kapitalist:innen und Staaten ebenso.
Welche Ressourcen besitzt die Ukraine?
Die Ukraine ist eines der bevölkerungsreichsten Länder Europas mit einem veritablen Fundus an Bodenschätzen. In der Ukraine gibt es große Vorkommen von Kohle und Eisenerz aber auch Grafit, Titan, Nickel, Lithium bis hin zu seltenen Erden sowie Erdöl und Erdgas. Beispielsweise schlummern dort noch unerschlossene Schiefergasvorkommen unter der Erde. Die Regierung in Kiew beziffert die Menge auf 1,2 Billionen Kubikmeter Schiefergas. Das wäre das drittgrößte Vorkommen in ganz Europa. Zudem gilt die Ukraine auch als die Kornkammer Europas. Das Land ist einer der größten Weizenexporteure der Welt. Die Nahrungsmittelindustrie ist der wichtigste Industriezweig der Ukraine. Etwa ein Viertel der besonders ertragreichen sogenannten Chernozem-Böden (Schwarzerde) weltweit befindet sich auf dem Staatsgebiet der Ukraine. Das ukrainische Ackerland insgesamt entspricht gut einem Viertel der Flächen, die es in der gesamten EU gibt. Auch um diese fruchtbaren Böden – das schwarze Gold – ist im vergangenen Jahrzehnt ein heftiger Konkurrenzkampf entbrannt. Beim Wettrennen um diese Ressourcen kam es in den letzten Jahren vermehrt zu Landgrabbing durch ukrainische Oligarchen, russische Konzerne und westliche Unternehmen.
Gibt es ein faschistisches Regime in der Ukraine?
Die Behauptung Putins, in Kiew sei ein faschistisches Regime an der Macht, ist eine Propagandalüge, mit der er den Angriffskrieg auf das Nachbarland gegenüber der russischen Öffentlichkeit zu rechtfertigen versucht. Tatsächlich ist weder das Regime in der Ukraine faschistisch, noch ist überhaupt eine faschistische Partei an der ukrainischen Regierung beteiligt. Dennoch ist es wahr, dass es in der Ukraine eine militante faschistische Rechte gibt, die einen aggressiven ukrainischen Nationalismus sowie offenen Antisemitismus und Rassismus vertritt und sich positiv auf den Nationalsozialismus bezieht.
Welchen Einfluss hat die faschistische Rechte in der Ukraine?
Der faschistischen Partei Swoboda (Freiheit) gelang bei der Parlamentswahl im Jahr 2012 der Durchbruch. Nach der Maidan-Revolution war die Partei 2014 an der Übergangsregierung beteiligt. Bei den folgenden Wahlen verlor Swoboda jedoch an Unterstützung und scheiterte 2019 trotz eines Wahlbündnisses mit anderen faschistischen Organisationen wie dem Rechten Sektor deutlich an der Fünfprozenthürde. Alle faschistischen Parteien befanden sich bis zum Beginn der russischen Invasion im Niedergang.
Auch der Rechte Sektor, der bei der Verteidigung des Maidans 2014 Aufmerksamkeit erlangte, hat sich gespalten und wurde marginalisiert. Der Niedergang der faschistischen Parteien in der Ukraine ist bemerkenswert im Vergleich zu anderen europäischen Ländern und vor dem Hintergrund des Kriegs und der Annexion der Krim nach 2014. Einzig die Nazipartei Nationales Korps konnte durch die Bildung des Asow-Bataillons den Niedergang auf außerparlamentarischer Ebene aufhalten, in dem sie sich als mutiger Verteidiger des Vaterlandes präsentiert.
Welche Rolle spielen faschistische Kräfte im Ukrainekrieg?
Trotz ihres Niedergangs sind faschistische Kräfte in der Ukraine weiter präsent und mischen seit 2014 in Gestalt paramilitärischer Einheiten auch im Krieg in der Ostukraine mit. Die Unterwanderung des Staates und seiner bewaffneten Organe durch Nazis ist auch in anderen Staaten ein Problem, beispielsweise in Deutschland, stellt in der Ukraine wegen des Kriegs aber eine besondere Gefahr dar. Faschistische Truppen sind sowohl auf der russischen als auch auf der ukrainischen Seite vertreten. Das faschistische Asow-Bataillon kämpft als paramilitärisches Freiwilligenregiment auf der Seite der Ukraine und ist dem Innenministerium unterstellt. In der Russischen Nationalen Einheit kämpfen für die russische Seite ebenfalls Faschist:innen. Es besteht die Gefahr, dass die faschistische Rechte in der Ukraine wieder an Einfluss gewinnt, da der Nationalismus angefeuert wird.
Wie kann der Krieg gestoppt werden?
Kriege können durch Widerstand von unten gestoppt werden. Eine weltweite Antikriegsbewegung, welche die Regierenden überall unter Druck setzt, sich für Frieden, Deeskalation und Abrüstung einzusetzen, ist dafür nötig. Ein wichtiger Schlüssel zur Niederlage Putins liegt letztlich im Widerstand der russischen Bevölkerung gegen den Krieg, also den Antikriegsprotesten im Land selbst, aber eben auch in der Fahnenflucht, also dem massenhaften Desertieren von Soldat:innen von den russischen Streitkräften. Vor diesem Hintergrund ist auch die Form des Widerstands in der Ukraine wichtig. Je stärker sich dieser von der Nato emanzipiert, desto glaubwürdiger ist er, um eine Verbrüderung mit den russischen Soldat:innen an der Front zu erreichen. Der zivile Widerstand in den vom russischen Militär besetzten Gebieten ist aus diesem Grund besonders hervorzuheben. In Cherson und anderen Städten konfrontieren, streiten und verbrüdern sich Ukrainer:innen mit den russischen Soldat:innen mit dem Ziel, sie gegen den Krieg aufzubringen. Eine solche Opposition, frei von der Kontrolle der Nato und unabhängig von den Waffenlieferungen des westlichen Blocks, wird auf längere Sicht entscheidend sein, vor allem wenn Russland ein Besatzungsregime errichten will. Aus diesem Widerstand kann ein Kampf gegen Putins Autokratie entstehen.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass militärische Niederlagen auch ein Fenster für revolutionäre Prozesse öffnen: Russlands Niederlage im Krieg mit Japan mündete in der ersten russischen Revolution von 1905; das Gemetzel des Ersten Weltkriegs wurde 1917 durch die Russische Revolution beendet; und während Moskaus brutalem Besatzungsregime in Afghanistan in den 1980er Jahren entwickelten sich in Osteuropa die politischen Revolutionen von 1989 bis 1991.
Der Krieg kann also durch vier Faktoren gestoppt werden: die Antikriegsproteste in Russland, inklusive Meuterei in den russischen Streitkräften und Fahnenflucht, den ukrainischen Widerstand von unten und eine breite Oppositionsbewegung für Frieden, Deeskalation und Abrüstung in den Nato-Staaten. Es ist das Gegenteil von dem, was unsere Regierenden gerade tun und wollen.
Bild: Ministry of Defense of Ukraine / flickr.com
Schlagwörter: Antiimperialismus, Antikriegsbewegung, Imperialismus, Krieg, Russland, Ukraine