Noch nie protestierten weltweit so viele Menschen für die Rechte der Palästinenser:innen wie in diesem Jahr. Doch die Solidaritätsbewegung für Palästina sieht sich scharfen Angriffen ausgesetzt. Der Vorwurf: Antisemitismus. Wer unterstützt die Bewegung, was ist dran an der Kritik und wie sollten Linke damit umgehen? Ein FAQ der marx21-Redaktion
Weltweit beteiligten sich im Frühjahr und Sommer diesen Jahres Hunderttausende Menschen an Protesten gegen die israelische Regierung und zeigen ihre Solidarität mit der palästinensischen Befreiungsbewegung. Wer ist Teil dieser Bewegung?
Die Solidaritätsbewegung für Palästina wird weltweit von verschiedenen linken Parteien, Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Kultur- und Sportvereinen sowie Nichtregierungsorganisation (NGOs) getragen. In Großbritannien organisierten beispielsweise die Kampagne Palestine Solidarity Campaign (PSC), die Stop The War Coalition und verschiedene Gewerkschaften eine Demonstration, an der sich im Mai 2021 200.000 Menschen beteiligten. Es war der größte Protest in Großbritannien für die Rechte der Palästinenser:innen, den es jemals gab. Aber auch die weltweite Klimabewegung Fridays for Future unterstützt die Proteste, genauso wie die antirassistische Bewegung Black Lives Matter.
Welche bekannten linken Parteien oder Politiker:innen unterstützen die Solidaritätsbewegung für Palästina?
In Großbritannien unterstützt beispielsweise der ehemalige Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn den Protest. Er meint: »Wir sind hier, um das palästinensische Volk zu unterstützen, egal ob wir jüdisch, hinduistisch, muslimisch, christlich oder ohne Glauben sind – unsere Einheit ist eine Einheit von Menschen.« Weltweit unterstützen viele weitere prominente Linke oder linke Parteien die Bewegung. Jagmeet Singh von der kanadischen sozialdemokratischen NDP (New Democratic Party) forderte als erster Vorsitzender einer sozialdemokratischen Partei weltweit ein Waffenembargo gegen Israel. Alexandria Ocasio-Cortez, Abgeordnete der Demokraten und Mitglied der Democratic Socialists of America (DSA), erklärte in Bezug auf Israel: »Apartheidstaaten sind keine Demokratien.« Die irische sozialdemokratische Partei Sinn Féin positionierte sich im Parlament eindeutig mit »Palestinian Lives Matter« und der Rede ihrer Abgeordneten Mary Lou McDonald, in der sie erklärte: »Israel muss endlich als das bezeichnet werden, was es ist: ein rassistisches Apartheidregime.«
Wie beteiligen sich die Gewerkschaften?
Lohnabhängige und ihre Gewerkschaften zeigen sich weltweit solidarisch mit den Palästinenser:innen. In Großbritannien unterstützen fast alle Gewerkschaften die Solidaritätsbewegung für Palästina. Der gewerkschaftliche Dachverband TUC (Trades Union Congress) fordert Sanktionen gegen Israel zur »Beendigung der Apartheid« . In dem Netzwerk European Trade Union Initiative for Justice in Palestine haben sich 35 Gewerkschaften aus verschiedenen europäischen Ländern zusammengeschlossen – wie beispielsweise die Union syndicale Solidaires aus Frankreich. Auch der Internationale Gewerkschaftsbund ist dabei. In der Vergangenheit haben insbesondere die Gewerkschaften der Hafenarbeiter:innen international mit Solidaritätsaktionen Aufmerksamkeit erregt. So teilten Mitglieder der South African Transport and Allied Workers Union (SATAWU) mit, dass sie ein israelisches Schiff nach einem Aufruf der Palestine General Federation of Trade Unions nicht entladen würden. Eine ähnliche Aktion organisierten die Hafenarbeiter:innen in der italienischen Stadt Livorno, die sich weigerten, eine Waffenlieferung auf ein Schiff derselben israelischen Firma, Zim Integrated Shipping, zu laden. In einer Erklärung der Gewerkschaft USB (Unione Sindacale di Base) heißt es: »Der Hafen von Livorno wird nicht zum Komplizen des Massakers am palästinensischen Volk werden.«
Diese Aktionen stehen in scharfem Kontrast zu dem Handeln der gewerkschaftlichen Führungen in Deutschland. DGB-Chef Reiner Hoffmann beteiligte sich während der jüngsten Eskalation an einer Solidaritäts-Kundgebung mit Israel. Er erwähnte den palästinenschen Generalstreik mit keinem Wort. Die Bundesjugendkonferenz von ver.di schloss 2019 jegliche Zusammenarbeit mit der BDS-Bewegung (Boykott, Investitionsabzug und Sanktionen) und der Kampagne FOR-Palestine (For One State and Return in Palestine) aus und verurteilte sogar ihre Aktivitäten.
Welche Unterstützung gibt es aus der Kultur?
Auch Musikerinnen und Musiker engagieren sich für die Rechte der Palästinenser:innen. Mehr als 600 unterzeichneten den Aufruf #MusiciansForPalestine. Sie schreiben: »Heute erheben wir unsere Stimmen gemeinsam und fordern Gerechtigkeit, Würde und das Recht auf Selbstbestimmung für das palästinensische Volk und alle, die gegen koloniale Enteignung und Gewalt auf dem ganzen Planeten kämpfen.«
Unterzeichnet haben den Brief unter anderem Roger Waters, Rage Against The Machine und Serj Tankian, auch Patti Smith, The-Strokes-Sänger Julian Casablancas, Black Thought und Questlove von The Roots, Thurston Moore, Cypress Hill und Talib Kweli.
Palästina-Solidarität in Deutschland
Wer organisierte die Proteste in Deutschland?
Trotz der Repression und der Hetze gegen die Solidaritätsbewegung für die Rechte der Palästinenser:innen sieht eine Mehrheit der Menschen in Deutschland die israelische Besatzungspolitik kritisch. Das zeigen verschiedene Umfragen der letzten Jahre. Allerdings geht die Initiative für Demonstrationen gegen die israelische Besatzung und Entrechtung der Palästinenser:innen fast ausschließlich von den Betroffenen selbst aus – beispielsweise von Palästina Spricht und Samidoun. Andere antirassistische Gruppen, wie Black Lives Matter, Migrantifa oder die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost unterstützen die Proteste, sie wurden jedoch weder von linken Parteien wie SPD, Grüne oder Linkspartei noch von Gewerkschaften oder zumindest einzelnen Gewerkschaftsgliederungen unterstützt. Dies steht in scharfem Kontrast zu den internationalen Entwicklungen. Dass junge migrantische und geflüchtete Menschen, die von Repressionen wie dem Fahnenverbot, dem Fahnenverbrennungsverbot oder der Verweigerung der Einbürgerung bei Israelkritik bedroht sind, sich nicht zum Schweigen bringen lassen, ist bewundernswert; das Schweigen der Mehrheitsgesellschaft und mit ihr der Linken in Deutschland, was die Unterstützung der Proteste betrifft, hingegen nicht. Es wird höchste Zeit, dass sich auch die mehrheitlich weiße Linke in Deutschland diesen Protesten anschließt.
Warum wird der Solidaritätsbewegung für Palästina »Antisemitismus« vorgeworfen?
Hinter dem Vorwurf des Antisemitismus steht der Versuch der israelischen Regierung und ihrer Verbündeten, den Widerstand der Palästinenserinnen und Palästinenser gegen ihre Unterdrückung zu delegitimieren. Der Vorwurf des Antisemitismus ist zurzeit das zentrale Diffamierungsinstrument der Regierenden im Kampf gegen die palästinensische Befreiungsbewegung.
Ist Kritik an Israel antisemitisch?
Eine Kritik an der Politik des Staates Israel ist nicht per se antisemitisch. Natürlich gibt es auch eine rassistische, antisemitische Kritik an Israel: Wer Kritik an Israel mit verallgemeinernden Aussagen über Jüdinnen und Juden vermischt, bedient antisemitische Vorurteile. Kritik an Israel ist antisemitisch, wenn der Eindruck erweckt wird, »die Juden« als »Volkseinheit« wären verantwortlich für die Politik einer staatlichen Gewalt. Die zionistische Bewegung ist jedoch weder mit der israelisch-jüdischen noch mit der weltweit diversen Bevölkerung jüdischen Glaubens identisch. Nicht »die Juden« entrechten die Palästinenser:innen, sondern der zionistische israelische Staat und seine Unterstützerinnen und Unterstützer.
Ist es antisemitisch, wenn auf Demonstrationen Teilnehmende »Kindermörder Israel« rufen?
Es ist nicht per se antisemitisch, »Kindermörder Israel« zu rufen. Es wäre antisemitisch, wenn beispielsweise Teilnehmende »Alle Jüdinnen und Juden sind Kindermörder!« rufen würden. Die Parole »Kindermörder Israel« zielt aber nicht auf das Handeln aller Jüdinnen und Juden ab, sondern skandalisiert eine reale Tatsache der israelischen Kriegsführung. »Kindermörder Israel« knüpft in diesem Kontext nicht an die aus dem europäischen Christentum entstandene antisemitische »Ritualmordlegende« an, wie beispielsweise Samuel Salzborn, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, behauptet. Der Slogan ist für viele Protestierende dagegen Abbild der brutalen Realität in Palästina: Die israelische Besatzungsarmee tötet immer wieder Kinder. Allein bei den Bombenangriffen im Frühjahr 2021 tötete die israelische Armee 67 Kinder. Generell leiden vor allem die Kinder in Palästina unter dem Krieg, den Israel gegen die Menschen dort führt. UNICEF schreibt: »Eine Million Kinder im Gazastreifen leiden unter den immer härter werdenden Folgen des gewaltsamen Konflikts. Sie können sich nirgendwo in Sicherheit bringen. Menschen haben ihr Leben verloren, Familien wurden zerstört.« Die Tötung von Zivilist:innen entspringt dem kriegerischen Siedlerkolonialismus. Wenn Menschen darauf aufmerksam machen wollen, indem sie »Kindermörder Israel« rufen, lügen sie nicht oder versuchen damit, wie manche behaupten, die Diskussion »absichtlich auf eine emotionale Ebene« zu ziehen. Es ist die Realität der Besatzung und der Kriegsführung durch den Staat Israel. Diese Realität ist emotional, auch wenn das der israelischen Regierung und ihren Unterstützenden nicht gefällt. Sie behaupten, der palästinensische Widerstand nutze gezielt »entsprechende Bilder, Erzählungen und Zahlen regelmäßig zur Stimmungsmache gegen Israel«. Eine solche Argumentation macht die Opfer zu Täter:innen. Die linksliberale israelische Zeitung »Ha’aretz« hat darauf eine angemessene Antwort gegeben. Sie zeigte auf ihrer Titelseite Bilder von den 67 palästinensischen Kindern und Jugendlichen, die bei den Angriffen der israelischen Armee im Frühjahr 2021 getötet wurden. Unter dem Titel: »Das ist der Preis des Krieges« veröffentlichte die Zeitung in Zusammenarbeit mit der »New York Times« Fotos, Alter und Geschichten der Opfer im Alter von sechs Monaten bis 17 Jahren.
Ist das Verbrennen israelischer Fahnen ein deutlich erkennbares Zeichen des Antisemitismus?
Es ist an sich nicht antisemitisch, israelische Fahnen zu verbrennen, genauso wie es nicht von alleine antimuslimisch ist, eine Fahne Saudi-Arabiens zu verbrennen. Linke müssen genauer hinsehen, wer aus welchen Gründen welche Fahne verbrennt. Die Fahne Israels beinhaltet ein religiöses Symbol, den Davidstern. Die Verbrennung von israelischen Fahnen kann deswegen leicht als antisemitisch gebrandmarkt werden, auch wenn es von Protestierenden nicht so gemeint ist. In Deutschland steht seit 2020 das öffentliche Verbrennen oder Beschädigen ausländischer Flaggen (sowie Flaggen, welche diesen zum Verwechseln ähnlich sehen) unter Strafe. Anlass für diese Einschränkung der Meinungsfreiheit war das wiederholte Verbrennen israelischer Fahnen bei Demonstrationen. Es ist falsch, Menschen für das Verbrennen von Fahnen zu bestrafen. Auch wenn es für manche befremdlich wirkt, bleibt dieser Akt ein legitimer Ausdruck von Protest gegen die Politik eines bestimmten Staats. In der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus (JDA) heißt es zu Recht: »Politische Äußerungen müssen nicht maßvoll, verhältnismäßig, gemäßigt oder vernünftig sein, um nach Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen Menschenrechtsabkommen geschützt zu sein.«
Bei Demonstrationen in Deutschland sollten sich Linke dafür einsetzen, dass andere Formen des Protestes gefunden werden können, als israelische Fahnen zu verbrennen, aber gleichzeitig diejenigen gegen Repression verteidigen, welche durch Verbrennung der israelischen Fahne gegen die israelische Besatzungspolitik protestieren möchten.
Die israelische Besatzung und Unterdrückung
Warum wird Israel als ein Apartheidstaat bezeichnet?
Apartheid bedeutet »Getrenntheit«. Es war der Name für das System der rassistischen Segregation und Unterdrückung der afrikanischen und anderen nichtweißen Bevölkerung Südafrikas durch weiße Siedlerinnen und Siedler von 1948 bis 1994.
Große Teile der Solidaritätsbewegung für Palästina beziehen sich bei der Analyse zur Apartheid des israelischen Regimes auf die Anti-Apartheid-Konvention der UNO und das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs der Vereinten Nationen (UN). In den beiden völkerrechtlichen Verträgen ist der Begriff Apartheid juristisch generalisiert und von seiner Begrenzung auf Südafrika und den dortigen historischen Kontext gelöst worden. Zu den prominentesten Israelis, die im Zusammenhang mit der Besatzungs- und Besiedlungspolitik der 1967 eroberten palästinensischen Gebiete zu unterschiedlichen Zeitpunkten entweder vor einer drohenden oder bereits bestehenden Apartheidsituation gewarnt haben, gehören der ehemalige Premierminister Jitzchak Rabin sowie weitere ehemalige Minister und hohe Staatsbeamte und Militärangehörige. Kürzlich haben auch die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem und Human Rights Watch offiziell erklärt, dass Israel ein Apartheidstaat ist.
Die NGO American Jewish Committee in Berlin (AJC Berlin) behauptet, die Solidaritätsbewegung mit den Palästinenser:innen verkenne den demokratischen Charakter Israels. Sie meinen: »Alle Bürger Israels, gleich welcher Religion, verfügen über unveräußerliche Grundrechte und ihnen stehen alle Möglichkeiten offen.« Haben sie recht?
Nein, Israel verfügt über keine geschriebene demokratische Verfassung und diskriminiert seine palästinensischen Bürgerinnen und Bürger anhand einer Reihe von Gesetzen. Die israelische Menschenrechtsorganisation für die Rechte der arabischen Minderheit, Adalah, listet über 65 israelische Gesetze auf, die Palästinenser:innen in Israel und den besetzten Gebieten diskriminieren. Die gesetzliche Diskriminierung umfasst alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens: Bürgerrechte, politische Partizipation, Boden- und Wohnrechte, Bildungsrechte, religiöse Rechte und viele mehr. Ein institutionalisiertes System der Segregation sichert die gesetzliche Diskriminierung zusätzlich. Israel vergibt keine israelische Nationalität an seine Staatsbürger:innen. Stattdessen unterteilt der Staat die Nationalitäten seiner Bürger in »Juden«, »Araber«, »Drusen« und andere. Vor diesem Hintergrund ist auch das im Juli 2018 verabschiedete Nationalstaatsgesetz zu verstehen, welches proklamiert, das »Recht auf nationale Selbstbestimmung im Staat Israel steht allein dem jüdischen Volk zu«.
Palästina und die deutsche Linke
Wieso sind Teile der Linken in Deutschland nicht solidarisch mit den Palästinenser:innen?
Dass große Teile der radikalen Linken und auch Politiker:innen von linken Parteien sich der deutschen »Staatsräson« unterwerfen und sich bedingungslos auf die Seite des israelischen Staats stellen – obwohl seit Jahrzehnten erdrückende Beweise von Verbrechen gegen die Menschlichkeit seitens Israel vorliegen –, schwächt den Kampf gegen Unterdrückung und Antisemitismus. Bei manchen Linken ist ein Grund hierfür die fehlende Unterscheidung zwischen Antizionismus und Antisemitismus. Sie setzen Kritik an Israel mit Antisemitismus gleich und folgen damit der einseitigen Definition der israelischen Regierung, die in der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) oder dem sogenannten 3D-Test des rechtsradikalen und rassistischen ehemaligen Likud-Abgeordneten Natan Scharanski zum Ausdruck kommt. So fußt der 3D-Test auf wissenschaftlich nicht definierbaren Begriffen wie »Dämonisierung« und klammert sowohl den historischen als auch den aktuell politischen Kontext von Kritik an der Politik Israels völlig aus. Eine »Delegitimierung« von staatlichen Systemen kann aus verschiedenen Motiven erfolgen und hat nicht zwangsläufig einen antisemitischen Hintergrund. Ebenso sind »Doppelstandards« kein hinreichendes Kriterium, um eine antisemitische Kritik an Israel von einer solchen zu unterscheiden, die mit der realen Politik des israelischen Staates und ihrer geopolitischen Bedeutung zusammenhängen und sich keinerlei rassistischer Argumentationsmuster bedient.
Sowohl der 3D-Test als auch die IHRA-Antisemitismusdefinitionen sind von 300 international renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Bereich der Holocaustforschung, Judaistik und Antisemitismusforschung – viele von ihnen aus Israel – scharf kritisiert worden. Sie stellen keine effektive Unterstützung zur Analyse, Erfassung und Bekämpfung von Antisemitismus dar und dienen vor allem dazu, den Widerstand von Palästinenser:innen zu dämonisieren und gleichzeitig den israelischen Staat vor Kritik abzuschirmen.
Bei der Unterstützung für den Staat Israel gehen manche Linke in Deutschland so weit, dass sie sowohl die Gewalt als auch die ethnische Säuberung der Palästinenser:innen aus ihrem Land und das Abschieben von Migrant:innen in Deutschland befürworten oder gar linken, antizionistischen Jüdinnen und Juden vorwerfen, »selbsthassende Juden« zu sein. Den Kampf gegen Antisemitismus und antipalästinensischen Rassismus spielen sie gegeneinander aus. Doch allen, die sich dem Auftrag des Gedenkens an den von den Nazis verübten Holocaust verpflichtet sehen, sollte das klare Gebot gelten: Nie wieder – gegen jegliche rassistische Unterdrückung, egal wen sie betrifft!
Wie hat sich die Linkspartei bisher zu dem Konflikt verhalten?
In der Linkspartei gibt es viele engagierte Mitglieder, die sich für die Rechte der Palästinenser:innen einsetzen, sich an Kampagnen beteiligen, Demonstrationen und Proteste organisieren und den Mut, sich klar auf die Seite der Unterdrückten zu stellen. Es sind aber eher Initiativen von Einzelnen, manchmal von Kreis- und Bezirks- oder den Jugendverbänden. Die Partei als Ganzes und besonders ihre Führung versagt dabei, eine klare Position in Solidarität mit den Palästinenser:innen zu formulieren. Sie hat in der jüngeren Vergangenheit weder Demonstrationen organisiert oder unterstützt, noch mit Menschen, die in der Bewegung für die Rechte der Palästinenser:innen aktiv sind, den Schulterschluss gesucht. Menschen, die sich mit dem palästinensischen Kampf solidarisieren, sehen sich einem Shitstorm ausgesetzt, und die Partei hilft ihnen nicht, diesen abzuwenden oder sich zumindest schützend vor sie zu stellen. Im Gegenteil: Eine Minderheit führender Mitglieder beteiligt sich sogar daran. Die offiziellen Positionen der Partei dominieren jene Teile der Partei, die entweder eine Position der Äquidistanz oder gar die sogenannte antideutsche Position befürworten, die sich einseitig auf die Seite des Unterdrückers Israel stellen. So sprach der Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidat der Partei, Dietmar Bartsch, auf einer Solidaritätskundgebung pro Israel neben Vertretern der rechtskonservativen Werteunion. Ebenso hatte er sich für U-Boot-Exporte nach Israel ausgesprochen, entgegen der Parteilinie. Diese Positionierung schwächt die Glaubwürdigkeit der LINKEN und ihren universalistischen Anspruch nicht nur langfristig. Sie isoliert die Partei von migrantischen Communitys und der eigenen Basis, nicht zu sprechen von der internationalen Linken, die sich in nahezu allen ihren politischen Schattierungen – von der revolutionären Linken bis zu Sozialdemokraten – solidarisch mit Palästina zeigt.
Wie kann die Solidaritätsbewegung für Palästina in Deutschland weiter wachsen?
Die Linke in Deutschland ist stark, wenn es darum geht, antirassistische Proteste aufzubauen, wie Mobilisierungen von #unteilbar, Seebrücke oder anderen Initiativen und Kampagnen zweifelsohne zeigen. Dass jedoch die Mehrheitsgesellschaft und mit ihr die Linke in Deutschland mehrheitlich schweigt, wenn es um den Nahostkonflikt geht, hängt auch mit der Verunsicherung aufgrund der Antisemitismusvorwürfe zusammen.
Es ist die Aufgabe der Linken, klein und groß geschrieben, dies in den nächsten Jahren zu ändern – auch wenn es manchmal unangenehm ist. Es geht darum, sich einer internationalen Bewegung anzuschließen, die sich für die Palästinenser:innen und ihre Rechte auf Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit einsetzt – für Frieden, gegen die Besatzung und ein politisch wie wirtschaftlich gleichberechtigtes Leben in einem gemeinsamen Staat. Vor dem Hintergrund eines Generationswechsels und des internationalen Aufschwungs der Solidaritätsbewegung sollte dies auch in Deutschland möglich sein.
Linke Organisationen und Parteien könnten hierzulande die Zusammenarbeit mit Organisationen wie Palästina spricht«, Samidoun oder der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost suchen und gemeinsam Veranstaltungen und Proteste planen, die dabei helfen, eine Haltung zu entwickeln und auf die Straße zu tragen, die nicht auf der Seite der Unterdrücker steht. Das Gedenken an die Vertreibung Hunderttausender Palästinenser:innen die Nakba im Jahr 2022, vor dann 75 Jahren, kann eine Möglichkeit dafür sein.
Foto: Alisdare Hickson
Schlagwörter: Antisemitismus, Befreiungskampf, Israel, Palästina