Schon lange profitiert der Faschismus in Frankreich von Macrons unsozialer Politik für die Reichen. Doch die soziale Explosion der letzten Monate stärkt eher die Gegenkräfte. Von John Mullen
Die inspirierende Revolte in Frankreich geht in den vierten Monat. Am Donnerstag, den 13. April fand der zwölfte Aktionstag gegen Macrons Plan statt, die Arbeitszeiten für alle um zwei Jahre zu verlängern. In Hunderten von Städten gab es Demonstrationen. Zahlreiche Gymnasien, Universitäten, Autobahnen und Bahnlinien wurden blockiert. Die Städte Caen, Rennes und Brest wurden komplett blockiert. Am folgenden Freitag fanden landesweit über zweihundert Demonstrationen statt. Die Wut über Macrons Attacke, die angesichts allgemeiner Sparmaßnahmen und Inflation für Millionen von Menschen den Tropfen darstellte, der das Fass zum Überlaufen brachte, ist nach wie vor groß.
Fünfzig Rapper gaben in den Pariser Vororten ein Konzert, um Geld für die Streikkasse zu sammeln. Die Streikenden am Flughafen berichten, dass verspätete Passagiere sehr oft ihre Unterstützung für ihren Streik zum Ausdruck bringen. Macron und seine Premierministerin Borne können ihre Büros kaum verlassen, ohne dass Demonstrierende sie konfrontieren. Dies ist einer der Gründe, warum Macron in der betreffenden Woche nach China abgereist war. Selbst in den Niederlanden wurde Macrons arrogante Rede von Demonstrierenden gestört. Sophie Binet, die in diesem Monat neu gewählte Generalsekretärin des Gewerkschaftsbundes CGT, erklärte am Donnerstag, dass Macron »nicht in der Lage sein wird, zu regieren, bevor er diese Reform zurückgenommen hat«.
Die Wut auf Macron ist ungebremst
Die Strategie der wiederholten Aktionstage ermüdet viele Menschen. Die nationalen Gewerkschaftsführungen weigern sich immer noch, einen unbefristeten Generalstreik zu organisieren. Doch es gibt keine Anzeichen für ein Nachlassen der Bewegung. Viele der laufenden Streiks wurden eingestellt. Doch andere – wie bei der Post in einigen Städten – haben gerade erst begonnen.
Macrons Ziel, der organisierten Arbeiterbewegung eine entscheidende Niederlage beizubringen, ist gründlich gescheitert. Seine Präsidentschaft ist sehr angeschlagen. Seine Regierung musste in den letzten Wochen in einem halben Dutzend anderer Fragen einen Rückzieher machen. Er hatte Angst, Öl ins Feuer zu gießen. Es wurde Geld für die Erhöhung der Stipendien für Studierende freigegeben, und ein Plan für einen allgemeinen Zwangsdienst wurde auf Eis gelegt. Ebenso wie ein rassistisches Einwanderungsgesetz. Macrons Beziehungen im Parlament zu den traditionellen Konservativen von Les Républicains sind zerrüttet, da diese Abgeordneten auf den enormen Druck ihrer Wählerschaft reagieren. Unterdessen gibt die Stärke der Bewegung gegen die Rentenpläne den Arbeitnehmer:innen in vielen Sektoren Zuversicht. Es kommt immer häufiger zu Lohnstreiks.
Pläne für ein Referendum
Die zurückhaltendsten Gewerkschaftsführer rufen nun zu einer Kampagne für ein Referendum über das Rentengesetz auf. Sie werden vom Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Fabien Roussel, unterstützt. Die französische Verfassung erlaubt es, die Regierung zu einem Referendum zu zwingen. Voraussetzung ist, dass einige hundert Abgeordnete und 4,8 Millionen Bürger (zehn Prozent der Wählerschaft) einen entsprechenden Antrag unterzeichnen.
Die Kommunistische Partei hat seit Wochen Plakate aufgehängt, die diese Möglichkeit in den Vordergrund stellen. Aber eine solche Kampagne würde viele Monate dauern. Die Dynamik des derzeitigen Aufstands ginge verloren. Dennoch findet die Idee unter den Demonstrierenden in dieser Woche großen Anklang, da die Bewegung etwas abflaut. Der ursprüngliche Antrag auf ein Referendum wurde vom Verfassungsrat am Freitag, den 14. abgelehnt. Doch ein umformulierter Antrag könnte nächste Woche zugelassen werden.
Der Verfassungsrat (der sich aus alten, reichen Ex-Politikern und Spitzenbeamten zusammensetzt), der am Freitag tagte, hätte das Rentengesetz wegen Verfahrensfehlern blockieren können. Das hätte Macron einen Ausweg bieten können. Stattdessen gab er dem Gesetz grünes Licht. Macron wird das Gesetz zweifellos an diesem Wochenende offiziell unterzeichnen. Doch die Mobilisierung wird weitergehen.
Macrons Politik macht den Faschismus stark
Der Aufstand hat enorme Konsequenzen für alle politischen Kräfte in Frankreich. Letzte Woche habe ich über die Folgen für die radikale und revolutionäre Linke geschrieben. In diesem Artikel möchte ich mich mit den französischen Faschisten befassen und wie sie auf die Bewegung reagiert haben. In Frankreich hört man heute häufig, dass Marine Le Pen und die extreme Rechte die Hauptnutznießer der aktuellen Krise sein werden. Stimmt das und warum ist das so?
Die rechten Medien, die Macrons Neoliberalismus unterstützen, wiederholen die Behauptung, dass Le Pen diejenige sein wird, die am meisten von der aktuellen Situation profitiert. Macron hat uns immer glauben machen wollen, dass er die beste Verteidigung gegen die extreme Rechte ist. Das Gegenteil ist der Fall. Im Jahr 2017, als Macron zum ersten Mal gewählt wurde, erhielt Marine Le Pen zehneinhalb Millionen Stimmen. Nach fünf Jahren von Macrons Spar- und rassistischer Politik erhielt sie zweieinhalb Millionen Stimmen mehr.
Der RN, eine im Kern faschistische Partei
Le Pens rechtsextreme Organisation RN (Rassemblement National, zu deutsch »Nationale Sammlung«, früher Front National, FN) hat 88 Abgeordnete im Parlament. Sie kontrolliert zwei Gemeinderäte in den 279 größeren Städten Frankreichs. Sie hat sich sehr erfolgreich vom Image einer faschistischen Organisation befreit, indem sie ihren Namen änderte, einige Nazis ausschloss und gut gekleidete Sprecher:innen, viele von ihnen Frauen, aufstellte. Dieser Prozess wurde durch die Zusammenarbeit mit den Massenmedien und durch endlose selbstgefällige Interviews in TV-Talkshows sehr unterstützt. Macron hat sogar noch mehr dazu beigetragen. Mit einer Reihe von rassistischen Gesetzen und Kampagnen hat er die Lieblingsthemen des RN in den Mittelpunkt des politischen Lebens gestellt.
Aber der RN hat immer noch einen faschistischen Kern in seiner Mitgliedschaft und in seiner Politik. Im Mittelpunkt steht die Einführung von Gesetzen, die nicht-französische Staatsangehörige diskriminieren, sei es bei der Verteilung von Sozialleistungen und Sozialwohnungen oder bei der Einstellung von Arbeitnehmer:innen. Er zielt darauf ab, den Islam anzugreifen, das Tragen von muslimischen Kopftüchern in den Straßen Frankreichs zu verbieten und die Herstellung von Halal-Fleisch zu verbieten. Der Aufbau einer falschen »nationalen Einheit« zwischen »wahrhaft französischen« Arbeitern und Bossen soll den Klassenkampf unterdrücken und eine noch autoritärere Herrschaft ermöglichen. Zudem will der RN die Arbeiterklasse für die Krise bezahlen lassen, in einer schrecklichen Kombination, die Europa schon einmal gesehen hat.
Organisierter Faschismus in Frankreich bleibt schwach
Dem RN ist es jedoch nicht gelungen, auf lokaler Ebene eine Parteiorganisation aufzubauen, die seiner enormen Attraktivität bei den Wahlen entspricht. Seit mehreren Jahren ist die Partei nicht mehr in der Lage, Straßendemonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmer:innen zu organisieren. Wenn also die Linke und die Gewerkschaften in diesem Monat zwei oder drei Millionen Menschen auf die Straße bringen können, können die Faschist:innen für einen Moment unsichtbar und irrelevant erscheinen.
Zudem ist Klassenkampf schlecht für die Faschist:innen. In den letzten Monaten drehte sich alles darum, wie das Rentenalter von 62 Jahren verteidigt werden kann und wie die Besteuerung der Reichen unsere Renten finanzieren könnte. Die Fronten sind verhärtet zwischen der Arbeiterklasse und der kleinen privilegierten Elite, die Macron verteidigt. Neun von zehn Arbeitnehmer:innen, von fast allen Arbeiter:innen bis hin zu vielen leitenden Angestellten, lehnen Macrons Reform ab. Niemand kann behaupten, dass Macrons Angriff die Schuld der Eingewanderten oder der Muslim:innen sei. Die rechtsextreme Agenda scheint irrelevant zu sein.
Ein Eindruck unserer Macht
Darüber hinaus widerspricht die Erfahrung der Massenrevolte allen Werten der extremen Rechten. Millionen auf den Straßen, mit Zehntausenden von selbstgebastelten Plakaten, vielen kreativen Graffiti und aktivistischen Liedern, zeigen einen Geist der Selbstorganisation, nicht der Einheit hinter einem vermeintlichen nationalen Retter. Der beliebte Demosong »Hier sind wir!« gibt einen Eindruck davon. »Hier sind wir, hier sind wir! Auch wenn es Macron nicht gefällt, hier sind wir! Für die Ehre der Arbeiter und den Aufbau einer besseren Welt – auch wenn es Macron nicht gefällt, hier sind wir!«
Die Erfahrung der Aktivsten vermittelt allen Arbeiter:innen einen Eindruck unserer Macht. Massenversammlungen am Arbeitsplatz alle paar Tage, Blockaden von Autobahnen oder der Anblick von Mülltonnen, die sich in den Straßen stapeln, und die Beobachtung, wie die Gesellschaft allmählich erkennt, wie wichtig ihre Arbeit ist. Das alles trägt zu einer Stärkung des Klassenbewusstseins bei. Und wenn die Energiearbeiter:innen den Bürogebäuden rechter Abgeordneter den Strom abstellen und Krankenhäuser mit kostenlosem Strom versorgen, erhaschen Millionen von Arbeiter:innen einen Blick auf eine mögliche Zukunft. Diese freudige Einigkeit in der Aktion ist das Gegenteil der Angst und Isolation, die die extreme Rechte antreibt. Die riesigen Demonstrationen in kleineren Städten (manchmal ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung in Städten wie Albi und Rodez, und die größten seit vielen Jahrzehnten in Vannes und Saint Malo) sind besonders beeindruckend. Eine neue Generation von 13- bis 18-Jährigen, die sich an Schulblockaden und Demonstrationen beteiligt und manchmal Geld für Streikkassen sammelt, lernt den Klassenkampf. Wir werden sie in den kommenden Jahren wiedersehen.
Kluft zwischen Le Pen und Gewerkschaftsbewegung
Obwohl Le Pen und ihre Kumpane Macrons Rentengesetz als »unnötig und ungerecht« anprangern, können sie die Massenrevolte der Gewerkschaften nicht unterstützen. Sie sind gegen die Gewerkschaftsbewegung. RN-Leute sagen, dass die Menschen das Recht haben zu demonstrieren, aber wagen es nicht, öffentlich auf den Demonstrationen aufzutreten. Sie haben Angst, dass sie hinausgeworfen werden. Die Gewerkschaftsführer haben ausdrücklich gesagt, dass sie nicht willkommen sind. Zur gleichen Zeit prangert Le Pen mit Blick auf ihre große Anhängerschaft bei den Kleinunternehmern den »Krieg zwischen Arm und Reich« an. Sie behauptet, dass Frankreich, um die Renten zu finanzieren, Nicht-Franzosen von den Sozialleistungen ausschließen müsse.
Eine weitere wichtige Tatsache ist, dass die Hälfte der Polizeikräfte für die Faschisten stimmt. Le Pen kann unmöglich die Polizeigewalt anprangern, wie es die Bewegung angesichts der brutalen Repression gegen Erwachsene und Kinder immer häufiger tut. Kinder, die wegen der Blockade ihres Gymnasiums in Sevran bei Paris verhaftet wurden, wurden 30 Stunden lang in Zellen festgehalten. Sie durften nicht auf die Toilette und wurden rassistisch beleidigt. Andere Demonstrierende wurden durch Tränengasgranaten, die absichtlich (und illegal) auf ihre Köpfe abgefeuert wurden, schwer verletzt. Auf einer Aufnahme, die letzte Woche von der überregionalen Tageszeitung Le Monde veröffentlicht wurde, drohte ein Polizist einem jungen Mann, ihm die Beine zu brechen. »Wir haben schon viele Arme und Köpfe gebrochen«, prahlte er.
Die RN-Führung war in der Rentenbewegung also fast unhörbar, abgesehen von dem erbärmlichen Versuch, zu suggerieren, dass mehr Geld für die Renten zur Verfügung stünde, wenn Frankreich »kein Geld für die Einwanderung ausgeben würde«, oder dass der hohe Anteil alter Menschen in der Bevölkerung kompensiert werden könnte, wenn die französische Regierung die französischen Frauen offiziell ermutigen würde, mehr Kinder zu bekommen.
Könnte der Faschismus in Frankreich bei den Wahlen profitieren?
In diesem Zusammenhang spielt der RN eine weitere Karte aus. Er bemüht sich, »seriös« zu wirken, indem er die Idee vertritt, dass er eine realistische Regierungsoption darstelle, die noch nie ausprobiert wurde. Der junge, elegant gekleidete Vorsitzende Jordan Bardella prangert lautstark die hervorragende parlamentarische Oppositionsarbeit der Abgeordneten von France Insoumise an. Er behauptet, France Insoumise sei eine Gefahr für die Demokratie. Einige von Macrons Ministern drängen in die gleiche Richtung. Innenminister Darmanin erklärte kürzlich, dass Marine Le Pen die französische Republik viel mehr respektiere als die France Insoumise.
Wie die Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zeigen, haben Großkapital und Geldmärkte, obwohl sie den traditionellen Konservatismus der extremen Rechten vorziehen, weit mehr Angst vor der radikalen Linken als vor rechtsextremen Parteien. Aus diesem Grund konzentrieren Macron und andere ihr Feuer auf die France Insoumise und ihren Führer Jean-Luc Mélenchon. In den letzten Jahren wurden endlose Verleumdungen verbreitet, die Mélenchon der Nähe zu Putin, des Antisemitismus, des Desinteresses an Gewalt gegen Frauen usw. bezichtigten. Das wird weitergehen, und die gesamte Linke muss darauf reagieren.
LFI und RN in Umfragen gleichauf
Mit Hilfe rechter Medien und dank der Politik Macrons gelingt es der extremen Rechten, sich ein respektables Image zu verschaffen. Sie schneidet in den Umfragen gut ab. Laut einer aktuellen Umfrage kämen France Insoumise und Rassemblement National im Falle von Parlamentswahlen jetzt auf jeweils 26 Prozent. Wenn der Macronismus bei den Wahlen zusammenbricht, was wahrscheinlich ist, könnten einige Millionen Macron-Wähler zum RN wechseln. Le Pen hofft, parallel dazu einige bekannte Abgeordnete der traditionellen Rechten für ihre Organisation zu gewinnen.
In einer Umfrage der konservativen Zeitschrift Le Point von dieser Woche gaben 55 Prozent der Franzosen an, dass Marine Le Pen »eine echte Chance« habe, bei den nächsten Wahlen im Jahr 2027 Präsidentin zu werden. Sie ist nach wie vor bei der Arbeiterklasse beliebt. Über 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben letztes Jahr für sie gestimmt. 60 Prozent der Französ:innen sind der Meinung, dass sie »die Sorgen der einfachen Leute versteht«. Das, obwohl ihre einzige wirkliche Antwort auf die Arbeitslosigkeit darin besteht, Nicht-Franzosen von bestimmten Arbeitsplätzen auszuschließen. In Wirklichkeit haben die Abgeordneten des RN auch im Europäischen Parlament mehrfach gegen Arbeiterrechte gestimmt. Zum Beispiel gegen die Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsplatz, gegen die Anhebung des Mindestlohns und der Stipendien für Studierende, gegen die Bestrafung multinationaler Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen, gegen die Bereitstellung von mehr Geld für Krankenhäuser und gegen das Einfrieren der Mieten. Die Liste ist sehr lang.
Breite und radikal antifaschistische Aktion nötig
Auf der Konferenz zum fünfzigsten Jahrestag der Gründung des FN im vergangenen November betonten die Führer des RN die Notwendigkeit, viele lokale Initiativen zu gründen, um in verschiedenen Städten Wurzeln zu schlagen. Obwohl es leider keine landesweite antifaschistische Massenkampagne gibt, kann der lokale Widerstand mobilisiert werden. Am 1. Mai, dem Internationalen Tag der Arbeit, will der RN eine nationale Versammlung und ein Bankett in der Hafenstadt Le Havre organisieren. Die Vorbereitungen für eine Gegendemonstration sind im Gange. Dies muss der Beginn einer breiten und radikalen antifaschistischen Aktion sein.
John Mullen ist ein revolutionärer Sozialist, der in der Region Paris lebt und die France Insoumise unterstützt. Seine Website lautet randombolshevik.org
Schlagwörter: Faschismus, Frankreich, Macron, Rentenreform